Ikadatsu, Yasuhiro, Der Paradigmawechsel

der Privatrechtstheorie und die Neukonstruktion der Vertragstheorie in seinem Rahmen – Pufendorf, Wolff, Kant und Savigny (= Münchener Universitätsschriften, Abhandlungen zur rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung 89). Aktiv Druck & Verlag GmbH, Ebelsbach 2002. XI, 158 S. Besprochen von Alfons Bürge.

Ikadatsu, Yasuhiro, Der Paradigmawechsel der Privatrechtstheorie und die Neukonstruktion der Vertragstheorie in seinem Rahmen – Pufendorf, Wolff, Kant und Savigny (= Münchener Universitätsschriften, Abhandlungen zur rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung 89). Aktiv Druck & Verlag GmbH, Ebelsbach 2002. XI, 158 S.

 

Die Debatten über Kontinuität und Wandel in der Geschichte und der Rechtsgeschichte sind alt und entsprechen einem bekannten Muster. Wenn eine Forschungsrichtung das Neue, Revolutionäre betont, legt die andere - oft nachfolgende - mehr Nachdruck auf die Elemente, welche trotz dem Wandel gleich geblieben sind. Meist spiegelt sich in diesem Wechsel eine Abfolge von Forschergenerationen; der von Thomas S. Kuhn in der Wissenschaftstheorie entwickelte Begriff des Paradigmawechsels, wie er auch von Paul Feyerabend in oft provokativer, jedoch stets inspirierender Weise weiterentwickelt und weitergedacht wurde, lässt sich dort gut gebrauchen, wo alte Vorstellungen an ihre Grenzen stoßen und sich andere, auf neuen Grundlagen aufbauende Denkmodelle durchzusetzen beginnen. Es liegt nahe, den für die Entwicklung des Privatrechtsdenkens von vielen Forschern als entscheidend betrachteten Übergang vom späten Vernunftrecht zur so genannten historischen Rechtsschule unter Modellierung solcher Paradigmata zu überprüfen, um die Entwicklung von Pufendorf bis Savigny unter dem Aspekt von Kontinuität oder Diskontinuität in den Griff zu bekommen. Yasuhiro Ikadatsu hat sich dieser anspruchsvollen Aufgabe gestellt.

 

Er wählt mit guten Gründen zur Erfassung des Pufendorfschen Paradigmas drei Kriterien, nämlich Heteronomie, eine Pflichtenlehre und schließlich eine „spezifische Art und Weise der Anordnung der römischen Institutionen“ (S. 2ff.). Sie setzt er in Gegensatz zum Savignyschen Paradigma einer Autonomie, einem System der Rechte sowie der Anordnung im Pandektensystem. Damit ist auch schon gesagt, dass es nicht das Anliegen der vorliegenden Arbeit sein kann, beispielsweise die kantischen Einflüsse bei Savigny herauszuziselieren, sondern sie will bei den großen Linien bleiben, die übrigens gerade dem ausländischen Betrachter schon früh aufgefallen waren. Für Pufendorfs Vertragstheorie arbeitet Ikadatsu sodann präzise heraus, wie sie in das Pflichtensystem eingebunden ist und legt zu Recht Wert auf die heteronome Konzeption des individuellen Willens (S. 10ff.). Zu deren genauerer Erfassung zieht er - einer Anregung Peter Landaus folgend - vier Kriterien heran, nämlich das Verhältnis zur Lehre vom pretium iustum, die translative Wirkung des Vertragsschlusses bezüglich des Eigentums, das Modell des Vertragsschlusses sowie die „Unterschiede im rechtlichen Charakter der Übereinkunft“. Damit bekommt er einen Schlüssel in die Hand, die prägenden Züge der Vertragstheorie Pufendorfs zu überprüfen (S. 15ff.). Zwar ist Pufendorf einem Modell der Informationsparität verpflichtet, das jedoch nur im Zustand der natürlichen Freiheit wirklich spielt; in der staatlich organisierten Gesellschaft bindet er den Gedanken der aequalitas und die Lehre vom gerechten Preis in die Pflichtenlehre ein und stellt sie mithin auf die Basis eines heteronomen Willenskonzepts.

