Marianne Weber
Marianne Weber. Beiträge zu Werk und Person, hg. v. Meurer, Bärbel. Mohr (Siebeck), Tübingen 2004. XII, 281 S.
Werk und Leben Marianne Webers (1870-1954) sind aufs engste mit den Reformforderungen der älteren deutschen Frauenbewegung zum Familienrecht verknüpft. Sie wirkte u. a. als Vorsitzende des Bundes deutscher Frauenvereine, als Mitglied der badischen Nationalversammlung, als rechtsreformerische, rechtshistorische, ehesoziologische und ehephilosophische Publizistin und war Deutschlands erste Ehrendoktorin der Rechte. Sie gilt als erste namhafte deutsche Rechtshistorikerin überhaupt. Es wäre unangebracht, sie auf die Rolle als Frau, Witwe und Biographin des Sozialwissenschaftlers Max Weber zu reduzieren. Ihr zentrales und monumentales Werk „Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung“ (1907) steht am Anfang der deutschen Frauenrechtsgeschichte als eigenständiger Teildisziplin. In einem universalgeschichtlichen Überblick versucht Weber dort, den Zeitraum von der antiken und vorgeschichtlichen Ehe bis hin zum Familienrecht des frühen 20. Jahrhunderts zu analysieren und dies mit einer umfassenden Kritik des Bürgerlichen Gesetzbuchs in seiner Fassung von 1896 zu verbinden.
Um so überraschender scheint es zunächst, daß Marianne Weber bisher noch nicht Gegenstand einer spezifisch rechtshistorischen Monographie geworden ist, welche beispielsweise die Inhalte, Sachpositionen und biographischen Verknüpfungen von „Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung“ detailliert aus heutiger Sicht untersuchen und so in Auseinandersetzung mit Marianne Weber Frauenrechtsgeschichte neu schreiben könnte. Der vorliegende Aufsatzband Meurers liefert wertvolle Bausteine für dieses Vorhaben und handelt über weite Strecken gerade von der Bedeutung Webers als Rechtshistorikerin und Rechtspolitikerin. Der Sammelband entstand im Anschluß an eine Tagung des Marianne-Weber-Instituts im September 1998 in Oerlinghausen, dem Stammsitz der Familie Webers, geht aber über die damaligen Tagungsbeiträge hinaus und umfaßt auch neuere Ergebnisse (so geht der Text von Buchholz über „Marianne Webers Bedeutung für die Rechtsgeschichte“ auf einen Vortrag von 2001 zurück).
Einleitend umreißt Meurer (S. 1-8) den Erkenntnisgegenstand. Marianne Weber habe schon früh die klassische Rolle einer Professorenehefrau überschritten und sei wegen ihrer Zuwendung zur Wissenschaft und Frauenbewegung manchen Anfeindungen ausgesetzt gewesen. Selbst habe sie solche Widerstände gegen Frauenrechtlerinnen zurückgeführt auf ein vorwiegend in Deutschland vorherrschendes Idealbild der unwissenden, unterwürfigen Frau. Die von Weber unterstellte besondere patriarchale Rückständigkeit Deutschlands scheine, so Meurer, aufgrund der nur rechtlich, aber nicht tatsächlich vollzogenen Gleichstellung der Frauen immer noch zuzutreffen (S. 6f.). Meurer verweist ferner auf geschlechtsegalitäre Tendenzen der Zeit um 1800 und stellt diesen eine patraiarchal-nationalistisch geprägte Kultur der Zeit um 1900 entgegen, welche auch das Familienrecht des damaligen BGB geprägt habe. Max und Marianne Weber stünden als Personen für den Versuch, diese Entwicklung zu überwinden, insbesondere die Frauen als aktive Teilnehmerinnen in den bisher „Herrenrunden“ vorbehaltenen geisteswissenschaftlichen Diskurs einzubeziehen. Umstritten ist der Grad des Einflusses, den Max Weber auf die Entwicklung feministischer Positionen seiner Frau ausübte. Nach Mariannes Bekunden sei er in der ersten Ehezeit „bald frauenrechtlerischer als sie selbst“ gewesen. Er habe sich, so Meurer (S. 3) schon vor seiner Ehe auf ein Gleichheitskonzept im Geschlechterverhältnis festgelegt, sich im Konflikt seiner Mutter mit dem patriarchalen Vater schon früh innerlich auf die Seite der Mutter geschlagen, und seine Mutter habe an der Berliner Frauenbewegung aktiv Anteil genommen. So stellt sich hinsichtlich „Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung“ die Frage nach der Eigenständigkeit Marianne Webers bzw. einem möglichen Anteil Max Webers und wechselseitigen Einflüssen in beiden Richtungen (vgl. S. 6 und später bei Lichtblau auf S. 199-212).
