Focus Austria

. Vom Vielvölkerreich zum EU-Staat. Festschrift für Alfred Ableitinger zum 65. Geburtstag, hg. v. Beer, Siegfried, Marko-Stöckl, Edith/Raffler, Marlies/Schneider, Felix (= Schriftenreihe des Instituts für Geschichte 15). Selbstverlag des Instituts für Geschichte der Karl-Franzens-Universität Graz, Graz 2003. 608 S. Besprochen von Ilse Reiter-Zatloukal.

Focus Austria. Vom Vielvölkerreich zum EU-Staat. Festschrift für Alfred Ableitinger zum 65. Geburtstag, hg. v. Beer, Siegfried, Marko-Stöckl, Edith/Raffler, Marlies/Schneider, Felix (= Schriftenreihe des Instituts für Geschichte 15). Selbstverlag des Instituts für Geschichte der Karl-Franzens-Universität Graz, Graz 2003. 608 S.

 

Der umfangreiche Sammelband versucht, so das Vorwort der Herausgeber, der „Vielseitigkeit wie der Vielschichtigkeit“ Alfred Ableitingers als Person, Forscher, Lehrer und Universitätspolitiker gerecht zu werden. Es haben daher nicht nur Vertreter und Vertreterinnen der Geschichtswissenschaft, sondern auch der Rechtswissenschaften, Ökonomie, Soziologie und Philosophie in großer Zahl (39) zu dieser Festschrift beigetragen. Die Beiträge sind fünf Themenbereichen zugeordnet, die auf die Lehr- und Arbeitsschwerpunkte Ableitingers Bezug nehmen sollen, inhaltlich aber wenig konsistent erscheinen. Die Herausgeber hätten also auf diesen Versuch, dem inhaltlich höchst disparaten Florilegium eine Strukturierung aufzuzwingen, durchaus verzichten können.

 

Im ersten Kapitel „Universitas – Memoria“ blickt Walter Höflechner unter dem Titel „Universitas semper reformanda“ in sehr persönlicher, erzählerischer Weise auf den von Ableitinger in diversen hochschulpolitischen Funktionen mitgetragenen universitären „Wandel in vier Jahrzehnten“; Kurt Salamun unterbreitet „Unzeitgemässe Betrachtungen über die Idee der Universität und die Bedeutung der Geisteswissenschaften“; Hubert Zankl stellt die Frage nach der „Liberalisierung an der Universität“, und Anneliese Legat beschäftigt sich mit „Genese, Satzung, Arbeitsbericht und Evaluierung“ des „Senatsbeirates“ der Karl-Franzens-Universität Graz. Weiters finden sich hier Beiträge von Friedrich Waidacher („Geschichte und Geschichten: Über die Darstellung von Vergangenem im Museum“, Stefan Riesenfellner („Zeitgeschichtelabor: Über Projekte und Ausstellungen zur österreichischen Kultur- und Zeitgeschichte 1994-2004“) und Herwig Ebner („Erinnerungen an meine bewegte Kindheit [1928-1938]“).

 

Im zweiten Kapitel „Identität – Ethnizität“ untersucht Elisabeth Fattinger anhand der autobiographischen Schriften des Grafen Zinzendorf (1739-1813), einer der bedeutendsten Verwaltungspersönlichkeiten der Habsburgermonarchie im späten 18. Jahrhundert, „Conflicting Identities in an Age of Transition“. Unter dem Titel „Multiethnizität und Deutschsprachigkeit“ analysiert Alois Kernbauer die Charakteristiken der „Scientific Community“ im Habsburgerreich des späten 19. Jahrhunderts. Helmut Rumpler präsentiert in seinem Beitrag „Die Türkei und Europa im Werk und Denken von Anton Prokesch von Osten“ den Schriftsteller und Diplomaten (1795-1876) als politischen Denker, dem die Problematik der orientalischen Frage in ihrer gesamteuropäischen Dimension bewusst war, der das osmanische Reich sowohl als Kulturmacht als auch politische Größe schätzte und die Idee einer Einheit Europas einschließlich des osmanischen Reiches formulierte (S. 152). Harald Heppner führt in seiner Studie die Bilder eines „unbekannten“, „zudringlichen“, „unverständlichen“, „faszinierenden“, „fragwürdigen“, „fremden“, „gegnerischen“ und „merkwürdigen“ Österreich aus südosteuropäischer Perspektive seit dem Spätmittelalter bis in die Gegenwart vor Augen. Unter dem Titel „Zur Entstehung der kulturellen Differenz“ stellt Ernst Bruckmüller Überlegungen zum Verhältnis von Nationalbewusstsein und Grundschulbildung in der Habsburgermonarchie an und kommt zum Ergebnis, dass diese das „Erlernen nationalen Bewusstseins und kultureller Differenz in starkem Maße auch in den Volksschulen gestattet, ermöglicht, begünstigt“ und so die sich von ihr emanzipierenden Nationen mit einem „kompletten national-kulturellen Gepäck“ für den Marsch „in ihre nationalstaatliche Zukunft“ ausgestattet habe (S. 179). Manfred Priesching untersucht aus soziologischer Sicht die österreichische „Untertanenmentalität“ bzw. die österreichische Identität und ihre „zeitgeschichtlichen Arabesken“, während sich Helmut Konrad aus zeitgeschichtlicher Perspektive mit „Österreichs nationaler Identität“ auseinandersetzt.

