Thomas, Frank, Die persönliche Haftung

von Gesellschaftern von Personengesellschaften in der historischen Entwicklung der Neuzeit (= Schriften zur Rechtsgeschichte 102). Duncker & Humblot, Berlin 2003. 203 S. Besprochen von Tilman Repgen.

Thomas, Frank, Die persönliche Haftung von Gesellschaftern von Personengesellschaftern in der historischen Entwicklung der Neuzeit (= Schriften zur Rechtsgeschichte 102). Duncker & Humblot, Berlin 2003. 203 S.

 

Die Hagener Dissertation von Frank Thomas beginnt mit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 29. Januar 2001 (II ZR 331/00), in der die Rechtsfähigkeit der Außengesellschaft bürgerlichen Rechts höchstrichterlich anerkannt wurde. Die Haftungsverhältnisse nach außen sollten daher denjenigen der offenen Handelsgesellschaft entsprechen. Thomas fragt, wie sich im Spätmittelalter und der frühen Neuzeit die Haftung der Gesellschafter entwickelt hat. Dabei setzt er axiomatisch die strikte Trennung von Gesellschaftsvermögen und Privatvermögen der Gesellschafter sowie von Gesellschaftsverbindlichkeiten und persönlichen Verbindlichkeiten der Gesellschafter voraus. Gegenstand der Untersuchung sind nur die rechtsgeschäftlichen Haftungstatbestände der Außengesellschaft.

 

Es ist im Rahmen dogmengeschichtlicher Untersuchungen beinahe zwingend notwendig, einleitend das Regelungsproblem zu skizzieren. Hierfür an der geltenden Rechtslage anzuknüpfen ist durchaus legitim, weil man so wenigstens für die juristisch vorgebildeten Leser ziemlich präzise Anschaulichkeit gewinnt. Notwendig bleibt dann aber die Vermeidung begrifflicher Anachronismen, der Thomas leider nicht völlig entgeht. Cordes (Spätmittelalterlicher Gesellschaftshandel im Hanseraum, 1998) hat zum Beispiel eingehend und überzeugend begründet, dass man den Begriff der „Handelsgesellschaften“ für den spätmittelalterlichen Hanseraum eigentlich nicht gebrauchen kann und besser von „Gesellschaftshandel“ sprechen sollte. Thomas knüpft hier vielleicht doch allzu sehr an die ältere Literatur an. Ebenfalls besteht die Gefahr, vom geltenden Recht auf frühere Regelungen zu schließen aufgrund einer scheinbaren Logik oder Natur der Sache, z. B. S. 29: „Da eine Bindungswirkung aus rechtsgeschäftlichem Handeln grundsätzlich nur zwischen den unmittelbar Kontrahierenden entsteht, bedarf es einer besonderen Rechtsmacht im Sinne von Vertretungsmacht, damit eine solche auch für nicht am unmittelbaren Abschluß Beteiligte eintritt.“ Ob aber die Bindungswirkung tatsächlich nur inter partes und im Falle der Stellvertretung im Mittelalter entstand, ist gerade auch anhand der Gesellschafterhaftung doch erst noch darzulegen.

 

