Repertorium der Policeyordnungen
Repertorium der Policeyordnungen der frühen Neuzeit, hg. v. Härter, Karl/Stolleis, Michael.
Bd. 1 Deutsches Reich und geistliche Kurfürstentümer (Kurmainz, Kurköln, Kurtrier), hg. v. Härter, Karl (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 84). Klostermann, Frankfurt am Main 1996. XIV, 916 S.
Bd. 2, Halbbd. 1 Brandenburg/Preußen mit Nebenterritorien (Kleve-Mark, Magdeburg, Halberstadt), hg. v. Simon, Thomas (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 111,1). Klostermann, Frankfurt am Main 1998. IX, 650 S.
Bd. 2, Halbbd. 2 Brandenburg/Preußen mit Nebenterritorien (Kleve-Mark, Magdeburg, Halberstadt), hg. v. Simon, Thomas (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 111,2). Klostermann, Frankfurt am Main 1998. IX, 651-1120 S.
Bd. 3, Halbbd. 1 Wittelsbachische Territorien (Kurpfalz, Bayern, Pfalz-Neuburg, Pfalz-Sulzbach, Jülich-Berg, Pfalz-Zweibrücken, hg. v. Schilling, Lothar/Schuck, Gerhard (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 116, 1). Klostermann, Frankfurt am Main 1999. XIV, 1-1016 S.
Bd. 3, Halbbd. 2 Wittelsbachische Territorien (Kurpfalz, Bayern, Pfalz-Neuburg, Pfalz-Sulzbach, Jülich-Berg, Pfalz-Zweibrücken, hg. v. Schilling, Lothar/Schuck, Gerhard (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 116, 2). Klostermann, Frankfurt am Main 1999. XII, 1017-1991 S.
Bd. 4 Baden und Württemberg, hg. v. Landwehr, Achim/Simon, Thomas (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 139). Klostermann, Frankfurt am Main 2001. VIII, 1065 S.
Wie viele andere Bücher hat auch dieses bedeutende Werk ein gewisses Rezensionsschicksal. Als 1996 sein erster Band erschien, war schnell ein Rezensent gefunden, der sich für eine derartige Grundlage interessierte. Das Werk in Händen ließ das Interesse an einer raschen Rezension schwinden und andere unaufklärbare Umstände ließen weitere Bände im Niemandsland verschellen, so dass das gesamte Unternehmen leider den Lesern bisher noch nicht vorgestellt ist.
So nachteilig dies für die Nutzung des Werks erscheint, so hat es doch auch den kleinen Vorteil, dass nach mehreren Jahren mehrere Bände – wenn auch nur zum Preis eines Zweitrezensionsexemplars - gemeinsam angezeigt werden können. Damit wird das bisher Erreichte als beeindruckende Einheit deutlicher. Zugleich lassen sich bei solchen Zusammenfassungen auch Wiederholungen vermeiden.
Wie die Herausgeber selbst im Vorwort des ersten Bandes zutreffend hervorheben, ist die von ihnen so genannte Policey der frühen Neuzeit ein besonders reizvolles rechtsgeschichtliches Forschungsobjekt, verbirgt sich dahinter doch nahezu die gesamte innere Verwaltung dieser Zeit. Was Norm und Normdurchsetzung damals bedeuteten und wie sie wirkten, ist immer noch nicht ausreichend geklärt. Zu vielfältig und unterschiedlich sind die diesbezüglichen geschichtlichen Quellen.
Aus diesem Grunde empfanden die vielen einzelnen an dem Phänomen Policey bzw. Polizei interessierten Wissenschaftsdisziplinen das Fehlen fester Materialgrundlagen als größten Mangel. Zwar herrschte durchweg der Glaube an Hunderttausende einschlägiger Ordnungen. Eine überzeugende genaue Übersicht war aber nirgends vorhanden.
In dieser Lage schien allein eine Erschließung in Form eines territorial gegliederten Repertoriums mit Hilfe der modernen Datenverarbeitung Aussicht auf Erfolg zu bieten. Sie erforderte neben einem überzeugenden Konzept auch hinreichende Kapazität. Beides fand in Michael Stolleis am Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte und dem ihm verliehenen Leibniz-Preis einen vorzüglichen Kristallisationskern, zu dessen Unterstützung ausreichend viele weitere Wissenschaftler und wissenschaftliche Hilfskräfte gewonnen werden konnten.
Freilich war von Anfang an klar, dass auch unter diesen besonders günstigen Gegebenheiten nicht alle wünschbaren Ziele erreichbar sein konnten. Zwar konnte Einheitlichkeit der Grundsätze festgelegt werden. Die anfangs wegen der Menge des Materials ausgeschlossenen, vielfach als Vorreiter handelnden Städte konnten erfreulicherweise inzwischen einbezogen werden.
