Henning, Eckart, Auxilia

historica. Beiträge zu den historischen Hilfswissenschaften und ihren Wechselbeziehungen. 2. Aufl. Böhlau, Köln 2004. XI, 482 S., Ill. Besprochen von Armin Wolf.

Henning, Eckart, Auxilia historica. Beiträge zu den historischen Hilfswissenschaften und ihren Wechselbeziehungen. 2. Aufl. Böhlau, Köln 2004. XI, 482 S., Ill.

 

Im Wintersemester 2002/03 konnte man von den 115 deutschen Hochschulen nur noch an 6 (in Worten: sechs) historische Hilfswissenschaften als Hauptfach studieren bzw. mit einem Magister abschließen, an sieben weiteren als Nebenfach. Dies ist das niederschmetternde Ergebnis seiner statistischen Auswertung, mit dem der gerade in den Ruhestand getretene Direktors des Archivs der Max-Planck-Gesellschaft gleich im ersten Beitrag („Die aktuelle Lage der Historischen Hilfswissenschaften in Deutschland“) auf die Misere einer ganzen Fächergruppe hinweist. Den wichtigsten Grund hierfür sieht er in dem verhängnisvollen Verlust der Archivarsausbildung an den Universitäten (S. 5). Henning fordert die Rückverlegung der Marburger Archivschule in die „Berlin-Brandenburgische Archivlandschaft, wo deren Leitung in Personalunion mit einem Hochschulprofessor oder einem GStA-Direktor mit Hochschulrang übertragen werden sollte“. In einem zweiten Schritt müßte an einer der Berliner Universitäten ein „Kompetenzzentrum für Quellenkunde und Quellenkritik“ errichtet werden (S. 7). Ein solches „quasi kognitionswissenschaftliches Institut“ böte den historischen Hilfswissenschaften eine Heimstatt, in der der abgerissene Dialog über alle „Überreste“ (Droysen) von den Tontafeln über die Papyri, den Pergamenten und Papieren bis hin zu den audio-visuellen und opto-elektronischen bzw. digitalen Medien wieder in Gang kommen könnte (S. 8).

 

Den Einband des Buches schmückt ein „Schalenmodell“. Damit will Henning bildhaft darstellen, daß die Quellenkunde mit all ihren Fragen an die Überlieferung den Kern der Geschichtswissenschaft bildet. Diesen Kern umkreisen die historischen Hilfswissenschaften „wie Satelliten, um unter Einsatz ihrer Instrumente zur Beantwortung beizutragen, denn das Verhältnis von Quellenkunde und Hilfswissenschaften ist das von Frage und Antwort“ (S. 8). Hinzuzufügen wäre noch, daß „Geschichtswissenschaft“ hier nicht eng zu verstehen ist, sondern auch Rechts-, Musik-, Wirtschafts-, Technikgeschichte usw. umfaßt. Henning entwirft weiterhin einen aktualisierten Kanon historischer Hilfswissenschaften, der helfen könnte, „hilflose Historiker in Archiven“ zu vermeiden. Die historischen Hilfswissenschaften entwickeln Kulturtechniken, die beim Beschreiben und Vergleichen, Datieren und Lokalisieren, dem Verifizieren und Falsifizieren erlösend und inspirierend wirken (S. 10). Im Forschungsmodenwandel der Geschichtswissenschaft in den neunziger Jahren von der Sozial- und Mentalitätsgeschichte zur Kulturgeschichte sieht Henning eine große Chance.

 

In diesem Einleitungsaufsatz wird deutlich, daß Henning nicht nur ein hilfswissenschaftliches, sondern auch wissenschaftspolitisches Ziel hat.

