Le Code civil 1804-2004. Livre

du bicentenaire. Dalloz/Litec, Paris 2004. 718 S. Besprochen von Werner Schubert.

Le Code civil 1804-2004. Livre du bicentenaire. Dalloz/Litec, Paris 2004. 718 S.

Les Français et leur Code civil. Bicentenaire du Code civil 1804-2004 (= Les éditions des Journaux Officiels 5954). Dir. des Journaux Officiels, Paris 2004. 556 S.

Le code civil 1804-2004. Un passé, un présent, un avenir, hg. v. Lequette, Yves. Dalloz, Paris 2004. 1059 S.

Code civil [Texte imprimé]. Les défis d’un nouveau siècle. 100e Congrès des notaires de France, Paris, 16-19 mai 2004. Association congrès des notaires de France, Paris 2004. XXI, 950 S., Tabl., Graph., Abb.

 

Der Bicentenaire des Code civil ist am 11. 3. 2004 in Paris durch ein Kolloquium, das Staatspräsident Jacques Chirac mit einem Discours eröffnet hat, und mit der Präsentation einer Ausstellung durch Jean-Louis Debré, den Präsidenten der Nationalversammlung, feierlich begangen worden. Zu der Ausstellung (12. 3.-10. 5.2004) ist ein bebilderter Katalog unter dem Titel erschienen: 200 Ans de Code civil. Des Lois qui nous rassemblent, hrsg. von Jean-Louis Halpérin, Paris 2004 (69 S.). Ferner ist erschienen: Guy Canivet (Président du Comité d’organisation des célébrations du Bicentenaire du Code civil; Hrsg.), Célébration nationale 2004. 1804-2004, 200 ans de lois civiles, Paris 2004 (140 S.). Weitere Veröffentlichungen sind nachgewiesen unter www.bicentenaireducodecivil.fr (hier auch unter „manifestations“ Überblick über die zahlreichen Festkollquien). Im folgenden werden die drei zentralen Pariser Festschriften zum 200jährigen Jubiläum des Code civil und eine Quellensammlung besprochen.

 

I. Die offizielle, von der Cour de Cassation, von den Advokaten des Staatsrats und der Cour de Cassation sowie von der Association Henri Capitant herausgegebene Festschrift (Geleitworte von Chirac, Poncelet [Präsident des Senats], Debré [Präsident der Nationalversammlung] und Perben [Justizminister]) ist in folgende Abschnitte aufgeteilt: Allgemeine Probleme (S. 43ff.), Schwierigkeiten der Neukodifikation (Rekodifikation) einschließlich ihrer speziellen Aspekte und Schicksal des Code civil. Das Werk wird eingeleitet durch einen Beitrag Jean Carbonniers aus dem Band: „Le lieux de mémoire“ von 1986 (S. 17ff.). Carbonnier stellt zunächst den Kompromisscharakter des Code civil (zwischen dem droit écrit und dem droit coutumier sowie dem revolutionären Recht) und die Bedeutung Napoleons für die Durchsetzung und Verbreitung des C. N. auch außerhalb Frankreichs dar. Breit entfaltet wird die Bedeutung des C. N. als Verfassung der Zivilgesellschaft Frankreichs (im Anschluss an Charles Giraud) und als bis heute nachwirkendes System der Einheit sowie als symbole de temps arrêté. Als symbolische Bestimmungen stellt Carbonnier u. a. die Art. 2279, 544, 1134, 686, 146, 75 C. c. heraus. Zum Schluss spricht er im Hinblick auf die zahlreichen Änderungen des C. c. von einer subtilen Kontinuität, die trotz eines unauslöschlichen Bruchs weiterlaufe. – Jean-Louis Halpérin bezeichnet den Code civil als einen eklektischen und flexiblen Text, der aus einer Vielzahl von Quellen hervorgegangen sei und sich nicht auf eine einheitliche Linie (esprit) zurückführen lasse. Deutlicher als die bisherige Historiographie stellt Halpérin den Beitrag des Code civil-Entwurfs von 1796 zum Code civil von 1804 heraus, der zwar die créations juridiques von 1792-1794 zurückwies, jedoch am Erbe von 1789 festhielt (S. 50ff.). In einem detaillierten Überblick über die zahlreichen Änderungen des Code civil in den vergangenen 200 Jahren stellt Halpérin klar, dass die Reformen der Jahre 1964 bis 1975 den Code civil gerettet hätten. Abschließend spricht Halpérin hinsichtlich des Code civil von der persistance de sa valeur symbolique et de sa portée civique.

 

