Müller, Christoph, Die Entstehung
Müller, Christoph, Die Entstehung des Reichsgesetzes über das Kreditwesen vom 5. Dezember 1935 (= Schriften zur Rechtsgeschichte 97). Duncker & Humblot, Berlin 2003. 519 S.
Anzuzeigen ist ein weiterer Baustein aus der Reihe von Doktorarbeiten zu wirtschaftsrechtlichen Gesetzen des 20. Jahrhunderts, die Werner Schubert in Kiel angeregt und kompetent begleitet hat. Das Gesetz über das Kreditwesen schuf 1934 eine einheitliche Aufsicht über die Banken. Sein Inkrafttreten fällt damit in eine Zeit, die ganz auf staatliche Intervention und Reglementierung zugeschnitten war. Für eine Rechtsordnung ergeben sich unterschiedliche Möglichkeiten zur Regulation der Probleme mit Kreditinstituten. Die staatliche Aufsicht ist nur eine unter mehreren, freilich diejenige, an die wir uns im Laufe der Zeit gewöhnt haben. Erst jüngst werden vermehrt individualrechtliche Konfliktlösungen zur Korrektur von Organisationsdefiziten nicht nur bei Banken untersucht und erprobt. Sicherlich war eine individualrechtliche Lösung für die Nationalsozialisten ganz besonders unsympathisch. Es ist auch vor diesem Hintergrund interessant zu beobachten, wie das Reichsgesetz über das Kreditwesen (KWG) entstanden ist, welche Wertungen und rechtstheoretischen Konzepte hinter dem Gesetz stehen. Mit dem Depotgesetz vom 5. Juli 1896 war der Gesetzgeber noch einen anderen Weg gegangen, indem er die Rechtsbeziehungen zwischen den Depotinhabern und Banken verpflichtenden Normen unterwarf, die die Rechtsverhältnisse zwischen Bankkunden und Banken unmittelbar prägten (zum DepotG jüngst: Carmen Buxbaum, Anlegerschutz zwischen Bankbedingungen und Rechtsnormen, Berlin 2002). Mit dem KWG wählte der Staat 1934 nunmehr die öffentlich-rechtliche Aufsicht, um die Organisationsdefizite durch eine Regelung des Verhältnisses der Kreditinstitute zum Staat zu bekämpfen. Besondere Aufmerksamkeit verdienen hierbei die Normativbestimmungen der §§ 11ff. KWG (z. B. über die Eigenkapitalquote und die Mittelverwendung). Man kann schon fragen, ob es nicht nur Zufall war, dass um 1900 noch eine privatrechtliche Lösung versucht wurde (freilich für andere Probleme), während 1934 der öffentlich-rechtliche Eingriff in die Gewerbefreiheit das Mittel der Wahl war. Der Privatrechtsgedanke war – wie es vor Jahren schon Nörr anhand der Kartellfrage festgestellt hat (Die Leiden des Privatrechts, Tübingen 1994) – in der Weimarer Zeit in eine schwere Krise geraten. Müller behandelt diese Frage nicht, wirft sie auch nicht auf, aber er stellt mit seiner gelungenen Arbeit das Material zur Verfügung, das die Behandlung derartiger Fragestellungen in Bezug auf das Kreditwesen überhaupt erst erlaubt. Die Methoden der Korrektur von Organisationsdefiziten und auch ihre Hintergründe bedürfen aber eingehender Forschung. Unmittelbar neben dem Depotgesetz, das vor allem auf eine individualrechtliche Lösung zielte, stand beispielsweise die Etablierung staatlicher Aufsicht für die Hypothekenbanken seit 1899.
In fünf Teile gliedert Müller seine Arbeit. Zuerst schildert er die Entwicklung des Kreditwesens in Deutschland seit dem Kaiserreich bis 1933 (S. 26-103). Das ist nützlich für das Verständnis der im KWG selbst geregelten Fragen. Vor dem Erlass des KWG gab es schon einzelne gesetzliche Aufsichtsbestimmungen, die ebenfalls berücksichtigt werden. Die Entstehungsgeschichte des KWG ist Gegenstand des nächsten Abschnitts (S. 104-143). Hier wird insbesondere der Einfluss der Nationalsozialisten auf die Beratungen in den Kommissionen deutlich herausgearbeitet, weil der Verfasser die handelnden Personen im Auge behält. Der dritte Teil beschäftigt sich mit einigen besonderen Forderungen der Nazis, z. B. derjenigen nach Verstaatlichung der Banken, aber auch mit den Problemen des Verhältnisses von Sparkassen und Privatbanken (S. 144-193). Im vierten und ausführlichsten Teil handelt der Autor alle Vorschriften des KWG einzeln ab (S. 194-437). Im letzten Abschnitt stellt der Verfasser seine Ergebnisse noch einmal in einen größeren Zusammenhang, in dem er nach der Prägung des Gesetzes durch die Nationalsozialisten fragt und außerdem die Fortentwicklung bis in die Gegenwart in den Blick nimmt (S. 438-461). Im Anhang sind u. a. der erste Entwurf des KWG und die Fassung vom 5. Dezember 1934 abgedruckt. Das Quellen- und Literaturverzeichnis ist infolge starker Untergliederung ziemlich unübersichtlich geraten.