Zunächst untersucht Thomas die Gesellschafterhaftung in den großen süddeutschen Fernhandelsgesellschaften auf der Grundlage der von Elmar Lutz 1976 publizierten Vertragsurkunden. In den Verträgen haben die Gesellschafter meistens die volle gegenseitige Vertretungsmacht eingeräumt. Da nicht erkennbar ist, dass die Gesellschaften eigenständige Rechtssubjekte waren, bezog sich die Vertretungsmacht auf die Mitglieder der Gesellschaft persönlich, was in manchen Verträgen auch ausdrücklich festgelegt wurde. Sie hafteten demzufolge für die im Interesse der Gesellschaft von einem Gesellschafter übernommenen Verbindlichkeiten. Das galt selbst dann, wenn nur ein einzelner Gesellschafter handlungsbefugt war (z. B. im Fuggervertrag 1538). Anschließend stellt Thomas die aus heutiger Perspektive sich aufdrängende Frage, ob die Haftung nur im Innenverhältnis oder auch nach außen bestand. Zwar, so seine Analyse, sei nach den Vertragstexten auch die Außenhaftung gewollt gewesen, außer in einigen Stadtrechtsreformationen habe aber eine den §§ 164f. BGB bzw. §§ 125ff. HGB entsprechende (gesetzliche) Rechtsgrundlage gefehlt. Daraus schließt der Verfasser, dass keine Haftungsbegründung gegenüber Dritten möglich gewesen sei (S. 42, 45, einschränkend dann S. 47 – „kein zwingender Rückschluss“, anders schließlich S. 51-53). Gerade an solchen Punkten realisiert sich die Gefahr, auf die z. B. Cordes wie erwähnt hingewiesen hat. Es ist doch sehr die Frage, ob man nicht allein aus dem Willen der Gesellschafter ähnlich wie bei einem Vertrag zugunsten Dritter die Außenhaftung im Sinne eines Anspruchs der Gesellschafter-Gläubiger gegen alle Gesellschafter abgeleitet hat. Eine Vertretung im Sinne der §§ 164ff. BGB war wohl gar nicht gewollt, denn selbstverständlich sollte auch der Handelnde in die Haftung einbezogen sein. Im übrigen hatte das kanonische Recht schon im Mittelalter Stellvertretungsregeln entwickelt, so dass auch die These, es habe keine gesetzliche Grundlage für die Verpflichtung im Wege der Stellvertretung gegeben, verfehlt ist (Liber Sextus 5,12,68 und 72; weitere Einzelheiten z. B. bei HKK-BGB/Mathias Schmoeckel, §§ 164-181 Rn. 3), unabhängig davon, ob es denn einer solchen Grundlage überhaupt bedurfte. Immerhin ringt sich Thomas schließlich unter dem Eindruck des Wortlauts der zitierten Verträge dazu durch, die Haftung der Gesellschafter auch im Außenverhältnis anzuerkennen, auch wenn es sich nicht „zwingend“ beweisen lasse. Das wiederum ist nicht weiter dramatisch, sondern eher typisch für geschichtswissenschaftliche Erkenntnisse, die meistens Wahrscheinlichkeitsurteile sind. Für eine Haftung derjenigen Gesellschafter, die nur eine Einlage geleistet haben, sieht Thomas in den Verträgen der Fernhandelsgesellschaften keine ausreichende Grundlage (S. 54). Aber ein Privileg Friedrichs III. von 1464 an die Stadt Nürnberg ordne doch die beschränkte Haftung der Einlagegesellschafter an. Offen bleibt dabei, für wen letztlich dieses Privileg verbindlich war. Überhaupt klärt der Verfasser nicht, welche Rechtsnormen auf die untersuchten Gesellschaftsverträge Anwendung fanden. Der Verfasser fährt fort, obgleich ein Nachweis nicht möglich sei, sei doch „davon auszugehen“, dass auch die Einlagegesellschafter für die von den Hauptgesellschaftern übernommenen Verbindlichkeiten haften mussten. (Zusammen mit verschachtelten passivischen Konstruktionen ist die Behauptung, von irgendetwas sei auszugehen, eine mehr als drei Dutzend mal verwendete Lieblingsformulierung des Verfassers, die freilich fragwürdig ist, solange man nicht wirklich mit tatsächlichen Vermutungen operieren kann. Insbesondere aber der exzessive Gebrauch des Passivs verleidet die Lektüre der Arbeit.)

 

Nachdem der Verfasser die Haftung sämtlicher Gesellschafter in den Fernhandelsgesellschaften festgestellt hat, wendet er sich Umfang, Inhalt und Objekt der Haftung zu. Die Gesellschaftsverträge enthielten keine Anhaltspunkte für ein eigenständiges Gesellschaftsvermögen, aus dem sich die Gläubiger hätten befriedigen können. Vielmehr hafteten aufgrund des Gesellschaftsvertrags nach der vertretbaren Auffassung des Verfassers die einzelnen Gesellschafter ohne Beschränkung mit ihrem Vermögen und ihrer Person, wobei es dem Verhandlungsgeschick der Betroffenen überlassen blieb, sich durch Zahlung zu befreien. Ob die Einlagegesellschafter nur mit ihrer Einlage hafteten oder darüber hinaus, lässt Thomas offen, weil die Quellen keine eindeutigen Anhaltspunkte liefern.

