Scholz Löhnig, Cordula, Bayerisches Eherecht

von 1756 bis 1875 auf dem Weg zur Verweltlichung (= Schriften zur Rechtsgeschichte 111). Duncker & Humblot, Berlin 2004. 417 S. Besprochen von Arne Duncker.

Scholz Löhnig, Cordula, Bayerisches Eherecht von 1756 bis 1875 auf dem Weg zur Verweltlichung (= Schriften zur Rechtsgeschichte 111). Duncker & Humblot, Berlin 2004. 417 S.

 

Die sehr erfreuliche Arbeit Scholz Löhnigs füllt auf überzeugende Weise eine überraschend lange bestehende Forschungslücke in der Dokumentation der neueren bayerischen Eherechtsgeschichte. Die von Schwab betreute Regensburger Dissertation geht an Umfang und Bearbeitungstiefe weit über das übliche Maß hinaus, macht eine beachtliche Anzahl zeitgenössischer Quellen erstmals der weiteren Forschung zugänglich und ist als Pionierleistung auf ihrem Gebiet zu würdigen.

 

Scholz Löhnig folgt in der stark quellenorientierten Gliederung ihrer Arbeit einem chronologischen Aufbau. Dabei unterteilt sie in vier Hauptabschnitte: das Eherecht im Bayern des Ancien Régime ab Mitte des 18. Jahrhunderts bis 1799 (S. 26-87), Bayern auf dem Weg zum modernen Staat 1799-1825 (S. 88-189), Bayern im Vormärz 1825-1848 (S. 190-264) sowie Bayern nach der Revolution von 1848 und auf dem Weg ins Deutsche Reich 1848-1875 (S. 265-336). Die Periodisierung knüpft dabei an die Regierungsdaten bayerischer Kurfürsten bzw. Könige an. Die Arbeit handelt trotz ihres Titels nicht vom bayerischen Eherecht insgesamt, sondern, wie in der Einleitung näher begründet wird, vorwiegend vom Eheschließungs- und Eheauflösungsrecht.

 

Einleitend beschreibt Scholz Löhnig die Gegenstände ihrer Untersuchung und den Forschungsstand. Untersucht werden soll (als Regionalstudie innerhalb der teils parallelen mitteleuropäischen Rechtsentwicklung, hierzu wird auf Schwab, Grundlagen und Gestalt der staatlichen Ehegesetzgebung in der Neuzeit bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts, verwiesen), „ob und gegebenenfalls wie eine Loslösung des Eherechts aus der ausschließlichen Zuständigkeit der katholischen Kirche in Bayern stattgefunden hat, bis schließlich das Reichspersonenstandsgesetz von 1875 auch für Bayern die Zivilehe brachte“ (S. 19). Dies soll (S. 20, dort angelehnt an Coing) nach vier Kriterien beurteilt werden: 1. der Gesetzgebungskompetenz für das Eherecht und deren Wahrnehmung durch die kirchliche oder weltliche Macht, 2. der materiellen Ausgestaltung eherechtlicher Normen, 3. der Zuständigkeit für den Abschluß der Ehe (Trauung und Heiratsregister) und 4. der Wahrnehmung der Ehegerichtsbarkeit. Unter „Eherecht“ wird dabei nur das persönliche Eherecht verstanden, nicht das Ehegüterrecht. Im Verlauf der Arbeit werden dann vorwiegend die Normen zu Eheschließung, in zweiter Linie auch zur Ehetrennung untersucht. Hier - so ist hinzuzufügen - wäre es für die Ausgangsfragestellung durchaus von Interesse gewesen, auch die gleichfalls dem persönlichen Eherecht angehörenden Normen über das Leben in der Ehegemeinschaft einzubeziehen. Bei diesen fand eine eigentümliche Überlagerung kirchenrechtlich überlieferter und aus anderen Traditionen entlehnter Ehewirkungen statt, sowohl im gemeinen deutschen Eherecht als auch in vielen staatlichen Ehegesetzen, gerade auch im Eherecht des weltlichen bayerischen Gesetzgebers von 1756. Beispielhaft sei hierzu auf den Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis (CMBC), I 6 § 12, verwiesen, nebst den darauf bezogenen Anmerkungen Kreittmayrs (Anmerkungen I, S. 119-122) mit Nennung einer Vielzahl kirchlicher und weltlicher Bezugstexte. Hinzu kommt der damalige Schutz der Ehegemeinschaft durch ein merkwürdiges Nebeneinander policeyrechtlicher, kirchlicher und ehemännlicher Zwangsmittel, vgl. CMBC I 6 § 40 Nr. 2, I 6 § 49 Nr. 1; Kreittmayr, Anmerkungen I, S. 121, 173, 190-193 (vgl. bei Scholz Löhnig die Betrachtung ähnlicher Zuständigkeitskonkurrenzen auf S. 49-53). Allerdings kann eingeräumt werden, daß vor allem im 19. Jahrhundert die offenen Eherechtskonflikte zwischen Staat und Kirche vorwiegend um die Formulierung und Anwendung des Eheschließungs- und Eheauflösungsrechts ausgetragen wurden. Zuzustimmen ist Scholz Löhnig, wenn sie (vgl. S. 22-25) die Wahl Bayerns als Untersuchungsraum als besonders reizvoll betrachtet, weil das bayerische im Vergleich zum preußischen Eherecht bisher erst rudimentär durch die Forschung erschlossen wurde und weil die Entwicklung in einem katholischen Land grundsätzlich anders verlaufen sein könnte als im protestantisch geprägten Preußen.