 

Im zweiten, ebenfalls neuen Beitrag – „Die Historischen Hilfswissenschaften – historisch gesehen“ – geht es um Grundzüge der „Entstehungsgeschichte dieses ‚Werkzeugkastens‘ für Historiker (nicht etwa um die der Werkzeuge)“. Den erstmals 1741 in dem Buchtitel „Auxilia historica oder Behülff zu den Historischen und dazu erforderlichen Wissenschaften“ des Benediktinerabtes Anselm Desing auftretenden lateinischen Begriff hat Henning zum Titel seiner eigenen Aufsatzsammlung gewählt, allerdings mit groß geschriebenen Historica, was er auch begründet. Die deutsche Bezeichnung „historische Hülfswissenschaften“ weist Henning erstmals 1761 bei Johann Christoph Gatterer in Göttingen nach (S. 29-30), also nicht erst 1767. In einem Buchtitel tritt der Begriff auch schon 1784 in einem Werk des Ingolstädter Geschichtsprofessors Johann Nepomuk Mederer auf (S. 33), also nicht erst 1802, wie man bisher meinte. Einzelne Hilfswissenschaften sind freilich viel älter, die Chronologie gibt es seit dem Altertum, Heraldik seit dem Mittelalter, Diplomatik und Sphragistik (Siegelkunde) seit dem Humanismus usw. Für fast alle diese Hilfswissenschaften fehlen Einzeldarstellungen ihrer Disziplinentwicklung, was auch die noch ausstehende Gesamtdarstellung erklärt. Ursprünglich handelte es sich um juristische Hilfswissenschaften (S. 442).

 

Als Beitrag zu der von ihm geforderten Titulaturenkunde untersucht Henning die Titel Professor, Doktor, Magister, Bakkalaureus und Licentiat, auch rechtshistorisch, überwiegend für die letzten 50 Jahre und weitgehend beschränkt auf die deutschen Verhältnisse, versehen mit allerhand bildungspolitischen Spitzen. Eine Einführung „Wappen“ umfaßt 13 Seiten und ist aus dem Handbuch „Die archivalischen Quellen“ wiederabgedruckt. Die verbreitete Begriffsverwirrung „Fahnen oder Flaggen?“ beantwortet Henning mit einer praktischen Übersicht von zehn Unterscheidungsmerkmalen (S. 440): z. B. Fahnen sind militärischen, Flaggen maritimen Ursprungs; Fahnen sind an einer Stange dauerhaft befestigt, Flaggen an beweglicher Leine geführt; Fahnen sind ein unvertretbarer Gegenstand, Flaggen eine vertretbare Sache; Fahnen sind Gegenstand der Verehrung und Hochachtung, Flaggen sind vor Verunglimpfung im Strafgesetzbuch und auch völkerrechtlich geschützt. Der sechste in der 2. Auflage neu hinzugekommene Aufsatz betrifft die Phaleristik (Ordenskunde) als Lehrfach. Nebenbei verteidigt Henning darin die Hilfswissenschaften gegen den „oft überheblichen Unterton“ und die spöttische Assoziierung mit Hilfsschülern selbst in der Fachöffentlichkeit, indem er feststellt: „Schließlich sind die bei ihrer Quellenarbeit gelegentlich um Hilfe rufenden Historiker selbst die Hilfsschüler, die der Abhilfe durch den Spezialisten oder durch deren Hilfsmittel bedürfen.“ (S. 442)

 

Die 20 übrigen Aufsätze waren schon in der 1.Auflage des Buches enthalten[1]. Das 295 Nummern umfassende Schriftenverzeichnis Hennings wurde bis zum Jahre 2004 fortgeführt und jetzt auch um die Rezensionen erweitert. Es bildet – zusammen mit einem Curriculum Vitae – den Beschluß des Bandes und enthält den gedruckten Teil eines Lebenswerkes, das hiermit hoffentlich noch nicht abgeschlossen ist.

 

Frankfurt am Main                                                                                                      Armin Wolf

[1] Zur 1. Auflage von 2000 vgl. meine Rezension in: Ius commune, Zeitschrift für Europäische Rechtsgeschichte 28 (2001) 371-373.