Schulte, Rolf, Hexenverfolgung
Schulte, Rolf, Hexenverfolgung in Schleswig-Holstein im 16. bis 18. Jahrhundert. Boyens & Co, Heide 2001. 160 S.
Rolf Schulte legt mit dem vorliegenden Band eine interessante und ausgewogene Regionaluntersuchung zur Geschichte der Hexenprozesse vor. Durch die zehn ausgesuchten Fälle, die er der Untersuchung voranstellt, ist das Werk von Beginn an plastisch und quellennah und wird sofort das breite Spektrum klar, das die Hexenprozesse in dem „Land zwischen den Meeren“ auszeichnet.
Der Autor widmet sich nach der Einführung in einem ersten Teil der Theorie der Hexenlehre und ihren Kritikern (S. 16ff.) sowie den Rechtsgrundlagen (S. 35ff.). In den folgenden Kapiteln geht es um die Praxis der Verfolgung. Zunächst wird der Verlauf der Prozesse beschrieben (S. 43ff.), dann werden Aussagen zur Chronologie (S. 67ff.) und zur Geographie der Verfolgung gemacht (S. 72ff.). Schließlich geht Schulte dem Hexereibegriff (S. 84ff.) und dem Hexenbild (S. 97ff.) nach, um abschließend nach den Ursachen der Verfolgung zu fragen (S. 108ff.). Das Buch wird von einer Liste aller Opfer der Hexenverfolgung abgerundet (S. 115ff.) und bietet im Anhang außerdem ein vorzügliches und weiterführendes Quellen- und Literaturverzeichnis.
Die Besonderheit der Prozesse in Schleswig-Holstein lag nach Schulte darin, dass hier die neue Hexenlehre mit dem Glauben an eine kollektive Begehung des Delikts (Hexensabatt) kaum rezipiert wurde, sondern die Verfolgung ganz auf den Schadenszauber konzentriert war, was dazu führte, dass hauptsächlich Einzelprozesse und nur sehr wenige Massenprozesse (diese vor allem auf Fehmarn, ausgelöst durch den „Hexenkommissar“ Berend Nobis) überliefert sind. Diese Haltung teilten auch die nordischen Reformatoren, wie Schulte am Beispiel Niels Hemmingsen zeigt. Kritik an der Hexenlehre selbst gab es vor allem in Lübeck, wo 1590 Konrad Anten eine von persönlicher Erfahrung geprägte und an Johann Weyer angelehnte Kritikschrift veröffentlichte; Lübeck war eine ausgesprochen „hexenarme“ Zone. Im übrigen machte sich der Einfluss von Prozesskritikern an den Universitäten Rostock und (ab 1665) Kiel bemerkbar, die in den angeforderten Gutachten auf die Einhaltung eines ordentlichen Verfahrens auch beim Hexenverbrechen drangen. Mit Johann Paul Ipsen kommt aus Schleweig-Holstein (Husum) sogar der Doktorand der 1712 erschienenen Hexenkritik des Christian Thomasius. Die Problematik, den Anteil Ipsens an der Schrift gegenüber dem Doktorvater zu bestimmen, wird von Schulte treffend gewürdigt. Mit Petrus Goldschmidt nennt Schulte aber auch einen Eiferer der lutherischen Orthodoxie, der selbst nach Thomasius‘ Schrift noch die Hexenlehre verteidigte.
Obwohl mit der Carolina in Holstein und mit dem dänischen Jyske Lov in Schleswig in beiden Landesteilen unterschiedliche Rechtsgrundlagen herrschten, unterschied sich die Praxis der Hexenverfolgung nach Schulte in beiden Gebieten interessanterweise nicht wesentlich. Das Jyske Lov kannte zwar das Inquisitionsverfahren nicht, sondern nur die Privatklage, doch die Schleswiger scheinen sich teilweise für inquisitorische Maßnahmen einfach auf das deutsche Reichsrecht berufen zu haben. Möglicherweise hat auch das in Dänemark zulässige Indizienverfahren (das nach der Carolina nicht statthaft war) sich prozessfördernd ausgewirkt und so zu einem „Ausgleich“ der prozesshemmenden Privatklage geführt.
Insgesamt hält Schulte Schleswig-Holstein zwar nicht für eine Kernzone der Hexenverfolgung, mit den von ihm gezählten 846 Prozessen sei aber, entgegen früheren Annahmen, durchaus eine „mittlere Verfolgungstätigkeit“ festzustellen. Schulte macht dafür vor allem die wirtschaftlichen Krisen und projizierte Schuldgefühle in der Bevölkerung verantwortlich.
An einigen wenigen Stellen wirkt die Beurteilung etwas unhistorisch. So äußert der Autor, es erscheine „ohne Sinn, Unrechtsprozesse an der Rechtlichkeit nach damaligem Standpunkt zu messen“ (S. 65). Wenn damit gemeint sein soll, dass das damalige Verfahren nach heutigen Rechts- und Moralvorstellungen zu bewerten sei, wie häufig in unwissenschaftlichen Darstellungen von „Justizmorden“ die Rede ist, halte ich dies für höchst problematisch. Ebenso unglücklich erscheint es mir, dass die Opferliste nur vermerkt, ob das Verfahren mit dem Tod endete und nicht unterscheidet, ob der Tod auf ein Todesurteil oder eine Selbsttötung der Gefangenen zurückgeht. Auch die Verbannung wird von Schulte oft als „Tod auf Raten“ der Todesstrafe gleichgestellt. Dies wird sicherlich der damaligen Rechtsanschauung nicht gerecht. Aber auch wenn die Opferliste diese Differenzierungen nicht enthält – auch eine Unterscheidung zwischen Zauberei- und Hexereiverfahren wäre wünschenswert gewesen – bietet das Buch gerade mit der Auflistung sämtlicher belegter Verfahren einen guten Überblick über den Forschungsstand dieses schwierigen Kapitels in der Geschichte Schleswig-Holsteins.
Basel Harald Maihold