Mit dem klaren Aufbau des Textes korrespondiert eine vorbildliche Gedankenführung, die die Lektüre der nicht kurzen Arbeit dennoch angenehm macht. Alle längeren Abschnitte werden zuverlässig zusammengefasst. Zu loben ist insbesondere die stete Perspektive über den normativen Bestand des Gesetzes hinaus auf die Hintergründe. Daher war es notwendig, auch die wirtschaftsgeschichtlichen Tatsachen vor der Entstehung des KWG in die Arbeit einzubeziehen. Ob es dafür wirklich geschickt ist, dies – wie hier – in einer Art „Vorspann“ zu tun, halte ich für zweifelhaft, ist aber sicherlich vertretbar. Insbesondere ist es hier nicht verkehrt, weil der Verfasser schon in dieser Vorgeschichte immer wieder den Bezug zum Hauptthema, der Entstehung des KWG, herstellt. Der Leser erhält eine sehr brauchbare Zusammenfassung der Geschichte des Bankwesens seit der Gründerzeit bis 1933, wobei der Schwerpunkt auf der Bankenorganisation liegt. Nach den Schwierigkeiten infolge der Inflation 1923 gerieten die Banken zunehmend in Abhängigkeit von ausländischem Kapital, dessen kurzfristige Rückzahlung aufgrund langfristiger Bindungen zu Beginn der 30er-Jahre nicht mehr möglich war. Bei der Reichstagswahl vom 14. September 1930 hatte die NSDAP die Zahl ihrer Wähler von ca. 810.000 auf mehr als 6,4 Mio. (von insgesamt ca. 43 Mio. Wahlberechtigten) gegenüber der vorangegangenen Reichstagswahl ungefähr verachtfachen können. Müller spricht, wie es auch überall in den Lexika etc. zu lesen ist, von einer Steigerung des Stimmenanteils von 2,6% auf 18,3% (S. 57). Die nackten Prozentzahlen sind aber ohne Angabe der Bezugsgröße wertlos, weil offen bleibt, ob sich die Zahlen auf die abgegebenen gültigen Stimmen oder auf die absolute Zahl der Wahlberechtigten beziehen. Interessant für die Beurteilung politischer Wandelungen ist aber, wie viele der Wahlberechtigten eine Partei tatsächlich für sich gewinnen konnte. Unter dem Eindruck dieser erheblichen Stimmengewinne der NSDAP (ca. 5,5 Mio.) kündigten noch bis Ende 1930 die ausländischen Anleger Einlagen und Kredite von ca. 700 Mio. Reichsmark. 1931 setzte sich die Entwicklung fort. Als im Mai 1931 die Österreichische Creditanstalt ihre hohen Verluste bekannt gab, nahm die Nervosität der Anleger bei den Berliner Großbanken noch zu. Die Rückzahlungspflicht in ausländischer Währung zwang die Banken zur Devisenbeschaffung bei der Reichsbank, deren Devisenbestände nun zusammenschmolzen. Im Juni stand Deutschland kurz vor der Zahlungsunfähigkeit nach außen. Dies schlug auf die Inlandsgeschäfte durch. Als am 13. Juli 1931 die Danat-Bank (Darmstädter- und Nationalbank) ihre Zahlungen einstellte, forderte die inländische Kundschaft aller Banken (mit Ausnahme der längst staatlicher Aufsicht unterworfenen Hypothekenbanken) und Sparkassen massenhaft ihre Guthaben zurück. Die meisten Banken zahlten aber nur 20% der Beträge aus. Erst im August konnte ein regelmäßiger Zahlungsverkehr wieder eingerichtet werden. Die Vereinbarung von Moratorien mit ausländischen Gläubiger-Banken konnte schließlich den gänzlichen Zusammenbruch verhindern. Noch im November 1931 wurde eine öffentlich-rechtliche Bankenaufsicht eingeführt. Die Krise insbesondere der Großbanken dauerte jedoch fort und führte zu erheblichen staatlichen Beteiligungen. Erst vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen werden die Ziele der Stabilisierung des Bankensystems und der Vertrauensbildung deutlich, die mit dem KWG von 1934 verfolgt wurden.
