Széchényi, Barbara, Rechtliche Grundlagen

bayerischer Zensur im 19. Jahrhundert (= Rechtshistorische Reihe 273). Lang, Frankfurt am Main 2003. 205 S. Besprochen von Ulrich Eisenhardt.

Széchényi, Barbara, Rechtliche Grundlagen bayerischer Zensur im 19. Jahrhundert (= Rechtshistorische Reihe 273). Lang, Frankfurt am Main 2003. 205 S.

 

Nachdem schon eine ganze Reihe von rechtshistorischen Abhandlungen zur Zensur in den deutschen Mittelstaaten des 19. Jahrhunderts, u. a. für Baden[1], Kurhessen[2] und Sachsen[3], entstanden sind, die sich vornehmlich auf ungedrucktes und gedrucktes Quellenmaterial stützen können, liegt nun auch eine quellengestützte Arbeit über Bayern vor, die ein wichtiger Bestandteil des allmählich Konturen annehmenden Mosaikbildes über Zensur und Entwicklung des Rechts auf Meinungsfreiheit im Deutschen Bund und der darauf folgenden Zeit sein kann.

 

Die Arbeit ist wie folgt gegliedert: I. Geschichte der Zensur von ihren Anfängen bis zum 19. Jahrhundert, II. Zensurgeschichte Bayerns im 19. Jahrhundert (bis 1874), III. Vereinheitlichung der Zensurvorschriften im Reichspressegesetz von 1874, IV. Entwicklungen bis zum Ende des Jahrhunderts und V. Schlussbetrachtung. Der Schwerpunkt liegt im Kapitel II.

 

Im 1. Kapitel möchte die Verfasserin einen Bogen spannen von den Anfängen der Zensur im 5. Jahrhundert vor Christi Geburt „bis zum Vorabend zur Systematisierung des Zensurwesens am Ende des 18. Jahrhunderts“. Ein System der Aufsicht über Buchdruck und Buchhandel entstand im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation schon im 16. Jahrhundert, auch wenn es zuvor schon Bücherverbote und Bücherverbrennungen gegeben hatte. Die Vielzahl reichsrechtlicher Vorschriften wird von der Verfasserin aufgeführt, ohne dass das verfassungsrechtlich schwer zu erfassende System der Aufsicht, in dem das schwierige Verhältnis des Reiches zu den Territorien eine wichtige Rolle spielt, herausgearbeitet wird. Die bedeutende Rolle der Bücherkommission in Frankfurt am Main mit den Bindungen der Kommissare an Rom (sie waren überwiegend zugleich apostolische Bücherkommissare) und die dadurch entstandene enge Verbindung zwischen kirchlicher und weltlicher Macht wird nicht gewürdigt. In dem Unterkapitel „Zensurwesen in Bayern im 18. Jahrhundert“ fehlt ein Hinweis auf die Bindung Bayerns an das Reichsrecht. Schon wegen dieser Bindung war an Zensurfreiheit nicht zu denken. Hier wäre ein Blick in die Arbeit Helmut Neumanns[4] und in die anderer Autoren hilfreich gewesen. Die Wandlungen von Zweck und Praxis der Zensur mit dem ehemaligen Schwerpunkt bei religiösem Schrifttum (Reformation und Gegenreformation bedingten dies) hin zur Verfolgung vor allem politischer Schriften nicht religiösen Inhalts gegen Ende des alten Reiches sind nicht herausgearbeitet.

 