 

Hinsichtlich des Eigentumsüberganges fügt Ikadatsu der tradierten, in den romanischen Rechtsordnungen lebendig gebliebenen Trichotomie des Eigentums als Vollrecht (Absolutheit), Ausschließungsrecht (Exklusivität) und zeitlich unbegrenztes Recht (Beständigkeit) den Begriff der „Idealität“ oder Abstraktheit des Eigentums hinzu (S. 23ff.), welcher der qualitas moralis oder- in Barbeyracs Übersetzung der „qualité purement Morale“ entspricht. Darunter versteht er eine normative Abstrahierung von der empirischen Herrschaftsbeziehung des Eigentümers zur Sache, was also keinesfalls mit dem Abstraktionsprinzip deutscher Prägung verwechselt werden darf. Damit gelingt es ihm, den von Pufendorf im Anschluss an Grotius vertretenen Eigentumsübergang durch bloße Übereinkunft als Prinzip plausibel zu machen. Beim Vertragsschluss zeigt er auf, dass sich im Pufendorfschen Modell der consensus auf den Vertragsgegenstand als Mittel bezieht, das heißt, dass der Vertragsgegenstand von beiden Parteien anerkannt wird (S. 30ff.). Dieser aber wird vorher von den Parteien ausgehandelt. Das mag den an der deutschen Rechtsgeschäftslehre geschulten Juristen zunächst überraschen, entspricht aber durchaus dem Konzept, das beispielsweise dem französischen Code Civil zu Grunde liegt. Die Auslegung wiederum, deren Grundsätze ebenso weit vom deutschen Willensdogma entfernt sind und nähere Beachtung verdienen, erscheint ebenfalls in die Pflichtenlehre eingebunden, die überhaupt - wie hier angemerkt sei - die Koordinierung mit den römischen Rechtsquellen ermöglicht. Schließlich zieht Ikadatsu die Linien zum Code Civil, was jedem einleuchtet, der ihm nicht die spätere Willens- und Rechtsgeschäftslehre aufzupfropfen versucht[1].

 

In ähnlicher Weise unternimmt nun Ikadatsu für Wolff eine Gesamtschau, wie sie leider selten genug versucht wird, und arbeitet mit Blick auf die vielen vorhandenen Übereinstimmungen vor allem die Unterschiede zu Pufendorf heraus (S. 51ff.). Während die Einbindung in die auf der Heteronomie beruhende Pflichtenlehre beiden gemeinsam ist, zeigen sich Differenzen vor allem in Bezug auf den Eigentumsübergang, da Wolff die alte Trennung zwischen ius in re und ius ad rem wieder operationalisiert und damit der titulus-modus-Lehre folgt, was Ikadatsu am bekannten alten Fall des Doppelverkaufs erläutert (S. 61ff.). Beim Vertragsschluss hingegen vollzieht Wolff einen Schritt in Richtung einer individualistischen Willensdoktrin, indem er auf die wechselseitige Betätigung und Anerkennung des Willens abstellt. Eine gleiche individualistische Wendung erfährt die Lehre von der aequalitas, weil er die freie Willensentscheidung der Parteien respektiert, im Einzelfall von der aequalitas abzugehen (S. 53ff.). Zu Recht insistiert aber Ikadatsu darauf, dass von einer Anerkennung individueller Autonomie noch nicht gesprochen werden könne (S. 71ff.), wie es sich trotz einer stärkeren Berücksichtigung des individuellen Willens auch bei der Behandlung der Auslegung ergibt.

 