 

Nach den Fernhandelsgesellschaften befasst sich der Verfasser mit dem Hanseraum (S. 79ff.). Natürlich kommt man dabei nicht um die intensive Auseinandersetzung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts mit der Sache herum. Thomas übernimmt das seit langem geläufige Schema der Einteilung der Gesellschaftsformen, wie sie die ältere Literatur herausgearbeitet hat (S. 81-84). Zwar schien es, als sei seit Ebels Lübischem Kaufmannsrecht 1950 die Forschung auf diesem Gebiet stehen geblieben, aber die bereits erwähnte Habilitationsschrift von Cordes hat 1998 ganz neue Akzente gesetzt, da die spätmittelalterlichen Quellen nur die wedderlegginge als Gesellschaft verstehen, bei der alle Gesellschafter am Kapital beteiligt sind. Sie war nach den Beobachtungen von Cordes eine reine Innengesellschaft. Die Haftungsverhältnisse im Inneren spiegelten sich daher nur in den Verlustzuweisungen. Die Arbeit von Cordes hätte unbedingt in der vorliegenden Dissertation Beachtung finden müssen. Entgegen Keutgen vertritt Thomas mit den älteren Kritikern die vorsichtige These, aus den Quellen lasse sich weder eine rechtsgeschäftliche Verpflichtung aller Gesellschafter noch deren unbeschränkte Haftung ableiten (S. 87). Die Quellen selbst bringt Thomas hier freilich nicht zum Sprechen, sondern er bezieht sich auf die Quellenangaben in der älteren Literatur. Dass deren Basis nicht unbedingt ausreicht, hat Cordes allerdings z. B. für das Lübecker Niederstadtbuch nachgewiesen, das er inzwischen zusammen mit Friedland und Sprandel vollständig ediert hat. Thomas kommt dennoch zu dem richtigen Ergebnis, dass für eine Außenhaftung keine Hinweise zu finden sind (S. 90). Das Bild ändert sich dann in der frühen Neuzeit: der Segeberger Codex kennt die unbeschränkte Mithaftung der Gesellschafter nach außen. Im Unterschied zu Cordes (S. 39) bestreitet Thomas (S. 92), dass Voraussetzung dafür eine Vollmacht war; jedenfalls lasse sich diese Voraussetzung nicht aus dem Codex ableiten. Unerwähnt bleibt, wie es zu erklären sein könnte, dass eine entsprechende Regelung in dem älteren Göttinger Codex fehlt.

 

Bereits in die frühe Neuzeit reichen die Seigergesellschaften, deren Gesellschaftszweck die kostenintensive Verwertung von Erzen war („seigern“ nennt man das Herausschmelzen leichter schmelzender Metalle aus einer Legierung). Zumindest für das Innenverhältnis der Gesellschafter stellt Thomas eine gleichmäßige Lastenverteilung aller Beteiligten fest, die die unbeschränkte, solidarische Haftung umfasste. Gelegentlich, aber nicht durchgängig, kennen die Quellen sogar bereits eine Verpflichtung der Gesellschaft selbst, also eine gesellschaftliche Außenhaftung. Anders als bei den Fernhandelsgesellschaften verstand man das Kapital als eigenständiges Sondervermögen. Die Haftung beschränkte sich nicht auf dieses Gesellschaftsvermögen.

 

Im nächsten Abschnitt fragt Thomas nach der Gesellschafterhaftung im gemeinen Recht und den reformierten Stadtrechten des 15. und 16. Jahrhunderts (S. 115ff.). Die gemeinrechtliche Lage (unbeschränkte, solidarische Haftung der Gesellschafter) erschließt der Autor nicht aus den Quellen selbst, sondern vor allem aus der handelsrechtsgeschichtlichen Literatur des späten 19. Jahrhunderts. Damit kann er jedoch allenfalls die Rechtslage im gelehrten Recht des Spätmittelalters aufklären. Ob dieses Recht auch rezipiert war (so S. 119), ist damit aber noch lange nicht gesagt. Schon die Nürnberger Reformation von 1479 bestimmte nicht nur im Innenverhältnis, sondern auch nach außen eine unbeschränkte, solidarische Haftung der Gesellschafter. Es dürfte wohl richtig sein, wenn Thomas meint, eine eigenständige Haftung der Gesellschaft lasse sich aus dem reformierten Nürnberger Stadtrecht von 1479 nicht ableiten. Seit der Reformation von 1564 hafteten die Einlagegesellschafter nur bis zur Höhe ihrer Einlage. Vorher fehlten darüber Aussagen. In der Frankfurter Reformation von 1571 entsprach die Gesellschafterhaftung den Anordnungen des Nürnberger Stadtrechts von 1564. Bemerkenswert ist hier (§ IX), dass erstmals die modernen Voraussetzungen der Stellvertretung (Handeln im fremden Namen, Vollmacht bzw. wenigstens Kenntnis der Gesellschafter) genannt werden.

