Svarez, Carl Gottlieb, Entwurf eines allgemeinen Gesetzbuches für die preußischen Staaten.
SchwennickeSvarez20000914 Nr. 787 ZRG 118 (2001) Svarez, Carl Gottlieb, Entwurf eines allgemeinen Gesetzbuches für die Preußischen Staaten. Band 1 Erster Teil, Erste Abteilung. Edition nach der Ausgabe von 1784 mit Hinweisen auf das ALR, AGB, die eingegangenen Monita und deren Bearbeitung sowie mit einer Einführung und Anmerkungen von Krause, Peter (= Gesammelte Schriften, Zweite Abteilung Die preußische Rechtsreform, Band 1). Frommann-Holzboog, Stuttgart 1996. XV, 447 S.
Die Werke des wichtigsten Bearbeiters des Preußischen Allgemeinen Landrechts, Carl Gottlieb Svarez’ (1746-1798), sind seit seinem Tode nicht wieder aufgelegt worden und antiquarisch nur schwer auffindbar. Um so verdienstvoller ist es, daß der Verlag Frommann-Holzboog und der Herausgeber Peter Krause eine umfassende Edition von Svarez‘ Schriften in Angriff genommen haben. Allerdings ist es eher überraschend, daß als erster Band der erste, 1784 veröffentlichte Teil des Entwurfs eines Allgemeinen Gesetzbuchs für die Preußischen Staaten erschienen ist. Der 1784 bis 1788 erschienene Entwurf liegt bereits in einem 1985 vom Verlag Keip besorgten Reprint vor. Darüber hinaus ist es – gerade nach den Feststellungen Peter Krauses in der Einleitung (p. XV-LXXXIV) ‑ kaum möglich, den Entwurf so ausschließlich Svarez zuzurechnen, daß er als „sein“ Werk gesehen werden könnte.
Gegenüber dem Reprint von 1985 zeichnet sich die neue Ausgabe durch gelegentliche Kommentierungen zum Text des Entwurfs und durch Hinweise aus, von welcher Seite nach der Publikation des Entwurfs zu den jeweiligen Vorschriften schriftliche Kritiken (die sog. Monita) bei den Verfassern des Entwurfs eingegangen sind. Dazu sind dem Text eine chronologische Übersicht über das Verfahren bis zum gedruckten Entwurf (p. LXXXV-XCI) sowie eine Übersicht über die einzelnen Schritte der Gesetzgebung nach einer Darstellung Simons und Strampffs aus dem Jahr 1836 vorangestellt. Eine Liste der Monenten und der Vorschriften, zu denen sie sich geäußert haben, schließt den Band ab (S. 339-359). Rückschlüsse auf die Inhalte der Diskussion einzelner Vorschriften des Entwurfs läßt die vorliegende Edition allerdings nicht zu, da die Anmerkungen des Herausgebers nur zeigen, daß und von wem Kritik zu einer Bestimmung geäußert wurde. Für den Inhalt der Kritik bleibt die Forschung weiterhin auf die im Geheimen Staatsarchiv zu Berlin (früher Deutsches Zentralarchiv, Abt. Merseburg) verwahrten ungedruckten Gesetzesmaterialien angewiesen, und hier vor allem auf den von Grolmann und Goßler erstellten sogenannten Auszug aus den Monita (p. LXXXIII). Somit ist der Kern des vorliegenden Bandes die ausführliche Einleitung, in der Peter Krause die brandenburgisch-preußische Kodifikationsgeschichte des 18. Jahrhunderts im allgemeinen und die Entstehungsgeschichte des Entwurfs im besonderen darlegt. Krauses glänzend geschriebene Darstellung faßt die Ergebnisse von mehr als zwei Jahrhunderten Forschung und langjähriger eigener Beschäftigung mit der preußischen Gesetzgebung des ausgehenden 18. Jahrhunderts souverän zusammen, wobei die neuere Forschung auch dort präsent ist, wo auf bibliographische Nachweise in den Fußnoten verzichtet wurde. Eine Bibliographie der bisherigen Forschung will Krause nämlich genauso wenig liefern wie eine Quintessenz der bisherigen Forschung: Ihm geht es darum, die Quellen noch einmal neu zu lesen. Dies fördert teils übersehene Details, teils überraschende Erkenntnisse, jedenfalls aber ein diskussionswürdiges neues Verständnis der Gesetzgebung zutage.
