Knollmann, Johann Wilhelm, Die Einführung
Knollmann, Johann Wilhelm, Die Einführung der Staatsanwaltschaft im Königreich Hannover. Studien zur Entstehung des reformierten Strafprozesses (= Schriften zur Rechtsgeschichte 62). Duncker & Humblot, Berlin 1994. 228 S.
Die Göttinger Dissertation beschreibt und analysiert auf quellengeschichtlicher Grundlage die Entstehung der Staatsanwaltschaft in Deutschland. Johann Wilhelm Knollmann erblickt in dieser Institution ein gewichtiges, wenn nicht zentrales Element in der Entwicklung des reformierten Strafprozesses. Er veranschaulicht diesen historischen Vorgang mit gutem Grund am Beispiel des Königreichs Hannover. Dort wurde 1841 die Einrichtung des „öffentlichen Anwalts“, des Kriminalfiskals, geschaffen und 1849 die sog. provisorische Staatsanwaltschaft eingeführt. In der Literatur hat man diese Rechtsinstitute zumindest teilweise als Vorläufer der heutigen Staatsanwaltschaft begriffen. Das Königreich bot sich aber auch deshalb für eine solche Untersuchung an, weil die Universität Göttingen damals durch ihre herausragende Rechtsfakultät hervorstach. Deren Anteil an der Verfassungsgeschichte und an den politischen Auseinandersetzungen jener Epoche wird ja nicht zuletzt durch den Protest der Göttinger Sieben gegen den königlichen Verfassungsbruch des Jahres 1837 dokumentiert.
Knollmann stützt seine Studie nicht nur auf ungedruckte und gedruckte Quellen. Vielmehr bettet er seine Untersuchung – modernem methodologischem rechtshistorischem Verständnis entsprechend – in einen allgemeinen Rahmen ein, der über die verfassungsrechtliche Entwicklung hinaus auch die politische sowie sozial- und wirtschaftsgeschichtliche einbezieht. Sein Gedankengang führt dementsprechend von den verfassungsrechtlichen Konflikten und Verläufen in Hannover seit 1806 über die Beurteilung der Staatsanwaltschaft in der zeitgenössischen Literatur in den verschiedenen Epochen namentlich zwischen 1805 und 1842 sowie zwischen 1842 und 1849 zur Darstellung des französischen ministère de public nach Maßgabe des code d’instruction criminelle von 1808. Auf diesem rechtshistorischen Fundament baut der Verfasser dann seine Beschreibung von Gestalt und Verlauf jener drei Phasen auf, die den Ausbau der einschlägigen Rechtsinstitute in Hannover kennzeichneten. Deren Rechtsgrundlagen bildeten ein im Nachgang zur Kriminalprozessordnung verabschiedetes Gesetz von 1841, das provisorische Strafprozessgesetz von 1849 und schließlich das Justizorganisationsgesetz von 1850.
Knollmann vermag in seiner Studie zu zeigen, dass der hannoversche Kriminalfiskal keineswegs in der Traditionslinie des französischen ministère de public gestanden hat, sondern vielmehr der Entwicklungsgeschichte des gemeinen Strafprozesses zuzurechnen ist. Ist doch dieser Amtsträger mitnichten zur objektiven, unparteiischen Wahrheitssuche verpflichtet, sondern lediglich Vertreter des öffentlichen Strafverfolgungsinteresses gewesen. Er hat auch keine Besonderheit des Königreichs dargestellt, sondern zugleich Eingang in andere deutsche Staaten jener Zeit gefunden. Dass es – etwa im Vorfeld seiner Einführung – sowohl konservative als auch liberale Gegner und Befürworter der Staatsanwaltschaft gegeben hat, belegt geradezu paradigmatisch, in welchem Maße diese Institution sowie ihre jeweilige Stellung und Aufgaben mit der Verfassung des Strafverfahrens im Ganzen verflochten (gewesen) sind. Das alles erhärtet – namentlich vor dem Hintergrund der strafprozessualen Ausgestaltung der Institution – den Befund, dass das Königreich Hannover beileibe nicht die ihm verschiedentlich zugeschriebene Vorrreiterfunktion in der Entstehung der Staatsanwaltschaft in Deutschland wahrgenommen hat. Wohl aber rechtfertigt es die Erkenntnis, dass der Verlauf, den die verschiedenen einschlägigen Rechtsinstitute dort genommen haben, als Teil des geschichtlichen Prozesses zu verstehen ist, an dessen Ende die Staatsanwaltschaft in der ihr durch die Reichsstrafprozessordnung von 1879 gegebenen Form gestanden hat. Das wird beispielhaft am Legalitätsprinzip deutlich, das nach der hannoverschen Strafprozessordnung von 1850 die Staatsanwaltschaft dazu verpflichtet hat, nicht nur von Amts wegen dafür zu sorgen, dass alle Übertretungen des Strafgesetzes untersucht und bestraft werden, sondern „auch darüber zu wachen, daß niemand schuldlos verfolgt werde“ ( § 38 , zitiert nach S. 195). Die ebenso akribische wie differenziert urteilende Studie – die zu einem erheblichen Teil die zeitgenössischen verfassungsrechtlichen und politischen Entwicklungen widerspiegelt - hält einmal mehr beweiskräftiges historisches Material für die Binsenweisheit bereit, wonach das Strafverfahrensrecht als „Seismograph der Staatsverfassung“ verstanden werden kann. Saarbrücken Heinz Müller-Dietz