Schmidt, Jürgen Michael, Glaube und Skepsis.

*Schmidt, Jürgen Michael, Glaube und Skepsis. Die Kurpfalz und die abendländische Hexenverfolgung 1446-1685 (= Hexenforschung 5). Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld 2000. Besprochen von Ulrich Falk. ZRG GA 118 (2001)

FalkSchmidt20000921 Nr. 10114 ZRG 118 (2001)

 

 

Schmidt, Jürgen Michael, Glaube und Skepsis. Die Kurpfalz und die abendländische Hexenverfolgung 1446-1685 (= Hexenforschung 5). Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld 2000. 510 S.

An Publikationen zur Hexenverfolgung herrscht wahrlich kein Mangel. Günter Jerouschek sprach in seiner Habilitationsschrift schon im Jahr 1992 von einer „kaum mehr überschaubaren Flut an Veröffentlichungen”.[1] Seitdem sind noch zahlreiche Monographien bzw. Sammelbände hinzugekommen, von kleineren Studien ganz abgesehen. Schmidts Arbeit zur Kurpfalz, eine überarbeitete Dissertationsschrift an der Geschichtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Tübingen, erscheint bezeichnenderweise als Band 5 einer jungen Reihe zur „Hexenforschung”.[2] Längst kann keine Rede mehr davon sein, daß die Hexenprozeßliteratur einem „Müllhaufen” gleiche, in dem nur „ein paar Perlen unter Schmutz und Schund begraben” seien.[3]

Manche Forscher empfinden freilich immer noch das Bedürfnis, die Seriosität ihres Gegenstandes zu beteuern. Diese Bemühungen besitzen Tradition. Schon Carl Georg von Wächter war 1845 dem Einwand entgegengetreten, ob denn die Geschichte der Verfolgung angeblicher Hexen überhaupt „das Thema einer ernsten wissenschaftli­chen Untersu­chung seyn” könne.[4] Am Anfang von Schmidts Vorwort steht die Versicherung, daß es sich um einen „ernst genommenen Forschungsgegenstand” handele. Später redet er von „der ernstzunehmenden modernen Forschung”.[5] Angesichts der Tatsache, daß es sich um das schwärzeste, bislang keineswegs vollständig geklärte Kapitel der europäischen Justizgeschichte handelt, sind solche Formulierungen nicht nur überflüssig, sondern - zumindest aus rechtshistorischer Sicht - geradezu deplaziert.

In ihrer Substanz ist Schmidts Studie zwar vielleicht nicht zu den Perlen, aber gewiß doch zum Kernbestand der verdienstvollen und weiterführenden Arbeiten zu zählen. Konzeptionell ist sie einer „landesgeschichtlichen Methode” verpflichtet.[6] Die Bemühungen Schmidts gelten der Rolle der Kurpfalz im Zeitraum von 1446, als in Heidelberg erste Hexenprozesse geführt wurden,[7] bis 1685, dem Todesjahr des letzten reformierten Kurfürsten.[8] Dieser regionalhistorische Ansatz ist weniger trivial, als es vielleicht den Anschein haben mag. Seine Prämisse liegt in dem Befund, daß die Hexenverfolgungen in den zahllosen Territorien des Alten Reichs äußerst unterschiedlich verlaufen sind. Die Spannbreite reicht von Gebieten mit hoher Verfolgungsdichte bis zu solchen, die von Todesurteilen nahezu vollständig frei blieben. Aber auch in Territorien mit zahlreichen Todesopfern sind scharfe Zäsuren zu unterscheiden. Selbst in den Zentren massenhafter Prozesse konnten Verfolgungen größeren Umfangs über Jahrzehnte hin ausbleiben. Nicht selten finden sich dabei verfolgungsarme Gebiete in unmittelbarer Nachbarschaft zu Zentren der Massenverfolgung.[9] Selbst in kleinräumigen Bereichen trifft man auch während der sogenannten Prozeßwellen auf „enorme graduelle und qualitative Varianten”.[10] Die Prozeßakten und anderen Primärquellen dokumentieren die Haltlosigkeit marktgängiger Erklärungsmodelle, die das komplexe Phänomen auf einen einzigen, möglichst spektakulären Nenner reduzieren möchten.[11] Als unvertretbare Pauschalisierung erweist sich auch das tradierte Bild einer Vernichtungsmaschinerie, die ihre Opfer mit unentrinnbarer Zwangsläufigkeit auf den Scheiterhaufen trieb. „Monokausale Erklärungen” müssen, wie Schmidt in seiner informativen Einleitung konstatiert, “also von vornherein ausscheiden”.[12]

In der jüngeren Forschung dominiert ein Vorgehen, das „innerhalb des klar abgegrenzten Raumes” des jeweiligen Territoriums eine Fülle von Fragestellungen miteinander kombiniert.[13] Dieser Ansatz trägt maßgeblich zum üppigen Wachstum der Literatur bei. Es liegt in seiner Logik, immer „weitere ,weiße Flecken’” aus der Landkarte der Hexenforschung zu tilgen, um ein flächendeckendes Gesamtbild “über das komplexe Wechselspiel der Kräfte beim Zustandekommen oder Nichtzustandekommen einer Hexenverfolgung”[14] zu erzeugen.

