Klinger, Andreas, Der Gothaer Fürstenstaat

*. Herrschaft, Konfession und Dynastie unter Herzog Ernst dem Frommen (= Historische Studien 469). Matthiesen, Husum 2002. 399 S. Besprochen von Martin Siebinger. ZRG GA 121 (2004)

Klinger, Andreas, Der Gothaer Fürstenstaat. Herrschaft, Konfession und Dynastie unter Herzog Ernst dem Frommen (= Historische Studien 469). Matthiesen, Husum 2002. 399 S.

 

Als „hervorragendsten Vertreter einer Fürstengeneration“ hat Fritz Hartung Ernst den Frommen (1601-1675) bezeichnet, der „in altväterischer Frömmigkeit und pflichtgetreuer Arbeit (...) nach den Verheerungen des Krieges auf die Wiederherstellung von bürgerlichem Wohlstand und christlicher Zucht wirkte“ (Deutsche Verfassungsgeschichte, 5. Aufl., 1950, S. 138). Entsprechend große Aufmerksamkeit hat die Person des Fürsten bis hin zur hagiographischen Verklärung im Schrifttum erfahren (vgl. S. 16f.). Anders verhält es sich mit dem von Ernst beherrschtem Herzogtum Sachsen-Gotha, das bislang nur unter dem Gesichtspunkt des - angesichts der Einführung einer allgemeinen Schulpflicht, der Herausgabe einer neuen, ernestinischen Lutherbibel und eines bald weit verbreiteten Gesangbuchs, sowie großer Bemühungen um die Erwachsenenkatechese - musterhaften „Kirchen- und Schulenstaats“ erschöpfend untersucht wurde.

 

Die von Georg Schmidt betreute Jenaer Dissertation schließt diese Lücke jedenfalls teilweise. Sie bietet ein durch die umfassende Auswertung einschlägigen Archivmaterials quellenmäßig solide erarbeitetes Bild einer frühneuzeitlichen Territorialstaatsbildung. Seine Darstellung konzentriert Klinger dabei allerdings auf die Anfangsphase der Regierung Ernst des Frommen, d. h. auf die Zeit von der nach Erlöschen der Coburger und der Eisenacher Linie erfolgten ernestinischen Landesteilung von 1640/41, bei der das Herzogtum Sachsen-Gotha neu gebildet wurde, bis etwa zur Testamentsniederschrift durch den Herzog im Jahre 1654. Die Konsolidierungsphase des neuen Staatsgebildes bis zum Tode Ernsts 1675, nach dem das Herzogtum, einem spezifisch protestantischem Denken über die Gleichheit der Nachkommenschaft entsprechend, unter seinen sieben überlebenden Söhnen aufgeteilt wurde, bleibt demgemäß unterbelichtet. Klinger sieht übrigens durchaus die Problematik einer fehlenden Primogeniturregelung und der damit verbundenen fehlenden Absicherung territorialer Integrität für eine an der Idee der Staatsräson orientierte Staatlichkeit, unterscheidet hiervon jedoch die auch in diesem Falle mögliche Ausbildung staatlicher Strukturen und Herrschaftstechniken (S. 14f.). Thematisch liegt der Schwerpunkt der Arbeit dann auch im Aufzeigen eines solchen inneren Staatsbildungsprozesses, dessen Schilderung aber ein eigenes Kapitel über die Außenverhältnisse Sachsen-Gothas vorgeschaltet ist.

