Ackermann, Jürgen, Verschuldung

, Reichsdebitverwaltung, Mediatisierung. Eine Studie zu den Finanzproblemen der mindermächtigen Stände im alten Reich. Das Beispiel der Grafschaft Ysenburg-Büdingen 1687-1806 (= Schriften des hessischen Landesamtes für geschichtliche Landeskunde 40). Hessisches Landesamt für geschichtliche Landeskunde, Marburg 2002. X, 289 S., 14 Abb., 1 Faltpl. Besprochen von Michael Stolleis. ZRG GA 121 (2004)

Ackermann, Jürgen, Verschuldung, Reichsdebitverwaltung, Mediatisierung. Eine Studie zu den Finanzproblemen der mindermächtigen Stände im alten Reich. Das Beispiel der Grafschaft Ysenburg-Büdingen 1687-1806 (= Schriften des hessischen Landesamtes für geschichtliche Landeskunde 40). Hessisches Landesamt für geschichtliche Landeskunde, Marburg 2002. X, 289 S., 14 Abb., 1 Faltpl.

 

In Zeiten, in denen der Bundesrepublik „blaue Briefe“ aus Brüssel wegen zu hoher Verschuldung zugehen und in denen ganze Länder und zahlreiche Städte Ausgabensperren verhängt haben, um drohendem Bankrott zu entgehen, sind historische Untersuchungen zum ökonomischen Niedergang kleinerer Reichsstände des Ancien Régime von besonderem Interesse. Die vorliegende Arbeit, eine historische Dissertation bei Klaus Malettke, ist vor allem auf der Grundlage von Archivmaterial der Grafschaft Ysenburg-Büdingen und ihrer Nebenlinien entstanden. Sie schildert detailreich, aber mit Blick für das Grundsätzliche, wie die geradezu hoffnungslose Verschuldung der Ysenburger entstand und am Ende wieder abgebaut wurde. Weil eine Primogenitur erst zustandekam, als es schon zu spät war, teilte sich das Land mehrfach, seit 1725 in drei Linien. Diese ergriffen nicht die Chancen von Fusionen, sondern entwickelten ihre Kleinstaaten weitgehend separat. Schon dies mußte angesichts der allgemeinen Steigerungen von barockem Staats- und Repräsentationsaufwand in den Ruin führen. Wichtiger waren noch die enormen Belastungen durch die Kriegsausgaben des 17. und 18. Jahrhunderts. Mindestens drei lange Kriegswellen bedrückten die Grafschaften und pressten ihnen Menschen und Geld aus. Schließlich gab es interne und externe Rechtsstreitigkeiten vor dem Reichskammergericht und dem Reichshofrat, die sich jahrzehntelang hinzogen und Unsummen kosteten. Wie den Ysenburgern ging es zahlreichen kleineren Herrschaften und Reichsstädten (darunter Nürnberg), deren zerrüttete Finanzen am Ende durch „Reichsdebitkommissionen“ verwaltet wurden. Das Grundlagenwerk hierfür ist immer noch Johann Jakob Mosers zweibändiges Werk „Von dem Reichs-Ständischen Schuldenwesen“ (1774/75).

 

Die Untersuchung von Ackermann bietet nicht nur höchst interessantes Material zur inneren Verwaltung kleiner Territorien, sondern auch zum Reichskriegswesen, zur adeligen und bürgerlichen Sozialgeschichte sowie zum Prozeß der Professionalisierung der Juristen, die hier tätig waren, etwa die Uffenbachs aus Frankfurt. Sie zeigt vor allem verfassungsgeschichtlich, wie das Reich in seiner Spätphase durch Kommissare regierte und den Ehren-Status von Häusern sicherte, die ökonomisch längst hätten liquidieren müssen. Die örtlich agierenden Reichsdebitverwaltungen wurden vom Reichshofrat eingesetzt. Ihr Vorsitzender war faktisch Finanz- und Premierminister, von dem alles abhing. Er verhandelte mit den meist bürgerlichen Kreditgebern, senkte die Ausgaben, kümmerte sich aktiv um die Einnahmenseite, schuldete um, berichtete nach Wien und holte von dort Genehmigungen zu weiteren Maßnahmen ein. In vielen Fällen kam es zu wirklicher Entschuldung, so in Ysenburg-Büdingen, in anderen wenigstens zu deutlichen Entlastungen. Das war nicht nur im Sinne der zahlungsunfähigen Territorien, sondern stützte wiederum die adelsfreundliche und auf Balance angewiesene Wiener Politik. Die große von außen angestoßene Flurbereinigung durch den Reichsdeputationshauptschluß von 1803 wurde auf diese Weise „aufgeschoben“ (V. Press).

 

Gewiß kann man sagen, diese schonende Politik habe revolutionäre Ausbrüche verhütet, sie sei Ausdruck der Politik friedlichen Ausgleichs im Reich gewesen und habe dazu beigetragen, daß die kleinen Herrschaften 1815 zwar mediatisiert wurden, aber doch halbwegs lebensfähig das 19. Jahrhundert überstehen konnten. Man kann auch aus Juristenperspektive befriedigt feststellen, wie rasch und effektiv Reichkammergericht und Reichshofrat im 18. Jahrhundert agierten. Doch zeigt die akribische Durchleuchtung der Details, wie sie Ackermann vornimmt, auch die Schattenseiten der Verrechtlichung im Reich: Der Rechtsschutz blockierte auch überfällige politische Veränderungen. Ineffiziente Duodezverwaltungen arbeiteten mit großen Reibungsverlusten. Hundertjährige Prozesse rivalisierender Linien fraßen die Einnahmen der Länder auf. Wo nur Schulden verwaltet wurden, konnte kaum investiert werden; die kleinen Gebilde siechten ökonomisch dahin. Ihre Herrschaften waren an der Sicherung des status quo interessiert, weil sie aktive Politik nicht betreiben konnten. Alles Geld, was die Reichsdebitkommissionen aufzutreiben hatten und von dem sie selbst besoldet wurden, ist im wesentlichen von den Bauern und Handwerkern jener Ländchen aufgebracht worden.

 

Frankfurt am Main                                                                                         Michael Stolleis