Das 2. Hauptkapitel (Zensurgeschichte Bayerns im 19. Jahrhundert bis 1874) beginnt mit der Rheinbundzeit. In den bayerischen Verfassungen von 1808 und 1818 wurde die Pressefreiheit mit Einschränkungen garantiert. Die Entstehungsgeschichte der entsprechenden Bestimmungen wird dargestellt. Art. 18 d der Deutschen Bundesakte (DBA), in dem man durchaus eine bundesverfassungsrechtliche Garantie der Pressefreiheit unter dem Vorbehalt bestimmter, durch Gesetz einzuführender Einschränkungen sehen kann, wird kaum gewürdigt. Bei den sog. Karlsbader Beschlüssen ging es deshalb in erster Linie um deren Vereinbarkeit mit Art. 18d DBA, und nicht um die Übereinstimmung mit der bayerischen Verfassung. Es folgt eine Darstellung der Entwicklung des Zensurwesens nach 1825, die durch eine Fülle von einzelnen in Bayern erlassenen Vorschriften gekennzeichnet ist. Gelegentliche Lockerungen der Zensur, so z. B. unter Ludwig I., wurden u. a. auf Druck Metternichs rasch wieder aufgehoben. Eindrucksvoll sind die Auseinandersetzungen in der bayerischen Ständeversammlung über die Unvereinbarkeit einer strengeren Zensurverordnung mit der bayerischen Verfassung. Die liberalere Handhabung der Zensur litt auch in Bayern unter dem Eindruck der Julirevolution in Frankreich und den dadurch ausgelösten Befürchtungen. Die bayerische außerordentliche Ständeversammlung machte 1847 die Beschränkungen der Presse zum Hauptgegenstand der Diskussion; die Aufhebung der Zensur wurde gefordert. Im Zuge der 1848er Bewegung wurde schließlich das „Edikt über die Freiheit der Presse und des Buchhandels“ erlassen, das weitgehende Freiheiten garantierte. Nach Ansicht Bayerns blieben die bayerischen Regelungen im Verhältnis zu Art. IV § 143 III Reichsverfassung vorrangig, so lange in Bayern keine reichsrechtlichen Vorschriften eingeführt waren. Im übrigen wurde nach Ansicht der Verfasserin nun ein „noch nie dagewesener Zustand der Liberalität im Pressewesen“ erreicht. Nach der formalen Abschaffung der Zensur konnte das Pressewesen vor allem mit den Mitteln des Strafrechts reglementiert werden. Das Gesetz zum Schutz gegen den Missbrauch der Presse vom 17. März 1850 zeigt mit seinem Strafenkatalog, dass die Presse auch weiterhin als Gefahr für die staatliche, gesellschaftliche und religiöse Ordnung betrachtet wurde. Die Verfasserin betont, dieses Gesetz sei nicht verfassungsändernd oder verfassungsergänzend gewesen, sondern hätte lediglich das Edikt über die Freiheit der Presse und des Buchhandels konkretisiert. Mit Recht weist sie darauf hin, dass das Gewerberecht Handhaben zur Repression von Buchdruckern und Buchhändlern bot. Eine neue Rechtsgrundlage für Bayern wurde erst durch das Reichspressegesetz von 1874 geschaffen, dessen Problematik erläutert wird. Eine kurze zusammenfassende Betrachtung beschließt die Arbeit.

 

Der Ertrag der Arbeit ist in erster Linie in einer Zusammenstellung der bayerischen Zensurvorschriften des 19. Jahrhunderts, in der Darstellung ihrer Entstehung und in der Bewertung der Auswirkungen derselben in der Praxis zu sehen. Dabei kann die Verfasserin sich auch auf ungedruckte Quellen stützen. Da es eine ganze Reihe von neueren - ebenfalls auf ungedrucktem Quellenmaterial basierenden - Untersuchungen betreffend andere deutsche Mittelstaaten des 19. Jahrhunderts gibt (jedenfalls für Sachsen, Baden und Kurhessen, siehe oben), lag es nahe, eine vergleichende Betrachtung anzustellen. Ein solcher Vergleich hätte der Verfasserin die komplizierten Verhältnisse im Deutschen Bund deutlicher gemacht; sie hätte auch den Druck, den die beiden Großmächte des Bundes, Österreich und Preußen, auf die anderen Mitgliedstaaten ausübten, wohl eher erkannt. Vor allem hätte sie die Bedeutung der sog. Karlsbader Beschlüsse für die Zeit nach 1820 eher nachvollziehen können. Die Bedeutung der Pressefreiheit, - ihre Verankerung in den Verfassungen, ihre Einschränkungen durch gesetzliche Vorschriften und die Handhabung in der Praxis – für die Entwicklung der Grundrechte und eines Grundrechtsverständnisses in Deutschland, wie es schließlich im Grundrechtsteil der Paulskirchenverfassung seinen Niederschlag gefunden hat, ist vernachlässigt und nicht gewürdigt worden. Was bleibt, ist eine auf Bayern beschränkte, funktional ausgerichtete Abhandlung über die Entwicklung und Veränderung von Zensurvorschriften und über die Auswirkungen dieser Veränderungen in der Zensurpraxis.

 

Hagen                                                                                    Ulrich Eisenhardt

[1] M. Arnold, Pressefreiheit und Zensur im Baden des Vormärz. Im Spannungsfeld zwischen Bundestreue und Liberalismus, 2003.

[2] R. Mann, Die Garantie der Pressefreiheit unter der Kurhessischen Verfassung von 1831, 1993.

[3] D. Westerkamp, Pressefreiheit und Zensur im Sachsen des Vormärz, 1999.

[4] Staatliche Bücherzensur und –aufsicht in Bayern von der Reformation bis zum Ausgang des 17. Jahrhunderts, 1977.