 

Im Abschnitt zum staatlichen Eherecht des Ancien Régime bildet der CMBC den ersten und zu Recht umfangreichsten Untersuchungsgegenstand (S. 27-54). Es markiert den Anfang einer neuen Eherechtsentwicklung. Scholz Löhnig betrachtet die vollständige Regelung des materiellen Eherechts als Teil der Reformpolitik Max III. Josephs. Zu Recht weist sie darauf hin, daß das bisher kanonische Eherecht in Bayern nun zu staatlichem Eherecht geworden sei (S. 29-32) und wendet sich gegen diejenigen Stimmen, welche das Recht von 1756 pauschal als übernommenes kanonisches Eherecht bezeichnen (S. 32). Zwar entsprachen viele Vorschriften dem kanonischen Eherecht, doch werden eine Reihe von Unterschieden zum CMBC herausgearbeitet. Hinzu kommt die Belegstellenauswahl in den Anmerkungen des Gesetzesautors Kreittmayr. Dieser zitiert eher (gemeinrechtliche) deutsche Autoren als die kanonisch-rechtlichen Primärquellen (vgl. S. 33-35), wobei einige der zitierten Autoren freilich Kanonisten waren.

 

Bereits zur Zeit Kreittmayrs wird ein ganz wesentlicher eherechtlicher Konfliktstoff zwischen Staat und katholischer Kirche offenbar. Es handelt sich um den Umgang mit sog. Mischehen zwischen Katholiken und anderen Christen, also vor allem Protestanten. Diese Frage wird bis weit ins 19. Jahrhundert hinein immer wieder zu Streit Anlaß geben (vgl. u. a. S. 43, 99, 116, 119, 148, 165, 192). Die katholisch-kirchliche Seite verhielt sich generell restriktiv, sah hier ein Ehehindernis und dispensierte, wenngleich mit regional unterschiedlicher Praxis (detailliert S. 45), nur unter engen Voraussetzungen, insbesondere mußte zumindest die katholische Erziehung der Kinder gewährleistet sein. Kreittmayr im CMBC dagegen, so Scholz Löhnig (S. 45-48) trenne die sakramentale Seite der Ehe von der bürgerlich-rechtlichen Seite, behandele im Gesetz nur letztere, sehe im Konfessionsunterschied kein Ehehindernis und beurteile Mischehen nach den dazu in Deutschland rezipierten, aber von Rom insoweit nicht anerkannten Grundsätzen des Westfälischen Friedens und der Folgekongresse.