 

Im dritten Kapitel „Habsburgermonarchie“ beschäftigt sich Reinhard Härtl mit Kommunikationsproblemen betreffend wertvolle, fremdsprachig trainierte Jagdhunde um 1500, Ingrid Wiesflecker-Friedhuber rollt die die „Grundlegung der Donaumonarchie“ durch Maximilian I.auf, Maximilian Liebmann untersucht die Rolle des „christliche(n) Fürst(en) als Korrektiv für Kirche und Staat“ anhand von König Sigismund und des Papstschimas sowie von Kaiser Franz Josef I. und des Konkordates von 1855. In weiteren Beiträgen berichtet Grete Klingenstein über die „Anfänge der Zinzendorf-Forschung“, untersucht Eva Faber die Konkurrenz zwischen den Freihäfen Triest und Fiume (Rijeka) im 18. Jahrhundert, analysiert Gabriele Haug-Moritz den von den Untertanen wenig bejubelten Übergang der Grafschaft Hohenberg von Österreich an Württemberg 1805/06 und beschäftigt sich Waltraut Heindl mit Bürokratie, Beamten und dem Problem der Modernisierung in der Habsburgermonarchie. In der aktuellen Debatte um die Restitution von einstigem Habsburgervermögen positioniert sich sodann Dieter A. Binder in seiner historischen Analyse „Die Funktion des Habsburger-Gesetzes von 1919 und seine politisch-historische Instrumentalisierung“ als Vertreter einer restitutionsfreundlichen Position. Zu dieser politisch höchst brisanten Frage sind freilich auch, insbesondere unter juristischen Gesichtspunkten, differierende Sichtweisen und Wertungen möglich und jüngst auch formuliert worden, worauf in diesem Kontext allerdings nur hingewiesen werden kann.[1] Schließlich stellt Wolfgang Mantl einen „Entwurf einer Verfassung der Westukrainischen Volksrepublik nach dem Ende des Ersten Weltkrieges“ vor.

Im vierten Kapitel „Steiermark – Österreich – Europa“ beschäftigt sich Peter Urbanitsch unter dem Titel „Von Bach zu Schmerling. Auf dem Weg zur Steirischen Landesordnung (1849-1861)“ mit den Entwürfen für ein organisches Landtagstatut aus den Fünzigerjahren. Günther Cerwinka untersucht die Gründung des steirischen Dorfboten im Jahre 1871 und seine inhaltlichen Positionen. Martin Moll widmet seine Studie „Erster Weltkrieg und Ausnahmezustand, Zivilverwaltung und Armee“ dem innerstaatlichen Machtkampf zwischen Zivil- und Militärbehörden 1914-1918 im steirischen Kontext. Das Verhältnis der katholischen Kirche zur Lokalpolitik in Niederösterreich von der Jahrhundertwende bis 1938 ist Gegenstand der Untersuchung James W. Millers. Robert Kriechbaumers Darstellung der sowjetischen Meinungen über die politische Lage sowie über österreichische Politiker 1945/46, die Studie Stefan Karners „Wien, 8. Mai 1946: Der „Tag des Sieges“ ein Jahr danach. Ein sowjetischer Bericht an das Außenministerium in Moskau“ und Günter Bischofs Beitrag über neue Österreich-Sicht der Sowjets und die Emanzipation österreichischer Außenpolitik nach Stalins Tod 1953 bilden einen zeitgeschichtlichen Österreich-Block dieses Kapitels, während die beiden folgenden Studien sich mit der Geschichte der europäischen Einigung befassen, nämlich Gerhard Marchls Analyse der österreichischen Diplomatie im Hinblick auf die französischen Europainitiativen zwischen 1950 und 1957 sowie Anita Ziegerhofer-Prettenthalers Bestandsaufnahme der Arbeiten des EU-Verfassungskonvents. Der letzte Beitrag dieses Kapitels, in dem Michael Steiner die EU-Erweiterung unter ökonomischen Gesichtspunkten betrachtet, leitet sodann bereits zum letzten Kapitel der Festschrift, „Gesellschaft und Wirtschaft“, über.

 

Dieses beginnt mit einem Beitrag Roland Girtlers zur „Romantisierung des Ganoven und Gangsters“. Es folgt eine Analyse der Situation weiblicher Jugendlicher in Österreich in den Fünfzigerjahren von Karin M. Schmidlechner, eine Studie Michael Pammers zu „Soziale(r),  Hilfe, Mildtätigkeit, Religion (1750-1900)“ sowie eine Untersuchung Walter Brunners zum Gaaler „Bauernaufstand“ des Jahres 1850, einer Auseinandersetzung zwischen den nun freien Bauern und ihrem Grundherrn über die rechtliche Qualität von Weiderechten. Die folgenden beiden Studien sind wirtschaftshistorischen Themen gewidmet.

 

Der vorliegende Band ist eine beachtenswerte Sammlung vorwiegend wissenschaftlicher Beiträge von überwiegend hoher Qualität. Besonders sticht die inhaltliche Bandbreite hervor, die zwar zu einer starken inhaltlichen Inhomogenität führt, aber andererseits eben der Vielseitigkeit des Geehrten Rechnung trägt. Diese Festschrift enthält jedenfalls so manchen Beitrag, der eine eingehende Besprechung lohnen würde, und gereicht dem Jubilar durchaus zur Ehre.

 

Wien                                                                                                  Ilse Reiter-Zatloukal

[1] Ronald Faber, Habsburgergesetz und Restitution. Eine staats- und verfassungsrechtliche Studie zu Konfiskation, Rückgabe, Entziehung und Restitution des Familienversorgungsfonds der Familie Habsburg-Lothringen, in: Norm und Wertvorstellung. Festschrift für Bern-Christian Funk zum 60. Geburtstag, hg. v. Iris Eisenberger, Iris Golden, Konrad Lachmayer, Gerda Marx, Daniela Tomasovsky, Wien 2003; Peter Böhmer, Ronald Faber, Wem gehört das Habsburgervermögen? Wien 2004.