Angst und Politik
Angst und Politik in der europäischen Geschichte, hg. v. Bosbach, Franz (= Bayreuther historische Kolloquien 13). Röll, Dettelbach 2000. 231 S.
Der vorliegende Sammelband enthält die Ergebnisse des XIV. Bayreuther Historischen Kolloquiums, das im Mai 1998 in Bayreuth abgehalten wurde. Generalthema war die Beschäftigung mit der Frage nach der Angst als Motor politischen Handelns und den verschiedenen Formen, in denen sich diese als Instrument politischen Handelns manifestiert hat und manifestiert. Beteiligte der Tagung waren vor allem Historikerinnen und Historiker sowie eine Psychologin, von denen jeder aus seiner Sicht das Problem der Angst und deren verschiedene Ausdrucksformen behandelte.
Der Sammelband beginnt mit einer Einleitung des Herausgebers, in der er einen Überblick über die Behandlung des Themas im Verlauf der Geschichte sowie den derzeitigen Forschungsstand gibt. Zu Recht verweist der Herausgeber darauf, daß die Angst als Phänomen schon früh erfaßt worden ist, daß bereits für die Antike eine ausgefeilte Angstlehre nachgewiesen werden kann und daß diese über die mittelalterliche Bildung in die Neuzeit gelangte. Bis in die Zeit der Aufklärung habe diese Tradition normierend auf die Historiographie eingewirkt und sei neben der Tradition der antiken Philosophie maßgebend für die Behandlung des Phänomens der Angst im 19. und 20. Jahrhundert geworden. Diese Tatsache war offensichtlich maßgebend für die Auswahl der Tagungsbeiträge und die Reihenfolge der Anordnung des Abdrucks im vorliegenden Tagungsband.
An der Spitze der Beiträge steht zunächst ein Beitrag von Frau Wiebke Putz-Osterloh über „Angst und Handeln aus psychologischer Sicht“, in dem der gegenwärtige Stand der psychologischen Forschung zur Angst als einer Form der Basisemotion unseres Handelns erläutert wird. Es folgt eine Untersuchung von Wolfgang Bergsdorf über „Angst und Politik“, in der nicht nur die These verfochten wird, daß die Angst auch heute noch eine bestimmende Motivation des politischen Handelns bildet, womöglich wegen der medialen Kommunikation sogar mehr noch als in früheren Jahrhunderten. Eine spezifische Form von Angst steht im Mittelpunkt des Beitrages von Gerd Spittler. Er handelt von der „Bewältigung von Todesangst, Krieg und Hungerkrisen“ im afrikanischen Volk der Tuareg – ein Beitrag, der zwar interessante Details über das Phänomen der Angst als solcher enthält, aber für das Generalthema, das sich erkennbar auf Europa und die europäischen Verhältnisse bezieht, doch eher peripher wirkt. Alfred Kneppe wendet sich in seinem Beitrag über „Metus und Securitas, Angst und Politik in der römischen Kaiserzeit“ dem Angstphänomen in der römischen Kaiserzeit zu, indem er den Nachweis unternimmt, daß in ihr Angst im offiziellen politischen Sprachgebrauch nicht verwendet und durch die Sicherheit als affirmatives Element des politischen Handelns ersetzt wurde. Angst als Instrument innenpolitischer Propaganda behandelt Peter Segl in seinem Beitrag, der am Beispiel des Handelns der französischen Krone im 14. Jahrhundert zeigt, wie mit Hilfe einer Angstkampagne vor einer Verschwörung von Juden, Aussätzigen und islamischen Mächten eine allgemeine Angst erzeugt wurde, um die Beschlagnahme des Vermögens der Juden und der reichen Leprosenhäuser zu legitimieren.
Rechtshistorisch relevant sind die Ausführungen Ulrich G. Leinsles über „Kasuistik der Angst. Metus in der Moralphilosophie und -theologie der Frühen Neuzeit“ mit den Klassifikationen der Angst in der katholischen Moraltheologie und im protestantischen Naturrecht der frühen Neuzeit. Wesentliches Ergebnis seiner Untersuchungen ist, daß sowohl die Moraltheologie wie auch das Naturrecht versucht haben, dem Phänomen der Angst (=„metus“) mit allgemeinen Regeln beizukommen, um Ungerechtigkeiten bei der Beurteilung von Handlungen im Einzelfall zu verhindern und negative Folgen gegebenenfalls zu beschränken oder überhaupt zu eliminieren. Zu Recht geht Leinsle bei der Untersuchung des Phänomens Angst (=„metus“) vom Metusbegriff des Römischen Rechts aus, der neben Aristoteles’ Nikomachischer Ethik die Grundlage aller moraltheologischen wie naturrechtlichen Überlegungen in diesem Zusammenhang bildete.
