Die Protokolle des Preußischen Staatsministeriums
Die Protokolle des Preußischen Staatsministeriums 1817-1934/38. Band 2 6. Januar 1830 bis 2. Juni 1840 bearb. v. Rathgeber, Christina (= Acta Borussica N. F. Erste Reihe, hg. v. d. Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften 2). Olms-Weidmann, Hildesheim 2004. IX, 496 S.
Die Protokolle des Preußischen Staatsministeriums 1817-1934/38. Band 12/1, 12/2 4. April 1925 bis 10. Mai 1938, bearb. v. Zilch, Reinhold unter Mitarbeit v. Holtz, Bärbel (= Acta Borussica N. F. Erste Reihe, hg. v. d. Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften 12,1, 12, 2). Olms-Weidmann, Hildesheim 2004 XVI, 796 S.
Der von Christina Rathgeber herausgegebene Band (allgemein zu der Reihe Rez., ZRG, Bd. 118 [2001], S. 720ff.) umfasst mit der Zeit vom 6. 1. 1830 bis zum 2 .6. 1840 die letzten zehn Regierungsjahre Friedrich Wilhelm III., die gekennzeichnet sind durch die Unentschiedenheit des Monarchen und das Fehlen zukunftsweisender Gesetze. Gleichwohl sind die Staatsministerial(StM)-Verhandlungen von großer Bedeutung, da ein beträchtlicher Teil der Gesetze und Verordnungen der 40er Jahre bereits in den 30er Jahren vom Staatsministerium (StM) beraten oder angeregt worden war (u. a. Disziplinargesetze von 1844; Prüfungsreglement für Beamte, 1846; Kommunalverfassung für Westfalen und die Rheinprovinz; Armengesetzgebung; Grundstücksparzellierung; Feuersozietätsreglements; Zensurwesen; Gewerbegesetzgebung; Forst- und Jagdvergehen). Von den 484 Protokollen betreffen 58 von Bärbel Holtz aufgefundene Texte die Landtagsabschiede, welche das StM zusammen mit der Kommission für die ständischen Angelegenheiten zwischen März 1834 und Dezember 1838 beraten hat. Vor allem mit den Besonderheiten der Rechtsordnungen der einzelnen Provinzen, vornehmlich mit derjenigen der Provinz Posen und der Rheinprovinz, befasste sich das StM zu wiederholten Malen. Wichtige Beratungsgegenstände des StM waren außer den Integrationsbemühungen um die genannten Provinzen die Gesindeordnung für die Rheinprovinz, die Landgemeindeordnung für Westfalen und die revidierte Städteordnung für das Rheinland, die Reform des Beamtenrechts, die Stellung der Verwaltung gegenüber der Justiz, die Publikation der Landtagsabschiede sowie das Verhältnis zur katholischen Bevölkerung und Kirche (S. 283f. 1838 Beratung der sechs Gesetzentwürfe über verschiedene Angelegenheiten der kath. und ev. Kirche, u. a. über die Mischehen und die Aufhebung der obligatorischen Zivilehe in der Rheinprovinz; zu letzterem bereits 1836/37, S. 197, 239; hierzu W. Schubert in: Schubert/Regge, Gesetzrevision, Bd. II/6, 1987, S. LVff.). Ein wichtiger Beratungsgegenstand waren Gesetzentwürfe zur Einschränkung des landrechtlichen Ehescheidungsrechts (1835 und 1837; S. 164ff., 171f., 173ff., 242f., 252f.). Mit jüdischen Ehetrennungen befasste sich das StM 1836 (S. 196f.). Weitere wichtige Themen waren: Fortsetzung der Gesetzrevision (1832/33, S. 106, 112) sowie die Provinzialgesetzgebung (S. 107, 230), die Kinderarbeit (1839; S. 301f.), das Bergrecht (1835, S. 202, 327; vgl. Schubert, Gesetzrevision, Bd. II 8), die Gerichtsverfassung (1835; S. 185ff.), die kurze Verjährung (1898, S. 194f.) und das Wechselrecht (1839; S. 307, 310f.; hierzu Schubert, Gesetzrevision, II 4). Die Regesten erschließen erstmals die zahlreichen Beiträge des Kronprinzen, des späteren Königs Friedrich Wilhelm IV. (Teilnahme an zwei Dritteln der StM-Sitzungen) insbesondere zu rechtspolitischen Fragen (zum Ehescheidungsrecht in neun von zwölf dieser Thematik gewidmeten Sitzungen; zum Zensurwesen, zum Züchtigungsrecht gegenüber dem Gesinde, zur Landgemeindeordnung für Westfalen und vor allem zum Eisenbahnrecht; hierzu auch Schubert, ZRG GA 116 [1999], S. 152ff.). Im reichhaltigen Personenregister sind mehrere Gesetzrevisoren biographisch berücksichtigt worden (Eimbeck, Grein, Jaehnigen, Krausnick, Reinhardt, Scheller, Voswinkel). Hervorzuheben ist, dass für die bedeutsameren Beratungsgegenstände die Regesten die Protokolle erheblich detaillierter erschließen (etwa für das Ehescheidungs- und das Gerichtsverfassungsrecht), als dies für die meisten anderen Bände der Edition möglich war.