Der Sammelband umfaßt elf Beiträge aus unterschiedlichen Fachdisziplinen, teils auch fachübergreifende Texte: Rechtsgeschichte, Geschichte der Sozialwissenschaft, Frauengeschichte sowie biographische Forschungsansätze zu Marianne und Max Weber wären hier u. a. zu nennen. Hinzu kommt der Abdruck einiger biographischer Bild- und Textdokumente sowie ein Personenregister. Sicherlich wäre zur näheren Orientierung auch ein Sachregister wünschenswert gewesen. Im folgenden sollen diejenigen Teiluntersuchungen näher beschrieben werden, welche in erster Linie rechtshistorischer bzw. frauenrechtshistorischer Natur sind.
Bereits die vordergründig „nur“ biographischen Beiträge, die den ersten Teil des Sammelbandes ausmachen, enthalten bei genauerer Durchsicht eine Vielzahl wichtiger Hintergrundinformationen zur geschlechtertheoretischen Position und letztlich auch (Frauen-) Rechtsauffassung Webers und anderer Protagonistinnen der Frauenbewegung (vgl. beispielhaft Kempter, S. 111-126, über Camilla Jellinek).
Folgt man der eingangs angedeuteten Spur, wonach Helene Weber, die Mutter Max Webers, für die Entwicklung antipatriarchaler Positionen in der Folgegeneration maßgeblich war, so finden sich ausführliche Informationen hierzu in Roths „Zur Geschlechterproblematik in der weberschen Familiengeschichte“ (S. 11-27, darin zu Helene Weber, deren Briefwechsel erhalten geblieben ist, S. 18-23). Daß die dort geschilderte und vom damaligen Eherecht zumindest nicht verhinderte patriarchale Unterdrückung einer reichen und intelligenten Frau - sie mußte beispielsweise die von ihren Schwestern erhaltenen Briefe ihrem Mann zur Lektüre vorlegen - Sohn und Schwiegertochter für die Frage der Frauenrechte sensibilisierte, erscheint plausibel. 1897 kam es wegen der Unterdrückung der Mutter zu einem schwerwiegenden Zerwürfnis zwischen Max Weber und seinem Vater. Eine Kausalverbindung zu den Inhalten von „Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung“ ist damit freilich noch nicht erwiesen und bleibt ggf. näher zu erforschen. Aufschlußreich ist der Ehe- und Erbvertrag des jungen Max Weber mit Marianne. Zu Beginn der Ehe (1893) sichert er sich hier als rechtskundiger Ehemann patriarchale Verfügungsgewalt über das Vermögen seiner Frau. Andererseits schreibt er in der Verlobungszeit (vgl. insofern Meurer, S. 223) seiner Braut „Wir stehen frei und gleich zueinander“ und empfiehlt ihr die Lektüre von Bebels „Die Frau und der Sozialismus“. Soweit hier nicht prinzipiell eine Spaltung des frauenrechtlichen Bewußtseins zwischen Theorie und praktischer Umsetzung vorlag, muß hier zwischen 1893 und 1897 ein weiterer Sinneswandel geschehen sein, wobei offen bleibt, ob dieser primär von Max oder Marianne Weber ausgegangen ist. Bereits für 1895 wird von Plänen Mariannes berichtet, über die Frauenfrage in England zu schreiben. Eingehende Informationen zu ihrer frauenrechtlichen Arbeit in Heidelberg finden sich im Beitrag Gilcher-Holteys (S. 29-58): zu ihrer Auseinandersetzung über den Charakter spezifisch „weiblicher Kultur“ mit Georg Simmel, ihrer Abgrenzung zu der von Otto Gross propagierten Auflösung der bürgerlichen Familie durch die freie Liebe (ab 1907), auch zu den von Marianne Weber 1897 begründeten örtlichen Frauenrechtsaktivitäten. Diese umfaßten zunächst öffentliche Vortragsveranstaltungen und Diskussionen, 1901 die Gründung einer durch Camilla Jellinek geleiteten Rechtsschutzstelle, schließlich die überregional bedeutsame öffentliche Formulierung von rechtlichen Reformforderungen wie dem aufsehenerregenden Verlangen Jellineks von 1905 nach ersatzloser Streichung von § 218 StGB. Viele der geschilderten Aktivitäten fallen in die Jahre der Vorbereitung und Niederschrift von „Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung“. Ein Einfluß auf dieses Werk kann unterstellt werden und bleibt zukünftig jeweils im Einzelfall zu untersuchen. Gegenstand einer solchen Untersuchung wäre auch die eheliche Partnerschaft und Arbeitsgemeinschaft der Webers, die im Vergleich mit Beatrice und Sidney Webb auf S. 59-76 von Krüger beschrieben wird. Zugleich sind Weber, Webb und Jellinek drei der insgesamt vier vor 1933 in Deutschland im Fach Rechtswissenschaft ehrenpromovierten Frauen. Unter den weiteren durchweg wertvollen biographiegeschichtlichen Aufsätzen ist neben Göttert (S. 127-153, im Zusammenhang des Verhältnisses zu Gertrud Bäumer werden u. a. zentrale geschlechtertheoretische Fragen erörtert) besonders derjenige Kempters über Camilla Jellinek (S. 111-126) hervorzuheben, der unabhängig von Weber eine wichtige Bedeutung im Rahmen der zeitgenössischen juristischen Reformforderungen von Frauenseite zukommt. Jellinek entwickelte ihre Positionen aus dem Alltag der örtlichen, ausschließlich von Frauen betriebenen Rechtsschutzstelle heraus.