Den entscheidenden Wechsel des Paradigmas sieht Ikadatsu bei Kant, weil dieser als Antwort auf die Problemlagen des Naturrechts seiner Zeit nicht mehr auf der Heteronomie, sondern auf der Autonomie aufbaut (S. 78ff.). Er setzt dabei bei der Begründung des Rechtsbegriffes an und trägt seinem Anliegen, das subjektive Recht darzustellen, auch in seiner Systematik Rechnung. In diesen Punkten wird die Verbindung zu Pufendorf gekappt, das Pflichtensystem der Aufklärung wird in ein System der Rechte überführt, das durch den Begriff des subjektiven Rechts bestimmt ist und der Einbindung in eine Pflichtenlehre nicht mehr bedarf. Die Ausdifferenzierung des Systems erfolgt nach den unterschiedlichen Formen der willkürlichen Beziehung zwischen Person und Gegenstand (S. 93ff.). Eine Konsequenz daraus ist die Zurückweisung des Konsensprinzips für den Eigentumsübergang, da das im Zentrum stehende Subjekt des Vertrages auf ein Vehikel für die Eigentumszuordnung verzichten kann (S. 95ff.). Als neu erscheint sein empirisches Modell des Vertragsschlusses (S. 98ff.): Der mutuus consensus Pufendorfs wird in der individualistischen Perspektive in die Willensakte zerlegt, die sich zu einem „einzigen gemeinsamen Willen“ zusammenfügen, wie sich denn auch die Auslegung ausschließlich am Willen der Parteien orientiert. Die Perspektive der späteren Rechtsgeschäftslehre wird greifbar (S. 103). Damit kann Kant auch die Vorstellungen einer aequalitas und mit ihr der laesio enormis zurückweisen. An Ikadatsus Ansatz ist sicher neu, dass er nicht - wie es oft geschieht - an den Bemühungen Kants um die Formulierung der Rechtsbegriffe aus moderner juristischer Sicht Anstoß nimmt, sondern diese ganz radikal aus deren philosophischen Prämissen her zu verstehen versucht. Damit schlägt er die Brücke zu Savigny.

 

Entscheidend für Ikadatsus Sicht ist der Hinweis darauf, dass Savigny nicht einfach in der Tradition Kants steht, sondern aus dem durch Kant bewirkten Paradigmawechsel die Konsequenzen zieht und sein System neu aufbaut (S. 105ff.)[2]. Ikadatsu geht in seiner Darstellung von der Marburger Methodenlehre aus, etwa bei Savignys Kritik am System Domats (S. 108ff.), um sich dann der Landshuter Zeit zuzuwenden. Hier betont er die Bemühungen Savignys, den Weg vom ursprünglichen Klagesystem zu einem System der Rechte zu bewältigen (S. 110ff.). Zu Recht will er aus der im ‚Beruf’ geäußerten Kritik am Code Civil Savignys Vorstellungen bezüglich des Systemaufbaus entnehmen[3]. Dahinter steht ein Bruch mit der überkommenen Naturrechtslehre. Über die Zwischenstufe der Pandektenvorlesung von 1824/25 gelangt er zum 1840‑1848 veröffentlichten ‚System’ (S. 113ff.). Er charakterisiert dieses mit den drei Schlagworten: „von der Heteronomie zur Autonomie“, „vom Pflichtensystem zum System der Rechte“ und „von den Institutionen zu den deutschen Pandekten“ (so S. 116). Mit der zentralen Einordnung der Rechtsgeschäftslehre in den Allgemeinen Teil geschieht der „letzte Schlag gegen das vertragstheoretische System des Zeitalters der Aufklärung“ (S. 120). Im Folgenden untersucht Ikadatsu die Beziehung zwischen Kant und Savigny. Nicht zufällig geraten die §§ 52f. von Savignys ‚System’ ins Blickfeld, wo er Wert auf den mittelbaren Einfluss Kants legt. Beim dinglichen Vertrag wiederum knüpft Savigny an Kant an, gelangt aber mit seiner Einbindung der Form der traditio zu einer neuen theoretischen Grundlage (S. 128ff.). Mit der Reduktion auf die Willenserklärung und das Rechtsgeschäft hat er den Hebel, um den Autonomiegedanken beim Vertragsschluss zum Tragen zu bringen, wo er das Pufendorfsche Modell zu Gunsten einer individualistischen Denkweise überwinden kann (S. 136ff.). Eine Konsequenz daraus ist die Abkehr von den starren Auslegungsregeln, denn schließlich geht es ja darum, dem wahren Willen des Einzelnen zum Durchbruch zu verhelfen (S. 138ff.). Demgegenüber erscheint die Frage der Zuordnung Savignys zur Willens- oder Erklärungstheorie als nachrangig. Das kann Ikadatsu im Einzelnen für die Irrtumslehre nochmals nachvollziehen, die ohne die konsequente Einbindung in die Lehre von der Willenserklärung nicht verständlich ist (S. 142ff.)[4].