Die beiden von Reinhold Zilch unter Mitwirkung von Bärbel Holtz bearbeiteten Teilbände des Bd. 12 enthalten bzw. weisen nach die 401 Protokolle vom 4. 4. 1925 bis zum 10. 5. 1938. Zwischen 1935 und 1938 fanden noch 10 protokollierte Sitzungen statt; bis Mitte 1932 sind die Texte grundsätzlich reine Beschlussprotokolle, die „nichts zum Diskussionsverlauf bzw. von oft nur zu vermutenden Dramatik mancher Entscheidungssituation vermitteln“ (S. 37). Deshalb versucht die Edition durch den Nachweis von Verordnungen, Entwürfen, Anträgen und Voten den Prozess der Beschlussfassung transparent zu machen (S. 38). Der von Bd. 12 abgedeckte Zeitraum ist gekennzeichnet durch die sog. Glanzzeit der Weimarer Republik, die Weltwirtschaftskrise, den ersten und zweiten Preußenschlag (1932, 1933) sowie durch die Gleichschaltung der Länder durch die nationalsozialistische Regierung. Die wichtigsten Beratungsgegenstände betrafen das Preußen-Reich-Verhältnis (einschließlich des sog. Preußenschlags), die Instruktion der preußischen Bevollmächtigten im Reichsrat, die Staatsfinanzen, die Beamtenpolitik (zögernde Reform des Disziplinarrechts; Besoldungsreform, Treupflicht), die Kommunalpolitik sowie die Verwaltungsreformen (Eingriffe in die Selbstverwaltung; Gebietsreform), die Umsiedlungs- und Wohnungspolitik, den Republikanismus und den Republikschutz sowie die Schul-, Bildungs- und Kirchenpolitik (Konkordat; Staatsvertrag mit den evangelischen Landeskirchen) und die Polizei. Aus dem Justizressort sind zu erwähnen die vornehmlich vom Reich betreuten Entwürfe zum Strafrecht (1927; S. 139), zur Strafvollstreckung und zum Einführungsgesetz zum StGB (S. 242, 291), zum Strafprozess (1926; S. 128), zum Unehelichenrecht (1926, S. 111; hierzu W. Schubert, Die Projekte der Weimarer Republik zur Reform des Nichtehelichen-, des Adoptions- und des Ehescheidungsrechts, Paderborn 1986), zum Urheberrecht (S. 148, 251), zur Gerichtsverfassung und Justizreform (S. 120f., 175, 182, 235; Besetzung der Oberlandesgerichts-Senate mit drei oder fünf Richtern, S. 184 [1928]; S. 209 [Entlastung des Reichsgerichts]; S. 264 [Plan zu einer Straffung der Justiz]), zum Arbeitsgerichtsgesetz und zur Arbeitslosenversicherung (S. 83, 127), zum Jugendschutz (S. 122, 123, 125, 147, 148) und zum Miet- und Pachtrecht (S. 61ff., 73, 150). Aus der NS-Zeit sind zu erwähnen als Beratungsgegenstände das preußische Erbhofgesetz von 1933 (S. 371f.), das Schöffenwahlgesetz von 1933 (S. 351), das preußische Jagdgesetz und das Ausführungsgesetz zum Gewohnheitsverbrechergesetz von 1934 (S. 361, 365). Über die Justizminister Hugo am Zehnhoff (bis März 1927) und Hermann Schmidt (bis März 1933) fehlen bisher aus den Quellen erarbeitete Biographien. Im Vergleich zu den bisherigen Bänden ist das Personenregister besonders umfangreich (S. 511-737), das alle in den Protokollen erwähnten Personen biographisch erschließt, z. B. auch die für die NS-Strafrechtsreform wichtigen Ministerialbeamten (Ernst Schäfer; Otto Rietzsch). Zusammen mit Bd. 11 ist Bd. 12 der Edition für die Rechtsgeschichte der Weimarer Zeit und die Jahre 1933/34 bei der engen praktisch-organisatorischen Zusammenarbeit zwischen den jeweiligen Ministerien Preußens und des Reichs insbesondere für die Privat- und Strafgesetzgebung von großer Wichtigkeit.
Mit den Bänden 2 und 12 der Regestenedition – die Mikrofilmedition mit dem Volltext der Protokolle liegt bereits seit 1997 vor – ist die Neue Folge der Acta Borussica abgeschlossen. Zu bedauern ist, dass die Regesten nicht in allen Bänden so ausführlich sind wie in Bd. 2. Dies hängt jedoch entweder mit der großen Anzahl der Beratungsgegenstände, oder mit der oft sehr knappen Fassung der Protokolle sowie mit den Umfangszwängen, denen die Herausgeber unterlagen, zusammen. Dies wird jedoch meist kompensiert durch die weiterführenden Hinweise der Herausgeber auf die archalischen überlieferten Sachakten und die Literatur. Die Bearbeiter haben im Übrigen alle wichtigen Beratungsgegenstände, und zwar auch diejenigen der Privat-, Straf- und Justizgesetzgebung, wie vor allem Bd. 2 zeigt, angemessen berücksichtigt, was bei vergleichbaren Editionen leider nicht immer der Fall ist. Die reichhaltigen Personenregister, die grundsätzlich auch die OLG-Präsidenten nachweisen, bilden ein nahezu lückenloses Lexikon zur Personalgeschichte der preußischen Justiz. Erwünscht wäre zumindest für die Zeit bis 1848 eine Regestenedition der Protokolle des Staatsrats einschließlich der Staatsratsdrucksachen. Es ist zu hoffen, dass mit der vorliegenden Edition die immer noch ausstehende Privat- und Strafrechtsgeschichte Preußens und des Reichs für das 19. und das beginnende 20. Jahrhundert als Ergänzung und Fortführung des im wesentlichen bis 1850 reichenden Werkes Adolf Stölzels: „Brandenburg-Preußens Rechts- und Verwaltung und Rechtsverfassung (Berlin 1888, neu hg. von J. Regge, Vaduz 1989) näher gerückt ist.
Kiel
Werner Schubert