Im zweiten Teil des Sammelbandes („Marianne Webers wissenschaftlicher Ansatz“) finden sich eine Reihe im engeren Sinne rechtshistorischer Ansätze. Dies beginnt bei Buchholz, der (S. 157-171) „Marianne Webers Bedeutung für die Rechtsgeschichte“ behandelt und einleitend die Eigenständigkeit der Arbeit Mariannes gegenüber Max Weber betont.. Er recherchiert umfassend die Stimmen im neueren rechtshistorischen Schrifttum zu Marianne Weber und kommt zu dem Ergebnis, daß „Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung“ zwar nahezu durchweg als Klassiker und als grundlegendes Werk der Frauenrechtsgeschichte gepriesen werde, in neueren rechtshistorischen Detailuntersuchungen aber häufig nur als Belegnachweis auftauche und die Autorin weniger als Wissenschaftlerin, mehr als zeitgenössische Rechtspolitikerin berücksichtigt werde. Diesem vermeintlich „negativen Ergebnis“ (S. 166) ist meines Erachtens entgegenzuhalten, daß ein Fortwirken rezipierten Gedankenguts nicht unbedingt vom Zitat der Primärquelle abhängt. Auch die vor hundert oder zweihundert Jahren erstmals entwickelten Thesen prominenter männlicher Rechtshistoriker, haben sich, soweit sie in der Gegenwart noch rezipiert sind, fortentwickelt und werden nicht mehr zwingend nach der Primärquelle zitiert, sondern häufig nach einer neueren modifizierten Bearbeitung. Freilich bliebe jeweils im Einzelfall zu prüfen, ob und in welchen Gebieten der Forschung von einer Kontinuität (modifizierter) Weberscher Gedanken auszugehen ist und in welchen Gebieten dies nicht der Fall ist. Das Ergebnis ist offen. Auch wenn es negativ wäre, verbliebe Weber im übrigen eine zentrale Bedeutung für die Geschichte der Teildisziplin Frauenrechtsgeschichte.
Im Rahmen „ergänzender Beobachtungen“ (S. 166-168) stellt Buchholz die universalgeschichtlichen Forschungsgegenstände Webers den gegenwärtigen Ansätzen der Frauenrechtsgeschichte gegenüber, ferner verweist er auf die ehegüterrechtlichen Reformforderungen Webers und auf Probleme bei der gegenwärtigen Rezeption ihres Werks angesichts veränderter Methoden des Fachs. Einen neuen Ansatz sieht er unter Bezug auf Wobbe in der Auswertung Webers soziologischer Fragestellungen.
Dies leitet über zu Wobbes Beitrag über „Marianne Webers kultursoziologische und frauenpolitische Perspektive“ (S. 173-197), der zu den Basistexten der aktuellen Weber-Forschung gezählt werden kann und eingehend auf die kultursoziologischen und frauenpolitischen Auseinandersetzungen Webers Bezug nimmt. Der Webersche Quellenbestand, der zur Grundlage der sozialwissenschaftlichen Untersuchung Wobbes dient, umfaßt in einem zentralen Abschnitt (S. 182-186) weiterhin „Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung“, gelesen als sozialwissenschaftliches bzw. ideengeschichtliches Werk, das es ja u. a. auch ist, aber doch weiterhin verknüpft mit Rechtsfragen, insbesondere mit dem Familienrecht des BGB von 1896 (S. 184f.).