Der größte Teil der jüngeren Beiträge stammt von Historikern, Soziologen und Ethnologen. Ihren Analysen gebricht es nicht selten an der Kenntnis der „juristischen und namentlich strafprozessualen Eigengesetzlichkeiten”.[15] Auch bei Schmidt zählen die genuin rechtshistorischen Passagen[16] nicht gerade zu den besten Teilen seiner Arbeit. Andererseits bleibt zu betonen, daß die maßgebenden Anstöße und Erkenntnisfortschritte in den letzten Jahrzehnten keineswegs von Rechtshistorikern ausgingen. Weiterführende Arbeiten von ihrer Seite - wie etwa die Dissertation von Peter Oestmann zu den Hexenprozessen am Reichskammergericht (1997) - besitzen Seltenheitswert.

Vollen Respekt verdient Schmidt in jedem Fall für seine historiographische Leistung. Er war für die Kurpfalz mit einer „ausgesprochen schlechte(n) Quellenlage” konfrontiert. Gerhard Schormann war in seinem Überblick über die Hexenprozesse in Deutschland noch bedauernd davon ausgegangen, daß „eine fundierte Aussage“ über die dortigen Verfolgungen unmöglich sei. Diese pessimistische Einschätzung hat Schmidt durch die akribische Analyse der verfügbaren Archivalien überzeugend widerlegt. Er verfügt freilich nur über „einzelne Mosaiksteine”, die zusammengenommen eine einigermaßen zuverlässige Rekonstruktion ermöglichen, wobei „Ergänzungen und Korrekturen” vorbehalten bleiben.[17] Dafür ist hier nicht der Ort, von der unzureichenden Kompetenz des Rezensenten noch abgesehen. Es muß daher ein kurzer Überblick über die Ergebnisse Schmidts genügen.

In den Jahren 1446 und 1447 war es in der Kurpfalz erstmals zu Aburteilungen eines neuen, historisch fatalen Typs gekommen. In Abkehr von den Zaubereianklagen mittelalterlicher Prägung wurde hier wohl erstmals im Alten Reich die dämonologische Hexenlehre exekutiert, und das volle 40 Jahre vor dem Erstdruck des Hexenhammers (1487). Mit der vorherrschenden Sichtweise geht Schmidt davon aus, daß der Hexenprozeß in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts im Alpenraum entstand und aus einer Verschmelzung der Ketzerprozesse mit der tradierten Prozeßform des Schadenszaubers hervorging. Das frühzeitige Übergreifen auf die Kurpfalz erklärt er mit dynastischen Verbindung mit dem Haus Savoyen und der Rezeption der dämonologischen Theoreme an der Heidelberger Universität. Sehr interessant ist Schmidts Befund, daß die kurpfälzischen Räte und Juristen nicht etwa den kirchlichen Prozeß der Inquisition rezipierten, sondern ein „weltliches Gegenmodell”, das man in der Schweiz, namentlich in Basel, praktizierte.[18]

In der Folgezeit kam es jedoch keineswegs zu einer flächenbrandartigen Ausweitung der Prozesse. Verfolgungen blieben in den folgenden hundert Jahren auch in der Kurpfalz eher sporadische Ausnahmen und kamen sogar fast völlig zum Erliegen, bevor um 1561 auf Reichsebene ruckartig eine erste große Verfolgungswelle einsetzte. Diese scharfe Zäsur wird von Schmidt mit einem „radikalen Wandel von Mentalität und Verhalten” erklärt, der durch die traumatischen Wirkung klimatischer und wirtschaftlicher Krisen ausgelöst worden sei.[19]

Erstaunlicherweise erwies sich die Kurpfalz jedoch nunmehr als weitgehend resistent gegen Hexenprozesse, und das sogar auf den Höhepunkten der Prozeßwellen im ausgehenden 16. und frühen 17. Jahrhundert. Sie nahm damit eine „Spitzenstellung in der Prozeßablehnung” ein, von einem Intermezzo während des 30-jährigen Krieges abgesehen.[20] Diese Resistenz springt um so mehr ins Auge, als große Teile ihres Gebiets in unmittelbarer Nachbarschaft zu den kleineren südwestdeutschen Territorien standen,[21] in denen es zu exzessiven Aburteilungen kam.

