Reinle, Christine, Bauernfehden

. Studien zur Fehdeführung Nichtadliger im spätmittelalterlichen römisch-deutschen Reich, besonders in den bayerischen Herzogtümern (= Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Beiheft 170). Steiner, Stuttgart 2003. 589 S., 1 Kart. Besprochen von Arne Duncker.

Reinle, Christine, Bauernfehden. Studien zur Fehdeführung Nichtadliger im spätmittelalterlichen römisch-deutschen Reich, besonders in den bayerischen Herzogtümern (= Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Beiheft 170). Steiner, Stuttgart 2003. 589 S., 1 Kart.

 

In einem (aus einer Mannheimer Habilitationsschrift des Jahres 1999 hervorgegangenen) Werk von beeindruckender Materialfülle dokumentiert und analysiert Reinle die Fehdeführung Nichtadliger im alten Reich. Der zeitliche Bezug auf das Spätmittelalter läßt sich dabei sicherlich erweitern: der Ewige Landfriede von 1495 und der Wormser Reichslandfriede von 1521 mögen ein allgemeines Fehdeverbot vielleicht verordnet haben, doch hatten sie damit noch lange nicht ein schnelles Ende der Befehdungen zur Folge. Reinle selbst bespricht in ihren „Mikrostudien“ (S. 123-227) auch zahlreiche Fälle aus dem 16. Jahrhundert, sie berichtet von einzelnen Fehden aus dem 17. Jahrhundert (S. 121), ja sogar von einem sächsischen Mandat von 1710, in dem beklagt wurde, man bedrohe Gerichtsherren mit Fehdebriefen (S. 122).

 

Die vorliegende Studie besteht aus vier Teilen und wird durch umfangreiche Anhänge ergänzt. Im ersten Teil „Das Fehdewesen im Widerstreit der Meinungen“ (S. 11-74) wird eine Reihe in der Literatur vertretener Thesen zusammengefaßt und kritisch ausgewertet. Zunächst wird „die spätmittelalterliche Adelsfehde im Spiegel der neueren Forschung“ (S. 11-21) betrachtet. Dabei werden an herausgehobener Stelle die Auffassungen Algazis (nach Reinle „plakative Thesenbildung auf schmaler Quellengrundlage“, S. 11, vgl. dann auch S. 20f. und Anm. 255 auf S. 60) den älteren Auffassungen Brunners gegenübergestellt. Algazi sehe die Fehde als Form adligen Kleinkriegs gegen unterworfene Bauern und als „private war“, letzteres eine nach Reinle, S. 11, Anm. 2, „sinnlose“ Begrifflichkeit. Unter Bezug auf Brunner plädiert Reinle für einen sog. mikrohistorischen Zugang zum Fehdewesen, d. h. für dessen Erfassung aus der Analyse historischer Fehdefälle heraus. Dies sei auch für die Sozialgeschichte fruchtbar, wie Reinle mit Bezug auf v. Klocke, Görner und Andermann vermerkt, die das Raubritter-Klischee demontiert hätten (S. 15f.). Die Untersuchung normativer Quellen wie Gottes- und Landfrieden mag hinzukommen, doch wird in Reinles Formulierungen Skepsis deutlich, wenn sie schreibt, daß „die juristisch geprägte Literatur zum Fehdewesen des Hoch- und Spätmittelalters gern und manchmal recht unbefangen Landfrieden anführt, um ,das Fehderecht’ zu erläutern“ (S. 13), dagegen sei es lobenswert, „nicht bei der Untersuchung normativer Vorgaben stehenzubleiben“ (S. 15). Des weiteren analysiert Reinle Interpretationsansätze zur Feindschaft zwischen Städten und fehdeführendem Adel (Andermann, Graf) sowie ältere volkskundliche Vorgaben (Wackernagel). Sodann kommt sie auf die neuere Kritik an der Brunner zugeschriebenen Annahme zu, Fehden durch fehdefähige Personen könnten unter bestimmten Voraussetzungen als „rechtmäßig“ eingestuft werden. Waren es (S. 21) „mit Algazi, Morsel und Zmora drei nichtdeutsche Forscher, die die Grundannahme Otto Brunners vom Rechtscharakter der Fehde relativierten“, so hätten kürzlich deutsche Forscher, wie Patschovsky und Andermann, wieder an den rechtlichen Charakter der Fehde erinnert. Die aktuelle Brunner-Kritik (S. 21) verfalle genau in denselben Fehler, den sie Brunner vorzuwerfen liebe, „nämlich ihre eigene Bindung an politische Trends und an Bedürfnislagen der Gegenwart nicht zu hinterfragen.“ Dies gelte, so Reinle wörtlich (S. 21, Fn. 64) „nicht zuletzt für Algazi selbst, dessen Engagement in der israelischen Friedensbewegung offenkundig seine Bewertung von Gewalt in der Geschichte beeinflußt.“ Sicherlich eine brisante Äußerung. Um sich gegen allfällige Vorwürfe abzusichern, hätte es Reinle sicher gut getan, den hier geäußerten Vorwurf zur Person näher auszuführen und genauer zu belegen. Der Verweis auf Offenkundigkeit greift insofern zu kurz.