Der Beitrag Lichtblaus (S. 199-212) behandelt die Bedeutung von „Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung“ für das Werk Max Webers. Eingangs (S. 199-201) werden Grad und Umfang der Beteiligung Max Webers am Buch seiner Frau erörtert, eine Frage, die detailliert im Beitrag Meurers (S. 213-223) wieder aufgegriffen wird. Daß eine solche Beteiligung ansatzweise stattgefunden hat, ist unstreitig und wird in Zeugnissen Marianne und Max Webers übereinstimmend berichtet. Gleichwohl ist der Umfang ungewiß, es liegen hierzu widersprüchliche Angaben und Indizien vor. Lichtblau (S. 200) verweist auf vielfältige Einwirkungen Max Webers, will damit aber die Eigenständigkeit Marianne Webers nicht in Frage stellen. Noch stärker betont Meurer diese Eigenständigkeit und sieht den Einfluß Max Webers auf den fertiggestellten Text als recht gering an, nicht über das im akademischen Betrieb Übliche hinausgehend (S. 218).
Lichtblau (ab S. 201) fährt fort, indem er Bereiche untersucht, zu denen sich Entsprechungen im Werk Max Webers finden lassen: Hausgemeinschaft (als Produktions- und Konsumgemeinschaft), Entstehung der „legitimen Ehe“, Mutterrechtsfragen, Exogamie, Entwicklung des römischen Rechts zur manus-freien Ehe. Ein hauptsächlicher Erkenntnisgegenstand Max Webers sei (S. 208) die Entwicklungsgeschichte der Hausgemeinschaft gewesen, während Marianne Weber in erster Linie den jeweiligen Entwicklungsstand der Frauenemanzipation untersucht habe. Ein speziell bei Marianne Weber auftauchender Gedanke zur „protestantischen Ethik“ sei, daß die Ethik des Calvinismus zur „Durchgeistigung der ehelichen Beziehungen“ geführt und im Ergebnis einer umfassenden Gleichberechtigung der Frau den Weg bereitet habe.
Im abschließenden Beitrag Meurers (S. 213-240) wird Marianne Webers wissenschaftliche Beziehung zu Max Weber beleuchtet. Rechtshistorisch von Bedeutung sind dabei - neben den schon geschilderten Fragen zur Eigenständigkeit Marianne Webers - die Position in der zeitgenössischen Debatte über das Matriarchat (S. 223-227) sowie mögliche Anregungen aus „Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung“ für Max Weber (S. 229-235, vgl. hierzu schon Lichtblau, S. 201-212). Meurer verweist hierzu an erster Stelle auf die umfangreichen Abschnitte zur antiken orientalischen Rechtsentwicklung.
Insgesamt ist der neu erschienene Sammelband eine nicht nur für die Frauenrechtsgeschichte, sondern auch für benachbarte Disziplinen sehr zu empfehlende Neuerscheinung. Bedingt durch das Konzept eines aus Aufsätzen bestehenden Bandes - insofern ähnlich der 1997 erschienen Zusammenstellung Gerhards „Frauen in der Geschichte des Rechts“ - konnten noch nicht sämtliche rechtshistorisch relevanten Aspekte Webers abgehandelt werden, so daß weiterer Forschungsbedarf besteht. Aufschlußreich wäre z. B. der inhaltliche Vergleich Webers rechtspolitischer Forderungen mit den Forderungen anderer Zeitgenossinnen, wie Stritt, Proelß/Raschke, Kempin, Augspurg. Sehr anspruchsvoll - z. B. angesichts notwendiger Verknüpfungen zur antiken orientalischen Rechtsgeschichte und zu Georg Simmel - wäre sicherlich die eingangs angeregte rechtshistorische Monographie zu Weber. So mag es vielleicht doch nicht ganz so überraschend sein, daß diese Arbeit bisher unterblieben ist. Hinzu kommt, daß Weber im Fraktionsstreit der damaligen Frauenbewegung aus Sicht der jüngeren Forschung sich nicht unbedingt an der Seite der progressiven Frauen placierte, sondern als sittenstrenge Repräsentantin eines gemäßigten, ja konservativen Flügels gilt. Dies ist allerdings nur zum Teil richtig. Ihre inhaltlichen Positionen, gerade diejenigen in der Zeit vor 1910, erscheinen nicht primär konservativ oder progressiv, sondern höchst individuell und sind der weiteren Untersuchung wert.
Hannover Arne Duncker