Die staatliche Bankenaufsicht war nicht völlig neu; man hatte damit schon seit der Reichsgründung im 19. Jahrhundert experimentiert. Bei den Sparkassen war über die Kommunalaufsicht von Anfang an eine staatliche Kontrolle gegeben (erste Sparkasse 1778 in Hamburg). Eine Mustersatzung von 1927 machte sogar konkrete Vorschriften für die Geschäftstätigkeit der Sparkassen. Für die anderen öffentlichen Banken hatte es Ansätze einer Aufsicht seit der Gründung der Reichsbank gegeben. Die Reichsbank – das hat Müller richtig betont (S. 68) – entzog sich jedoch zunehmend und gegen den übrigen Trend dem staatlichen Einfluss. 1922 hatte sie die ursprüngliche unmittelbare Weisungsgebundenheit abgeschüttelt. 1924 schrieb das Bankgesetz ihre politische Unabhängigkeit fest. Erst die Krise von 1931 ließ die Einführung einer allgemeinen Bankaufsicht unvermeidlich erscheinen. Sie wurde zuerst im Wege der Notverordnung installiert und beschränkte sich anfänglich auf Beobachtung ohne aktives Eingreifen, wie Müller es charakterisiert. Doch mit der Einmischung in die Zinskonditionen seit Ende 1931 änderte sich das massiv. Immerhin sank das Zinsniveau von 7,48% 1931 auf 4,67% 1933.
In der öffentlichen Meinung hatten die Banken kein gutes Image. Das vereinfachte es den Nazis, eine bankenfeindliche Politik zu verfolgen, die aus der sozialistischen Ideologie gespeist war. Auf Betreiben des Reichsbankpräsidenten Hjalmar Schacht lag die Vorbereitung des Gesetzes im bei der Reichsbank angesiedelten „Untersuchungsausschuss für das Bankwesen 1933“ in Händen von Experten, die die negativen Ressentiments meistens nicht teilten (S. 113-115). Die wichtigsten Ausschussmitglieder hat Müller kurz porträtiert. Für die Beurteilung gerade der ideologischen Einflüsse auf das KWG sind diese Informationen von großer Bedeutung. Biographische Angaben hätte man sich auch ansonsten gewünscht. Das Ziel der geplanten Bankreform war, eine erneute Krise wie 1931 für die Zukunft auszuschließen. Weitere, insbesondere ideologische Anliegen wie die Erziehung künftiger Bankleiter im Sinne des Nationalsozialismus, bearbeitete der Untersuchungsausschuss nicht. Das lag nicht zuletzt daran, dass Schacht den radikalsten Nationalsozialisten im Untersuchungsausschuss Feder schon frühzeitig aufgrund von Indiskretionen aus dem Gremium verdrängen konnte. Müller begründet überzeugend, dass im Untersuchungsausschuss eine sachorientierte Lösung der Probleme der Kreditwirtschaft angestrebt wurde, nationalsozialistische Ideologie aber keine besondere Rolle spielte. Die Interpretation wäre noch plausibler geworden, wenn Teil 2 Teil 4 gefolgt wäre, weil man an diesem Punkt der Lektüre die inhaltlichen Aspekte noch nicht kennt.
Interessant ist jenseits der von Müller besprochenen Fragen die Betrachtung der Versuche politischer Einflussnahme, weil sie deutlich macht, dass die beteiligten Ministerien und Parteifunktionäre zu dieser Zeit noch mit großer Selbstverständlichkeit der gesetzlichen Regelung politischer Fragen maßgebliche Bedeutung beimaßen, also der gesetzlich verfassten Rechtsordnung eine gewisse Hochachtung entgegenbrachten. Selbstverständlich ist es keine Neuigkeit, dass die Nationalsozialisten (wenigstens anfangs) auf die Gesetzesförmigkeit ihres politischen Handelns in der Regel Wert legten. Krass ungesetzliches Verhalten seitens des Staates blieb bis zum Krieg jedenfalls die Ausnahme, wobei freilich manches Unrecht in die Form von Gesetzen gegossen wurde. Der beharrliche und zugleich vergebliche Versuch von Ideologen wie dem Staatssekretär im Reichswirtschaftsministerium Feder, das Gesetz für das Parteiprogramm zu instrumentalisieren beweist, dass man dem Gesetz für die Regelung der Wirklichkeit erhebliche Relevanz zubilligte.