 

In nun folgenden Abschnitt (S. 22-44) wird ausführlich die Fehdepraxis Nichtadliger als Desiderat der Forschung dargestellt. Dabei geht es vor allem um die bäuerlichen Schichten (S. 22-39). Gerade die Bauern seien von der bisherigen Forschung fast ausschließlich als Opfer adliger Herrengewalt betrachtet worden, während bürgerliche Fehdeführung nicht im gleichen Ausmaß negiert worden sei (vgl. S. 341). Die Quellenlage sei hier (S. 22) „auf den ersten Blick desolat“, man habe sich oft auf Aussagen der normativen Quellen verlassen, und in der älteren Forschung habe es sich als überwiegende Meinung herausgebildet, daß es Fehden Nichtadliger nicht habe geben dürfen. Ob und in welchem Ausmaß Bauern eigenmächtig zur Gewalt greifen konnten, war umstritten. Fehr (vgl. S. 22f.) unterschied hier zwischen erlaubter Totschlagfehde bzw. Blutrache und nicht erlaubter allgemeiner Fehde bzw. Ritterfehde. Reinle (S. 24f.) verweist darauf, die normativen Quellen hätten erst im 14. und 15. Jahrhundert Fehden Nichtadliger verboten. Im 12. und 13. Jahrhundert dagegen hätten sie diesen Personen nur das Tragen bestimmter Waffen untersagt. Daß daraus ein Fehdeverbot gefolgt sei, habe erst die später vorherrschende Forschung deduziert. In eingehender Auseinandersetzung mit der älteren Forschung, insbesondere mit Fehr, entwickelt Reinle die Position, die unterstellten Zusammenhänge von Waffen- und Wehrfähigkeit mit Fehdefähigkeit seien nicht zwingend und im übrigen seien die damaligen Bauern keinesfalls waffenlos: der Besitz einer nicht adelsspezifischen Grundbewaffnung sei für sie selbstverständlich gewesen (S. 35). Daher müsse die Frage nach der Fehdeberechtigung von Bauern neu gestellt werden (S. 39). Zur Quellenlage (S. 41-44) wird angemerkt, daß trotz der häufigen Vernichtung der einschlägigen Gerichtsakten sich genug Material finden lasse, welches die faktische Existenz von Fehden der Bauern und Bürger belege. Dieser Befund habe sich bereits in einer Reihe mikrohistorischer Studien bestätigt (S. 43f.). War die Fehde (S. 44) danach nicht eher ein gesamtgesellschaftliches Phänomen als ein Herrenrecht? Befehdung sei - so die Schlußfolgerung - von der dörflichen Gesellschaft praktiziert und akzeptiert worden (S. 342).

 

Methodische Überlegungen Reinles (S. 44-56) befassen sich mit ihrem Vorhaben, die Bauernfehden „unbelastet von den Vorgaben, die die Rechtsgeschichte aufgrund normativer Setzungen vornehmen muß“ (S. 44f.), ungeachtet also der Fehdeverbote für Nichtadlige, zunächst einmal darzustellen, bevor sie eingeordnet werden. Dabei stellt sich die Frage, welche Handlungsformen als Fehde zu definieren sind. Nach der eigenen Definition Reinles (S. 45f.) ist Fehde die Umsetzung von Feindschaft in schädigende Handlungen zur Durchsetzung eines Anspruchs: Gewalt wird unter Einbeziehung der Öffentlichkeit, in ritualisierten Formen und unter Einsatz bestimmter, nicht primär auf die Beschädigung von Leib und Leben des Gegners zielender Mittel wie Brandstiftung und Raub ausgeübt. Fehdeführung sei damit ein an verbindliche Regeln gebundenes Instrument zur Durchsetzung begründeter Ansprüche, das zumindest gesellschaftlich akzeptiert war. Völlig zutreffend weist Reinle (S. 46f., ähnlich auch S. 56f.) darauf hin, es müsse von einer Deckungslücke zwischen Gesetz und Recht ausgegangen werden, da Rechtsgewohnheit und Rechtssetzung konkurrierten, und auch im frühen 16. Jahrhundert hätte sich trotz der Landfrieden von 1495 und 1521 noch kein einheitliches, als verbindlich betrachtetes Recht „gegen das überkommene Gewohnheitsrecht durchgesetzt“. Hinzu komme eine Ungleichheit in der Rechtsüberlieferung, denn während das Amtsrecht schriftlich fixiert gewesen sei, sei das lange Zeit bedeutendere Gewohnheitsrecht Teil einer mündlichen Rechtskultur gewesen.

