Fink, Bertram, Die Böhmenkircher Bauernrevolte

1580-1582/83. Herrschaft und Gemeinde im ,langen 16. Jahrhundert’ (1476-1618) (= Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde). DRW-Verlag, Leinfelden-Echterdingen 2004. XIII, 322 S. Besprochen von Bernd Schildt.

Fink, Bertram, Die Böhmenkircher Bauernrevolte 1580-1582/83. Herrschaft und Gemeinde im ,langen 16. Jahrhundert’ (1476-1618) (= Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde). DRW-Verlag, Leinfelden-Echterdingen 2004. XIII, 322 S.

 

Das hier zu besprechende Buch hat im Wintersemester 2001/02 der Fakultät für Philosophie und Geschichte der Eberhard-Karls-Universität Tübingen als Dissertation vorgelegen. Bereits ein flüchtiger Blick ins Inhaltsverzeichnis läßt sofort erkennen, daß der Verfasser seine Darstellung breiter angelegt hat, als der Titel eigentlich vermuten läßt. Nach einer den Forschungsstand reflektierenden Einleitung, in der auch grundsätzliche quellenkritische und methodische Fragen geklärt werden, gliedert der Verfasser die Arbeit in vier Sachkapitel. Zunächst wird im ersten Teil – Herrschaft und Gemeinde am Ausgang des Mittelalters (S. 21-63) – die siedlungs- und verfassungsgeschichtliche Entwicklung der Ortschaft Böhmenkirch bis zum Ausgang des 15. Jahrhunderts referiert.

 

Im folgenden zweiten Teil der Arbeit – Der objektive Konflikt: Herrschaft und Gemeinde bis zum Ausbruch der Böhmenkircher Unruhen (1476-1580): die Situierung der Böhmenkircher Beschwerden in die strukturellen Wandlungsprozesse des „langen 16. Jahrhunderts“ (S. 64-133) – wendet sich Fink zunächst detailliert siedlungs-, wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Fragestellungen seines Untersuchungsgegenstandes zu. Anschließend geht er auf die verfassungs- und verwaltungsrechtliche Entwicklung im Rahmen der Territorialisierungspolitik der Rechbergischen Lehnsherrschaft ein. Dabei wird deutlich, daß sich die Rahmenbedingungen für die Herrschaftsausübung und die Interessenlage gerade kleinerer Herrschaften im Verlauf des 16. Jahrhunderts gegenüber der Situation im Spätmittelalter grundsätzlich gewandelt hatten. Der Gefahr wirtschaftlicher Konkurrenz durch die bäuerliche Oberschicht in Böhmenkirch suchte der Grundherr – Haug von Rechberg – durch verstärkte Kontrollmaßnahmen bezüglich der Einhaltung herrschaftlicher Gebote zu begegnen. Von besonderer Bedeutung war in diesem Zusammenhang die Beseitigung des Böhmenkircher Gerichts, womit der Gemeinde wohl die entscheidende institutionelle Grundlage ihrer kommunalen Autonomie und Widerstandskraft entzogen worden ist.

 