Damit bildet die Kurpfalz eine besonders interessante Facette in einem Gesamtbild, das in der jüngeren Forschung zunehmend deutlich hervortritt. In den meisten Territorien des Alten Reichs herrschte offenbar ein labiles Gleichgewicht zwischen den Befürwortern rigoroser Verfolgungen, moderaten Skeptikern und kompromißlosen Gegnern der Hexenverfolgung.[22] Bereits scheinbar geringfügige Verschiebungen in den jeweiligen Machtverhältnissen konnten eine Verfolgungswelle auslösen oder zum Erliegen bringen. Als sozialhistorische Konstante wirkten dabei die tief magische Weltdeutung der bäuerlichen Bevölkerung mit ihren abergläubischen Praktiken.[23] Relativ stabil war auch der Prozeßdruck, der vor allem in Krisenzeiten von der Bevölkerung auf die Inhaber der Gerichtsbarkeit ausging, um immer weitere Prozesse gegen mißliebige Mitglieder bzw. Außenseiter der sozialen Gemeinschaft durchzusetzen.[24] Offen blieb jedoch die entscheidende Frage, ob sich die zuständigen Gerichte, Spruchkollegien sowie die Führungsstäbe der jeweiligen Regenten von der vermeintlichen Realität von Teufelspakt, Hexenflug und Hexensabbath überzeugen ließen.[25]

Auch in der Kurpfalz war „innerhalb der geistigen Elite eine größere Partei von Hexenprozeßbefürwortern” anzutreffen, namentlich im Kirchenrat und an der theologischen Fakultät der Heidelberger Universität. Dieses Votum „der führenden calvinistischen Theologen”[26] erlangte jedoch keine durchschlagende Bedeutung, weil die Kurfürsten und ihre juristischen Berater dem Hexenprozeß seit dem 16. Jahrhundert mit konsequenter Ablehnung begegneten.

Schmidt sieht die „Etablierung einer verfolgungsablehnenden Regierungs- und Verwaltungstradition (...) in den in der Kurpfalz allgemein geltenden theologischen und juristischen Normen begründet”. Unter anderem glaubt er eine „eindeutig positive Auswirkung des calvinistischen Rationalismus” konstatieren zu können.[27] Eine entscheidende Bedeutung wird man diesem Faktor aber wohl kaum beimessen können, da ausgerechnet führende kurpfälzische Theologen die Vereinbarkeit von Calvinismus und Hexenprozeß unter Beweis gestellt hatten.[28]

Schmidt legt das größere Gewicht ohnehin auf „das kurpfälzische Rechtssystem”, das „sehr gewissenhaft und korrekt” operiert und „die im Hexenprozeß notorisch verübten Rechtsbrüche” prinzipiell mißbilligt habe.[29] Eine entscheidende Rolle spielten das konsequente Festhalten „am ordentlichen Gerichtsverfahren des processus ordinarius” unter Verwerfung summarischer Schnellverfahren, ein „ein ausgesprochen großes Mißtrauen gegenüber der Folter” und die Bereitschaft zur Wahrung der Rechte des Angeklagten.[30] Unabdingbare Voraussetzung für all dies war „die weitgehend gute herrschaftliche Durchdringung des Territoriums”, die es der Regierung ermöglichte, ihre Haltung durchzusetzen. Die „entscheidende Bedeutung bei der Verhinderung von Hexenprozessen“ lag hier also bei zwei Faktoren: Bei der frühzeitigen Etablierung eine frühmodernen Territorialstaats, der über effiziente Herrschaftsstrukturen verfügte, und bei die Bereitschaft seiner Führungsstäbe, die normativen Vorgaben des Strafprozeßrechts ohne Vorbehalte umzusetzen.[31] Damit verweisen die Forschungsergebnisse Schmidts zurück auf grundlegende Einsichten, die zum Allgemeingut der Rechtsgeschichte zählen.

Frankfurt am Main                                                                                                     Ulrich Falk

[1] Günter Jerouschek, Die Hexen und ihr Prozeß, Esslingen 1992, S. 49; dazu die Rezension von Ulrich Falk in: Rechtshistorisches Journal 12 (1993), S. 119-130.

[2] Schmidt, Glaube und Skepis, S. 11.

[3] Michael Kunze, Paradigmenwechsel gefragt?, in: Rechtshistorisches Journal Bd. 8 (1989), 103-108 (Rez. zu Wolfgang Behringer, Hexenverfolgung in Bayern, München 1988). Für die ältere Literatur bis etwa zum letzten Drittel des 20. Jahrhunderts bleibt Kunzes Bemerkung freilich zutreffend.