 

Hier findet sich ein nicht nur für den Fortgang der Arbeit, sondern auch für die Fehderechtsforschung insgesamt höchst bedeutender Ansatz, nämlich die Anerkennung und Betonung des Gewohnheitsrechts. Nur auf diesem Wege kann die Rechtswirklichkeit der Fehde tatsächlich vollständig erfaßt werden, nicht aus einer in Kategorien des 20. Jahrhunderts verhafteten vorwiegend gesetzespositivitischen (aber nicht unbedingt „rechts“positivistischen) Sicht, und diesem zentralen Teil der Ausführungen Reinles ist eine weite Verbreitung und günstige Aufnahme gerade auch unter Rechtshistorikern zu wünschen.

 

Mit weiteren Hinweisen auf Volkskunde (Brauchforschung) und historische Kriminalitätsforschung gelangt Reinle zu einer „Zwischenbilanz“ (S. 56-61). Sie schlägt vor, anstelle oder zumindest ergänzend zu obrigkeitlich gesetzten Fehdeverboten die Akzeptanz von Fehdeführung als Maßstab einzubringen, d. h. (S. 57) Akzeptanz durch die Mitwelt solle als Indikator für die damalige Nachvollziehbarkeit einer subjektiven Berechtigung genommen werden. Hier ließen sich Fälle erfassen, in denen Gewohnheitsrecht und Gesetzesrecht divergierten, aber auch Fälle, in denen rechtliche und soziale Normen auseinandertraten. Werden nun Arbeitshypothesen (S. 61-63) gebildet, so wird dort die Fehde definiert (vgl. schon oben S. 45f.), indem sie von anderen Gewaltformen abgegrenzt wird: Bei der Fehde (S. 61) sollten Ansprüche, die Rückhalt im gewohnheitsrechtlichen Normensystem der Gesamtgesellschaft oder eines integrierten Teils der Gesellschaft fanden, durch ein gewaltsames Selbsthilfesystem durchgesetzt werden, das ebenfalls durch dieses Normensystem legitimiert war.

 

Abschließend erfolgt eine Abgrenzung der Untersuchung sowohl in sachlicher Hinsicht („Taten und Täter“, S. 64f.) als auch unter räumlichen und zeitlichen Gesichtspunkten („Altbayern als Testfall“, S. 65-69). Relativ günstig ist die Quellenlage aufgrund der im damaligen Bayern recht weit fortgeschrittenen herrschaftlichen Verwaltung und deren hinterlassener schriftlicher Zeugnisse (S. 69-74), wie z. B. Landschreiberrechnungen (vgl. dann detailliert S. 396-536).

 

Im zweiten Teil der Arbeit („Seiner lewt frid ist des fürsten hort: Fehde und Landfriede in den bayerischen Teilherzogtümern“, S. 75-122) wird insbesondere auf die in Bayern obrigkeitlich gesetzten Fehdeeinschränkungen eingegangen, wie Landfrieden, Landesgebote und Landesordnungen. Dies soll vor allem (vgl. S. 75) zur Einordnung der im weiteren Verlauf zu besprechenden konkreten Fehdefälle dienen. Besprochen und mit der Literatur abgeglichen werden Quellen vom Regensburger Landfrieden von 1244 bis zu einem Landgebot Herzog Wilhelms von 1512. Diese werden in einer „Zwischenbilanz“ den bisher erzielten Ergebnissen insbesondere zur Fehdeführung Nichtadliger gegenübergestellt (S. 103-111). Die Gewalttaten Nichtadliger, so sei zu vermuten, seien nicht immer gewöhnliche Kriminalität gewesen, sondern oft auch Fehdehandlungen (vgl. S. 105f.). Zwar wurde die Fehde Nichtadliger bereits während des ganzen 15. Jahrhunderts bestraft, sie war aber terminologisch weiterhin als „Fehde“, wenn auch als sog. „mutwillige Fehde“ präsent (S. 111). Letzteres deckt sich mit meinen eigenen Befunden zur Terminologie in der (Bürger-)Fehde Hans Kohlhases in den 1530er Jahren. Die Schlußfolgerung, solche Verhaltensformen Bürgerlicher seien dann auch als Fehde einzustufen, ist nur konsequent.

