Svarez, Carl Gottlieb, Gesammelte Schriften.

* Band 4 Die Kronprinzenvorlesungen, Teil 1 Staatsrecht, Teil 2 Das positive preußische Recht. Frommann-Holzboog, Stuttgart 1999. Besprochen von Christian Hattenhauer. ZRG GA 118 (2001)

HattenhauerchristianSvarez20000905 Nr. 10109 ZRG 118 (2001)

 

 

Svarez, Carl Gottlieb, Gesammelte Schriften. Band 4 Die Kronprinzenvorlesungen, Teil 1 Staatsrecht, Teil 2 Das positive preußische Recht. Frommann-Holzboog, Stuttgart 1999. XC, 948 S.

Im Rahmen der Gesammelten Schriften Carl Gottlieb Svarez deren Herausgabe durch Peter Krause in Verbindung mit der Forschungsstelle Vernunftrecht und Preußische Rechtsreform der Universität Trier auf einen Umfang von insgesamt 27 Bänden angelegt ist, sind als einer der ersten Bände die Kronprinzenvorlesungen erschienen. Der erste Teilband (4.1) behandelt das Staatsrecht, der zweite (4.2) das positive preußische Recht.

Wohl Ende 1790 erhielt der Geheime Oberjustizrat und Geheime Obertribunalrat Svarez von König Friedrich Wilhelm II. (Regierung von 1786-1797) den Auftrag, dem preußischen Kronprinzen, dem nachmaligen König Friedrich Wilhelm III. (1770-1840), die Grundsätze des Allgemeinen Staatsrechts zu vermitteln. Bei Publikation des Allgemeinen Gesetzbuches im Juli/August 1791 wurde der Auftrag auf das positive preußische Recht ausgedehnt. Zwischen Januar 1791 und März 1792 kam Svarez dieser Aufgabe nach und unterrichtete seinen Schüler im Allgemeinen Staatsrecht, Völkerrecht, deutschen Staats- und Fürstenrecht sowie im gesamten positiven preußischen Recht. Er ging besonders auf die Materien ein, die für den künftigen Monarchen von Bedeutung waren. Während er vor dem Hintergrund des Konflikts mit den antiaufklärerischen Rosenkreuzern bei Friedrich Wilhelm II. nicht auf die verdiente Anerkennung stieß, das Allgemeine Gesetzbuch im April 1792 vom König suspendiert wurde und die Aufnahme in die Berliner Akademie der Wissenschaften unterblieb, erwarb er sich durch seine Vorlesungen beim Kronprinzen hohes Ansehen. Nach seinem Regierungsantritt berief Friedrich Wilhelm III. seinen ehemaligen Lehrer im April 1798 in die Akademie der Wissenschaften. Svarez’ Tod im Mai 1798 verhinderte allerdings seine Einführung.

Die Kronprinzenvorlesungen sind schon lange ein besonderer Gegenstand wissenschaftlichen Interesses, entwickelt doch Svarez darin die naturrechtlichen, historischen und politischen Grundlagen des späteren preußischen Allgemeinen Landrechts von 1794. Zur Zeit der Vorlesungen vor dem Thronfolger war er mit der Revisio monitorum zum Entwurf der neuen Kodifikation beschäftigt. Spätestens durch die von Hermann Conrad und Gerd Kleinheyer besorgte Ausgabe (Carl Gottlieb Svarez, Vorträge über Recht und Staat, Köln und Opladen 1960, dazu Robert Scheyhing, ZRG Germ. Abt. 78 [1961], 357ff.) sind Inhalt und Bedeutung der Kronprinzenvorlesungen allgemein hinreichend bekannt, so daß sich insoweit weitere Ausführungen erübrigen und sich das Augenmerk vollständig auf die Edition Krauses richten läßt.

Die Neuausgabe ist in mehrfacher Hinsicht von großer Bedeutung und sehr zu begrüßen. Abgesehen davon, daß die Ausgabe Conrads und Kleinheyers seit langem vergriffen ist, handelt es sich dabei lediglich um einen, wenn auch sehr ausführlichen Quellenauszug, der die schriftlichen Zusammenfassungen unberücksichtigt läßt. Die vorliegende Edition ist die erste vollständige Publikation des Materials und bringt die Quellen in eine völlig neue Ordnung. Bislang war die These unbestritten, die überlieferten Handschriften seien unvollständig. Ursache war das unterschiedliche Format der Vorlesungsmanuskripte – teils Folio, teils Oktav. Der preußische Justizkommissar Simon, der Anfang des 19. Jahrhunderts im Auftrag des preußischen Justizministers Kircheisen den Bestand ordnete, hatte die Manuskripte als dem Format nach zusammengehörend angesehen und – wie auch später nicht in Frage gestellt – die Oktavfassung offenbar wegen ihrer Handlichkeit als das eigentliche Vorlesungsmanuskript der mündlichen Vorträge, die Foliofassung als schriftliche Vorträge zur Aushändigung an den Kronprinzen angesehen. Die Annahme lückenhafter Überlieferung lag bei isolierter Betrachtung beider Formate auf der Hand.

