Strafrechtsdenker der Neuzeit,

* hg. v. Vormbaum, Thomas. Nomos, Baden-Baden 1998. Besprochen von Arno Buschmann. ZRG GA 118 (2001)

BuschmannStrafrechtsdenker20000224 Nr. 977 ZRG 118 (2001)

 

 

Strafrechtsdenker der Neuzeit, hg. v. Vormbaum, Thomas. Nomos, Baden-Baden 1998, 636 S.

Der vorliegende Sammelband enthält in seinem Textbestand jene Texte, die im Jahre 1993 vom selben Herausgeber in einer zweibändigen Ausgabe unter dem Titel „Texte zur Strafrechtstheorie der Neuzeit“ publiziert wurden. Ergänzt und verbessert sind in der Neuausgabe die biographischen und bibliographischen Erläuterungen zu den einzelnen Texten und deren Autoren, die – wie in der früheren Ausgabe geschehen – am Schluß des Werkes in einem Anhang zusammengefaßt sind. Neu hinzugefügt wurden verdienstvollerweise Abbildungen von den einzelnen Autoren, die den jeweiligen Texten beigegeben sind, deren Ermittlung und Herbeischaffung die Mitarbeiter des Herausgebers mit großem Spürsinn und mit ebensogroßer Geduld besorgt haben.

Das Konzept des Herausgebers für die Anlage des Buches und für die Auswahl der Textstellen, aber auch für die Gestaltung der Texte im einzelnen, ist in der Einleitung begründet und insgesamt einleuchtend. Es besteht darin, häufig zitierte, aber nur ausnahmsweise wirklich gelesene Texte zur Entwicklung der modernen Strafrechtstheorie historisch interessierten Juristen, insbesondere Rechtsstudenten, die es ja trotz aller Versuche, die Rechtsgeschichte aus der Rechtswissenschaft hinauszudrängen, immer noch gibt, leicht zugänglich zu machen. Das Buch soll als rechtshistorisches Lesebuch dienen, das eine zusammenhängende Lektüre ermöglichen soll, nicht hingegen als bloßes Quellenbuch, das nur einzelne Textsplitter enthält, mit denen zumeist Belegstellen für bestimmte Thesen geliefert werden.

Zeitlich setzt die Zusammenstellung der Texte mit dem Beginn des 17. Jahrhunderts ein, an ihrem Ende stehen solche aus der jüngsten Vergangenheit bzw. der Gegenwart. Nach der Herkunft sind es überwiegend Texte von Autoren aus dem deutschen Sprachraum, doch finden auch solche aus Großbritannien, den Niederlanden, Frankreich und Italien Berücksichtigung, sodaß die Zusammenstellung, wie nach dem heutigen Forschungs- und Kenntnisstand geboten, europäischen Zuschnitt hat – zur Recht, wie man betonen muß, denn wer heute noch Rechtsgeschichte in den engen Grenzen der nationalen Rechtsentwicklung betreibt, repräsentiert den Forschungsstand von gestern, um nicht zu sagen von vorgestern. Sachlich dominieren Texte zur Strafrechtstheorie, wie bereits der Titel des früheren Werkes, dessen Textbestand im vorliegenden Band erneut wiedergegeben wird, erkennen ließ. Texte zur Strafrechtspraxis sind nicht abgedruckt, ebensowenig solche aus der Strafgesetzgebung oder aus Reformentwürfen. Eine Ausnahme bilden lediglich die Auszüge aus dem Urteil des BGH vom 8. Dezember 1970 und dem des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juni 1977, die beide vom Herausgeber als Dokumentation der Entwicklung der Strafrechtstheorie der jüngsten Vergangenheit bzw. der Gegenwart aufgenommen worden sind. Die Aufnahme der beiden letztgenannten Texte widerspricht ein wenig dem Titel des Werkes „Strafrechtsdenker der Neuzeit“, insofern es sich um Gerichtsurteile und nicht um Äußerungen einzelner Autoren handelt, wie dies bei den übrigen Texten der Fall ist. Vielleicht könnte künftig der Titel des Werkes in „Strafrechtsdenken der Neuzeit“ umgewandelt oder abgeändert werden, denn um Strafrechtsdenken handelt es sich bei dem Inhalt der beiden abgedruckten Urteile zweifellos.

Was die Textauswahl im einzelnen betrifft, so reicht sie von Hugo Grotius über Benedikt Carpzow, die Vertreter des Natur- und Vernunftrechts, Kant, Feuerbach, Hegel, Marx, Binding, Liszt, Radbruch bis zu Hans Welzel und Ulrich Klug, um nur einige der Autoren zu nennen. Vertreter philosophischer Richtungen sind ebenso berücksichtigt wie spezifisch juristische Autoren. Die große Zahl der Philosophen, die in der Auswahl enthalten ist, läßt einmal mehr daran zweifeln, ob der Titel „Strafrechtsdenker ...“ zutreffend gewählt ist. Für die Philosophen ist das Problem der Strafe und des Strafrechts ein Thema unter vielen, mit dem sie sich auseinandergesetzt haben, ohne damit sogleich zu Strafrechtsdenkern im engeren Sinne zu werden. Bei den Rechtsgelehrten hingegen, namentlich den Strafrechtsgelehrten, ist es ein zentrales Thema ihrer Lehren, gelegentlich das Thema ihres Lebens und Wirkens schlechthin. Bei der Auswahl selbst hat der Herausgeber mit großem Geschick und großer Treffsicherheit, vor allem aber mit einer souveränen Kenntnis der Geschichte der Strafrechtstheorie, jene Stellen ausgewählt, auf die es bei der Entwicklung der strafrechtlichen Theorie ankommt und die als Eckpunkte dieser Entwicklung anzusehen sind.

Insgesamt hat der Herausgeber aus Sicht des Rezensenten ein spannendes rechtshistorisches Lesebuch vorgelegt, das in einer komprimierten Form die Diskussion über die Grundprobleme von Strafe und Recht in der Neuzeit wiedergibt und anhand sorgfältig ausgewählter Textpassagen dokumentiert. Mit dieser Dokumentation ist es ihm gelungen, nicht nur einen wichtigen Beitrag zur Geschichte der Strafrechtswissenschaft und des Strafrechts zu leisten, sondern zugleich wesentlich zum Verständnis auch des gegenwärtigen Strafrechts und dessen Problemen beizutragen.

Salzburg                                                                                                              Arno Buschmann