Justiz = Justice = Justicia
Justiz = Justice = Justicia? Rahmenbedingungen von Strafjustiz im frühneuzeitlichen Europa, hg. v. Rudolph, Harriet/Schnabel-Schüle, Helga ( = Trierer historische Forschungen 48). Kliomedia, Trier 2003. 514 S.
Dieser Band will durch die Darstellung von „Rahmenbedingungen“ der Strafjustiz den Vergleich der Entwicklung in den europäischen Territorien besser ermöglichen als durch mikrohistorische Studien. Unter den Rahmenbedingungen verstehen die Herausgeberinnen die politischen, rechtlichen, geographischen, ökonomischen, sozialen bzw. soziologischen und kulturellen Voraussetzungen in den verschiedenen Teilen Europas. Da die letzteren Kriterien meist nicht aufgegriffen werden, ist der Rahmen eigentlich zu weit gespannt. Immerhin ist es den Herausgeberinnen aber gelungen, Beiträge ausgewiesener Spezialisten, Historiker und Juristen, zu sammeln. Indem diese insbesondere die Gerichte, das Verfahrensrecht und wesentliche Charakteristika der Strafverfolgung zahlreicher Länder und Regionen vorstellen, ermöglicht diese Beschränkung tatsächlich die angestrebte Vergleichbarkeit.
Die Herausgeberinnen geben in ihrem einleitenden Beitrag einen Überblick, in dem leider schon das gemeine Recht falsch definiert wird. Durch die begriffliche Einbeziehung des Partikularrechts wird der diskursive Antagonismus von gemeinsamer Strafrechtswissenschaft und regional differenzierten Ausprägungen nicht gesehen. Die folgenden Beiträge geben dagegen eine gelungene Übersicht über die Strafverfolgung in England (James A. Sharpe), Spanien (Iris Gareis) und Frankreich (Christine Petry). In der Literatur weniger oft behandelt und daher besonders interessant sind die Einführungen zum kolonialen Neuengland (Johannes Dillinger), Dänemark (Jens Chr. V. Johansen) und Schweden-Finnland (Pär Frohnert), wobei der viel stärkere Einfluss des gelehrten (Kirchen-)Rechts in Schweden frappiert. Mit starkem theoretischen Einschlag versehen ist die Darstellung Marco Bellabarbas zu (Nord)Italien. Pieter Spierenburg ist der einzige Autor, der in seinem Beitrag über die Niederlande die anderen Beiträge zu einem Vergleich heranzieht.
Aus den Territorien des Reichs werden das Kurfürstentum Hannover (Thomas Krause) und Kursachsen (Heiner Lück) vorgestellt. Lück weist vor allem die lange Praxis der Sühneverfahren neben der peinlichen Strafgerichtsbarkeit nach. Von den geistlichen Territorien werden Kurtrier (Dagmar Olschewski), Münster (Gudrun Gersmann) und das bisher kaum untersuchte Fürstbistum Lüttich behandelt; Ulrich Seibertweist in seiner Darstellung vor allem auf die anhaltende Strafgerichtsbarkeit des Offizialats hin. Wunderschön konkret sind die Beiträge zu Frankfurt (Joachim Eibach), Cochem (Ralf Brachtendorf) und der Herrschaft Hohenaschau. Breit zeigt in diesem besonders gelungenen Aufsatz nicht nur die Verselbständigung der Hochgerichtsbarkeit in Hohenaschau, sondern weist auch den Zusammenhang von Verfolgungswellen mit äußeren und strukturellen Bedrohungen nach; dass in solchen auch statistisch gearbeiteten Beiträgen mehr Fragen als Antworten formuliert werden, macht gerade ihre Qualität aus. Noch gibt es leider viel zu wenige dieser Untersuchungen für die deutschen Territorien.
Einen gelungenen thematischen Einstieg über die Hexenprozesse wählt Katrin Moeller zur Darstellung der Strafgerichtsbarkeit in Mecklenburg. Andere Beiträge spezialisieren sich auf Einzelaspekte wie Klaus Härter auf Vagabunden in Kurmainz und Susanna Pohl zu Schuldmilderungsgründen im Herzogtum Württemberg. Ihr zufolge propagierten die wachsenden Kenntnisse des „römischen Rechts“ und des „römischen Fachdiskurses“ (sic!) die Annahme von Schuldmilderungsgründen; das allegierte gemeine Recht wird allerdings diffus nur mit allgemeinen Probabilitätserwägungen einbezogen, so dass die Überzeugungskraft der These gemindert ist. Andere Beiträge sind noch themenbezogener wie jene zu den Hinrichtungsritualen (Peter Schuster) und Kriegsprozessen (Jutta Nowosadtko).
Leider hat die jahrelange Drucklegung dazu geführt, dass die Literatur seit Ende der 1990er Jahre überwiegend fehlt. Gerade bei der Lektüre dieses Buches wird deutlich, wie stark gegenwärtig international zur Strafrechtsgeschichte publiziert und unsere Kenntnis vorangetrieben wird. Trotzdem bietet das Werk auch jetzt noch einen praktischen Überblick über viele wichtige Territorien sowie aktuelle Fragestellungen und bildet damit eine geeignete Einstiegslektüre in die Geschichte der frühneuzeitlichen Strafjustiz.
Bonn Mathias Schmoeckel