 

Was die gerichtlichen Zuständigkeiten in Ehesachen nach CMBC (I 6 § 49) betrifft, so sind diese je nach Rechtsgebiet zwischen geistlichen und weltlichen Gerichten gespalten. Scholz Löhnig spricht hier von der Möglichkeit eines „Doppelsystems“ (S. 53), da der weltliche Richter den CMBC und der geistliche Richter doch eher die kanonischen Quellen heranziehen werde.

 

Für die Zeit 1756-1799 sind neben dem CMBC in Bayern eine Reihe von Mandaten zum Eherecht nachweisbar, welche auf S. 54-87 im einzelnen analysiert werden. Inhalte waren u. a. die Heiratsbewilligung (Genehmigung der Eheschließung durch die Obrigkeit, für Militärs, Beamte und zahlreiche weitere Bevölkerungsgruppen), ferner ein Verbot von Auslandseheschließungen, kirchenrechtliche Mandate. Die im Wortsinn obrigkeitsstaatliche Praxis der Heiratsbewilligungen zielte darauf, eine Heirat (und potentielle Vermehrung) Armer möglichst zu verhindern. Dies hatte schon im frühen 18. Jahrhundert zu Auseinandersetzungen mit geistlichen Stellen geführt (beispielhaft S. 59, Anm. 219), welche diese Beschränkungen der Eheschließungsfreiheit ablehnten, da die „paupertas“ nach kanonischem Recht kein Ehehindernis sei. Auch im 19. Jahrhundert wird das Problem staatlicher Eheverweigerung weiter eine bedeutende Rolle spielen: 1825 sollte ein „Gesetz über Ansässigmachung, Verehelichung und Aufenthalt“ (vgl. S. 181-189) die Eheschließung erleichtern, verlagerte die Hürde im Ergebnis aber nur auf den im Vorfeld erforderlichen Erwerb eines „Ansässigkeitstitels“ (S. 183f.). Die Revisionen und Überarbeitungen dieses Gesetzes durchziehen die weiteren Jahrzehnte (1834: S. 249-254; 1868: S. 266-287). Noch bei der Reichsgründung 1870 sichert Bayern das sog. Verehelichungsrecht als Reservatsrecht vor bundesrechtlichem Zugriff ab. Solche obrigkeitlichen Ehebeschränkungen waren freilich keine Besonderheit Bayerns. Sie existierten auch in einer Reihe weiterer deutscher Staaten, vgl. Anm. 198 auf S. 306.

 

Wichtigstes der Mandate bis 1799 war das Sponsalienmandat von 1769 zur Regelung des Verlöbnisrechts, dieses wird (S. 61-85) eingehend besprochen. Hier wurde umfassend ein eigenständiges staatliches Verlöbnisrecht mit Zuständigkeit weltlicher Gerichte geschaffen. Dabei, so Scholz Löhnig, ging die Regelung deutlich über ihr Vorbild, den österreichischen Entwurf eines Codex Theresianus von 1766, hinaus. Das Mandat stieß auf heftigen Protest der Bischöfe (Einberufung des sog. Salzburger Kongresses, langwierige Konkordatsverhandlungen, Mandat wurde zeitweise außer Kraft gesetzt).

 

Eine neue Epoche bayerischer Geschichte begann mit dem Regierungsantritt von Max IV. Joseph 1799, wobei Scholz Löhnig vor dem Hintergrund geänderter politischer Verhältnisse - Reformen unter Montgelas, territoriale Veränderungen, rechtliche und konfessionelle Vielfalt innerhalb des neuen Staatsgebiets - eingehend die eherechtlichen Veränderungen bis 1825 darstellt (S. 88-189). Unter dem neuen Herrscher habe die Gesetzgebung in Ehesachen eine neue Qualität erhalten.