 

Über den eigentlich für Teil 2 vorgegebenen regionalen Rahmen hinaus geht ein Exkurs zum Fehdewesen im Reich der frühen Neuzeit (S. 111-122). Dort wird vorwiegend strafrechtsgeschichtlich die Entwicklung und Zielsetzung von Schutznormen zum Landfrieden skizziert („Austreten“, Landzwang, Befehdung).

 

Teil 3 und 4 der Arbeit als fallbezogene und quellenzentrierte Untersuchungen bilden sicherlich den Schwerpunkt der Arbeit, wobei im Rahmen einer Rezension nicht die gesamte Fülle des Materials und der hieraus ableitbaren Ergebnisse präsentiert werden kann. Während in Teil 3 („Mikrostudien“, S. 123-227) die vertiefende Interpretation einzelner Fehderechtsfälle des 15. und 16. Jahrhunderts im Vordergrund steht, enthält Teil 4 („Fehden in Serie“, S. 228-339) eine nach Themen gegliederte systematische Auswertung des in den Anhängen enthaltenen Quellenbestandes, ergänzt durch Befunde und Positionen der bisherigen Literatur.

 

Die in Teil 3 vertieft dargestellten Fälle sind die Fehden des Cuntz Götz von Thuisbrunn gegen Niklas Muffel von Nürnberg (1459-1461; S. 124-133), des Hans Örtel gegen das Kollegiatstift Habach (1505/1506; S. 133-157), die Aktivitäten Peter Paßlers gegen das Hochstift Brixen (1524-1527; S. 157-173), weiterhin (S. 173-190) die Bürgerfehden des Hans Kohlhase (1534-1540) und Hans Strauß (1514-1517) vor dem Hintergrund der Adelsfehde des Nickel von Minckwitz (1528-1534). Außerdem werden ab S. 202 als Grenzfälle zur Fehde u.a. der Söldner Hans Kistler und der Räuber Heinz Strigel behandelt.

 

