Reformabsolutismus und ständische Gesellschaft.
EbelReformabsolutismus20000619 Nr. 1167 ZRG 118 (2001)
Reformabsolutismus und ständische Gesellschaft. Zweihundert Jahre Preußisches Allgemeines Landrecht, hg. v. Birtsch, Günter/Willoweit, Dietmar (= Forschungen zur brandenburgischen und preussischen Geschichte Beiheft 3). Duncker & Humblot, Berlin 1998. XII, 382 S.
In Ergänzung zu den nicht wenigen Tagungsbänden, die das zweihundertjährige Jubiläum des preußischen Allgemeinen Landrechts hervorgebracht hat, ist ein weiteres gewichtiges Buch als Ergebnis eines Symposiums der Preußischen Historischen Kommission anzuzeigen, das eine Fülle wertvoller Beiträge enthält. 14 Vorträge sind es, die unter den Vorzeichen „Entstehungsgeschichte“ und „rechtspolitische Ziele“ zusammengefaßt werden. Es können nicht alle der interessanten Beiträge ausführlich behandelt werden; dem Rezensenten sei eine subjektive Auswahl erlaubt, die keine Zurücksetzung der nur genannten Artikel enthält.
Im ersten Teil gibt Notker Hammerstein einen Überblick über die Lehre des Naturrechts an den deutschen, speziell preußischen Universitäten im 18. Jahrhundert. Aber Preußen bietet, trotz Halle, zunächst wenig; die Literatur über Duisburg, Königsberg und Frankfurt gibt dementsprechend wenig her. Es ist eben doch Göttingen der „Trendsetter“ in der Wissenschaftslandschaft, zu dem erst allmählich Leipzig und Jena aufrücken. So weitet sich der Blick auf die deutschen Universitäten allgemein.
Es werden die allgemein bekannten Neuerrichtungen von Naturrechtslehrstühlen seit Heidelberg 1661 genannt, die freilich für die Theorie des neuen Modefachs zumeist wenig ergiebig, auch meist in den Artistenfakultäten angesiedelt waren. In Halle ist es natürlich Thomasius, der in seiner allgemeinen Wissenschaftstheorie ‑ nur scheinbar widersprüchlich ‑ eine Art Vorgriff auf die historische Relativierung des späteren Naturrechts unternahm. Dieser Blick ist neu; er erklärt die dem 19. Jahrhundert vorarbeitende Tätigkeit der pejorativ sogenannten „juristischen Antiquare“ des 18. Jahrhunderts. Damit war dann die propädeutische Funktion des Naturrechts vorgegeben, die allenthalben wahrgenommen wird. Unterstrichen wird dies durch die Rolle der zahlreichen Naturrechtskompendien, vermittelt vor allem durch Pufendorf, unter denen selbst die Ansätze bei Christian Wolff variiert wurden. Wolff scheint überhaupt heute wichtiger genommen zu werden als im 18. Jahrhundert. Diese Art von Naturrecht und Aufklärung verbreitet sich im 18. Jahrhundert in den katholischen wie protestantischen Teilen des Reichs. Ob es sich freilich um eine erstmalige Einheit solcher Grundsätze seit der Reformation handelt, bedarf des Zweifels, jedenfalls bezüglich der methodischen Grundlagen, die seit den Anfangen/Vorläufern des usus modernus nicht entsprechend unterschieden.
