Seehase, Hans, Ehesachen vor dem Reichskammergericht

* - Ehe im Spannungsfeld zwischen Recht und Theologie sowie zwischen Reich, Territorien und Kirche am Beginn der Neuzeit. Diss. jur. Münster 1998 (1999). Besprochen von Anja Amend. ZRG GA 118 (2001)

AmendSeehase20000915 Nr. 10072 ZRG 118 (2001)

 

 

Seehase, Hans, Ehesachen vor dem Reichskammergericht: Ehe im Spannungsfeld zwischen Recht und Theologie sowie zwischen Reich, Territorien und Kirche am Beginn der Neuzeit. Diss. jur. Münster 1998 (1999). 107 S.

Sowohl der Titel als auch die einleitenden Worte, nach denen die Arbeit familienrechtlichen und erbrechtlichen Zusammenhängen und darüber hinaus den „öffentlichrechtlichen Bezügen zu obrigkeitlicher Fürsorge und territorialstaatlicher Rechtsdurchsetzung“ (8) nachgehen will, sind vielversprechend und zeugen von hochgesteckten Zielen. Die hierdurch geweckten Erwartungen des Lesers erfüllt Seehase leider nicht. Dafür sind eine Reihe von Punkten mitursächlich. Der Umgang mit dem Band wird zunächst dadurch erschwert, dass die Gliederung nicht mit Seitenangaben versehen ist und ein Register fehlt. Aus dem Titel und aus der zitierten Passage darf der Leser schließen, dass zumindest auch die Teilnahme des Reichskammergerichts an der Entwicklung des Instituts der Ehe im Heiligen Römischen Reich beleuchtet werden soll. Thematisch werden damit zwei Bereiche der frühneuzeitlichen Geschichte berührt, zum einen die Familienrechtsgeschichte, zum anderen verspricht Seehase, einen weiteren Beitrag zur Erforschung der höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich zu liefern. Doch die deshalb hinsichtlich des Forschungsstandes auf doppeltem Fundament gegründete Arbeit bezieht die auf diesen Gebieten bislang erbrachten Forschungen nicht hinreichend ein. Reichskammergerichtliche Untersuchungen bleiben weitestgehend unerwähnt. Auch die Nennung einzelner Rechtsfälle aus dem Alten Reich nach Bernhard Diestelkamps gleichnamigem Band[1]  kann diesen Mangel nicht kompensieren. Und dass das Reichskammergericht eben kein „Schattendasein“ (S. 41) führte, sondern seiner Rechtsprechung auf den Gebieten der Juden- und Religionssachen, der Untertanenprozesse, der Durchsetzung aufgeklärten Gedankenguts und der Rechtsstaatsidee besondere Bedeutung zuerkannt wird, zeigen nicht zuletzt die Früchte der reichskammergerichtlichen Forschungen, die seit der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft getragenen Neuverzeichnung der Reichskammergerichts-Akten nochmals enormen Aufschwung erfahren haben und durch die „Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich“ auf ein gesondertes Publikationsorgan zurückgreifen können.

In der Einleitung präzisiert Seehase, was die von ihm untersuchten Rechtsstreitigkeiten gemeinsam haben: Sie haben „alle irgendeinen Bezug zur Ehe“ (S. 7). Die Klärung der Frage nach der sachlichen Zuständigkeit des Reichskammergerichts für diese Verfahren, die sich dem Leser bereits bei dem Titel des Bandes aufdrängt, hätte klarer beantwortet werden können. Sie erschließt sich dem Leser nur schrittweise aus den einleitenden Kapiteln zu den geistlichen Gerichten (Teil III, Abschnitt A, S. 31-36) sowie vereinzelt aus den geschilderten Verfahrensabläufen selbst. Seehase stand dabei vor der Schwierigkeit, zunächst über die Abgrenzung zwischen res ecclesiastica und res saecularis aufzuklären. Denn in der Regel waren die geistlichen Streitigkeiten einer gesonderten Ordnung kirchlicher Gerichte zugewiesen. Schon in materieller Hinsicht war die Zuordnung von Ehesachen uneinheitlich, wie ein Blick auf die Reichspublizistik zeigt. In formeller Hinsicht ungewiß wurde eine eindeutige Bestimmung der Streitsache schließlich, als mit der Reformation zunächst praktisch jede Kirchengesetzgebung innerhalb der protestantischen Kirchen überhaupt entfiel. Die konfessionelle Spaltung bewirkte damit in der Folgezeit im Reich eine durch die jeweilige Religion bestimmte Definition des Rechtsbegriffs der „geistlichen Sache“ und damit auch der „Ehesachen“. Denn nach kanonischem Recht war und ist die Ehe ein Sakrament. Der weltliche Richter war grundsätzlich nicht für eine res ecclesiastica zuständig. Nach protestantischer Auffassung war die Ehe weltlicher Natur und damit auch vor dem weltlichen Richter zu verhandeln. In praktischer Hinsicht folgte daraus, dass die Gerichtsbarkeit für diesen Bereich auf die Territorialfürsten übergegangen war. Der Augsburger Religionsfriede von 1555 schuf innerhalb der Reichsverfassung ein - wenn auch nicht stabiles - Gleichgewicht zwischen katholischen und protestantischen Interessen. Es sollte den Reichsständen von da an freistehen, ihre Konfession selbst zu bestimmen und ihr Territorium entsprechend zu reformieren. Dieses Gleichgewicht scheint durch einige der sogenannten „Ehesachen“ auf die Probe gestellt worden zu sein. Bei den bei Seehase in Teil IV genannten Prozessbeispielen zwischen der Freien Reichsstadt Dortmund und der Erzdiözese Köln (S. 56-60) wurde um das Recht zur Ausübung der Ehegerichtsbarkeit gestritten. In dem ersten geschilderten Mandatsprozess wandte sich der Kläger mit seinem Klagebegehren auf Eingehung der Ehe an den Offizial des geistlichen Gerichts zu Köln, obwohl die Beklagte Dortmunderin und in der Stadt durch das Religionsedikt 1570 der lutherische Glaube als einheitliche Religion eingeführt worden war. Die Stadt rügte daraufhin einen Verstoß gegen den Religionsfrieden, da dieser in § 20 die geistliche Rechtsprechung der katholischen Bischöfe über reformierte Territorien suspendierte.