Der Misserfolg der Nazis bedeutete jedoch nicht unbedingt die Erhaltung eines liberalen Bankwesens. Das KWG beseitigte beispielsweise die Gewerbefreiheit zugunsten einer Konzessionspflicht und der Befugnis der Aufsichtsbehörde, die Erlaubnis zum Betrieb einer Bank wieder zurückzunehmen (§§ 3-7 KWG, dazu S. 203-213). Ziel dieser Maßnahme war – anders als in den 20er Jahren – nicht der Schutz vor unseriösen Anbietern, sondern die Regulierung des Marktes. Andererseits hatte die Aufsichtsbehörde kein Recht zum Eingriff in die Geschäftsbeziehung zu einzelnen Kunden. Insbesondere fand keine Verstaatlichung der bislang privaten Banken statt, wie sie etwa Reichsbankdirektor Deumer schon 1926 vorgeschlagen hatte und sie dann seit 1931 lebhaft – zum Teil mit nationalsozialistischen Vorzeichen – erörtert worden war (S. 145). Schacht stellte dem entgegen, dass der materielle Fortschritt auf Arbeiten und Sparen beruhe, was vom freien Willen des Einzelnen abhängig sei, nicht aber staatlich erzwungen werden könne (S. 153). Erfolg hatten die Nationalsozialisten allerdings mit der Abwehr von Angriffen auf das etablierte Sparkassenwesen. Nach den Plänen der Reichsbank sollte ursprünglich der Geschäftsbereich der Sparkassen wieder auf das Spargeschäft zurückgeführt werden. Erst nach dem 1. Weltkrieg hatten sich die Sparkassen zu allgemeinen Geschäftsbanken weiterentwickelt. Auf politischen Druck, wie Müller überzeugend dargelegt hat, scheint Schacht von dieser Position abgerückt zu sein (S. 187-190). Politisch beeinflusst waren schließlich die Vorschriften über die Organisation und Befugnisse der Aufsichtsbehörden in §§ 30 bis 44 KWG (dazu S. 382-430). Ursprünglich sollte hier die Reichsbank entscheiden und die Reichsregierung mehr oder weniger nur beratend wirken. Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens tauschten beide ihre Rollen, was ganz dem Führerprinzip des NS-Staates entsprach.
Als die inhaltlich wichtigsten Teile des Gesetzes betrachtet Müller (S. 141) die Regeln über das Kreditgeschäft und die Liquiditätsbestimmungen (§§ 11-19 KWG, dazu S. 225-300) im fünften Abschnitt, die einheitlich für alle Kreditinstitute gelten sollten, um die Sicherheit des Kreditwesens durch Vorschriften über die Eigenkapitalausstattung, die Kreditpolitik und die Liquidität zu erhöhen (so genannte „Normativbestimmungen“), sowie den siebten Abschnitt (§§ 22-27 KWG, dazu S. 317-360) mit den Vorschriften zum Sparverkehr. Deren Ziel war es, den Kapitalmarkt wieder zu beleben. Nach der Inflation 1923 hatte die Neigung zu langfristigen Spareinlagen und damit zur Vermögensbildung deutlich abgenommen. Die Sparkassen und Banken konnten die Spareinlagen daher nicht mehr langfristig am Kapitalmarkt platzieren, weil sie zu kurzfristiger Rückzahlung in der Lage sein mussten. Weiterhin zahlten die Kreditinstitute aber Sparzinsen wie für langfristige Anlagen und verwischten so die Grenzen von Geld- und Kapitalmarkt. Die strikte Trennung beider sollte das KWG wiederherstellen.
In der Schlussbetrachtung (S. 438-461) geht der Verfasser noch einmal auf einige übergeordnete Gesichtspunkte ein. Neben der Umsetzung des Gesetzes in der Anfangszeit nach 1934 behandelt er zusammenfassend den Einfluss des Nationalsozialismus auf das KWG, den er trotz aller entgegenstehenden zeitgenössischen Rhetorik, als gering betrachtet, wenn man einmal von den Organisationsbestimmungen für die Aufsichtsbehörden absieht, die dem Führerprinzip folgten. Dementsprechend blieb das KWG in seinen materiellrechtlichen Bestimmungen unverändert auch nach 1945 in Kraft. Die – meines Erachtens überzeugenden – Gründe für diese Bewertung des Gesetzes sind bereits oben erwähnt. Ob man die im Gesetz weitgehend verwirklichten Vorschläge des vorbereitenden Untersuchungsausschusses als im Grundsatz „liberal“ geprägt verstehen darf (S. 445), ist mir freilich weniger sicher. Immerhin verlagerte die staatliche Aufsicht und die Konzessionierung des Bankbetriebs einige Entscheidungsbefugnisse (und auch Verantwortlichkeiten) von den privatrechtlichen Rechtssubjekten auf den Staat. Damit ist nicht entschieden, ob es auch eine ernsthafte Alternative im Sinne der angesprochenen Korrektur der Organisationsdefizite durch Ausweitung individualrechtlicher Befugnisse gegeben hat. Ob derartige Überlegungen überhaupt angestellt worden sind, bleibt gleichfalls offen.
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