Ulmschneider, Christoph, Eigentum
Ulmschneider, Christoph, Eigentum und Naturrecht im Deutschland des beginnenden 19. Jahrhunderts (= Schriften zur Rechtsgeschichte 100). Duncker & Humblot, Berlin 2003. 207 S.
In einer Einleitung, S. 15-18, stellt der Verfasser zunächst das „alte“ dem „neuen Naturrecht“ gegenüber, wobei das aufklärerische neue Naturrecht seit etwa 1780 die Gesetzesbindung der Fürsten betonte sowie die Menschenrechte der „Untertanen“. Danach wird der geplante Gang der Untersuchung kurz dargestellt.
Im ersten Teil schildert der Verfasser die Eigentumsbegründung, und zwar im 1. Kapitel (S. 19 – 25) im älteren Naturrecht, danach im 2. Kapitel im „neueren“ Naturrecht, wobei er durchgängig das „ältere“ und „jüngere“ in Anführungsstriche setzt, es so gewissermaßen als angeblich älteres bezeichnend, so als glaube er selbst nicht so recht an diese Unterscheidung. Er erörtert zunächst die Vorstellung vom Eigentum als einer Gabe Gottes an den Menschen, die dann in die Behauptung übergeht, der Mensch habe die Pflicht, sich zu vervollkommnen, woraus das Recht auf Eigentum gefolgert wird, eine – wie mir scheint – etwas naive und logisch wenig zwingende Begründung. Der Verfasser stellt weiter klar, daß man sich dieses Nutzungsrecht in der Phase der communio primaeva nicht als Privateigentum vorstellte, daß man vielmehr davon ausging, die Nutzung der Sache habe jedem frei gestanden und niemand habe einen anderen ausschließen können. Darauf sei dann die communio primaeva aufgehoben und das Privateigentum eingeführt worden, weil die Bedürfnisse diffiziler geworden seien und weil die Menschen erwarteten, daß die durch ihren Fleiß und ihr Geschick produzierten Dinge nicht allen in gleicher Weise zugute kämen, sondern in erster Linie dem Schaffenden selbst. Die neue Rechtslage wurde angeblich durch einen Vertrag herbeigeführt, durch welchen dem Produzierenden das Eigentum zugewiesen wurde und allen anderen die Pflicht auferlegt, das fremde Eigentum zu achten. Im Sinne der Titulus-Modus-Lehre war dieser Vertrag der Titulus, die Okkupation sah man als Modus.
Im zweiten Teil wird die Eigentumsbegründung im „neueren“ Naturrecht geschildert, S. 25-77. Zunächst wird die Lehre vom Eigentumsvertrag verworfen, weil sie angeblich auf einem Widerspruch beruhe, was sich mir freilich nicht erschließt. Denn warum muß man das Eigentum bereits haben, wenn man über seine künftige Aufteilung beschließen will? Dann geht das neuere Naturrecht davon aus, daß auch schon im Naturzustand ein Eigentum möglich war, also auch unabhängig vom Staat; was freilich umstritten war. Grundlage aller Rechte ist die Persönlichkeit des Menschen, sein Persönlichkeitsrecht; auch das Eigentum ist nur ein Ausdruck dieses Rechts; es ist ein angeborenes Menschenrecht. Sachen sind zu nichts anderem da, als von Menschen benutzt zu werden, und mit der Aneignung verbindet der Mensch die Sache mit seiner Persönlichkeit. Das Eigentum wird begründet nach der vorherrschenden Okkupationstheorie durch die Aneignung, nach der Arbeitstheorie durch Arbeit, Ansichten, die bisweilen auch kombiniert wurden. Anschließend widerlegt der Verfasser die Ansicht, es habe sich allmählich die Vorstellung durchgesetzt, die Möglichkeit des Eigentumserwerbs sei nicht begründungsbedürftig, die Besitzergreifung begründe das Eigentum, so daß Titulus und Modus zusammengefallen seien. Abschließend in diesem Teil erörtert der Verfasser die Lehren Kants, Fichtes und Schellings. Kants Urrecht der Freiheit setzt die Möglichkeit des Privateigentums voraus, sie wird von der praktischen Vernunft auf der Grundlage eines „intellegiblen Besitzes“ a priori gefordert. Er schildert dann die Rezeption der Eigentumslehre Kants, die auf die Dogmatik des Rechts keinen Einfluß gehabt zu haben scheint. Nach Fichte ist der Grund des Eigentums die Unterordnung der Dinge unter die Zwecke des Menschen. Es gibt aber kein absolutes Eigentum, das Eigentum darf nicht zur Unterdrückung anderer benutzt werden, es soll der Verteilung der Freiheit dienen; wieweit die Freiheit geht, soweit geht auch das Eigentum. Objekt des Eigentums ist daher nicht eine Sache, sondern die Handlung, welche die Freiheit nur im Rahmen des jeweiligen Bedürfnisses gestattet. Der Verfasser stellt fest, daß Fichtes Eigentumslehre nur wenig Aufmerksamkeit gefunden hat; das gilt auch für die Eigentumslehre Schellings.