 

In einer Synthese konfrontiert Ikadatsu dann die Vertragstheorien Pufendorfs und Kants. Sie muss hier nicht im Einzelnen wiedergegeben werden, weil der Duktus der Gedanken klar macht, dass der Heteronomie auf der einen Seite die Autonomie auf der anderen gegenübersteht und das Pflichtensystem Pufendorfs einem System der Rechte Platz macht. Am Rande weist er darauf hin, dass es auch andere Ansätze gegeben hat, die sich - wie Hegel - stärker an Pufendorf orientierten. Dadurch wird die Eigenart der Savignyschen Prägung deutlicher. Zum Schluss macht Ikadatsu klar, was in der Rechtsvergleichung oft übersehen wird, dass auf dem europäischen Kontinent zwei verschiedene Vertragstheorien entwickelt wurden, welche nebeneinander stehen und im Grunde genommen nicht kompatibel sind, jene Savignys und die des Code Civil, für die Pufendorf als Chiffre steht. Sie müssten auch rechtstheoretisch aufgearbeitet werden, um zu einer einheitlichen Denkweise eines europäischen Ius commune gelangen zu können. Auf einige Theorieansätze, deren Problematik freilich ausführlicher diskutiert werden müsste, weist Ikadatsu hin.

 

Der Gewinn der Arbeit Ikadatsus liegt in der konzentrierten Form, in der sie die Hauptlinien des Privatrechtsdenkens zwischen Pufendorf und Savigny zusammenführt. Analysen, die sich nur auf einen einzigen Gelehrten konzentrieren, geraten leicht in Gefahr, einzelne Elemente zu überschätzen und neue Entwicklungen dort anzunehmen, wo sich ein Autor in den breiten Strom einfügt, oder aber bei der Untersuchungen von Kontinuitäten mehr an die Bewältigung von Fallgestaltungen anzuknüpfen, die wiederum von anderen Faktoren beeinflusst sein können, während die grundsätzlichen Veränderungen der Perspektive unbeachtet bleiben. Für die Kontinuität garantieren bei Savigny beispielsweise die Anbindung an die römischen Quellen, die Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse des Verkehrs mit dem - von Ikadatsu hervorgehobenen - Begriff des Organischen. Der Blick auf das Grundsätzliche wiederum ist von Außen wohl leichter möglich als vom Inneren einer Rechtsordnung aus. Man weiß es deshalb zu schätzen, dass Ikadatsu den weiten Weg auf sich genommen hat, uns mit diesem Außenblick zu konfrontieren. Er hat den Paradigmawechsel plausibel gemacht, der schon einem Lichtenberg als zeitgenössischem Beobachter klar war (Sudelbücher J 1223), dass nämlich „aus einem immer verbesserten Katholizismus ... nie Protestantismus, und aus einer verbesserten Populär-Philosophie nie Kantische Philosophie werden (konnte)“. Das gilt auch für die von Savigny betriebene Rechtswissenschaft, wie es bereits damals aufmerksamen ausländischen Beobachtern als evident erschien und wie es nun Ikadatsu in diesem schlanken, gedanklich dichten und tiefschürfenden Buch gezeigt hat.

 

München                                                                                                        Alfons Bürge

[1] Hier wäre sicher die Auseinandersetzung fruchtbar mit Eugen Bucher, Eigentums-Translativwirkung von Schuldverträgen, Das Woher? und Wohin? dieses Modells des Code Civil, ZEuP 1998, 615-669.

 

[2] Vgl. dazu etwa Joachim Rückert, Natürliche Freiheit - Historische Freiheit - Vertragsfreiheit, in: J.-F. Kervégan/H. Mohnhaupt (Hrsg.), Recht zwischen Natur und Geschichte, Frankfurt/Main 1997, 305-337.

[3] Vgl. dazu eindringlich Joachim Rückert, Code civil, Code Napoléon und Savigny, in: J.-F. Kervégan/H. Mohnhaupt (Hrsg.), Wechselseitige Beeinflussung und Rezeptionen von Recht und Philosophie in Deutschland und Frankreich, Frankfurt/Main 1997, 143-176.

[4] Schade ist, dass Ikadatsu die ebenso gründliche wie gescheite Untersuchung von Martin Josef Schermaier, Die Bestimmung des wesentlichen Irrtums von den Glossatoren bis zum BGB (2000), bes. 483-498 nicht mehr berücksichtigt hat.