Descamps, Olivier, Les origines
Descamps, Olivier, Les origines de la responsabilité pour faute personnelle dans le code civil de 1804, préface de Lefebvre-Teillard, Anne (= Bibliothèque de droit privé 436). Librairie Générale de Droit et Jurisprudence, Paris 2005. XIV, 555 S.
Das Werk von Descamps, eine unter Anne Lefebvre-Teillard von der Universität Paris II (Panthéon-Assas) entstandene thèse de droit, hat zum Ziel die Geschichte „du principe général de la responsibilité pour faute personnelle“, so wie es sich im Code civil darstellt. Im ersten Hauptteil geht der Verfasser den Ursprüngen der zivilrechtlichen Verantwortlichkeit der faute personnelle nach, und zwar zunächst im gemeinen Recht (S. 19-170). Im Einzelnen arbeitet Descamps die Begriffe des Schadens (dommage), der Kausalität, des Verschuldens, der manière de procéder (strafrechtlich oder zivilrechtlich), der Wiedergutmachung des Schadens und der Rechtsnatur der Quasidelikte heraus, deren Systematisierung scheiterte, sowie die Verbreiterung der lex Aquilia im Hinblick auf den Umfang des Schadensersatzes (Begriff des Damnum), der allerdings noch nicht das Schmerzensgeld umfasste. Sowohl die Legisten als auch die Kanonisten befassten sich ausführlich mit dem Begriff der culpa. Letztere entwickelten den Begriff der Zurechnungsfähigkeit und legten großes Gewicht auf den Willen und die Tat (action) unter Berücksichtigung der Willensfreiheit und der Absicht des Handelnden. Im Anschluss an das römische Recht stellten die Legisten die verschiedenen Verschuldensgrade heraus. Der strafrechtliche Charakter der Schadensersatzklagen dauerte an, zumal die Kanonisten jede Sünde als crime ansahen. Geteilt unter den Legisten war die Ansicht darüber, ob die Schadensersatzpflicht passiv vererblich war oder nicht. Die Kanonisten bejahten trotz des ihrer Meinung nach kriminellen Charakters der Sünde die Wiedergutmachungspflicht auch über den Tod des Schädigers hinaus. Eine große Bedeutung für die Subjektivierung des Deliktsrechts hatte die Beichtpraxis (Anordnung der jährlichen Beichte nach dem Laterankonzil 1215). Insgesamt ist nach Descamps der besondere Beitrag der Kanonistik und der Theologie für die Herausbildung der Regeln über die Deliktshaftung für das Mittelalter, aber auch für die Folgezeit immer mit zu berücksichtigen. – Im Abschnitt über die Anfänge der privatrechtlichen persönlichen Deliktshaftung im mittelalterlichen französischen Recht (jura propria; S. 171-274) spielte nach Descamps das Verfahrensrecht bei der Herausbildung der résponsabilité eine maßgebende Rolle. Insbesondere die Beteiligung des Procureur du Roi begünstigte eine Trennung der zivilrechtlichen von der strafrechtlichen Verantwortlichkeit. Dabei war die Wiedergutmachung des Schadens von großer Bedeutung bei dieser Entwicklung, die zwischen 1240 und 1350 auch zu einer Kollektivhaftung von Gemeinden und Personengesamtheiten führte, wenn sich der Schädiger nicht ermitteln ließ. Gegenüber der ursprünglich objektiven Haftung setzte sich im Süden sehr viel früher als im Norden die vom Strafrecht begünstigte Subjektivierung der Verantwortlichkeit durch.
Der 2. Teil über die Verallgemeinerung des zivilrechtlichen Deliktstatbestandes beginnt mit einer breiten Darstellung der allmählichen Systematisierung der zivilrechtlichen Verantwortlichkeit pour faute personnelle (S. 271-390). Hierzu trug die Wiederbelebung der Unterscheidung zwischen Zivilrecht und öffentlichem Recht insbesondere durch Jean Domat bei. Pothier behandelte das Deliktsrecht dann in seinem „traité des obligations“ völlig losgelöst vom Strafrecht. Die Entpönalisierung des Deliktsrechts wurde durch die Neubestimmung der Rechtsnatur der Quasidelikte gefördert. Die Begriffe des dommage, der faute und der Kausalität wurden verfeinert. Der Schaden umfasste nunmehr auch den dommage moral. Der défaut de prévisibilité bildete ein wesentliches Element des Verschuldens, während die Kausalität um die Idee der causalité directe systematisiert wurde. Der Geschädigte konnte auch noch nach der Ordonnance civile von 1670 den Schadensersatz im Strafprozess verfolgen; letzteres war schon aus Kostengründen der am häufigsten gewählte Weg. Ferner geht Descamps ein auf die passive Vererblichkeit der Schadensersatzverpflichtung, die Verjährung, die Höhe des Schadensersatzes und auf Vollstreckungsmaßnahmen. Insgesamt blieb trotz der systematisierenden Anstrengungen in der Praxis die Kasuistik vorherrschend. – Im abschließenden