Nach dem geschilderten ersten Teil „Eigentumsbegründung“ erörtert der Verfasser im zweiten Teil (S. 78-130) „weitere Folgerungen“, und zwar zunächst die auf dem Naturrecht basierenden Eigentumsdefinitionen. Betont wird in diesen Definitionen einmal das freie Verfügungsrecht über die Sache (ius disponendi) und weiter der Ausschluß Dritter, wobei das Ausschlußrecht ein Reflex des ius disponendi ist, denn wenn ein Dritter über die Sache verfügt, sie etwa nutzt, verletzt er das Recht des Eigentümers. Neu daran ist gegenüber dem gemeinen Recht allenfalls die bei einigen Autoren anzutreffende Betonung des Ausschlußrechts, während das ius commune das ius disponendi in den Vordergrund stellt. Ob das Verfügungsrecht auch das ius abutendi umfaßt, war im Naturrecht wie im gemeinen Recht umstritten. Insgesamt unterscheiden sich die Eigentumsdefinitionen des Naturrechts nicht wesentlich von denen des gemeinen Rechts, wie der Verfasser feststellt.
Anschließend untersucht der Verfasser „Erweiterungen des Eigentumsbegriffs“, zunächst das „geistige Eigentum“ anhand des Problems des Nachdrucks von Büchern. Dem Interesse des Autors stand das „Recht auf Bildung“ entgegen, das vom aufklärerischen Staat gefördert wurde. Ob „geistiges Eigentum“ schutzwürdig sei, war umstritten. Soweit man die Schutzwürdigkeit bejaht, begründete man sie mit einem weiten Eigentumsbegriffe, der eben auch das „geistige Eigentum“ umfaßte, das sich vom Sacheigentum am Buch unterschied. Aber gerade dieser Begriff wurde von den Vertretern des Pandektenrechts bekämpft und konnte sich daher nicht durchsetzen. Ob ein Mensch der Sklave eines anderen sein könne, war im Naturrecht umstritten, doch sprach sich die Mehrheit der Autoren dagegen aus; auch die Möglichkeit, sich freiwillig in die Sklaverei zu begeben, wurde verneint. Bei der Leibeigenschaft dagegen war man großzügiger, wenn auch einige Autoren sie wie die Sklaverei ablehnten.
Der Verfasser erörtert nun das „Eigentum von Gemeinschaften“ und „überindividueller Einheiten“. Die naturrechtlichen Autoren standen ihm ablehnend gegenüber, da diese Gemeinschaften nicht über die Autonomie verfügten, die den einzelnen Menschen zukam. Damit war für die Fürsten insbesondere die Möglichkeit eröffnet, sich kirchlichen Besitz anzueignen, wie es im Rahmen der Säkularisierung in großem Umfang geschah. Die Ansicht von der Schutzlosigkeit der Gemeinschaften war freilich nicht unbestritten, einige Autoren wollten ihnen als „moralischen Personen“ die gleichen Rechte zugestehen wie den natürlichen Personen. Der Verfasser kommt nun zur Lehre vom „geteilten Eigentum“, die sich im Mittelalter entwickelt hatte: Der Lehnsherr etwa hatte das dominium directum, der Lehnmann das dominium utile. Umstritten war insbesondere, ob der Oberherr frei über sein dominium directum verfügen konnte, was man zunächst annahm, oder ob der Inhaber des dominium utile ein Mitspracherecht hatte, wie man später annahm. Die Lehre vom geteilten Eigentum wurde zunächst auch im Naturrecht übernommen, doch geriet sie bald in die Kritik und wurde schließlich überwiegend abgelehnt, wobei dem am römischen Recht ausgerichteten Pandektenrecht des 19. Jahrhunderts wesentliche Bedeutung zukam.
Unter der Überschrift „Privateigentum und Staatsgewalt“ erörtert der Verfasser den Schutz des Eigentums gegen staatliche Eingriffe. Er stellt die Entwicklung der Lehre von den angeborenen Rechten und den iura quaesita dar, welche der Staat zu respektieren hat, und kommt zum ius eminens, zum „Obereigentum“ des Staates, welches eine Enteignung möglich machen sollte, freilich nur gegen Entschädigung, so daß das Vermögen in seinem Wert erhalten blieb. Als letzte Themen erörtert der Verfasser in Teil 2 „Eigentum und politische Freiheit“ sowie „Eigentum und Erbrecht“. Er erörtert zunächst anhand weniger Beispiele die Abhängigkeit politischer Rechte vom Vermögen, was zu einem weitgehenden Ausschluß des Bürgertums führte und von den Naturrechtlern kritiklos akzeptiert wurde. Er kommt dann zur Frage des Erbrechts und der Testierfreiheit. Die Naturrechtler gingen davon aus, daß mit dem Tod eines Menschen auch seine Rechte untergingen und daß die Testiermöglichkeit der menschlichen Freiheit widerspreche; sie verneinten daher in ihrer Mehrheit auch ein Verwandtenerbrecht.