 

Den Abschluss des Hauptteils bildet ein Kapitel über die Gesellschafterhaftung in den Naturrechtskodifikationen, angefangen beim Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis 1756 über das Allgemeine Landrecht 1794, das Allegemeine Bürgerliche Gesetzbuch 1811, das Badische Landrecht 1810 bis zum Frankfurter Entwurf eines Handelsgesetzbuchs von 1811 (S. 134ff.). Nur für die im Namen der Gesellschaft übernommenen Verbindlichkeiten haftete nach CMBC IV 8 § 8 jeder Gesellschafter pro rata. Ob der einzelne Gesellschafter auch über den Wert seines Anteils hinaus haftete, ließ der Wortlaut offen. Thomas meint aber, im Hinblick auf die gemeinrechtlich begründete unbeschränkte Haftung mit dem Privatrevermögen sei die Haftung auch hier unbeschränkt gewesen (S. 138). Im Unterschied zu den älteren Rechtsquellen sah Svarez die Gesellschaft als eine selbständiges Rechtssubjekt an (persona moralis) (S. 141f.), konnte sich aber mit dieser Auffassung im ALR nicht durchsetzen, wie Thomas im Anschluss an die Literatur des 19. Jahrhunderts und entgegen der Kölner Dissertation von Servos 1984 wohl mit Recht meint (S. 144). ALR I 17 §§ 230f. nannten zwar als Verpflichtete die „Gesellschaft“, nicht die Gesellschafter. Aber nur die Vorschrift des AGB-Entwurfs II 14 § 156 (nicht „III 14“, wie S. 144 angegeben, und auch nicht im „ersten Teil“, wie S. 145 behauptet) beschränkte die Haftung auf das Vermögen der Gesellschaft. ALR I 17 § 237 hingegen bestimmte, dass man sich bei einer Forderung gegen die Gesellschaft „an jeden der Gesellschafter für seinen Antheil“ zu halten habe. Die Verpflichtung trat nur ein, wenn sie im Namen der Gesellschaft und gedeckt durch eine Vollmacht vereinbart worden war. Nur bei einem stillen Gesellschafter, der weder durch den Firmennamen noch sonst nach außen in Erscheinung trat, beschränkte ALR II 8 § 652 die Haftung auf die eingezahlte Einlage. Auch nach dem Badischen Landrecht entstand die Verpflichtung der Gesellschafter nur, wenn die Vertretungsvoraussetzungen erfüllt waren. Anders als nach dem ALR waren die Handelsgesellschaften in Baden aufgrund von Art. 69 Nr. 6 Code de Procedure Civil selbständige Rechtssubjekte – übrigens eine merkwürdige Parallele zur Entwicklung der BGB-Gesellschaft aufgrund des anfangs erwähnten Urteils. Die Haftung bemisst sich im Badischen Landrecht nach der Art der Gesellschaft: In der allgemeinen Erwerbsgesellschaft haften die Gesellschafter nach der Kopfzahl (unabhängig vom jeweiligen Kapitalanteil; Haftung nach Kapitalanteil dann jedoch im Frankfurter Entwurf von 1811). Bei der offenen Handelsgesellschaft akzeptierte die Rechtsprechung – ohne besondere gesetzliche Grundlage – die primäre Haftung der Gesellschaft. Die Gesellschafter selbst seien, so die Begründung, mit Bürgen vergleichbar. Beschränkt auf die Einlage hafteten subsidiär die Kommanditisten einer Kommanditgesellschaft („vertraute Gesellschaft“), die das Badische Landrecht als erste deutsche Kodifikation enthielt. Das ABGB schließlich verselbständigte sogar die zivilrechtliche Gesellschaft, die primär vor den einzelnen Gesellschaftern haftete.

 

Thomas hat ein interessantes Thema über einen weiten Zeitraum durch die Geschichte verfolgt. Leider bricht die Untersuchung kurz vor dem Übergang zum geltenden Recht ab. Stellenweise hat Thomas, der eine anerkennenswert große Fülle von Material verarbeitet hat, die neuere Literatur übersehen, etwa in Kapitel B die Dissertation von Wächter zur Gesamthandsgemeinschaft im BGB oder in Kapitel C den Beitrag von Ogris über Schuld und Haftung im HRG und die Habilitationsschrift von Cordes. Es wäre darüber hinaus reizvoll gewesen, wenn die wirtschaftsgeschichtlichen Hintergründe der Entwicklung des gesellschaftsrechtlich organisierten Handels mit einbezogen worden wären.

 

Hamburg                                                                                                        Tilman Repgen