Policey in lokalen Räumen
Policey in lokalen Räumen. Ordnungskräfte und Sicherheitspersonal in Gemeinden und Territorien vom Spätmittelalter bis zum frühen 19. Jahrhundert, hg. v. Holenstein, André/Konersmann, Frank/Pauser, Josef/Sälter, Gerhard (= Studien zu Policey und Policeywissenschaft). Klostermann, Frankfurt am Main 2002. VIII, 439 S.
Zwischen dem Spätmittelalter und dem beginnenden 19. Jahrhundert waren für die Wahrung von Sicherheit und Ordnung im mitteleuropäischen Raum verschiedenste Amts- und Funktionsträger tätig – wie zum Beispiel Gerichtsdiener, Stadtwächter, Vögte, aber auch das Militär bzw. teilweise schon organisierte Polizeitruppen. Der seit 1997 tätige Arbeitskreis „Policey/Polizei im vormodernen Europa“ widmete sich auf seinem Treffen im Mai 2000 den Tätigkeitsfeldern, der Amtspraxis sowie der sozialen Vernetzung dieser Ordnungskräfte. Die Ergebnisse, die um einige zusätzliche Beiträge erweitert wurden, sind im vorliegenden Sammelband abgedruckt.
In der äußerst fundierten Einleitung geben die Herausgeber zunächst einen ausführlichen Überblick zum Forschungsgegenstand und skizzieren dann ganz allgemein die Tätigkeitsfelder und innere Organisation des damals bestehenden Exekutivpersonals. Die einzelnen Beiträge, die sich von sehr unterschiedlicher Seite dem Themenkomplex nähern, folgen dann in einigermaßen chronologischer Ordnung.
Den Anfang macht Ulrich Henselmeyer, der die Gewalttätigkeit von Gerichtsbütteln und Stadtknechten im Spätmittelalter thematisiert und dabei zum Schluss kommt, dass sie vor dem Hintergrund der damals allgemein hohen Gewaltbereitschaft der städtischen Gesellschaft zu sehen ist. Andrea Bendlage demonstriert am Nürnberger Beispiel, dass der schlechte Ruf der Polizeiknechte im 16. Jahrhundert nicht auf deren soziale Herkunft zurück zu führen war, sondern auf ihre Rolle als Träger des obrigkeitlichen Strafanspruchs, die in Widerspruch geriet mit den Schlichtungsritualen traditionell selbstverwalteter Lebensbereiche. Auch Achim Landwehr zeigt diese Doppelrolle der lokalen Ordnungshüter im württembergischen Leonberg des 16. Jahrhunderts. Einerseits sollten sie als Amtspersonen für die Umsetzung von Policeyordnungen sorgen, andererseits wussten sie als Mitglieder der lokalen Gesellschaft von den Interessen und Nöten der Bewohner und kamen damit in Konflikt mit den obrigkeitlichen Ansprüchen.
Besonders zwiespältig war die Position der Wiener Stadtguardia im 16. und 17. Jahrhundert, die Susanne Claudine Pils beleuchtet. Denn wegen schlechter Besoldung übten die Wachsoldaten Nebenbeschäftigungen aus und gerieten so in den Graubereich zwischen Legalität und Illegalität. Nicht viel besser war die Situation in Paris um 1700. Gerhard Sälter streicht besonders die Ämterkäuflichkeit bei der dortigen Stadtwache und den Gerichtsdienern heraus, die sich daraus ergab, dass die Amtsinhaber eine breite Palette von Nebeneinnahmen erzielen konnten. Die Käufer übten die Ämter oft gar nicht selbst aus, sondern stellten Ersatzmänner, was den obrigkeitlichen Einfluss auf die Amtspraxis erheblich minderte. Bettina Blessing zeigt in ihrem Aufsatz, dass die Rekrutierung des städtischen Sicherheitspersonals im Regensburg des 17. Jahrhunderts auch als Rettungsanker für bedrohte Existenzen fungierte.