In der Einleitung gelingt Krause nun der akribisch und scharfsinnig geführte, umfangreich – auch durch Vergleich mit anderen Archivbeständen – belegte Nachweis, daß sich die Manuskripte nicht derart trennen lassen, sich vielmehr ergänzen und daß die verbleibenden Lücken auf bewußten Auslassungen Svarez’ beruhen. Das jeweils unterschiedliche Format sollte lediglich Verwechslungen von Übersicht und Textfassung verhindern. Krause belegt ferner ausführlich, daß es sich bei den von Simon als Anhang geführten Handschriften tatsächlich um Übersichten handelt und daß die schriftlichen Zusammenfassungen der Vorträge im Folioformat entgegen Simon keine Vorarbeiten waren, sondern im Gegenteil im Anschluß an die jeweiligen Vorträge zur Übergabe an den Kronprinzen verfaßt worden und vollständig im Konzept erhalten sind. Auf die Darstellung der Einzelheiten muß hier verzichtet werden.

Insgesamt ergibt sich eine gegenüber der Ordnung Simons, der auch die Ausgabe Conrads und Kleinheyers folgt, völlig abweichende Quellenfolge, die die Neuausgabe bei der Textanordnung berücksichtigt: Unabhängig vom Format ist das Material zur Vorbereitung einer bestimmten Vorlesungsstunde zusammengefaßt, soweit die Zuordnung möglich war. Andernfalls ist die Zusammenstellung nach Materien erfolgt. Da von den Vorlesungsmanuskripten die Oktavfassung regelmäßig zeitlich vor der Foliofassung entstanden ist und die genaue Zuordnung nur durch sehr aufwendige Textvergleiche möglich wäre, folgt die Edition stets dieser Reihenfolge. Die dem Vorlesungsabschnitt entsprechenden schriftlichen Zusammenfassungen sind dort jeweils nachgestellt, dabei freilich nach Themenzugehörigkeit getrennt. Dieser Eingriff läßt sich mit Krause gut mit der besseren Übersichtlichkeit und Einheitlichkeit der jeweiligen Vorlesungsabschnitte begründen, zumal die Lektüre im ursprünglichen Zusammenhang mittels Inhaltsverzeichnis und Kolumnentitel weiterhin möglich ist. War die bisherige Darstellung der Kronprinzenvorlesungen durch die Trennung nach Formaten auseinandergerissen, vermittelt Krauses Anordnung erstmals ein geschlossenes organisches Bild der Vor- und Nachbereitung der einzelnen Vorlesung bzw. des jeweiligen Sachthemas wie der Vorlesungen als Ganzes.

Neu ist schließlich, daß die vorliegende Edition den Text getreu auf Grundlage des Manuskripts von Svarez und den beiliegenden, von ihm selbst korrigierten Abschriften unter genauer Kennzeichnung der Originalblätter wiedergibt und auch die frühen Drucke einzelner Vorlesungen berücksichtigt. Nützlich ist ein Überblick über die in den Vorlesungen behandelten Titel des Allgemeinen Gesetzbuchs/Landrechts, der den umfangreichen Registern (Personenregister sowie Sachregister) vorangestellt ist.

Eine Abrundung erfährt die eigentliche Edition der Kronprinzenvorlesungen durch den Anhang, die „Nachricht von den Besuchen, womit des Kronprinzen Friedrich Wilhelm königl. Hoheit die Justiz-Collegia in Berlin im Jahre 1792 zu beehren geruhet haben“, verfaßt von Ernst Ferdinand Klein in seinen Annalen der Gesetzgebung und Rechtsgelehrsamkeit in den preußischen Staaten, Bd. 9, Berlin/Stettin, 1792, S. 293ff. Dem theoretischen Unterricht durch Svarez folgte der Einblick in die juristische Praxis. Hervorzuheben sind die Ansprache des Kammergerichtsdirektors Kircheisen sowie drei Strafrechtsfälle, die in Gegenwart des Kronprinzen verhandelt worden waren.

Die mit großer Umsicht und Sorgfalt redigierte Edition Krauses setzt neue Maßstäbe. Mit ihr dürfte das letzte Wort zur Überlieferung der Kronprinzenvorlesungen gesprochen sein.

Münster                                                                                             Christian Hattenhauer