Sowohl zwei weitere Prozesse zwischen der Stadt Dortmund und dem Kölner Offizial als auch zwei Appellationsverfahren zwischen der Stadt Minden und dem Fürstbischof von Braunschweig-Lüneburg (S. 60-63) beschäftigen sich ebenfalls vor allem mit Fragen nach der Kompetenz des angerufenen Gerichts. Es folgen im Teil V der Arbeit „Verfahrensbeispiele zum ehelichen Güterrecht“ (S. 64-85), die sich in „Verfahren um eingebrachtes Ehevermögen“ (§ 1, S. 64-67) und „Verfahren um den Güterstand“ (§ 2, S. 67-85) aufteilen. Zu der ersten Gruppe zählt ein Mandatsprozess aus der Mitte des 18. Jahrhunderts, bei dem der Anspruch auf Leistung der Morgengabe strittig war, nachdem ein geistliches Gericht die nach protestantischem Glauben geschlossene erste Ehe des Beklagten aufgelöst hatte. Ferner diesem Kapitel zugeordnet ist ein Appellationsverfahren um einen „Mitgiftanspruch aus heimlicher Ehe“. Bei den Fällen aus der zweiten Gruppe wurde um die Abfindung unterhaltsberechtigter Kinder bei Eingehung einer zweiten Ehe durch die Mutter (S. 67-78) und um einen Nachlass (S. 78-85) gestritten, der unter anderem ehegüterrechtliche Fragen aufwarf. Bei der Darstellung der Prozesse greift Seehase nicht bloß auf Sekundärliteratur zurück, sondern die Schilderungen basieren vielmehr auf originärem Quellenmaterial.

Generell sind einleitende Abschnitte zu Forschungsstand, historischem Kontext des behandelten Themas, hier also dem Institut der Ehe in theologischer und rechtlicher Hinsicht, aber auch zu anderen Parametern, wie hier der Gerichtsbarkeit im Reich, in gebotener Kürze dargestellt, meist hilfreich. Und auch die Tatsache, dass Seehase hier nur exemplarisch gearbeitet hat – insgesamt greift er neun Verfahren auf - , fällt nicht per se negativ ins Gewicht. Generell können Einzelfallstudien durchaus fruchtbringend sein. Dies gilt auch im besonderen für reichskammergerichtliche Forschungen. Das zeigen nicht zuletzt Arbeiten wie die von Julia Maurer[2] oder Rudolfine Freiin von Oer[3]. Dafür müssen jedoch die Proportionen stimmen. Wer auf 52 von insgesamt 107 Seiten Präliminarien mitteilt und auf weiteren 13 Seiten Rechtsquellen und Aktenauszüge wiedergibt, hat den Schwerpunkt der Arbeit nicht richtig gesetzt. Zudem ist die fehlende Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Kameralliteratur - wenn überhaupt - nur durch eine stark quellenbezogene Arbeit teilweise zu kompensieren. Doch hierbei beschränkt sich Seehase weitgehend auf die inhaltliche Wiedergabe der Geschehnisse, ohne sie einer eingehenderen Analyse zu unterziehen. Jegliche Schlussfolgerungen auf die Rolle des Reichskammergerichts bzw. auf sein Selbstverständnis im Hinblick auf die von Seehase aufgeworfenen Fragen fehlen.

Frankfurt am Main                                                                                                     Anja Amend

[1] München 1995.

[2] Der „Lahrer Prozess“ 1773-1806. Ein Untertanenprozeß vor dem Reichskammergericht (= Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich, Band 30), Köln/ Weimar/ Wien 1995.

[3] Der Münstersche „Erbmännerstreit“ und die Problematik von Revisionen reichskammergerichtlicher Urteile (= Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich, Band 32), Köln/ Weimar/ Wien 1997.