Die folgenden Beiträge sind den Aufgaben und der Stellung lokaler Ordnungskräfte vor allem im 17. und 18. Jahrhundert gewidmet. Obwohl die Untersuchungsgebiete teilweise weit auseinander liegen, finden sich ähnliche Schlussfolgerungen. Barbara Krug-Richter belegt zunächst, dass die Gerichtsdiener in Westfalen zwar teilweise in das dörfliche Leben integriert, allerdings nicht in langfristige soziale Beziehungen eingebunden wurden. Auch Josef Pauser zeigt am Beispiel der niederösterreichischen Stadt Zwettl, dass diese Amtsträger mit dem Nimbus der „Unehrbarkeit“ behaftet waren, obwohl sie mit großer Kompetenzfülle als verlängerter Arm der städtischen Obrigkeit agierten. Martin Scheutz beschreibt die von ihm untersuchten Gerichtsdiener im niederösterreichischen Markt Scheibbs als untergeordnete Organe der Verwaltung, angesiedelt an der Fuge zwischen Obrigkeit und Untertan. Und der Beitrag von Gerhard Fritz dokumentiert schließlich, dass beim lokalen Sicherheitspersonal in Württemberg zwar auf Grund mancher Nebentätigkeiten zahlreiche Unzulänglichkeiten bei der Dienstausübung zu beobachten waren, warnt aber zu Recht vor voreiligen Schlüssen, da in den Quellen eben Dienstpflichtverletzungen eher erwähnt werden als eine klaglose Amtsführung.
Zur Kontrolle des ländlichen Raumes und mobiler Randgruppen unternahmen zahlreiche deutsche Territorien bereits seit Beginn des 18. Jahrhunderts Versuche, exekutive Polizeikräfte zu etablieren. Das Modell eines mobilen, supraterritorial agierenden Polizeiorgans, das Karl Härter am Beispiel des vom Oberrheinischen Reichskreis eingesetzten Kreisleutnants beschreibt, konnte sich letztlich allerdings nicht dauerhaft etablieren. Andererseits erblickt André Holenstein in den badischen Hatschieren, die ebenfalls vor allem mit der Verfolgung von Vaganten sowie zur Aufsicht über die Policeygesetze beauftragt waren, einen wichtigen Ansatzpunkt für die Professionalisierung der Sicherheitsorganisation im Landesinneren.
Teilweise bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts füllte das Militär noch ganz entscheidende Lücken im Sicherheitswesen. Jutta Nowosadtko zeigt am Beispiel von Münster die polizeilichen Aktivitäten der Garnisonssoldaten, macht aber zu Recht auch auf das allgemeine Forschungsdefizit hinsichtlich dieser Rolle der bewaffneten Macht aufmerksam. Als in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf Grund politischer Umbrüche ein teilweises Sicherheitsvakuum entstand, griff man noch einmal auf das mittelalterliche Modell der von Bürgern gestellten Stadtwachen zurück. Ralf Pröves Beitrag dokumentiert jedoch, dass diese Struktur angesichts der gesellschaftspolitischen Verwerfungen sowie durch das dichter werdende Netz moderner Polizeieinrichtungen keine Überlebenschance hatte.
Justus Goldmann behandelt dann einen wohlfahrtlichen Tätigkeitsbereich der Polizei, der im 18. und 19. Jahrhundert eine noch ganz wichtige Funktion hatte, nämlich die medizinische Erstversorgung bei Notfällen. Den Abschluss bildet Vadim Oswalt, der der Stellung verschiedener württembergischer Exekutivkräfte – Landjäger, Wegknechte und Feuerschauer – am flachen Land des 19. Jahrhunderts nachspürt und zeigt, dass es Bereiche der ländlichen Lebenswelt gab, in denen staatlichen Interventionen Grenzen gesetzt waren.
Die durchwegs gehaltvollen Beiträge dieses Sammelbandes werden durch eine ausführliche Bibliographie zum Thema abgerundet. Insgesamt ist es den Autoren und Autorinnen gelungen, viele neue Schlaglichter auf die bislang in der Forschung noch wenig beachtete Entwicklung der Ordnungskräfte und damit auch der Durchsetzung von Herrschaft im vormodernen Europa zu werfen.
Graz Helmut Gebhardt