Christoph Link, Aufgeklärtes Naturrecht und Gesetzgebung ‑ vom Systemgedanken zur Kodifikation, bemüht sich zum einen, das Verhältnis zwischen Naturrecht und positivem Recht zu bestimmen, zum andern sich dem Systemgedanken des Allgemeinen Landrechts zu nähern. Im ersten Punkt wird der Legitimitätsdruck hervorgehoben, dem monarchische Entscheidungen in den „absolutistischen“ Staaten stark unterworfen waren. Freilich ist zu betonen, daß Svarez diese Denkfigur später ganz umgekehrt bewertete und den Herrschaftsvertrag als „nützlichen Grund für den Gehorsam der Untertanen“ bezeichnen konnte. Die von Link in diesem Zusammenhang aufgeworfene Frage der Kompatibilität des Naturrechts mit der Gesetzgebung zur materiellen Überprüfbarkeit von Gesetzen mit dem Naturrecht erinnert übrigens ‑ wenngleich das eine unhistorische Bemerkung sein mag ‑ an heutige Fragen der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen. Jedenfalls lag aber Svarez die Anerkennung des Naturrechts als positiver Rechtsquelle fern. Dennoch führt die Komplexität dieser Ideen zu einer gewissen Rechtsstaatlichkeit, wenn auch in zeitgebundener Bedeutung. Etwas unverbunden mit diesen interessanten Ausführungen folgt die Abhandlung von Systemfragen im Allgemeinen Landrecht, bei der Link eine solide Skizze bietet. Freilich fehlt es an einer Bestimmung dessen, was unter „System“ verstanden wird (die Literatur zu dieser Frage ist bekanntlich höchst umfangreich). Daß das Allgemeine Landrecht kein „preußisches Naturrecht“ sei, wie Link wohl unter Bezugnahme auf Dilthey subsumiert, sei zugestanden. Daran aber, daß es eine jedenfalls inhaltlich einmalige preußische Kodifikation war, möchte der Rezensent festhalten.
Die nächsten Beiträge seien notiert: Günter Birtsch befaßt sich mit der Rechtsauffassung Friedrichs des Großen unter dem Titel: Reformabsolutismus und Gesetzesstaat, wobei natürlich der Müller Arnold zu seinem bei einem Kongreß über das Allgemeine Landrecht unvermeidbaren Recht kommt. Eckhardt Hellmuth diskutiert die Freiheitsentwürfe von Svarez und Klein (Noch einmal Freiheit und Eigentum) und befaßt sich hierbei mit der in der Tat hochwichtigen Frage einer damals schon als solcher bezeichenbaren liberalen Wirtschaftsverfassung, bei der Klein als der moderne, Svarez als der retardierende Autor erscheint.
Einer bislang zu wenig beachteten Quelle widmet sich Dietmar Willoweit, Die Revisio Monitorum C. G. Svarez’[1]. Acht Bände von Monita des 1784/88 publizierten preußischen AGB-Entwurfs wurden ausgewertet und werden überprüft. Zu wenig beachtet deshalb, weil Willoweit einen Längsschnitt wagt und sich nicht nur auf die Entstehung einzelner Vorschriften des Allgemeinen Landrechts beschränkt, auch wenn sich dieser Längsschnitt keine Vollständigkeit beimißt. Es werden die Argumente sichtbar, mit denen Svarez seine Regelungsvorschläge begründet. Es wird gezeigt, daß die bestehende Rechtslage sachlich zumeist nicht geändert werden sollte, sondern nur zusammengefaßt wurde ‑ ein Motiv, das noch für heutige allgemeine Gesetzgebung an meist erster Stelle steht. Hiermit verbunden werden Denkstil und Systematik des Gesetzes verdeutlicht und wird die doch nur beschränkte Rolle der Sätze des Naturrechts sichtbar gemacht. „Die herausragende Tätigkeit dieses Mannes (d. h. Svarez’) war die Kunst zu differenzieren, nicht die philosophische Spekulation“ (S. 100). Abgerundet wird die vertiefte und interessante Abhandlung schließlich mit der Darstellung eines grundsätzlichen, für das vorliberale Preußen maßgeblichen Spannungsfeldes: dem der wohlerworbenen bürgerlichen Rechte (namentlich des Eigentums) und deren Begrenzung durch das gemeine Wohl. Willoweit macht durchweg klar, daß eine Beurteilung von Svarez allein aus der liberalen Situation des 19. Jahrhunderts der Situation und dem Allgemeinen Landrecht nicht angemessen ist.