Der erste Band befasst sich deshalb in einem ersten Zugriff mit den Policeyordnungen bzw. Policeygesetzen des Heiligen Römischen Reiches der frühen Neuzeit und der drei geistlichen Kurfürstentümer Mainz, Trier und Köln. In der Einleitung gehen dabei die Herausgeber von der Tatsache aus, dass vor allem seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zunächst in den Städten, danach auch in den Landesherrschaften in stetig wachsender Zahl obrigkeitliche Gebote neben das überkommene Recht traten. Als Rechtsgebote gewannen diese Policeyordnungen die Qualität einer Ordnungsgesetzgebung im Sinn der Setzung von Rechtsnormen mit allgemeinem Geltungsanspruch durch eine übergeordnete und legitimierte Autorität, auch wenn sich eine eindeutige zeitgenössische Begrifflichkeit und Typologie der Policeygesetzgebung nicht entwickelte.
Dieser Vorgang erfasste die meisten europäischen Länder und alle deutschen Territorien einschließlich der Reichsstädte. Dabei standen zunächst umfangreichere Regelungen im Vordergrund. Seit der Mitte des 17. Jahrhunderts gewannen speziellere, thematisch enger begrenzte Verordnungen stark an Gewicht, ohne dass dadurch die Formierung eines völlig disziplinierten und geschlossenen Untertanenverbands wirklich gelang.
Weil grundsätzlich alle Lebensbereiche als durch Polizeiordnung regelbar galten, sind die Gegenstände der Polizeigesetzgebung außerordentlich vielfältig und erfassen beispielsweise Gotteslästerung, Sonntagsheiligung, Aufwand, Luxus, gesellschaftliche Randgruppen, Unterschichten, Sexualität, Ehe, Familie, Vormundschaft, Erbschaftswesen, Glücksspiel, Tanzen, Festkultur, öffentliche Sicherheit, Zensur, Gesundheit, Erziehung, Schule, Ausbildung, Armenwesen, Bettel, Landwirtschaft, Forstnutzung, Bodennutzung, Produktion, Arbeitsordnung, Handwerk, Gewerbe, Handel, Dienstleistung, Geld, Kreditwesen, öffentliche Einrichtungen, Bauwesen und vieles Andere. Mit diesem weiten Umfang kam der Polizeigesetzgebung auch eine zentrale Funktion bei der Professionalisierung von Verwaltung zu. Dadurch trug das Polizeirecht zur Durchsetzung des Verwaltungsstaats bei und bildete zugleich auch die Grundlage für die Entstehung des Verwaltungsrechts.
Der Inhalt dieses Polizeirechts ist noch nicht erschlossen. Eine vollständige Ausgabe (aller) seiner Quellen scheidet wegen des großen Umfanges aus. Damit ist ein Repertorium als brauchbare Zwischenlösung, die Auskunft über Normgeber, Normadressaten, Geltungsbereich, Reichweite, inhaltliche Schwerpunkte und Durchsetzungsinstrumente gibt, gut begründbar.
Begrenzt wird die Auswahl zeitlich durch etwa die Mitte des 15. Jahrhunderts einerseits und etwa das Ende des Heiligen Römischen Reichs (1806) andererseits. Für das Reich wurde der Kreis der einzubeziehenden Territorien auf die Kurfürsten und in exemplarischer Auswahl auf die Reichsstände mit einer Virilstimme am Reichstag beschränkt, wobei dem Reich und den Kurfürsten Schweden, Dänemark, die Schweiz und Österreich sowie eine Auswahl wichtiger deutscher Fürstentümer (Baden, Braunschweig-Wolfenbüttel, Münster, Würzburg, Zweibrücken, Speyer, Hessen-Darmstadt, Hessen-Kassel, Nassau, Württemberg, Schleswig/Holstein) folgen sollten, während kleinere Fürstentümer, Grafen, Prälaten, Reichsstädte und Reichsritter grundsätzlich ausgeschlossen wurden. Rechtsnormen unterhalb der zentralen Herrschaftsebene wurden gleichfalls von Anfang an nicht berücksichtigt.
Dem besseren Verständnis des Benutzers dient eine Einteilung des vielfältigen, nicht in jeder Hinsicht wirklich scharf abgrenzbaren Materials in die vier Kategorien Policey- und Landesordnung, Ordnung, Verordnung und Reskript. Dabei werden vorhandene Quellentermini grundsätzlich einbezogen. Im einzelnen Fällen können sie aber ohne Weiteres durch übergeordnete Erwägungen überspielt werden.