Nach Krause läßt sich die Gesetzgebungsgeschichte des gesamten 18. Jahrhunderts nur als dialektisches Wechselspiel zwischen dem Bemühen der brandenburgisch-preußischen Herrscher, ihre Souveränität durch symbolische Gesetzgebungsakte zu unterstreichen, ohne aber zu einer umfassenden Reform im eigentlichen Sinne bereit zu sein, und dem hierüber hinausgehenden kodifikatorischen und reformerischen Impetus der Großkanzler Cocceji und Carmer verstehen. Die Idee der Justizreform durch umfassende Kodifikation sei Friedrich II. durch Cocceji 1746 und Carmer 1780 „untergeschoben“ worden. In Wirklichkeit habe der König den gesetzgeberischen Bemühungen sowohl Coccejis als auch Carmers höchst distanziert gegenüber gestanden. Dies zeige sich daran, daß das von Cocceji verfaßte „Project des codicis Fridericiani Marchici“ nie förmlich als Gesetz in Kraft gesetzt worden sei. Auch der Entwurf des Allgemeinen Gesetzbuchs habe 1784 wegen der Mißbilligung der Gesetzgebung durch den König nur als Privatdruck im Namen des Großkanzlers veröffentlicht werden können. Das auf die Aufforderung zur öffentlichen Begutachtung folgende Lob an die Adresse Friedrichs II. in Kants Aufklärungsaufsatz in der Berlinischen Monatsschrift von 1784 habe auf einem Mißverständnis beruht, da der König zeitgleich seine Verachtung und sein völliges Desinteresse an jeglicher Gesetzeskritik zum Ausdruck gebracht habe. Ohne den Regierungswechsel und den Carmer gewogeneren Nachfolger Friedrich Wilhelm II. wäre das Preußische Allgemeine Landrecht nie als förmliches Gesetz publiziert worden. Da Krauses Einleitung nur bis zur Veröffentlichung des Entwurfs reicht, bleibt offen, wie nach Krauses Meinung die von Friedrich Wilhelm II. verordnete Suspension in das Bild vom Förderer des Gesetzbuchs einzuordnen wäre. Krause sieht die Entstehung des Entwurfs von 1784 als eine Kette teils offener, teils versteckter Insubordinationen des von ihm als geltungssüchtig beschriebenen Carmer und seines inoffiziellen Gehilfen Svarez. Er belegt minutiös, wo Carmer und Svarez vom Wortlaut königlicher Anordnungen abweichend vorgingen. Insbesondere hätten Carmer und Svarez entgegen der Kabinettsorder vom 14. April 1780 und dem Patent für die Gesetzkommission vom 28. Mai 1781 den Entwurf nicht durch die nach dem Kollegialprinzip organisierte Gesetzkommission, sondern in alleiniger Verantwortung und ohne die erforderliche Beteiligung der Fachressorts ausgearbeitet. Aus diesem Grund habe der König sich geweigert, dem Entwurf vor einer umfassenden Begutachtung durch die Gesetzkommission seine Zustimmung zu erteilen. Durch die Zulassung eines privaten Appells des Großkanzlers an die Öffentlichkeit habe der König seine eigene Entscheidungsfreiheit schützen, die Angelegenheit auf die lange Bank schieben und damit die wegen der vielen Regelverstöße Carmers an sich notwendige Desavouierung des Großkanzlers durch sofortige Zurückweisung des Entwurfs vermeiden wollen.