Im dritten Teil – Die Böhmenkircher Bauernrevolte in der Perspektive der Zeitlupe aus der Sicht der Akteure (1580-1582/83), (S. 134-228) – nimmt der Verfasser sein eigentliches Thema in den Blick. Ausgelöst durch die ein Menschenalter währende allmähliche Verschlechterung ihrer wirtschaftlichen und rechtlichen Lage erhoben sich die Bewohner des Marktes Böhmenkirch in der Herrschaft Weißenstein im September 1580 gegen ihren Grundherrn Haug von Rechberg. Getragen von den Gemeindeinstitutionen Vierer, Gemeindeversammlung und Rat bewegten sich die Widerstandsaktionen zunächst in rechtlichen Bahnen in Gestalt der üblichen Supplikation an den Lehnsherrn Haug von Rechbergs – Erzherzog Ferdinand. Schließlich gelangte die Böhmenkircher Angelegenheit mit einer herzöglichen Fürschrift an den Reichshofrat, der seinerseits eine Kommission zur Beilegung des Konfliktes einsetzte. Jedoch scheiterte deren Versuch einer Konfliktschlichtung im Wege des Vergleichs. Die Auseinandersetzung eskalierte weiter und gipfelte schließlich in einem Gemeindebeschluß zum Boykott des Besuchs der Tagungen der Reichshofratskommission. Unter Berufung auf eine angebliche Reichsunmittelbarkeit erwirkte die Böhmenkircher Gemeinde zuletzt ein gegen die Kommission und den Reichshofrat gerichtetes Mandat des Reichskammergerichts. Die damit eingetretene Konkurrenz der beiden obersten Reichsgerichte endete mit der Anordnung des Reichshofrats, das Verfahren am Reichskammergericht unverzüglich einzustellen, da die Klage vom Kläger zuerst beim Reichshofrat anhängig gemacht worden sei. Das von den Böhmenkircher beim Reichskammergericht eingeleitete Verfahren diene lediglich der Fortsetzung ihrer Rebellion gegenüber der Reichshofratskommission.

 

Finke zeigt die unterschiedlichen Verhaltensalternativen sowohl der Gemeinde als auch der Herrschaft auf. Je nach Zweckmäßigkeit werden offene Gewalt bzw. Rebellion oder rechtliche Konfliktlösungsmechanismen bevorzugt. Nach dem Zusammenbruch des bäuerlichen Widerstandes wurde gegen die Rädelsführer peinliche Anklage wegen Crimen laese majestatis – offenbar vor der kaiserlichen Kommission – erhoben. Auf der Grundlage eines Gutachtens der Tübinger Juristenfakultät erging schließlich ein vergleichsweise mildes Urteil, nach dem die Angeklagten freizulassen seien und nur mit zeitlich begrenzten, gemessen am ursprünglich erhobenen Vorwurf, eher symbolischen Auflagen belegt wurden.

 

Im vierten Teil – Herrschaft und Gemeinde am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges: die Folgen der Böhmenkircher Bauernrevolte (1582-1618), (S. 229-270) – wendet der Autor sich den Folgewirkungen des Geschehens um die Böhmenkircher Bauernrevolte zu. Gemeindliche Mitwirkung am politischen Tagesgeschehen reduzierte sich fortan weithin auf die Möglichkeit der Untertanen, auf den Verhörtagen Bittgesuche und Supplikationen an die Herrschaft zu stellen. Fink sieht in dem Umstand, daß Einzelkonflikte vor den Verhörtagen und in den Gemeindeversammlungen offen ausgetragen wurden ein systemstabilisierendes Element, da damit ein Konfliktstau vermieden werden konnte.

 

Die von Bertram Fink vorgelegte Fallstudie liefert einen wertvollen regionalen Baustein zum Beleg der These Winfried Schulzes von der Verrechtlichung sozialer Konflikte beim Übergang von der spätmittelalterlichen zur frühneuzeitlichen Ordnung. Daß dabei die spezifisch rechtshistorische Dimension des Geschehens bei weitem nicht ausgeschöpft worden ist, ist einem Allgemeinhistoriker kaum vorwerfbar. Nicht unproblematisch sind allerdings gelegentlich auftretende terminologische Unschärfen bei der Verwendung juristischer Termini. So ist beispielsweise die Verwendung des Begriffes „Reichsgerichtsprozesse“ (S. 20) für das späte 16. Jahrhundert mindestens mißverständlich und die Gegenüberstellung eines Eigentumsbegriffs nach privatrechtlichen oder römisch-rechtlichen Vorstellungen wohl kaum haltbar (S. 115). Gleichwohl bleibt bemerkenswert, in welchem Maße sich Bertram Fink auf genuin rechtshistorische Fragestellungen eingelassen hat.

 

Bochum                                                                                                          Bernd Schildt