Im dritten Teil, Naturrecht und Gesetzgebung, S. 130-175, erörtert der Verfasser in einer Einleitung das Fortleben des Naturrechts nach 1800, wobei er vorsichtig auf die Schwierigkeiten hinweist, die diese Frage aufwirft. Warum sollte auch gerade das Jahr 1800 eine entscheidende Grenze darstellen und nicht 1820 oder 1830? Und kann man von einem Fortwirken sprechen, wenn jemand 1850 die gleichen Gedanken denkt wie ein anderer schon 1750? Der Verfasser bejaht – wie nicht anders zu erwarten war - das Fortwirken naturrechtlicher Ideen in der Gesetzgebung, etwa beim Allgemeinen Landrecht und Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch und in den frühen Landesverfassungen, und verschiebt die Grenze hinter das Jahr 1820. Wenn der Verfasser freilich meint, das Naturrecht habe gegenüber dem römischen Recht und den Partikularrechten den Vorteil „einer gewissen Stringenz und Ordnung“ gehabt, so sei daran erinnert, daß es das „Naturrecht“ zwar als Begriff, aber nicht als einheitliches Regelwerk in der Praxis gibt. Hier gibt es nur die von jedem Autor nach seinem Gutdünken erfundenen einzelnen Naturrechtssysteme, die in Inhalt und Anordnung keineswegs übereinstimmen. Und diese „Naturrechte“ haben nie die Anforderungen einer praktischen Anwendung bestehen müssen, welche die Probleme erst hervortreten läßt.
Anschließend wendet sich der Verfasser dem „einfachen Recht“ zu, und zwar dem ALR, dem ABGB und dem preußischen Grundstücksrecht. Zum ALR untersucht der Verfasser zunächst die Regelung des Eigentumsrechts und dann „Svarez’ Auffassungen von Naturrecht“. Zum ersten Punkt stellt der Verfasser fest, daß Rittergüter grundsätzlich nicht im Eigentum Bürgerlicher stehen sollten, und Bauern sollten kein bürgerliches Gewerbe betreiben. Die Lehre vom geteilten Eigentum bestand weiter, der Untereigentümer bedurfte zu Verfügungen über sein Recht der Zustimmung des Obereigentümers. Anschließend erörtert der Verfasser die naturrechtliche Prinzipien, von welchen Svarez bei der Schaffung des ALR ausging, etwa die Lehre von den unveräußerlichen menschlichen Rechten. Die Gliederung der Arbeit und die in den Überschriften aufgeführten Gliederungspunkte sind nicht selten für den Leser überraschend. Der Verfasser kommt nun zum ABGB und erörtert die naturrechtlichen Vorstellungen von Zeilers, auf denen die Kodifikation beruht: Das Eigentum gibt dem Berechtigten umfassende Befugnisse ohne irgendwelche moralischen Schranken, es erfaßt nicht nur körperliche Sachen, sondern auch unkörperliche. Das geteilte Eigentum ist anerkannt, doch spricht eine Vermutung für ein ungeteiltes Eigentum. Der Verfasser wendet sich nun der „Reform des Grundeigentums in Preußen“ zu und stellt kurz die Gesetze von 1811 dar, durch welche die feudalen Rechte der Grundherren über ihre Untertanen beseitigt wurden. Unter der Überschrift „geistige Einflüsse“ versucht der Verfasser die Gründe für die Landreformen zu ermitteln und findet sie im verlorenen Krieg gegen Napoleon sowie in der Persönlichkeit des Freiherrn vom und zum Stein.
Abschließend untersucht der Verfasser im dritten Teil den Einfluß des Naturrechts auf die frühen süddeutschen Verfassungen. Sie enthielten Grundrechtskataloge, die etwa die Person, das Eigentum, die Freizügigkeit und die Meinungsfreiheit vor staatlichen Eingriffen schützten. Der Verfasser meint freilich, diese Regelungen beruhten nicht auf dem Naturrecht („Keine der Verfassungen war vom Bürgertum revolutionär erkämpft worden.“), sondern seien Zugeständnisse an die jeweils eigenen Staatsbürger gewesen. Die Arbeit schließt mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse (S. 176-184), mit einem Quellen- und Literaturverzeichnis (S. 185-200) und einem Sachverzeichnis (S. 201-207).
Die Arbeit beschreibt die politischen und philosophischen Strömungen um 1800, welche zur Entstehung naturrechtlicher Schriften und Gesetze beigetragen haben und ihnen zu Grunde lagen. Dazu sind Quellen und Sekundärliteratur in einem weiten Umfang verarbeitet. Enttäuscht wird dagegen weitgehend der Leser, der etwas über die Anwendung naturrechtlicher Lehren in der Praxis sucht; in Gerichtsurteilen etwa oder in der Literatur zum gemeinen Recht. In der Zeit, welche der Verfasser untersucht, wird in der gemeinrechtlichen und partikularrechtlichen Literatur eine große Anzahl höchst interessanter Probleme zur Eigentumsdogmatik behandelt, zum Schutz von Eigentum und Besitz, zum Erwerb des Eigentums und zur Art seiner Übertragung. Wenn der Verfasser dazu schweigt, darf man daraus schließen, daß das Naturrecht diese Fragen nicht behandelt hat?
Trier Hans Wieling