Frömmigkeit im Mittelalter

*. Politisch-soziale Kontexte, visuelle Praxis, körperliche Ausdrucksformen, hg. v. Schreiner, Klaus in Zusammenarbeit mit Müntz, Marc. Fink, München 2002. 566 S., Ill., graph. Darst. Besprochen von Louis Carlen. ZRG GA 121 (2004)

Frömmigkeit im Mittelalter. Politisch-soziale Kontexte, visuelle Praxis, körperliche Ausdrucksformen, hg. v. Schreiner, Klaus in Zusammenarbeit mit Müntz, Marc. Fink, München 2002. 566 S., Ill., graph. Darst.

 

Das Buch vereinigt die Vorträge, die an einer Tagung zum Thema im November 1996 im Zentrum für Interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld gehalten wurden. In der Geschichte der Frömmigkeit sehen sie die Religion als politisch-soziale Praxis, das bildhafte Sichtbarmachen göttlichen Heilhandelns und den Körper als Ort religiöser Erfahrung. Der Herausgeber Klaus Schreiner skizziert in seiner Einleitung Forschungskontexte und konzeptuelle Vorgaben sowie soziale, politische, visuelle und körperliche Dimensionen.

 

Die 18 Beiträge befassen sich daher mit Religion als Kommunikation, Frömmigkeit in politisch-sozialen Kontexten, Bildern und frommen und unfrommen Körpersprachen. Hingewiesen sei hier auf die fünf Beiträge, die von rechtshistorischem Interesse sind.

 

Kerstin Beier schreibt über „Maria Patrona. Rituelle Praktiken als Mittel stadtbürgerlicher Krisen- und Konfliktbewältigung, Siena 1447-1456“. Im Zusammenhang spätmittelalterlicher Stadtherrschaft in Siena werden Prozessionen und öffentlicher Bilderkult als rituelle Praktiken untersucht und als politische Praxis gedeutet. Die Stadtpatronin Maria wurde Symbol der Einheit, Freiheit und Unabhängigkeit der Stadt und in eigenem Ritual bewältigte man Krisen. Aus den Protokollen des Rates wird das herausgearbeitet und gezeigt, wie dieser stets das Schutz- und Herrschaftsverhältnis, das die Stadt mit ihrer Patronin verband, öffentlich bekräftigte, was sich auch in der kultischen Verehrung der Madonnentafeln im Dom äußerte. Die Ausführungen in meinen Buch „Maria im Recht“ (Freiburg 1997) werden damit in willkommener Weise ergänzt.

 

In ähnliche Richtung geht Klaus Graf mit seinem Beitrag „Maria als Stadtpatronin in deutschen Städten des Mittelalters und der frühen Neuzeit“. Die Marienweihen von Bonn (1702/16) und Luxemburg (1666) bieten zwei frühneuzeitliche Fallstudien. In katholischen Städten der frühen Neuzeit wurden verschiedene Stadtpatrone erwählt, wobei ein päpstliches Dekret von 1630 sich auch in Deutschland auswirkte. Während hier Maria, wenn auch in verschiedenen Formen ebenfalls vergegenwärtigt, weniger erscheint, war das im Mittelalter anders, als verschiedene Städte ihre Schutzherrschaft anerkannten und in der kommunalen Votivpraxis dokumentierten. Graf verzeichnet in einer Liste die Stadtpatrone von 62 deutschen Städten.

 

Der Aufschwung der Stiftungspraxis im 15. Jahrhundert in Nürnberg, die Breite und Vielfalt der Stiftungstätigkeit und deren Zusammenhang mit der Frömmigkeit verfolgt Marial Staub mit dem Beitrag „Stifter als ,Unternehmer’. Frömmigkeit und Innovation im späteren Mittelalter am Beispiel Nürnbergs“.

 

Hubertus Lutterbach behandelt „Die Fastenbuße im Mittelalter“. Er verfolgt die Geschichte des Fastens bei Griechen und Römern, in der Bibel und in der Alten Kirche, um dann an deren Tradition anknüpfend die vielfältigen Weisen des Fastens in den Bußbüchern und ihre Anwendung zu erörtern. Über die „Fastenfrage“ hinaus tragen die Ergebnisse dazu bei, das mittelalterliche Bußverständnis zu rekonstruieren, und lassen Rückschlüsse zu auf das mittelalterliche Verständnis von Sünde, die „einen Verstoß gegen die für alle Christen verbindliche Verunreinigung mit sich bringt“ (S. 437) und ohne eine entsprechende Reinigung auch das Gemeinwesen bedroht.

 

In den Bereich des Strafrechts führt auch Gerd Schwerhoff: „Christus zerstückeln. Das Schwören bei den Gliedern Gottes und die spätmittelalterliche Passionsfrömmigkeit“. Behandelt werden die blasphemischen Schwurformeln im deutschen Sprachraum seit dem 14. Jahrhundert und ihre Strafbarkeit mit unterschiedlicher Härte (sogar Todesstrafe). Die Theologen verurteilten seit dem 13. Jahrhundert die Tat und sahen in ihr eine Wiederholung der Kreuzigung Christi, was in Text und Bild erläutert wird. Im Kontext mit der Passionsfrömmigkeit wird die Frage nach Verbindungslinien zwischen Gliederschwur und Gliedergebet gestellt.

 

Brig                                                                                                                           Louis Carlen