[4] Carl Georg von Wächter, Beiträge zur deutschen Geschichte, Tübin­gen 1845, S. 83.

[5] Schmidt, Glaube und Skepis, Vorwort und S. 227.

[6] Schmidt, Glaube und Skepis, S. 15, 18.

[7] Dazu Schmidt, Glaube und Skepis, S. 23-32, 475f.

[8] Dazu Schmidt, Glaube und Skepis, S. 457-468 (insb. 467).

[9] Vgl. z. B. den Überblick bei Andreas Blauert, Die Epochen der europäischen Hexenverfolgung, in: Wilbertz/Schwerhoff/Scheffler, Hexenverfolgung und Regionalgeschichte, 1994, S. 28-43; s. auch Schmidt, Glaube und Skepis, S. 12.

[10] Formulierung bei Behringer, Bayern (o. Anm. 3), S. 4.

[11] Jerouschek, Hexen (o. Anm. 1), S. 268.

[12] Schmidt, Glaube und Skepis, S. 11-22 (Zitat S. 12).

[13] Vgl. Schmidt, Glaube und Skepsis, S. 15.

[14] Zitate bei Schmidt, Glaube und Skepsis, S. 18.

[15] So die Feststellung Jerouscheks, Hexen (o. Anm. 1), S. 14, 40.

[16] Vgl. z. B. Schmidt, Glaube und Skepsis, S. 74-79, 83-90, 116, 185-193, 366-377.

[17] Schmidt, Glaube und Skepsis, S. 21f.; Gerhard Schormann, Hexenprozesse in Deutschland, Göttingen 1981, S. 69.

[18] Schmidt, Glaube und Skepsis, S. 23-32 (Zitat S. 30), 46-56; zusammenfassend S. 475f.

[19] Vgl. Schmidt, Glaube und Skepsis, S. 63.

[20] Überblick bei Schmidt, Glaube und Skepsis, S. 475-482 (Zitat 476).

[21] Vgl. die Karte bei Schmidt, Glaube und Skepsis, nach S. 510.

[22] Dazu näher Falk (o. Anm. 1), S. 123-126.

[23] Dazu z. B. Eva Labouvie, Zauberei und Hexenwerk, Frankfurt m Main 1991; Behringer (o. Anm. 3), S. 89ff., 184ff.; Heide Dienst, Lebensbewältigung durch Magie, in: Kohler/Lutz (Hrsg.), Alltag im 16. Jahrhundert, Wien 1987, S. 80ff.; s. auch Schmidt, Glaube und Skepsis, S. 14.

[24] Zur Multifunktionalität der Hexereibezichtigung als „Vielzweckinstrument“ s. Gerd Schwerhoff, Hexerei, Geschlecht und Regionalgeschichte, in: Wilbertz/Schwerhoff/Scheffler (o. Anm. 9), S. 325-353 (344-349).

Das gilt auch für die Kurpfalz; vgl. Schmidt, Glaube und Skepsis, S. 105-111, 137, 146f., 242-246, 478.

[25] Jerouschek, Hexen (o. Anm. 1), S. 269; Schmidt, Glaube und Skepsis, S. 15.

[26] Dazu Schmidt, Glaube und Skepsis, S. 148-171, 196-205, 211, 477f. (dort die Zitate).

[27] Schmidt, Glaube und Skepsis, S. 482, 478.

[28] Dies zeigt sich auch an anderen Punkten. Die kurpfälzischen Verfolgungsgegner hatten sich generell gegen die Todesstrafe für alle Ketzereidelikte ausgesprochen. Diese Auffassung war, wie Schmidt, Glaube und Skepsis, S. 479, einräumt, „für den Calvinismus nun nicht mehr unbedingt typisch”.

[29] Schmidt, Glaube und Skepsis, S. 318, 478.

[30] Vgl. Schmidt, Glaube und Skepsis, S. 74-79, 85f., 366-377 und öfter; zusammenfassend S. 480; zur Folter nunmehr Mathias Schmoeckel, Humanität und Staatsräson. Die Abschaffung der Folter in Europa und die Entwicklung des gemeinen Strafprozeß- und Beweisrechts seit dem hohen Mittelalter, Köln 2000.

[31] Schmidt, Glaube und Skepsis, S. 476, 480. Für ein extremes Gegenbeispiel vgl. man etwa Walter Rummel, Bauern, Herren und Hexen. Studien zur Sozialgeschichte sponheimischer und kurtrierischer Hexenprozesse 1574-1664, Göttingen 1991.