Kalss, Susanne/Eckert, Georg

, Zentrale Fragen des GmbH-Rechts. Entwicklung, Perspektiven, Materialien. Linde, Wien 2005. 688 S. Besprochen von Werner Schubert.

Kalss, Susanne/Eckert, Georg, Zentrale Fragen des GmbH-Rechts. Entwicklung, Perspektiven, Materialien. Linde, Wien 2005. 688 S.

 

Das neue Werk von Kalss und Eckert bildet die Fortsetzung der 2003 erschienenen, von den beiden Autoren und von Christina Burger verfassten Darstellung der Entwicklung des österreichischen Aktienrechts (hierzu Rez., SZ GA 121 [2004], S. 859ff.) und beruht ebenfalls auf dem von Kalss geleiteten START-Projekt: „Kapitalgesellschaftsrecht“. Es enthält, abgesehen von einer rechtsökonomischen Analyse der Gesellschaftsform der GmbH und einem Ausblick auf die GmbH im 21. Jahrhundert, im wesentlichen eine detaillierte Geschichte des österreichischen GmbH-Rechts (einschließlich einer Quellensammlung). Wegen der engen Verbindung des österreichischen mit dem deutschen GmbH-Recht gehen die Verfasser nicht nur auf die Regelungsschwerpunkte des deutschen Rechts sowie dessen Unterschiede zum österreichischen GmbH-Recht, sondern auch auf die wesentlichen Phasen der deutschen rechtspolitischen Diskussion (insbesondere für die Zeit der Entstehung des deutschen GmbH-Gesetzes von 1892 und für die Reformdiskussion in den 30er Jahren, in der 1938/39 auch Österreicher beteiligt waren) ein. Bevor die Verfasser die Entstehung des österreichischen GmbH-Gesetzes näher behandeln, stellen sie zunächst die zentralen Fragen des GmbH-Rechts und das deutsche GmbH-Recht als Vorbild heraus. Sodann beschreiben sie die Gesamtstruktur und wichtige Einzelheiten des österreichischen GmbH-Rechts (zentrale Fragen: beschränkte Haftung und Gläubigerschutz sowie Leitbild und Organisationsverfassung; Gesetzessystematik; Gründung; Kapitalaufbringung; Finanzverfassung; Geschäftsanteile und Organisation sowie Auflösung und Austritt) in der Stammfassung von 1906 mit Hinweisen auf die weitere Entwicklung. Es folgen Abschnitte über die tatsächliche Entwicklung (1913: 2312, 1923: 2176 Gesellschaften; danach drastischer Rückgang der GmbH-Gesellschaften, deren Zahl erst in den 50er Jahren wieder anstieg bis auf 95.000 Gesellschaften im Jahre 2004), über die Judikatur sowie die wissenschaftliche und rechtspolitische Diskussion bis zum Ende der Monarchie. Die folgenden Abschnitte behandeln die GmbH-Novellen der Ersten Republik und die GmbH im Steuerrecht, die Reformdiskussion der 30er Jahre und die GmbH in der Zweiten Republik (Reformdiskussion, Novellen). Ein breiter Abschnitt befasst sich mit den maßgeblichen Judikaturlinien in der österreichischen Rechtsprechung zum GmbHG einschließlich der Rechtsfortbildung (Haftungsverfassung/Gläubigerschutz und Organisationsverfassung). Der rechtspolitische Aspekt geht auf die GmbH in der ökonomischen Theorie und auf die Zukunft des GmbH-Rechts (innereuropäische Dimension; international privatrechtliche Komponente; Rechtsvergleichung; Aufgaben für den Gesetzgeber). Nach einer detaillierten Zusammenfassung der Ergebnisse: „Der rote Faden des GmbH-Rechts“ (S. 358ff.) folgt der Quellenteil auf der Basis des österreichischen GmbH-Gesetzes in der geltenden Fassung. Es werden in einem „Allgemeinen Teil“ wiedergegeben die allgemeinen Teile der Motive zu den Gesetzentwürfen und die Einleitungen der Berichte der parlamentarischen Justizausschüsse sowie in einem „Besonderen Teil“ die einzelnen Bestimmungen des Gesetzes (unter Mitteilung aller Fassungen von 1906 an) mit den speziellen Begründungen. Der Überblick über die Entwicklung der Einzelnormen weist auf deren jeweilige Herkunft hin.