 

So habe man das Eheordnungsrecht durchzusetzen versucht, indem man Pfarrern, die das Erfordernis des obrigkeitlichen Ehekonsenses nicht beachteten, in jedem Fall empfindliche Sanktionen androhte. 1808 sei erstmals mit einer Verordnung auf das Eheband zugegriffen worden: im Ausland zur Umgehung innerstaatlicher Vorschriften geschlossene Ehen wurden in Bayern als ungültig behandelt. Dies sei (S. 110) von Demel und Schön zutreffend als Vorhut der Zivilehe interpretiert worden. Weiterhin sei das Sponsalienmandat von 1769 wieder in Kraft gesetzt worden und es sei zu einer Reihe staatlicher Verordnungen zum katholischen und protestantischen Eherecht gekommen, darunter eine protestantische Konsistorialordnung mit eherechtlichen Inhalten.

 

Besonders umfangreich waren die Entwicklungen im „interkonfessionellen Recht“ (S. 116), hinsichtlich der Mischehen. Am Anfang steht hier 1799 das Toleranzedikt für die bayerische Pfalz, 1803 kam es zu einer Regelung für ganz Bayern, wonach es den Paaren prinzipiell freigestellt wurde, vor dem katholischen oder protestantischen Geistlichen zu heiraten (Scholz Löhnig, S. 339, sieht hierin eine Vorform der Zivilehe) und ihre Kinder grundsätzlich nach eigener Wahl konfessionell zu erziehen. Der wegen der Reformen beunruhigte Papst wandte sich 1803-1805 mehrfach an den Kurfürsten, die Proteste blieben aber erfolglos.

 

Zu einer umfassenden neuen Zivilrechtskodifikation allerdings kam es nicht. Unter den drei zeitgenössischen bayerischen Entwürfen (1808/09, 1811, 1816/18) ist derjenige Feuerbachs hervorzuheben, der - stark an den Code Napoleon angelehnt - zur Einführung der obligatorischen Zivilehe geführt hätte. Die anderen Entwürfe dagegen enthalten das Recht des CMBC, ergänzt durch zwischenzeitlich ergangene Verordnungen. Alle Entwürfe regelten die Ehescheidung dem Bande nach und sprachen dem Staat das Recht zu, Ehehindernisse ggf. im Widerspruch zum kanonischen Recht zu bestimmen.

 

Ein Teil des bayerischen Staatsgebiets kannte schon sehr früh die Zivilehe, nämlich die Pfalz, in welcher das Recht des Code Napoleon eingeführt worden war. Bei Angliederung der betreffenden Gebiete an Bayern 1816 wurde das französische Recht und mit ihm die Zivilehe beibehalten (S. 101-104, zur Rechtszerplitterung in Bayern insgesamt S. 90-104, sehr beachtlich dabei die eingehenden partikularrechtlichen Nachweise in den Anmerkungen auf S. 92-94: eine Zusammenstellung, die denjenigen Roths und Arnolds im 19. Jahrhundert durchaus gleichwertig ist).

 

1817 wurde zwischen dem Heiligen Stuhl und Bayern ein Konkordat geschlossen. Dieses wurde 1818 als Anhang zum neuen Religionsedikt, das selbst einen Anhang zur Verfassung von 1818 bildete, veröffentlicht. Nach Art. 16 des Konkordats sollten alle dem Konkordat widersprechenden Gesetze aufgehoben werden, darunter zahlreiche Eherechtsnormen. Dagegen, so Scholz Löhnig, stützten Verfassung und Religionsedikt das geltende Eherecht und standen damit im Widerspruch zum Konkordat. Trotz eines scheinbar erzielten Kompromisses (Tegernseer Erklärung, 1821) habe die Regierung die dem Konkordat widersprechenden Gesetze weiter angewandt und Rom sich mehr oder weniger geschlagen gegeben (S. 166 mit Verweis allein auf v. Sicherer, 1874). Der entstehende Konflikt zwischen staatlichen Rechtsnormen und Konkordat führte zu einem mehrere Jahrzehnte ausgetragenen Meinungsstreit unter Staats- und Völkerrechtlern, der auf S. 167-175 sehr ansprechend aus den zeitgenössischen Quellen herausgearbeitet wird.