Von besonderem Interesse für den Rechtshistoriker ist vor allem der Beitrag Antje Oschmanns über „Metus iustus in der deutschen Kriegsrechtslehre des 17. Jahrhunderts“, in dessen Mittelpunkt die Beschäftigung mit dem Problem des Präventivkrieges und den Veränderungen in dessen Behandlung sowohl in den gelehrten Werken des Natur- und Völkerrechts wie vor allem auch in den zahlreichen einschlägigen Disputationen steht. Wichtigstes Resultat dieses Beitrages ist zunächst die Beobachtung, daß „metus“ als zureichende Legimitation für gewaltsames Vorgehen in der Kriegsrechtslehre in Anlehnung an Grotius’ Lehren nur im Falle eines „metus iustus“ anerkannt wurde. Grundlage für diese Haltung sei die Orientierung am Naturrecht gewesen, von der Frau Oschmann meint, daß diese wie alles Denken über den Krieg stark moralischen Charakter gehabt habe. Zu Recht betont sie, daß in der natur- und völkerrechtlichen Literatur des von ihr behandelten Zeitraumes die Anwendung von Gewalt im Verhältnis der Staaten untereinander nur für zulässig erklärt wurde, wenn diese den rechtlichen Kriterien des ursprünglich privatrechtlichen Begriffs des „metus iustus“ entsprach. Tatsächlich knüpfte das Völkerrecht des 17. Jahrhunderts an die Metus-Lehre des römischen ius civile an, wobei freilich zu fragen gewesen wäre, wie diese Anknüpfung im einzelnen begründet wurde. „Metus iustus“ ist nämlich kein Begriff des römischen Zivilrechts.
Eine bislang im Zusammenhang mit dem Angstphänomen wenig erörterte Thematik behandelt Paulette Choné in ihrem Beitrag über „Angst im Spiegel der Emblematik“. Die Emblematik, der neuerdings in der Literaturwissenschaft besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird, spielte, worauf Frau Choné zu Recht verweist, in der Frühen Neuzeit auch im politischen Leben eine nicht zu unterschätzende Rolle, was unter anderem daran abgelesen werden kann, daß nicht wenige der politischen Embleme den Fürstenspiegeln entstammten. Dem Thema „Angst und Universalmonarchie“ gelten den Ausführungen des Herausgebers Franz Bosbach in dem nächsten Beitrag. Bosbach stellt die These auf, daß die Angst vor der Universalmonarchie in der Frühen Neuzeit eines der wichtigsten rhetorischen Argumente war, die im politischen und vor allem publizistischen Kampf gegen die Habsburger und später auch gegen Ludwig XIV. verwendet wurden. Kern dieser Argumentation war die Behauptung, daß mit der Errichtung einer Universalmonarchie zwangsläufig die Aufrichtung einer Tyrannis verbunden sein werde. Der letzte Beitrag Hermann Joseph Hierys über „Angst und Krieg. Die Angst als bestimmender Faktor im Ersten Weltkrieg“ beschäftigt sich mit den verschiedenen Formen der Angst vor Beginn des Ersten Weltkriegs und den Veränderungen, die sich bei ihr in dessen Verlauf beobachten lassen. Den Schluß der Beiträge bildet eine Zusammenfassung der Tagungsdiskussion, in deren Mittelpunkt die Frage nach der Funktion der Angst und deren Instrumentierbarkeit in der Politik stand und die damit eine der Kernfragen berührte, die mit dem Phänomen der Angst in der Politik verbunden sind.
Auch wenn der Ertrag der Tagung für den Rechtshistoriker als eher bescheiden einzustufen ist - schließlich fehlte ein Beitrag von rechtshistorischer Seite -, so sind doch etliche Einzelergebnisse von erheblicher rechtsgeschichtlicher Relevanz. Das Phänomen der Angst begegnet im Rechtsleben in vielfältigen Formen und war auch in der Frühen Neuzeit immer wieder Gegenstand rechtlicher Regelungen und Erörterungen, und zwar nicht nur im Natur- und Völkerrecht, sondern ebensosehr im Strafrecht und im Zivilrecht. Angst spielte bei der Beurteilung einer Straftat ebenso eine Rolle wie bei der Frage nach der Gültigkeit eines Rechtsgeschäftes. Sie ist in der Tat, wie die moderne Psychologie ermittelt hat, eine Basisemotion, an der auch das Recht mit seinen Regelungen zu keiner Zeit hat vorbeigehen können und auch nicht vorbeigegangen ist.
Salzburg Arno Buschmann