 

Das GmbHG von 1892 wurde „auf Grund analytischer Mangelerhebung, genauer rechtspolitisch-konzeptioneller Vorüberlegungen und bedarfsorientierter wirtschaftlicher Argumente am sprichwörtlichen ,Grünen Tisch’ geschaffen“ (S. 5) und ist – wie auch das österreichische GmbHG – in den wesentlichen Grundsätzen unverändert in Geltung. Die auch heute noch aktuellen und diskutierten Probleme der GmbH waren von Anfang an bekannt. Die Grundidee der GmbH geht zurück auf die hohe Regelungsdichte und das strenge Regime der Aktienrechtsnovelle von 1884, welche die Anleger der kapitalmarktorientierten Aktiengesellschaft vor Benachteiligungen (Kapitalaufbringung, Publizität, obligatorischer Aufsichtsrat) schützen sollten (vgl. S. 97). Die GmbH war also eine Reaktion auf das stark durchregulierte und schwerfällig gewordene Aktienrecht. Im Vordergrund der deutschen rechtspolitischen Diskussion zwischen 1884 und 1892 stand die Frage, ob die neue Gesellschaftsform personenrechtlich (individualistisch; so insbesondere Oechelhäuser) oder aktienrechtlich (kapitalistisch) ausgestaltet werden sollte. Der deutsche Gesetzgeber ging davon aus, dass die typische GmbH eine nicht ganz geringe Anzahl von Gesellschaftern aufweisen würde und verfolgte deshalb eine Mittelstellung zwischen den aufgezeigten beiden Gesellschaftsmodellen, wobei er stärker dem kapitalistischen Modell zuneigte, aber den GmbH-Gesellschaftern große Gestaltungsfreiheit gewährte, so dass die GmbH mit nur wenigen Gesellschaftern auch für „individualistische“ Zwecke verwendbar war und, wie die Praxis bald zeigte, ganz überwiegend verwendet wurde. Mit Recht stellen die Verfasser heraus, dass der Gesetzgeber mit dieser Prognose die Rechtswirklichkeit nicht getroffen habe (S. 37). Es zeigte sich also bald ein Auseinanderlaufen der „gesetzgeberischen Intention sowie des normativ verfestigten Konzepts und der tatsächlichen Rechtswirklichkeit“ (S. 41). Damit war es den Autoren des GmbHG nicht gelungen, einen eigenständigen Anwendungsbereich der GmbH gegenüber den anderen Gesellschaftsformen abzugrenzen und sicherzustellen. Der österreichische Gesetzgeber, dem zwar die deutsche Entwicklung bekannt war, folgte gleichwohl dem deutschen Modell, wobei bei der Verabschiedung des Gesetzes von 1906 die Offenheit der Rechtsform und ihre individualistisch-personalen Elemente klar erkannt waren. Unter Rückgriff auf die österreichischen Aktienrechtsentwürfe und das Aktienrecht des deutschen Handelsgesetzbuchs von 1897 verstärkte das österreichische GmbHG den Gläubigerschutz und baute das körperschaftliche Modell noch weiter aus. Insgesamt entwickelte das GmbHG von 1906 das deutsche Recht eigenständig weiter, so dass es in der Vereinheitlichungsdiskussion zwischen 1912 und 1914 (S. 127ff.) als Vorbild für ein gemeinsames Gesetz diente.

 