 

In der Regierungszeit Ludwigs I. (1825-1848) war die Eherechtsentwicklung vor allem von einer Fülle von „Entschließungen“ bzw. staatlichen Verfügungen zum Mischehenrecht geprägt (hierzu S. 192-249 mit eingehender Dokumentation). Das Grundproblem bestand darin, daß Staat und katholische Kirche weiterhin abweichende Auffassungen zum Umgang mit diesen Ehen vertraten, der Staat aber insofern auf die Kirche angewiesen war, als für eine gültige bürgerliche Eheschließung grundsätzlich die Pfarrämter beteiligt werden mußten (S. 194) und dabei die Kirche staatliche Vorstellungen boykottieren konnte.

 

Besonders ausführlich dokumentiert Scholz Löhnig hierbei den Mischehefall Thon-Dittmer von 1830, in dem das Pfarramt die Einsegnung einer Ehe verweigert hatte, solange nicht ein Versprechen hinsichtlich katholischer Kindererziehung abgegeben worden war. Hieraus folgten nicht nur die bekannten Konflikte zwischen Staat und Kirche, sondern auch eingehende Auseinandersetzungen in der Abgeordnetenkammer sowie der Kammer der Reichsräte (vgl. S. 206-231, begleitet von einem „leidenschaftlichen Weltanschauungskampf“, S. 240, in der zeitgenössischen Presse). Dies sei eine der ersten Auseinandersetzungen zwischen konservativen und liberalen Kräften gewesen, zwischen denen in der Folge auch der Streit um die Zivilehe ausgetragen werden würde (S. 247 mit Bezug auf Coing). Nach längeren Verhandlungen kam Papst Pius IV. 1834 den bayerischen Wünschen entgegen, ohne sich aber bindend für die Zukunft festzulegen (S. 248).

 

Ein 1834 von Leonrod vorgelegter und am österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch orientierter Entwurf eines bayerischen Zivilgesetzes scheiterte (zum Eherecht vgl. S. 255-263 und im Anhang S. 363-391).

 

Der letzte Teil der Arbeit (S. 265-336) behandelt die Entwicklungen ab 1848 bis zum reichseinheitlichen Personenstandsgesetz von 1875. Die schon angesprochene Reform des Ansässigkeitsrechts und obrigkeitlichen Ehekonsensrechts (bzw. „Verehelichungsrechts“, S. 266-287) von 1868 nimmt Scholz Löhnig zum Anlaß für grundsätzliche Äußerungen zum sog. Verehelichungsrecht. Dieses habe sich von der Zivilehe vor allem dadurch unterschieden, daß es keine staatliche Form der Eheschließung vorgesehen habe. Ansonsten allerdings gebe es gewisse Ähnlichkeiten: so z. B. ein „Konstatierungsverfahren“, das dem Aufgebotsverfahren nach französischem Recht geähnelt habe, auch die Möglichkeit, beim Verstoß gegen staatliches Eherecht auf das Eheband zuzugreifen. Das 1868 neugefaßte Gesetz habe damit eine Ersatzfunktion für die fehlende Zivilehe übernommen.

 

Zugleich sei der Landtag von 1868 mit Anträgen auf Einführung der obligatorischen Zivilehe konfrontiert gewesen. Gewissermaßen als kleine Lösung für die dringendsten Fälle wurde aber zunächst nur die Notzivilehe für sog. Dissidenten beschlossen, die keiner anerkannten Religionsgemeinschaft angehörten (S. 287-302). Ein späterer Gesetzentwurf über die obligatorische Zivilehe (von 1871, S. 302-305) wurde nicht mehr beraten. Scholz Löhnig (S. 305) vermutet, man habe ihn im Hinblick auf eine reichseinheitliche Lösung zurückgestellt. Diese kam wenige Jahre später mit dem Personenstandsgesetz von 1875 (S. 309-335 mit Besprechung der Entstehungsmaterialien unter besonderer Berücksichtigung bayerischer Beiträge).