Teil (S. 391-472) arbeitet Descamps die endgültige Anerkennung des allgemeinen Prinzips zivilrechtlicher deliktischer Verantwortlichkeit pour faute personnelle durch die Theorie und deren Übernahme durch den Gesetzgeber des Code civil heraus. Der Verfasser geht aus von der Bejahung des Prinzips durch Grotius schon in der Inleidinge und später in seinem Werk De iure belli de pacis sowie durch Pufendorf. Beide Autoren wurden in Frankreich vor allem durch die kommentierten Übersetzungen Barbeyracs bekannt. Der Jeansenist Jean Domat griff die von der spanischen Spätscholastik beeinflussten naturrechtlichen Lehren auf und näherte sich, wenn auch noch nicht völlig, einer deliktsrechtlichen Generalklausel, die erst bei Prévost de la Jannèt (Professor für französisches Recht an der Universität Orléans, Vorgänger Pothiers) in dessen Werk „Le principe de la jurisprudence française“ (1750) ausgebildet wurde. Weitere Beiträge kamen von d’Aguesseau, Bourjon, Pothier und von Garat, der in dem Répertoire Guyot eine Synthese insbesondere der Thesen Domats und Pothiers besonders zum Begriff des Quasidelikts vornahm. Die drei Entwürfe von Cambacérès zu einem Code civil (1793-1796) enthielten eine deliktsrechtliche Generalklausel, ohne jedoch – aus nicht mehr feststellbaren Gründen – die faute zu erwähnen. Erst der Redaktorenentwurf von 1800 griff wieder auf das Verschuldensprinzip zurück „Tout fait quelconque de l’homme qui cause à autrui un dommage oblige celui par la faute duquel il est arrivé à le réparer, encore que la faute ne soit point de la matière de celle qui expose à des peines de police ou correctionnelles“ (S. 453). Ergänzt wurde dieses Prinzip durch Tatbestände zur Gefährdungshaftung und zur Haftung für Gehilfen und Kinder (Art. 20 des Entwurfs). Die Kritik der Gerichte richtete sich vor allem gegen die sehr weite Ausdehnung des Entlastungsbeweises in Art. 20. Die für die Staatsratsberatungen bestimmte überarbeitete Fassung der späteren Art. 1382ff. C.c. berücksichtigte diese Kritik und andere Beanstandungen. Vor allem wurde im Grundtatbestand der Bezug auf das Strafrecht weggelassen. Als für die mit dem Deliktsrecht verbundenen rechtsdogmatischen und gesellschaftspolitischen Zielsetzungen sehr ergiebig erweisen sich die Präsentationsreden von Staatsratsmitgliedern im Corps législatif und im Tribunat. Insbesondere wird in diesen Reden der Einfluss der naturrechtlich-christlich bestimmten Lehren Domats und Pothiers deutlich (S. 464ff.). Die Haftung für Gehilfen und Kinder sollte der Lockerung der häuslichen Disziplin entgegenwirken. Das im Code civil verwirklichte Prinzip ist ausgerichtet an der „résponsabilité pour faute personnelle et revêt un caractère subjectif“ (S. 475). Ausführliche Register schließen den Band ab: Nachweis der partikularen Quellen (meist der Coutûmes), Quellenindex der Autoren und anonymen Werke sowie Index der Begriffe, der zumindest für den neuzeitlichen Teil noch ausführlicher hätte sein können.
Bei dem Werk von Descamps handelt es sich um ein ambitioniertes Unternehmen, das die Mediävistik mit den neuzeitlichen Entwicklungen überzeugend verbindet. Im Mittelpunkt steht die Strukturanalyse, weniger die detaillierte Quellenanalyse, die erst für die Zeit ab Grotius ein stärkeres Gewicht erhält. Aufschlussreich ist insbesondere die unmittelbare Entstehungsgeschichte der Art. 1382 ff. C.c., deren Materialien (auch die Kritik der Gerichte am Entwurf von 1800) allgemein immer noch zu wenig beachtet werden. Es fehlt allerdings ein Blick auf die zeitgenössischen, zum Teil abweichenden Parallelentwicklungen in einigen europäischen Nachbarstaaten (so auch auf das preußische ALR, dessen französische Übertragung zwischen 1801/02 erfolgte). Die Darstellung ist ausgerichtet an den Merkmalen des Deliktstatbestandes (schädigende Handlung, Verschulden, Schaden und dessen Wiedergutmachung). Nicht so markant herausgestellt werden dabei die Widerrechtlichkeit (illicéité) und vor allem die Haftung für Hilfspersonen, Fragen, die für andere, auch auf dem jus commune beruhende Rechtsordnungen von größerer Bedeutung sind. Insgesamt stellt das auf einer Vielzahl von Quellen beruhende Werk eine grundlegende dogmen- und ideengeschichtliche Untersuchung zur französischen und europäischen Privatrechtsgeschichte des Deliktsrechts dar, das die Notwendigkeit solcher zeitlich und quellenmäßig umfassender Darstellungen für die Rechtsgeschichte in beeindruckender Weise belegt.
Kiel
Werner Schubert