Zu Beginn der 30er Jahre befasste sich die „Freiburger Schule des Ordoliberalismus“ mit der Existenzberechtigung und der Ausgestaltung der GmbH. Die Diskussion wurde fortgeführt unter dem Nationalsozialismus, der zunächst generell die Abschaffung der Kapitalgesellschaftsformen verfolgte. Jedoch setzte sich bald die pragmatische Meinung durch, dass außer der AG auch die GmbH volkswirtschaftlich unentbehrlich war. Zwischen 1937 und 1939 befasste sich der GmbH-Ausschuss der Akademie für Deutsches Recht in einer weitgehend ideologiefreien Diskussion mit der Reform des GmbH-Rechts; auf den Beratungsergebnissen baute im wesentlichen der nach Meinung der Verfasser „umfassende und ausgereifte Entwurf“ (S. 370) des Reichsjustizministeriums von 1939 auf. Mit Recht sprechen die Verfasser von der fruchtbarsten rechtspolitischen Auseinandersetzung seit Bestehen des GmbH-Gesetzes (S. 160), die auch heute noch mit Gewinn zu lesen und in der aktuellen Diskussion zu verwerten sei. Diesem Befund steht die Feststellung von Matthias Stupp (GmbH-Recht im Nationalsozialismus, Berlin 2001), nicht entgegen, dass der Entwurf von einer „spürbaren ideologischen Grundhaltung“ geprägt sei. Denn insoweit handelt es sich um „vom NS-Gesetzgeber geschaffene (in diesem Fall nur geplante) Vorschriften, welche einen ideologisch motivierten Inhalt hatten, die aber durch das ,Ablegen’ dieses ideologischen Hintergrundes einen sachlich objektiv neutralen Kern behalten“, der zu ihrer Verwendungsmöglichkeit im GmbH-Recht“ der Nachkriegszeit geführt habe (Stupp, S. 353). Der deutsche GmbHG-Entwurf von 1969/71 wie auch die österreichische rechtspolitische Diskussion der Nachkriegszeit ist mit bestimmt durch die Arbeiten des Reichsjustizministeriums. Die österreichischen GmbHG-Novellen der 90er Jahre beruhen weitgehend auf dem Ausbau der Insolvenzprophylaxe und der Europäisierung des GmbH-Rechts. Der Überblick über die österreichische Judikatur zum GmbH-Recht ist insofern auch für den deutschen Rechtshistoriker von Interesse, als die Grundgedanken der im Weg der Rechtsfortbildung gewonnenen Rechtssätze „praktisch alle – zeitlich früher – von der deutschen höchstgerichtlichen Judikatur“ (S. 264ff.) übernommen wurden. Während die deutsche Judikatur bereits auf Entscheidungen des Reichsgerichts zurückgeht, stammen die maßgeblichen österreichischen Leitentscheidungen, die ausdrücklich auf die deutsche Judikatur Bezug nehmen, aus den letzten zwanzig Jahren.

 

Die Untersuchungen von Kalss/Eckert sind auch für den deutschen Rechtshistoriker von Wichtigkeit, da sie die bisherigen Einzelarbeiten zur Geschichte des deutschen GmbH-Rechts (P. Koberg, Stupp, Schubert) zusammenfasst sowie die Einflüsse des gegenüber dem deutschen Recht moderneren österreichischen GmbH-Rechts auf die deutsche Diskussion darstellt. Die Verfasser gehen auch auf die deutschen Reformbestrebungen (Entwurf von 1969/71; Novelle von 1980) näher ein (S. 185ff.), die allerdings hinsichtlich der Arbeiten der Refomkommission des Bundesjustizministeriums noch nicht voll erschlossen ist. Das Werk verdeutlicht, dass das GmbHG von 1906 im Wesentlichen von Franz Klein (damals Sektionschef im BMJ) und von dem österreichischen Gesellschaftsrechtler August Pitreich geprägt ist. In der Nachkriegszeit war die österreichische Diskussion bestimmt durch die Beiträge Walther Kastners, der noch in der Schlussphase an den Beratungen des GmbH-Ausschusses der Akademie für Deutsches Recht teilgenommen hatte und der in der Nachkriegszeit über ein Exemplar des GmbHG-Entwurfs von 1939 verfügte. Das Werk verdeutlicht, dass rechtshistorische Untersuchungen nicht nur „der Offenlegung historischer Tatsachen“ dient, sondern „als Instrument zur Aufhellung und Verständnisfindung des geltenden Rechts“ (S. 27) herangezogen werden können. Insgesamt liegt mit dem Werk von Kalss/Eckert erstmals eine – unter Einbeziehung der Archivalien für die Zeit bis 1906 – auch in die rechtsdogmatischen Einzelheiten gehende Geschichte des österreichischen GmbH-Rechts vor, die eine gute Grundlage für eine Gesamtgeschichte des österreichischen Kapitalgesellschaftsrechts bildet und auch für parallele Darstellungen der deutschen Rechtsentwicklung wertvolle Anregungen und Hinweise bringt.

 

Kiel

Werner Schubert