 

Zur Etablierung staatlicher Strukturen in einem aus thüringischen und fränkischen Landesteilen bestehenden weitgehend künstlichen territorialen Gebilde, das zudem im Verlaufe des Dreißigjährigen Krieges buchstäblich „ausgeblutet“ war, war der administrativ geschulte Herzog bereits unmittelbar nach Herrschaftsantritt gezwungen. Klinger befaßt sich demzufolge zunächst mit dem Aufbau eines funktionierenden Verwaltungsapparats aus Regierungskollegien, die für die Integration eines Territorialstaats „von oben“ sorgen sollten (S. 80), und aus lokaler Verwaltung in Ämtern und Gemeinden, in denen im Zuge der intensivierten administrativen Durchdringung des Landes der staatliche Einfluß bis in die „alltäglich erfahrbare politische Organisationsform der Bauern und Bürger“ hinein institutionalisiert werden sollte (S. 103). Dabei zeigen die zum Zwecke der Festigung des ordnungspolitischen Programms implementierten policeylichen Maßnahmen zur disziplinierenden Verhaltenssteuerung der Untertanen etwa die Wiedereinführung der für Vergehen gegen die göttliche, herrschaftliche, dörfliche und häusliche Ordnung zuständigen Rügegerichte (S. 272ff.) deutlich die Schattenseiten paternalistischen Staatsverständnisses.

 

In seinem Verwaltungsapparat blieb der Fürst zwar seinem Selbstverständnis als fürsorglicher Landesvater gemäß zentraler Bezugspunkt und mischte sich nach dem Zeugnis seines Kanzlers Veit Ludwig von Seckendorff in selbstherrlicher Allzuständigkeit zum Teil massiv und auf die unförderlichste Weise in die unwichtigsten laufenden Verwaltungsangelegenheiten ein (S. 95f.), zeigte jedoch - so Klinger – „noch kaum absolutistische Neigungen“ (S. 93). Den Landständen gegenüber vermied Ernst der Fromme „schroffe Vorstöße“ und verbarg „die unnachgiebige Durchsetzung eigener bzw. öffentlicher Interessen des landesstaatlichen Herrschaftsapparates hinter einem betont moderaten Umgang“ (S. 184). Durch geschicktes Taktieren gelang ihm die schleichende Entmachtung der Stände und deren Fernhaltung vom laufenden Staatsbildungsprozeß, ohne daß es zu größeren Auseinandersetzungen gekommen wäre. Klinger resümiert, daß der Gothaer Fürstenstaat unter diesem Gesichtspunkt „geradezu als Antithese zum Ständestaat“ aufgefaßt werden könne (S. 185). Nach einer zentralen These der Arbeit erscheine Ernst der Fromme insgesamt als ein Herrscher des Übergangs, dessen politisches Denken in den traditionellen Vorstellungen vom Fürsten als landesväterlicher Obrigkeit wurzelte (S. 337), während der Staatsgedanke „gegenüber patriarchalisch- dynastischen Werthaltungen (...) noch längst keine permanent handlungsleitende politische Kategorie“ für den Herzog gewesen sei (S. 339).

 

Ausführlich behandelt die vorliegende Arbeit in eigenen Kapiteln die finanziellen und wirtschaftlichen Grundlagen des Fürstenstaats, die Kirchen- und Schulpolitik und die Sozialpolitik, die in Gotha eine bedeutende Rolle spielte und innovative Strategien einschlug. Die Behandlung der fürstenstaatlichen Festkultur rundet den Band ab. Die in einem angenehm unprätentiös gehaltenem Stil verfaßte Dissertation ist nicht zuletzt deshalb zu begrüßen, weil mit ihr der realgeschichtliche Hintergrund des „zur Zeit des Großen Kurfürsten beliebtesten Handbuchs der deutschen Politik“ (Leopold v. Ranke) ausgeleuchtet wird. Der „Teutsche Fürstenstaat“ (1. Ausgabe 1656, danach noch elf weitere Auflagen) von Veit Ludwig von Seckendorff, der als Rat und später dann als Kanzler maßgeblich an den Reformen Ernsts des Frommen beteiligt war, hat die Regierungsweise des Herzogs zum Vorbild und abstrahiert und systematisiert alles praktische Verwaltungswissen über die Zustände in Sachsen-Gotha. Nebenbei bemerkt hätte angesichts der äußerst komplexen ernestinischen Verhältnisse die Beigabe von Stammtafeln und Karten dem Verständnis des Buches zum Vorteil gereicht.

 

Jena                                                                                                               Martin Siebinger