Als einem der von Reinle zitierten Kohlhase-Vorbearbeiter sei es mir gestattet, schwerpunktmäßig die Ausführungen zu dieser Fehde im Detail zu prüfen. Vorab sei hierzu angemerkt, daß die Kohlhase-Fehde sehr gut zur Unterstützung der in den ersten zwei Teilen der Arbeit aufgestellten Grundthesen Reinles geeignet ist, wonach auch Nichtadlige bis ins 16. Jahrhundert hinein zur Durchsetzung rechtlicher Ansprüche zur Fehde gegriffen haben, ungeachtet bestehender gesetzesrechtlicher Verbote, und dabei über lange Zeit sich der Beschränkungen gewohnheitsmäßiger (oder gewohnheitsrechtlicher?) Fehderegeln zumindest bewußt waren. Der Grundzusammenhang ist damit auf durchaus korrekte Weise wissenschaftlich fruchtbar interpretiert worden. Was die Beschreibung des Fehdegeschehens betrifft, so finden sich hier gleichwohl viele vermeidbare Ungenauigkeiten im Detail, die an einigen Punkten auf die Interpretation durchschlagen. Es mag weniger bedeutend sein, wenn die heutige leicht überprüfbare Schreibweise der mitteldeutschen Ortsnamen unbekannt ist (wie Jüterbog statt Jüterbock, Gömnigk statt Gommig, Finsterwalde statt Finsternwalde) und (S. 191) der Jüterboger Rechtstag auf 1535 statt (wie zutreffend S. 181) 1534 gelegt wird, wenn das Grenzdorf Marzahna zu einem „Städtchen“ (S. 185) wird. Doch andere Mißverständnisse wirken auf die Interpretation des Fehdeverlaufs ein: Fehdehandlungen Kohlhases in Nordsachsen im Sommer 1534 (S. 181) sind nicht gesichert, von einem Ausrauben „weiterer Dörfer“ 1535 nach dem Brand der Mühle bei Gömnigk (S. 183) kann nicht die Rede sein, verbale Drohungen Kohlhases (S. 183) sind nicht Folge einer Zufallssituation, sondern als Verunsicherungstakik eher Teil einer bewußt niedrig gehaltenen Eskalation. Tatsächlich schädigte Kohlhase Sachsen nur zum geringeren Teil durch direkte Schadenshandlungen, zum größeren Teil durch die ständige Verbreitung von Furcht und Unsicherheit: Der so notwendige finanzielle Aufwand Sachsens für Verfolgungsanstrengungen wie z. B. streifende Rotten war beträchtlich und überstieg die von Kohlhase angerichteten Schäden. Wenn im übrigen (S. 184) Kohlhase 1538 Böhmen als Rückzugsgebiet wählte und nach einiger Zeit wieder in der Nähe des Tatorts aufgespürt wurde, so war dies in Wahrheit keine nennenswerte Ortsveränderung, da die in der Nähe gelegene Niederlausitz damals böhmisch war: gerade das geländekundige Ausnutzen der verwirrenden Grenzverläufe (und auch der politischen Zwistigkeiten örtlicher Obrigkeiten) war ein Element der Fehde Kohlhases. Und zur abschließenden Wendung Kohlhases gegen Brandenburg 1540 (S. 186) existiert nicht etwa nur die Jahrzehnte später verfaßte Hafftitz-Chronik, sondern auch einige sächsische Akten liegen vor, die u. a. Abschriften der Geständnisse Kohlhases und seines damals wichtigsten Helfers Nagelschmidt enthalten und Kohlhases Vorgehen nicht als Verzweiflungsakt (S. 186), sondern als möglichen Pakt mit dem Braunschweiger Herzog Heinrich erscheinen lassen, der im übrigen trotz der vermeintlichen Geltung von Fehdeverboten im 16. Jahrhundert eigene Fehden führte. Da es sich bei diesen Akten z. T. nicht um Originale, sondern um Abschriften handelt, wäre es natürlich denkbar, ihre Authentizität anzuzweifeln, nicht aber, sie komplett zu übergehen. Und welchen Sinn machen als Legitimationsgrundlage des damals fehdeauslösenden Vorgangs die sächsischen Landesordnungen gegen Plackerei (Festsetzung von Verdächtigen, vgl. S. 174-176), wenn 1532 auf ihrer vermeintlichen Basis zwar Kohlhases Pferde entwendet werden, eine zahlenmäßig überlegene und nun mit mindestens zwei Pferden ausgestattete Menge aber gar nicht daran denkt, den entweichenden Fußgänger Kohlhase festzuhalten (vgl. S. 177)? Vorbehaltlos zuzustimmen ist dagegen Reinles Beobachtungen zur konspirativen Fehdetaktik Kohlhases (S. 197-199), zur Wahrnehmung der Fehde als sozialer Norm in Kohlhases (bürgerlichem) Familienkreis (S. 197) und auch dazu, daß in zeitgenössischen Quellen Kohlhase als Fehdeführer im Vergleich zu v. Minckwitz jedenfalls nicht explizit wegen seiner Nichtadligkeit gerügt wird (S. 194): Beobachtungen, die geeignet sind, die Hauptthesen Reinles zur bürgerlichen Fehde zu stützen. Noch ein Wort in eigener Sache: das von Reinle mit herangezogene Werk Dießelhorst/Dunckers zu Kohlhase ist deutlich sichtbar in einen von Dießelhorst und einen anderen von Duncker verfaßten Abschnitt getrennt. Es ist zwar ehrenvoll, aber unverdient, wenn ich (auf S. 177, Anm. 259 am Ende) als Miturheber einer Position genannt werde, die hier ausschließlich aus dem Dießelhorst-Abschnitt belegt wird.

 

Um zu anderen Varianten - anders als Kohlhases Fehde oft direkt von Reinle aus den archivalischen Quellen erarbeitet - der berichteten Fehdeverläufe zu kommen: Cuntz Götz, ein ländlicher Hintersasse (arm man) führt nach einem Rechtsstreit um seinen Hof Fehde gegen den aigenherre dieses Hofes, den Nürnberger Patrizier Niklas Muffel. Zwar verliert er am Ende, doch kann er seinen Gegner fast zwei Jahre lang im Schach halten und erweist sich als alles andere als ein wehrloses Opfer grundherrlicher Gebotsgewalt (S. 133). Der Bauer Hans Örtel führt eine Fehde gegen das Kollegiatstift Habach nach einem langwierig prozessierten Grundstücksstreit. Der Kleinhäusler Peter Paßler befehdet ab 1524 das Hochstift Brixen, nachdem der Bischof einem Verwandten Paßlers das Fischereirecht bei Antholz entzogen hatte und es deswegen zum Prozeß gekommen war. Als Paßler am 9. 5. 1525 hingerichtet werden soll, wird seine gewaltsame Befreiung auslösende Tat des Tiroler Bauernkriegs. Hans Strauß war ein armer Salzfuhrmann, der mit einem Haller Sieder in Streit geriet und nach verlorenem Prozeß der Reichsstadt Schwäbisch Hall die Fehde erklärte. Die „Grenzfälle“ wie Kistler und Strigel dagegen sind solche Fälle, in denen die gewohnheitsmäßigen Kennzeichen und Begrenzungen der Fehdeführung (Vorliegen eines Fehdegrunds, übliche Schädigungshandlungen, Vergleichsversuche) überschritten wurden. Reinle (S. 202) spricht bei solchen Verläufen von einem fließenden Übergang zwischen Fehdehandlung und kriminellem Tatbestand. Hinzugefügt werden muß allerdings, daß auch die sozusagen formgerechten Fehden sehr oft strafrechtliche Verfolgung nach sich zogen.