Krause stellt zu Recht fest, daß die Veröffentlichung der Gesetzgebung als Entwurf den ursprünglichen Absichten Carmers widersprach und daß die Entscheidung hierzu kurzfristig Anfang 1784 getroffen worden ist. Die umfassend begründete Ansicht Krauses, bei dem publizierten Entwurf habe es sich wegen der Kritik und der Skepsis des Königs um ein letztlich ohne Rückendeckung des Königs durchgeführtes Privatvorhaben Carmers gehandelt, vermag gleichwohl nicht zu überzeugen. Es ist kaum denkbar, daß der König den umfangreichen Gesetzgebungsarbeiten seines Justizministers über Jahre zugesehen hätte, ohne diese aktiv zu unterstützen. Ein Wort des Königs hätte jederzeit ausgereicht, um dem Gesetzgebungsvorhaben sofort den Garaus zu machen. Die Ansicht Krauses, Friedrich II. habe der „Durchbrechung des Verfahrens“ durch Carmer „über Jahre hinweg zugesehen“ und teilweise hieran „aktiv mitgewirkt“ (p. LXXIV), stellt die Realität auf den Kopf: Ein absoluter Herrscher „wirkt“ nicht an der Verletzung von ihm gesetzter interner Verfahrensvorschriften „mit“. Im Gegenteil ist der König den Anregungen seines Großkanzlers bezüglich des Verfahrens der Gesetzgebung in der Regel bis ins Detail gefolgt. Bis zur Veröffentlichung des ersten Teils des Entwurfs ist kein Punkt ersichtlich, an dem Friedrich II. sich offen gegen die Gesetzgebung gewandt oder auch nur die Absicht seines Justizministers, eine umfassende Gesetzgebung zu schaffen, in Frage gestellt hätte. Hätte Friedrich II. 1785 größere Bedenken gegen die Gesetzgebung gehabt als seine berühmte Randbemerkung zum Manuskript des zweiten Teils des Entwurfs, Gesetze müßten „kurtz und nicht weitläuftig“ sein, dann hätte er die Veröffentlichung der weiteren Teile des Entwurfs durch seinen Großkanzler und Justizminister verhindert, in welcher Eigenschaft Carmer hierbei auch immer handelte. Und Carmer hätte ihm die weiteren Teile des Entwurfs nicht vor ihrer Veröffentlichung zur Billigung vorgelegt. Es ist offensichtlich, daß die Zeitgenossen in einem vom preußischen Justizminister unter seinem Namen veröffentlichen Entwurf eines Allgemeinen Gesetzbuchs keine private Meinungsäußerung sahen, sondern ein quasi amtliche Ankündigung eines offiziellen Gesetzgebungsvorhabens durch die zuständige Behörde. Diese Ankündigung konnte nicht durch den König als Gesetzgeber erfolgen, da sonst die Zeitgenossen, ganz wie im Fall des Cocceji’schen Projects, den Entwurf bereits für die Gesetzgebung genommen hätten, was jegliche fachliche Diskussion unmöglich gemacht und zur sofortigen Anwendung bereits der unfertigen Gesetzgebung durch Gerichte und Behörden geführt hätte. Durch die Veröffentlichung des Entwurfs unter Carmers Namen änderte sich natürlich nichts daran, daß der König jederzeit die Möglichkeit besaß, das Gesetzgebungsvorhaben abzubrechen. So ist auch die von Krause (p. LXXIX) zitierte Stelle aus Kleins Darstellung der Gesetzgebungsgeschichte von 1788 zu verstehen, nach der es sich bei der Gesetzgebung bis zur Hinzuziehung der Stände um ein „Privatwerk“ gehandelt habe.
Die von Krause herausgestellten Gegensätze zwischen dem König und den Spitzen seiner Justizbürokratie tragen zum tieferen Verständnis der Gesetzgebung nicht bei, weil Krause die bürokratischen Realitäten des spätfriderizianischen Preußen und die Absichten und Vorstellungen der handelnden Personen verkennt. Wie beispielsweise Eckhart Hellmuth in seiner Studie zum Werthorizont der Bürokratie detailliert belegt hat, standen Carmer, Svarez und die übrigen Mitarbeiter der Gesetzgebung (im wesentlichen auch Klein) fest auf dem Boden der friderizianischen Wirklichkeit. Sie hielten den absolutistischen Staat für die zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt beste Staatsform. Friedrich II. und seinem Nachfolger waren sie treu ergeben. Wo die Redaktoren Änderungen des status quo beabsichtigten, handelte es sich um gesetzgebungstechnische Details, wo sie nicht buchstabengenau das von ihnen selbst vorgeschlagene und in Vorschriften gefaßte Gesetzgebungsverfahren befolgten, um aus Gründen der Praktikabilität und Beschleunigung ergriffene Maßnahmen, ohne die es nie zur Publikation auch nur eines Entwurfs gekommen wäre. Insofern bestätigen die Beobachtungen Krauses über die Durchbrechung von Verfahrensvorschriften nur die Binsenweisheit, daß in jeder Regierungsform umfangreiche Gesetzgebungsvorhaben nur dann zustande kommen, wenn die beteiligten Mitglieder von Justiz und Verwaltung die Grenzen des ihnen eigentlich zugewiesenen Amts überschreiten. Es ist das Verdienst Krauses gezeigt zu haben, in welchem Umfang auch die preußische Gesetzgebung auf dieses Über-Sich-Hinauswachsen der Beteiligten angewiesen war.
Berlin Andreas Schwennicke