 

Die ungewöhnliche und in ihrer Form beeindruckende und sehr klare Präsentation der Gesamtergebnisse (S. 337-344) knüpft ihrerseits an ältere rechtshistorische Vorbilder an. Die Resultate der Dissertation werden - gegliedert nach Kapiteln - in insgesamt 75 kurzen Thesen präsentiert. Eine Präsentationsform, wie sie in der gegenwärtigen Literatur sonst kaum auftaucht, aber so durchaus nachahmenswert erscheint. Ziel wissenschaftlicher Sprache sollte es eben sein, wie im vorliegenden Ergebnisteil das Schwierige einfach und verständlich zu machen, und nicht, wie es in anderen Texten so häufig geschieht, das Einfache schwierig und unverständlich darzustellen.

 

Ergänzt wird die Untersuchung durch Anhänge zur bayerischen Eherechtsgeschichte (S. 345-391), mit denen zum Teil bisher unveröffentlichte Quellen erstmals erschlossen werden. Aufgeführt ist neben Text und Motiven des CMBC-Neufassungsentwurfs Johann Christoph v. Aretins von 1816/1818 der Entwurf eines allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern nebst Motiven (Karl Ludwig Leonrod, 1834). Die abschließenden Personen- und Sachregister (S. 412-417) tragen schön zur Erschließung des behandelten Stoffes bei.

 

Da die neuere Sekundärliteratur zur bayerischen Familienrechtsgeschichte nicht sehr umfangreich ist, fällt auf, daß die wenigen vorliegenden Monographien (Dissertationen Friedmann 1946, Pöpperl 1967, Glöckle 1977) im Umfeld des CMBC-Familienrechts nicht mit verarbeitet worden sind. Freilich hätte eine Einbeziehung dieser Werke, die nicht primär von Eheschließung und Ehetrennung handeln, die Ergebnisse Scholz Löhnigs nicht dramatisch verändert, sondern allenfalls abgerundet. Insgesamt erscheint die Arbeit gerade mit der hier zentralen zeitgenössischen Literatur des 19. Jahrhundert vorbildlich.

 

Der Schwerpunkt der Arbeit liegt sicherlich in der Dokumentation des vielfältigen bisher kaum rechtshistorisch ausgewerteten bayerischen Gesetzgebungsmaterials zweier Jahrhunderte einschließlich einer Vielzahl damaliger kirchlicher, staatlicher und wissenschaftlicher Stellungnahmen. Dies ist in beeindruckender Weise gelungen. Es ist die große Stärke dieser Arbeit, daß sie eine stark quellenorientierte und damit besonders fundierte und gewissenhaft erarbeitete rechtshistorische Untersuchung darstellt. Auf der Basis des gewonnenen Materials werden Interpretationen zur Verweltlichung des Eherechts entwickelt, die durchweg vertretbar und plausibel erscheinen. Wenn an verschiedenen Stellen Regelungen als Vorboten oder Vorläufer der Zivilehe gedeutet werden, so geschieht dies sicher auch aus der Perspektive der Nachwelt, die scheinbare Gesetzmäßigkeiten des Fortschritts erkennt, wo Zeitgenossen sie nicht immer gesehen haben. Allerdings kann eingeräumt werden, daß bereits den Zeitgenossen im 19. Jahrhundert die Zivilehe nach französischem Recht bekannt war und daher durchaus die Weiterentwicklung anderer Bereiche des Eherechts beeinflußt hat.

 

Auch die vorliegende Arbeit kann und will nicht das gesamte bayerische Ehe- und Familienrecht ihrer Zeit abdecken. Sie ist ein wichtiger und gut gelungener Schritt auf dem Weg dorthin, doch werden angesichts der gewählten Fragestellung zahlreiche weitere Teilgebiete bewußt offen gelassen, auch eine Vielzahl weiterer Quellen des Orts- und Partikularrechts (vgl. nur die Nachweise auf S. 92-94). Hier bieten sich vielfältige Ansatzpunkte für zukünftige Forschungen.

 

Insgesamt handelt es sich um eine sehr empfehlenswerte Neuerscheinung, die über den regionalen Bereich hinaus eine beispielhafte Studie über den Verlauf der Säkularisierung im Eherecht verkörpert und der eine weite Verbreitung zu wünschen ist.

 

Hannover                                                                                  Arne Duncker