 

Im vierten Teil des Werkes (S. 228-339) werden in systematischer Form Kennzeichen der nichtadligen Fehden aus dem reichlich vorliegenden bayerischen Archivmaterial erarbeitet, vorwiegend aus Landschreiberrechnungen und Urfehden. Es wird sehr deutlich, daß bäuerliche Fehden nicht auf wenige herausragende Fälle begrenzt waren. Allein das in bayerischen Archiven vorgefundene Material enthält Hunderte von Fehden.

 

In der Fehde-Systematik wird zunächst die schrittweise Eskalation beschrieben, welche in die Befehdung mündete (S. 247-255): Drohungen, Austreten und Fehdeabsage. Sodann werden typische Verläufe der realisierten Befehdung geschildert (S. 255-267): „Notteiding“, Nötigung und Brandschatzung (bei der Brandschatzung soll man sich mit Zahlung einer Abstandssumme von der Brandlegung freikaufen); Schädigung, Brandstiftung und Mordbrand; Raub und „Kidnapping“ (einer rechtshistorischen Arbeit hätte hier sicher der Begriff Entführung oder Menschenraub besser getan, zumal die Opfer meistens keine Kinder, sondern Erwachsene waren, vgl. auch die Begriffsverwendung auf S. 184). Verstümmelung, Totschlag und Mord gehörten nicht zu den üblichen Fehdehandlungen, wenngleich solche Fehdeverläufe nicht ausgeschlossen waren (S. 263-265). Nicht zuletzt war auch das Ausbleiben von Fehdehandlungen trotz Fehdeansage ein möglicher Verlauf (S. 266f.).

 

Als Konfliktaustragungen unterhalb der Fehdeebene sind (S. 269-271) Herausfordern aus dem Haus, Auflauern, Übergriffe auf Mensch, Vieh und Sachen überliefert. Auch wird (S. 272-274) von gewaltsamer eigenmächtiger Pfändung sowie Ungehorsam und Widerstand gegen die Obrigkeit berichtet. Hervorheben ist die mit vielen Beispielfällen erläuterte Analyse fehdebegründender Konflikte und Motive (S. 275-281): es ging hier nicht nur um verletzte materielle Rechte, sondern auch um Ehrverletzungen. Soweit die Aktenlage überhaupt diese Frage dokumentiert, läßt sich eine Abdrängung der Fehde in die Subsidiarität bzw. ein zwingend vorgeschaltetes Schlichtungsverfahren nicht sicher nachweisen. Warum man statt des Rechtswegs die Fehde wählte, läßt sich nur mutmaßen. Hierzu wird auf S. 286-292 möglichen Defiziten im damaligen Gerichtswesen nachgegangen.

 

Unter rechts- und sozialgeschichtlichen Aspekten aufschlußreich ist die Infrastruktur des Fehdewesens. Die Personalien der Fehdeführenden, Helfer und Unterstützer, aber auch der Opfer und Denunzianten werden auf S. 292-317 untersucht. Es fällt auf, daß Frauen, Geistliche und Juden kaum als Fehdeführende auftauchen, ferner, daß zwar Bauern, aber nicht Dorfgenossenschaften als Befehder belegt sind. Unterschiedliche Typen von Fehdehelfern werden nach Tätigkeit, Berufsstand, jeweiliger Beziehung zum Befehder dargestellt. Unter den Fehdegegnern der Bauern sind auch ständisch Höhergestellte (S. 311-313): etwa zehn Konflikte mit Adligen sind überliefert und sogar dreißig mit geistlichen Stellen. Was die Fehdetaktik betraf, so ging es darum, wie Reinle auf S. 318 zutreffend herausarbeitet, eine Logistik zu schaffen, die Mobilität und unerwartetes Zuschlagen mit geringen technischen Mitteln ermöglichte. Dies bedeutete überraschendes Handeln in kleinen, oft nur leicht bewaffneten Gruppen. Befehder nutzten oft Herrschaftskonkurrenzen aus und agierten in unübersichtlichem Gebiet in Grenznähe (S. 320). Reinle vermutet, es habe in Böhmen Stützpunkte gegeben, die jahrzehntelang ausländischen Befehdern als Rückzugsgebiet offenstanden. Fehden seien bei günstigen Voraussetzungen im Durchschnitt ein bis zwei Jahre lang durchzustehen gewesen, nur wenige singuläre Gestalten hätten sich länger als drei Jahre gehalten. Trotz formaler Fehdeverbote waren Fehden nicht chancenlos (S. 324). Wenn günstige Ausgänge seltener dokumentiert sind als ungünstige, so liegt dies an einer selektiven Aktenüberlieferung. In Strafakten überliefert sind eben typischerweise diejenigen Fälle, die als Delikt abgestraft wurden. Eine - in der Regel heimliche - Einigung der Fehdeparteien aber blieb der Nachwelt meist unbekannt (vgl. auch S. 315).