Schon aus den vorbereitenden Erörterungen ergaben sich Ansatzpunkte zu einer praktisch-sytematischen Einteilung des Sachstoffes in fünf Bereiche, 27 Gruppen, rund 200 Materien und mehr als 1200 Materienbetreffe. Bereiche sind Gesellschafts- und Sozialordnung sowie Religion, Öffentliche Sicherheit und Ordnung, Sozialwesen, Gesundheitswesen, Erziehungswesen und Kultur, Wirtschaftsordnung, Arbeits- und Berufsordnung sowie Bodenordnung, Bauwesen, Grundstückswesen und öffentliche Einrichtungen, Gruppen Religionsangelegenheiten, Bevölkerungs- und Standeswesen samt Herrschaftsverfassung, Randgruppen, Aufwand und Luxus, Sittlichkeit mit Ehe, Familie und Sexualität, Vormundschaftswesen, Erbschaftswesen, Vergnügungen samt öffentlicher Leichtfertigkeit, öffentliche Sicherheit samt Kriminalität, Zensur und Buchdruck, Policey der Verwaltung und Justiz, Gesundheitswesen, Sozialwesen, Erziehungswesen samt Kultur, Landwirtschaft, Forst- und Bodennutzung, „industrielle Produktion“, Arbeitsordnung, Handwerk und Gewerbe, Handel und Dienstleistungen, Geld- und Kreditwesen, Wasser, Straßen mit Verkehr und Post, Grundstücks- und Bodenordnung sowie Bauwesen und Infrastruktur. An Hand dieser Strukturierung ist das umfangreiche Material in vielfacher Hinsicht erschlossen und erschließbar. Ein Quellen- und Literaturverzeichnis der wichtigsten allgemeinen Werke von Axtmann bis Zobel rundet diese verständliche Einführung in einen kaum überschaubaren Komplex ab.
Im Einzelnen führt Karl Härter in die Gesetzgebung des heiligen Römischen Reiches auf dem Feld der Policey ein, die geringen Umfang, aber hervorragende Bedeutung hat und in vieler Hinsicht noch nicht ausreichend bekannt ist. Auch er bietet eine zusammenfassende Übersicht über die das Reich betreffenden Quellen und Literatur von Angermeier bis Ziegler. Das Repertorium selbst beginnt mit einer Weinordnung des als katholisch eingeordneten Kaisers Friedrich III. vom 4. 10. 1487 und umfasst bis zu einem Reichsgutachten des ebenfalls katholischen Kaisers Franz II. vom 14. 6. 1793 insgesamt 266 Einzelstücke.
Danach behandelt Karl Härter Kurmainz (Zunftordnung Adolfs II. von Nassau vom 19. 12. 1464-Verordnung Karl Theodor von Dalbergs vom 18. 4. 1803 mit 2723 einzelnen Stücken). Thomas Simon und Markus Keller behandeln Kurköln (Münzordnung Hermanns V. von Wied von 1531-Verordnung Anton Viktors von Österreich vom 31. 8. 1802 mit 1209 einzelnen Stücken). Karl Härter wiederum stellt dann mit Kurtrier das dritte geistliche Kurfürstentum vor (Schöffengerichtsordnung Werner von Falkensteins 25. 8. 1400-Bekanntmachung Clemens Wenzeslaus’ von Sachsen 29. 11. 1802). Erschlossen wird der Band durch ein systematisches Register der Policeymaterien und Regelungsgegenstände nach Gruppen und Materien und ein alphabetisches Sachregister nach Materien und Materienbetreffen.
Diesem ersten grundlegenden Band folgte nach zwei Jahren der von Thomas Simon in zwei Teilen herausgegebene Band über Brandenburg/Preußen (mit 3674 Nummern vom 4. 3. 1465 bis zum 20. 9. 1806) und seine Nebengebiete Kleve-Mark (Markus Keller, 1424-31. 7. 1806, 1865 Nummern), Magdeburg (1440-13. 9. 1805, 91 Nummern) und Halberstadt (vor 19. 3. 1511-28. 12. 1796, 183 Nummern). Ein weiteres Jahr später konnten Lothar Schilling und Gerhard Schuck eine zweibändige Übersicht über die wittelsbachischen Territorien Kurpfalz (Dorothee Mußgnug, 1. 7. 1423-16. 2. 1799, 4746 Nummern), Bayern (Gerhard Schuck, 15. 6. 1391-15. 2. 1799, 3770 Nummern), Pfalz-Neuburg (Michael Cramer-Fürtig, 1512-18. 1. 1799, 628 Nummern), Pfalz-Sulzbach (8. 4. 1656-28. 11. 1797, 283 Nummern), Jülich-Berg (Karl Härter, 8. 10. 1489-22. 1. 1799, 2125 Nummern) und Pfalz-Zweibrücken (Lothar Schilling, 22. 2. 1437-22. 12. 1795, 3253 Nummern) vorlegen. Wieder zwei Jahre später erschien der von Achim Landwehr und Thomas Simon edierte vierte Band über Baden bzw. Baden-Durlach (Julia Maurer, 1475-5. 3. 1803, 3152 Nummern), Baden-Baden (1533-1594, 768 Nummern) und Württemberg (Achim Landwehr 25. 1. 1432-31. 12. 1805, 4393 Nummern).
Fasst man das bisher Erreichte in wenigen Worten zusammen, so kann man das Werk als große, wenn auch noch nicht abgeschlossene Leistung bezeichnen, auf der die künftige Polizeirechtsgeschichte sicher aufbauen wird können. Sehr zu wünschen ist ein weiterer Ausbau. Vielleicht gelingt dabei Michael Stolleis und seinen Schülern eines Tages sogar ein nicht nur einheitliches, sondern auch – so weit wie möglich - vollständiges Repertorium der Polizeiordnungen der frühen Neuzeit (Europas).
Innsbruck Gerhard Köbler