Wernecke, Frauke, Abwehr und Ausgleich

„aufgedrängter Bereicherungen“ im Bürgerlichen Recht. Eine Untersuchung auf systematischer und rechtsvergleichender Grundlage über den Konflikt zwischen Dispositionsfreiheit und Vorteilsabschöpfung (= Schriften zum bürgerlichen Recht 290). Duncker und Humblot, Berlin 2004. 636 S. Besprochen von Filippo Ranieri.

Wernecke, Frauke, Abwehr und Ausgleich „aufgedrängter Bereicherungen“ im Bürgerlichen Recht. Eine Untersuchung auf systematischer und rechtsvergleichender Grundlage über den Konflikt zwischen Dispositionsfreiheit und Vorteilsabschöpfung (= Schriften zum bürgerlichen Recht 290). Duncker und Humblot, Berlin 2004. 636 S.

 

Bei der vorliegenden Monographie handelt es sich um eine Hamburger zivilrechtliche Habilitationsschrift aus dem Jahre 2002. Es geht um eine klassische Frage des Bereicherungsrechts: verpflichtet ein objektiv messbarer, subjektiv jedoch als nutzlos oder nachteilig empfundener Vermögenszuwachs bzw. der unerbetene Schutz von Rechtsgütern oder Rechten den „Bereicherten“ zum Wert- oder Kostenersatz? Das deutsche zivilrechtliche Schrifttum kennt bereits unzählige Titel hierzu. Die Verfasserin selbst fragt zur Rechtfertigung der eigenen Arbeit (S.15): „Ist das Thema der ‚aufgedrängten Bereicherung’ nicht erschöpft? Trägt nicht eine neue Untersuchung nur dazu bei, das Gewirr der Stimmen auf einem anscheinend begrenzten Gebiet um eine weitere zu vermehren?“ Die Verfasserin ist allerdings anderer Ansicht. Bereits im Vorwort stellt sie fest: „Die bisherigen Darstellungen zu diesem Thema lassen exakte begriffliche Festlegungen vermissen und beschränken sich zumeist auf eine apodiktische Nebeneinanderstellung der verschiedenen Institute“. Der Rezensent hegt trotzdem große Zweifel, ob weitere Hunderte von Seiten begrifflicher Dogmatik zum Bereicherungsrecht zu größerer Rezeptionsfähigkeit des deutschen zivilrechtlichen Schrifttums in den übrigen europäischen Rechtsordnungen beitragen können. Eine Stellungnahme zum zivilrechtlichen Ertrag der Arbeit gehört nicht in diese Zeitschrift. Was den Leser derselben allerdings interessieren kann, ist die Feststellung, dass gerade die hier angezeigte Monographie einen weiteren, besonders bedauerlichen Beleg dafür liefert, wie wenig ein historisches Problembewusstsein und ein Anerkennen der historischen Dimensionen von solchen klassischen Fragestellungen des Zivilrechts das heutige deutsche zivilrechtliche Schrifttum auszeichnen. Die Fragestellung, welche die Verfasserin bewegt, liegt an der Schnittstelle zwischen Geschäftsführung ohne Auftrag, Ansprüchen des verklagten Besitzers gegen den vindikationsberechtigten Eigentümer sowie des Rechts der bereicherungsrechtlichen Kondiktionen. Es handelt sich also um Themen, welche Generationen von Juristen seit der gemeinrechtlichen Zeit beschäftigt haben. Dass eine zivilrechtliche Fragestellung in einem solchen klassischen Gebiet auch historisch bedingt ist und dass die jeweilige Problembeschreibung in einer Rechtsordnung nur historisch verstanden werden kann, scheint die Verfasserin nicht zu interessieren. Historische Hinweise auf das römische gemeine Recht fehlen vollständig. Die mehr als spärlichen historischen Zitate zeugen zudem von einer erschreckenden Unerfahrenheit im Umgang mit den römischen und gemeinrechtlichen Quellen. So wird auf S. 21 Dig. 3.5.26.Pr. erwähnt, eine Stelle des Modestinus, „ein hervorragender Jurist“ – bemerkt die Verfasserin – „aus der späten Zeit des römischen Prinzipats (der Idee, nicht der Praxis nach, vergleichbar der konstitutionellen Monarchie in heutigen Begriffen“) [so S. 21 Fn. 5]. Wiedergegeben wird hier die deutsche Übersetzung der Stelle. Die Stelle selbst wird in der Note (Fn. 8, S. 21) mit einem Hinweis auf die deutsche Übersetzung von Behrens/Knütel/Kupisch/Seiler zitiert, als ob die Mommsensche Ausgabe der Digesten dem heutigen Leser nicht mehr zugemutet werden kann. Die europäischen kontinentalen Rechte werden in einem sehr ausführlichen rechtsvergleichenden Abschnitt mit behandelt. Auch hier ist das Verhältnis der Verfasserin zur europäischen Rechtsgeschichte der kontinentalen Rechtsordnungen mehr als seltsam. So heißt es auf S. 277: „Die ungerechtfertigte Bereicherung tritt im Code civil nicht als ein in sich geschlossenes Rechtsinstitut hervor. Vergleicht man seine Regelungen mit den zahlreichen Spielarten der Rückforderung wegen einer ungerechtfertigten Bereicherung, die das Bürgerliche Gesetzbuch aufzählt, erscheint das französische System dürftig, begnügt sich doch der Code damit, eine einzige Spielart des Bereicherungsanspruchs zu benennen und deren Folgen aufzuführen: die répétition du l’indu.“ „Die Unvollständigkeit des Code“, fährt die Verfasserin fort (S. 278, Fn. 228), „erklärt sich aus dem Stand der schuldrechtlichen Dogmatik in Frankreich zur Zeit seiner Entstehung im Jahre 1804: das damals tonangebende Handbuch des Romanisten Robert Joseph Pothier, … kennt nur die condictio indebiti, also die Rückforderung einer nicht geschuldeten Leistung.“ „Die Bereicherung in sonstiger Weise hat bis in die Gegenwart weder in der französischen Rechtsprechung noch in der Literatur größere Beachtung gefunden.“ (Man siehe allerdings zum Thema zuletzt mit umfassenden Nachweisen A. Bürge, Der Arrêt Boudier von 1892 vor dem Hintergrund der Entwicklung des französischen Bereicherungsrechts im 19.Jahrhundert, in: M. Coester u .a. (Hg.), Privatrecht in Europa. Vielfalt, Kollision, Kooperation. Festschrift für Hans Jürgen Sonnenberger zum 70. Geburtstag, München 2004, S. 3ff., insbesondere S. 14-16 zu unserer Problematik). Man fragt sich, ob die Eigentümlichkeiten und Eigenarten eines 200 Jahre alten zivilrechtlichen Systems, wie desjenigen des französischen Privatrechts, nur aus der Sicht der bereicherungsrechtlichen Dogmatik des BGB begriffen und verstanden bzw. nicht verstanden werden können. Die Besonderheiten der französischen Justizpraxis und der Rechtsprechung der Cour de Cassation scheinen der Verfasserin unzugänglich. Ein solcher völliger Verlust an historischem Bewusstsein in einer zivilrechtlichen Habilitationsschrift müsste den Rechtshistorikern mehr als zu denken geben. Das Gespräch zwischen den  europäischen Privatrechtsordnungen, nicht zuletzt im Hinblick auf die in den letzten Jahren geführten Diskussionen zu einer Angleichung des europäischen Zivilrechts, kann in einer derartigen unhistorischen Perspektive kaum gedeihen.

 

Saarbrücken                                                                                                  Filippo Ranieri