 

Um drohende Fehden zu vermeiden, veranlaßte die Obrigkeit gerne die Stellung von Bürgen, die ggf. für den potentiellen Befehder haften mußten. Kam es zur Fehde, so gab es neben der Strafverfolgung und dem Tolerieren (eigentlich verbotener) privater Ausgleichsverhandlungen auch andere Optionen (S. 326-330): so z. B. das Erwirken von (Prozeß-)Geleit zur Teilnahme des Fehders an (Gerichts-)Verhandlungen, das Teidigen Dritter für den Fehder vor Gericht und das Auswirken von Landshuld für den Fehder, was Rechtsschutz und möglicherweise auch Sanktionsverzicht beinhaltete. Grundsätzlich bemühte man sich seitens der herzoglichen Amtleute, flüchtige Fehder zu Verhandlungen sowie zu gütlichen oder rechtlichen Einlassungen zu bewegen (S. 330). Kam es zur Strafverfolgung, so wurden durchaus Spitzel oder Kundschafter eingesetzt. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts nahm die Neigung der Behörden zur gütlichen Beilegung ab und die Strafverfolgungen nahmen zu.

 

Den nach dem „Resumée“ (S. 340-357) folgenden Anhängen (S. 359-536) kommt unabhängig von der Hauptuntersuchung ein beachtlicher eigener Wert zu. Wenn Reinle (S. 359) schreibt, es handele sich lediglich um Provisorien, welche nicht mehr bezwecken, als eine knappe Präsentation des ungedruckten Materials zu bieten und damit die in der Studie aufgestellten Thesen überprüfbar zu machen und die Fußnoten zu entlasten, so ist dies deutlich untertrieben. Vielmehr handelt es sich um eine trotz ihres Umfangs immer prägnante und übersichtliche Materialsammlung, in der eine enorme Vielzahl zeitgenössischer Fälle in der Regel erstmals erschlossen wird. Die Akten werden dabei nicht etwa schlicht referiert, sondern systematisch ausgewertet und mit Kurzkommentaren versehen. Der zukünftige Nutzen dieser Dokumentation geht weit über die Unterstützung der vorliegenden Arbeit hinaus. Sowohl zukünftige regionale allgemeinhistorische Studien als auch zukünftige Untersuchungen zum Fehderecht haben nun ein fachkundig erschlossenes Repertorium von Fällen an der Hand, das sich in unterschiedlichster Weise weiteren Auswertungen zuführen lassen wird. Einer solchen Sammlung kommt auf lange Zeit ein bleibender selbständiger Wert zu, nicht nur als Fundverzeichnis, sondern auch als Vorbearbeitung durch Einteilung der Fälle, Kategorienbildung und Kommentierung.

 

In Anhang I (S. 365-395) ist urkundliches Material aus dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv München zusammengetragen. Es umfaßt vor allem Urfehdeurkunden, daneben auch Fehdebriefe, Urgichten usw. und beschränkt sich auf Belege zur Fehdeführung Nichtadliger, verzichtet dabei bewußt auf vollständigen Nachweis aller in Frage kommenden Fehden. Es handelt sich vorwiegend um Fälle aus den bayerischen Herzogtümern (S. 365-391), ergänzt durch einige Nachweise aus benachbarten Gebieten (S. 392-395). Dabei gliedert Reinle nach einem detaillierten Ordnungsschema (S. 359f.), welches in unterschiedliche typische Handlungs- und Verlaufsformen der fehdeähnlichen Handlungen unterteilt.

 

Dem gleichen Schema folgt Anhang II (S. 396-536). Dort werden - in diesem Teil des Anhangs um Vollständigkeit bei der Erfassung der Fehdefälle, nicht aber der fehdeanalogen Delikte bemüht - die in den Landschreiberrechnungen enthaltenen Aussagen zum Fehdewesen Nichtadliger in tabellarischer Form zusammengestellt.