Im nächstfolgenden Beitrag widmet sich Andreas Schwennicke dem Einfluß der Landstände auf die Regelungen des Allgemeinen Landrechts von 1794, gestützt namentlich ebenso wie Willoweit auf die Monita, einer Quelle, für die er sich schon anderwärts als Kenner ausgewiesen hat. Den Ständen wird eine eher weniger bedeutende Rolle bei der Veränderung des Entwurfs zugewiesen.
Peter Krause bietet in seiner Studie „Die Überforderung des aufgeklärten Absolutismus Preußens durch die Gesetzgebung“ einen Gesamtabriß der Entstehung von Allgemeinem Gesetzbuch und Allgemeinem Landrecht, bei der auffällt, daß fast nur ältere Literatur zitiert wird, das aber kompensiert durch ausführlichstes Stützen auf die Quellen der behandelten Zeit. Die umfassende Darstellung korrigiert in manchem herkömmliche Vorstellungen über das Herrscherbild, das Friedrich II. verbindlich gemacht hat und an dem seine Nachfolger scheitern mußten.
Der zweite Teil des Bandes widmet sich den rechtspolitischen Zielen des Allgemeinen Landrechts. Diethelm Klippel und Louis Pahlow skizzieren die Bedeutung der Kodifikation für die Menschen‑ und Bürgerrechte. Grundrechtliche Bedeutung wird den entsprechenden Normen des Allgemeinen Landrechts (z. B. Einf. § 183) abgesprochen, seine tendenzielle ‑ anders geartete ‑ Rechtsstaatlichkeit indessen postuliert.
Klaus Luig setzt einen vergleichenden Akzent („Das Privatrecht des Allgemeinen Landrechts und seine Stellung unter den Naturrechtsgesetzbüchern der Aufklärung“). Bei aller Verwurzelung in der gemeinsamen gemeinrechtlichen Tradition ist doch die Hinwendung zur Pflichtenlehre des älteren Naturrechts nicht zu übersehen. Dem Ständerecht widmet sich Gerd Kleinheyer („Das herkömmliche Verständnis der Stände und die kodifikatorische Regelung des Ständerechts im Preußischen Allgemeinen Landrecht 1794“). Dabei wird insbesondere die Klammerfunktion desselben herausgearbeitet, doch hierbei zu Recht auf den Zusammenhang mit den Provinzialrechten verwiesen. Einen Sonderaspekt hierzu liefert Ute Frevert mit ihrem Beitrag: „Der Bürgerstand ‑ Funktionsstand in der geburtsständischen Gesellschaft?“ Daß die Analogie zu den beiden anderen Ständen keine stringente Lösung finden konnte, wird von der Verfasserin gut nachvollziehbar ausgeführt. Hartmut Harnisch liefert dann das Gegenstück mit: „Bauer und bürgerliche Gesellschaft“ und muß hier die abschließende Rolle der Kodifikation gegenüber den Neuerungen des 19. Jahrhunderts konstatieren. „Die Minderheitenproblematik in den preußischen Staaten und das Allgemeine Landrecht“ ist Thema für A. Breitenhorn und problematisiert die Stellung der Juden und die Armutsfrage ‑ eine wenig überzeugende Parallelfragestellung. Das ja nur kurzlebige Strafrecht wird abschließend von Dirk Blasius untersucht.
Die Beiträge sind unterschiedlich vertiefend, zeigen damit den Forschungsstand recht treffend an, teilweise aus den Materialien schöpfend weiterführend, aber auch gestützt auf die aktuelle Literatur eher summierend. Interessant aber ist der Band allemal.
Berlin‑Dahlem Friedrich Ebel
[1] Vertiefend: F. Ebel (Hg.), Gemeinwohl - Freiheit - Vernunft - Rechtsstaat. 200 Jahre Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten, Berlin 1995, S. 1ff.