Personen der Geschichte
Personen der Geschichte – Geschichte der Personen. Studien zur Kreuzzugs-, Sozial- und Bildungsgeschichte. Festschrift für Rainer Christoph Schwinges, hg. v. Hesse, Christian/Immenhauser, Beat/Landolt, Oliver/Studer, Barbara. Schwabe, Basel 2003. XVI, 500 S., 6 Abb.
Wer so viele Festschriften, Festgaben, Gedenkschriften, Sammelbände (und was noch?) betreut und herausgegeben hat wie Rainer Schwinges, dem gebührt schon, ohne dass ein Literaturverzeichnis mitgeliefert wird, allein aus diesem Grunde – gleichsam zum Entgelt oder zur Sühne – die Errichtung eines eigenen monumentum aere perennius, meint der Rektor der Berner Universität und geleitet aus Anlass des 60. Geburtstags einen Sammelband mit 26 Studien zu den Forschungsschwerpunkten (Kreuzzüge, Toleranz, Sozial- und Institutionengeschichte der Universität, Migrationen usw.) des Berner Mediävisten. Im Vorwort weisen die Herausgeber besonders auf die 1977 erschienene Dissertation über den Toleranzbegriff bei Wilhelm von Tyrus und auf die 1986 veröffentlichte Habilitationsschrift über die spätmittelalterlichen Universitätsbesucher im Heiligen Römischen Reich hin. Aus dieser Entwicklung des Forschers von einem kultur- und mentalitätsgeschichtlichen zu einem sozialgeschichtlich-prosopographischen Ansatz ist der Titel entstanden.
Der Inhalt ist in vier Gruppen gegliedert. Den Beginn machen Bern, sein Umland und die Eidgenossenschaft (Gerber, Roland, Das Ringen um die Macht. Die Berner Ratsgeschlechter am Ende des 13. Jahrhunderts; Braun, Hans, Heimliche Pensionen und verbotener Reislauf. Die Prozesse vom Sommer 1513 im Spiegel von Verhörprotokollen aus dem Berner Staatsarchiv; Marchal, Guy P., Hetzels Marter und Tod. Frühe Texte der Empathie; Studer, Barbara, Die Augustinerinnen von Interlaken. Ein vergessenes Frauenkloster im Berner Oberland; Meyer, Werner, Wetterzauber gegen Bern. Bemerkungen zu einer Textstelle in Conrad Justingers Berner Chronik; Landolt, Oliver, Wider christenlich ordnung und kriegsbruch. Kriegsverbrechen in der spätmittelalterlichen Eidgenossenschaft; Esch, Arnold/Esch, Doris, Schweizer in Rom 1820-1870 im Spiegel des Kirchenbuchs der deutschen evangelischen Gemeinde). Vom nahen Einzelfall Bern losgelöst folgen allgemeiner die Stadt und ihre Bürger (Isacson, Kristina/Koch, Bruno, Losziehen und Los ziehen. Ein Vergleich zwischen Migration und Mobilität im spätmittelalterlichen Zürich anhand von Bürgerbuch und Glückshafenrodel; Blickle, Peter, Pfarrkirchenbürger?; Gilomen, Hans-Jörg, Städtische Anleihen im Spätmittelalter. Leibrenten und Wiederkaufsrenten; Marani-Moravová, Běla, Die Stadtschreiber von Königgrätz 1580-1620; Zahnd, Urs Martin, Min allerliebster unn früntlicher, erlicher unn frommer gemachel. Ehegatten in spätmittelalterlichen Selbstzeugnissen; Pfaff, Carl, Bild und Exempel. Die observante Dominikanerin in der Sicht des Johannes Meyer O. P.).
Besonderes Augenmerk verdienen die Universitäten und ihre Besucher. Hier stellt Peter Moraw deutsche und europäische Gelehrte im lateinischen Mittelalter in einem umfassenden Entwurf mit dem Ergebnis dar, dass sein Thema schwerlich schon ausgereizt ist. Ludwig Schmugge wagt den Gang über die Pönitentiarie zur Universität. Christian Hesse untersucht das Verhältnis der Universität Erfurt zur Verwaltung der Landgrafschaft Hessen im Spätmittelalter. Beat Immenhauser klärt die Beziehungen Sankt Gallens zum Universitätsbesuch um 1500. Jürg Schmutz plädiert unter dem Titel „Juristen“ - die sich von den übrigen Menschen eigentlich nur durch ihre besonderen Rechtskenntnisse unterscheiden - „in der Praxis“ für interdisziplinäre Grundlagenarbeit von HistorikerInnen und JuristInnen. Rainer A. Müller schildert an Hand des Promotionswesens an deutschen Universitäten der Frühmoderne (z. B. zwischen 1501 und 1800 5065 Promotionen an den höheren Fakultäten von Ingolstadt, Königsberg, Duisburg, Altdorf und Freiburg im Breisgau bei rund 165000 Immatrikulationen) den Wandel von der Juristendominanz zur Medizinerschwemme (der Aufklärung). Walter Rüegg zeigt als Teilergebnis des dritten Bandes der von ihm herausgegebenen Geschichte der Universität in Europa die deutschen Wegbereiter der modernen Forschungsuniversität auf.
Gewissermaßen alles umschließend werden am Ende Christen und Andersgläubige vereinigt (Kahl, Hans-Dietrich, Die Karolingerpfalz Karnburg; Herzig, Heinz E., Ciceros Konzept des bellum iustum und Augustins Überlieferung; Zwahlen, Pedro, Secundum legem omnium hominum. Zum völkerrechtlichen Vertrag zwischen Christen und Muslimen im 12. Jahrhundert; Schmidt, Hans-Joachim, Bildungsreform als Kriegsvorbereitung. Die Vorschläge von Pierre Dubois zur Wiedergewinnung des Heiligen Landes; Meyer, Andreas, Exeamus ad Iesum. Lucca und die Finanzierung der Kreuzzüge; Simon-Muscheid, Katharina, Montségur. Mythos und Geschichte). All dies spiegelt, aufgeschlossen durch ein Personen- und Ortsregister, bestens die Weite der vielfältigen Forschungsinteressen des gezielt ruhelosen iuvenis sexagenarius wieder. Durch sein internationales Wirken ist auch die Rechtsgeschichte vorzüglich bereichert.
Innsbruck Gerhard Köbler