 

Ergänzt wird die Arbeit durch ein Namens- und Ortsregister, das neben anderen Auslassungen (über die auf S. 580 Auskunft gegeben wird) allerdings sowohl die Anhänge als auch die Hinweise auf bayerische nichtadlige Fehdebeteiligte, deren Gegner und Herkunftsorte nicht mit aufnimmt. Begründet wird dies u. a. damit, daß die Belege nicht als Information zu Einzelpersonen, sondern als serielle Daten ausgewertet wurden. Das mag für die vorliegende Arbeit zutreffen, nur wären zukünftige darauf aufbauende Arbeiten durch ein vollständiges Register sicherlich erleichtert worden.

 

Sehr bedauerlich ist, daß ein systematisches Sachregister der vorliegenden Habilitationsschrift ganz unterbleibt. Dieses hätte sicherlich die Verbreitung der beachtlichen inhaltlichen Thesen dieses Werkes fördern können und auch müssen.

 

Die im Fußnotenapparat durchgeführte formale Nachweisarbeit mit Primärquellen wirkt gewissenhaft und überzeugend, die inhaltlichen Erläuterungen in den Fußnoten instruktiv und belebend. Etwas zu beanstanden ist die Nachweisführung aus der Sekundärliteratur. Wenn hier Nachweise nicht mit genauer Seitenangabe, sondern mit „passim“ zitiert werden, so sind sie in diesen Fällen unexakt und für interessierte Leser nicht mehr verifizierbar. Dies geschieht hier zwar nicht massenhaft, aber doch mehr als nur gelegentlich. In einem nach den Zufallsprinzip ausgewählten Teilabschnitt (S. 20-50) sind elf solcher Stellen nachweisbar.

 

Insgesamt aber bietet die Arbeit ein erfreuliches Bild und kommt gleich in mehrfacher Hinsicht zu wichtigen neuen Erkenntnissen, die überzeugend aus dem umfangreichen Quellenmaterial begründet werden. Es kann danach wohl als gesichert angesehen werden, daß im Bayern des 15. Jahrhunderts die Bauernfehde existierte, nicht etwa nur als Form der Kriminalität - als die sie nach Aktenlage zweifellos in vielen Fällen allerdings auch behandelt wurde - oder als gelegentliche Imitation der Adelsfehde, sondern tatsächlich als Fehde. Und es erscheint plausibel, diesen Befund auf andere Regionen und angrenzende Zeiträume zu übertragen. Ob und wann eine Gewohnheit, die einem gesetzten, aber wenig rezipierten Fehdeverbot widerspricht, zu Gewohnheitsrecht wird, und wann dieses Gewohnheitsrecht das Gesetz derogiert oder umgekehrt, ist ein weiterhin offenes Problem, aber ist zentral für die von Fall zu Fall immer neu zu stellende Frage nach der Rechtmäßigkeit von Fehdeführung. Es gehört zu den großen Verdiensten Reinles, Gewohnheit und Gewohnheitsrecht hier mit ins Zentrum der rechtshistorischen Betrachtungen zur Fehde zu rücken, eine sicher nicht unumstrittene Position, die ich selbst in Fachgesprächen oft verteidigen mußte. Neben der Rechtmäßigkeit ist die Frage nach den Erfolgschancen der Bauernfehde zu stellen. Hier geben die vorliegenden Akten keine sichere Auskunft. So ist es nur eine – wenngleich plausible - Vermutung, wenn Reinle auf eine nicht aktenmäßig überlieferte Dunkelziffer von Fällen spekuliert, welche mehr oder weniger erfolgreich für die Befehder endeten. Auch waren lange Zeit die staatlichen Behörden zu Verhandlungen und gewissen Zugeständnissen bereit, erst kurz vor 1500 scheint sich dies zusehends zu ändern. Sozialgeschichtlich bringt die Untersuchung neue Einblicke in das Leben der Bauern und damit der Bevölkerungsmehrheit dieser Zeit. Wenn sie tatsächlich vom vermeintlichen Adels- und Herrenrecht der Fehde Gebrauch machten, so spricht dies - hinsichtlich dieses Teilergebnisses unter allem Vorbehalt weiterer und gegenteiliger Forschungen - für ein grundlegend anderes Bild der Bauern und ihres Selbstverständnisses, als viele vorgefaßte Bilder einer schlechten alten Zeit es zum Inhalt haben. Sie wären, wie Reinle es auf S. 133 an der Person des Cuntz Götz zu erläutern versucht, nicht immer nur wehrlose Knechte gewesen, die Machtgelüsten und Gewalt von Grundherren und Obrigkeit ausgesetzt waren, sondern hätten als selbstbewußte Verteidiger ihrer Rechte auftreten können und oft auch müssen, um ihr Recht zu behalten.

 

Hannover                                                                              Arne Duncker