Jacques Commaille, Autor eines einflussreichen Werks zu einer politischen Soziologie des Rechts, stellt in seinem Beitrag: „Der Code civil und die neuen sozialen Codes“ die Änderungen der sozialen Elemente des Code civil heraus und spricht für das Zustandekommen der heutigen Gesetze von einer Soziologisierung der Gesetzgebung. Der Code civil soll, statt als politisches Pseudoinstrument zu dienen, ein bevorzugtes Instrument des Versuchs sein, das demokratische Ideal zu verwirklichen (S. 76). – Der Beitrag  François Ewalds (Rapport philosophique: une politique du droit) bringt eine eindringliche Analyse der legislativpolitischen Grundlagen des Code civil anhand des Discuors préliminaire von Portalis, für den eine institutionell-organische Sicht des Rechts (nach heutigem Sprachgebrauch eine kommunitarische Sicht) maßgebend gewesen sei. Portalis sei es um eine dauerhafte Gründung von Institutionen gegangen mit dem caractère de permanence et de stabilité qui leur puisse garantir le droit de devenir anciennes (Portalis, zit. nach Ewald, S. 95). Heute dagegen sei der soziologische Charakter des Rechts maßgebend. Abschließend plädiert Ewald für eine neue civilisation du droit (S. 97f.), welche die Europäisierung des Rechts berücksichtige, und für eine institutionelle Vision des Rechts, die das Zivilrecht unabhängiger gegen ideologisch bedingte Änderungen sichern könne. – Philippe Rémy beschreibt detailliert die Änderungen des Code civil vor allem seit 1975 und stellt fest, dass die drei Pfeiler, auf denen der Code civil beruhe (Einheit des französischen Zivilrechts; Zurückführung der Zivilrechtsordnung auf das Gesetz und dessen mit einem ordre naturel konformen Rationalität und Ordnung S. 113), brüchig geworden seien. Für eine eventuelle „Recodification“ bietet sich seiner Ansicht nach entweder eine Neukodifizierung des Schuldrechts oder die Schaffung einer europäischen Kodifikation an. – Der Beitrag Rémys leitet über zu den allgemeinen und speziellen Beiträgen zu einer eventuellen Recodification. Die Autoren, die sich mit einzelnen Rechtsmaterien befassen, zeigen unter Berücksichtigung der zeithistorischen Entwicklung Möglichkeiten einer teilweisen Neukodifikation des Personen- und Familienrechts (in getrennten Teilen; Hauser, S. 201ff.), des Schuldrechts (vorsichtige Ergänzung und Änderung des Allgemeinen Teils; Mestre, S. 231; allgemeine Regeln für bestimmte Gruppen von besonderen Verträgen [Bénabent, S. 245ff.]), Ergänzung, Präzisierung und Anpassung des Deliktsrechts entsprechend den ökonomischen und sozialen Gegebenheiten des 21. Jahrhunderts [Viney, S. 255ff.], des Erb- und Schenkungsrechts, des Sachenrechts sowie des Rechts der persönlichen Sicherheiten (Grimaldi, Libchaber, Simler). Jestaz und Revet warnen in ihren Schlussüberlegungen vor einer vorschnellen Rekodifikation, deren Gelingen sie im Übrigen sehr skeptisch beurteilen.

 

In seinem Beitrag über den Einfluss des Code civil auf die neuen ausländischen Kodifikationen im Überblick stellt Blanc-Jouvan fest, dass der Code civil mit dem BGB als Kodifikationsmodell einen neuen Konkurrenten erhalten und dass im Verlauf des 20. Jahrhunderts weitere Kodifikationen (ZGB, Code civil von Quebec, niederländisches BGB) gefolgt seien. Der Code civil habe jedoch dort große Teile seines Einflusses behalten, wo er bereits im 19. Jahrhundert als Kodifikationsmodell gedient habe und wo – wie in Quebec – der französische Spracheinfluss geblieben sei. Blanc-Jouvan gewichtet im Einzelnen die Einflüsse des BGB und des Code civil auf die Kodifikationen des 20. Jahrhunderts und stellt in diesem Zusammenhang fest, dass der Code civil keine wahrhaft dynamische Rolle bei der Ausarbeitung neuer Kodifikationen mehr spiele (S. 511), ermutigt jedoch gleichzeitig die französischen Juristen, sich am Globalisierungsprozess aktiv zu beteiligen. Aufschlussreich sind die Beiträge über die Rezeption französischen Rechts bzw. über dessen zumindest teilweise Beibehaltung in Argentinien, Louisiana, Ägypten (und weiteren Staaten des Vorderen Orients), in Peru und im französischsprachigen Teil Kanadas (Quebec) und in Vietnam. Weitere Beiträge befassen sich mit der neuen niederländischen Kodifikation (613ff.) und mit der Rolle, die der Code civil in den frankophonen Staaten Afrikas (515ff.) spielt. Die im Überblick geschilderte Rechtsgeschichte der Kolonialzeit lädt zu einem Rechtsvergleich mit dem deutschen, bisher allzu isoliert betrachteten Kolonialrecht (einschließlich der Reformpläne aus der NS-Zeit) ein. – Die Festschrift wird abgeschlossen mit einem Beitrag von Claude Witz über die Einflüsse der neuen Kodifikationen (insbesondere Italiens, der Niederlande und Quebecs) auf den Code civil de demain (S. 687ff.). Für durchführbar hält Witz eine sukzessive Reform des 3. Buchs des Code civil vom dritten Titel an. In diesem Zusammenhang wird die deutsche Schuldrechtsreform von 2001 wie übrigens auch von anderen Autoren sehr positiv als Beispiel für die Erneuerungsfähigkeit einer Kodifikation gesehen.

 

Auf den ersten Blick erscheint der rechtshistorische Ertrag der Festschrift gering zu sein, wenn man einmal von den Beiträgen Carbonniers und Halpérins, der dem Leser eine gegenüber den bisherigen Darstellungen differenziertere Sicht der Quellen und der Entstehungsgeschichte des Code civil bietet, absieht. Jedoch vermitteln die Beiträge der ersten beiden Teile der Festschrift einen detaillierten Einblick in die Entwicklungsgeschichte des Code civil besonders im 20. Jahrhundert und des französischen Zivilrechts sowie dessen Auseinandersetzung mit der internationalen Rechtsentwicklung. Hierbei spielte das BGB als zweites großes Kodifikationsmodell eine nicht unwichtige Rolle. Eine Ergänzung und Weiterführung der Rezeptionsgeschichte des Code civil in der Festschrift von 1904 zum Centenaire stellen die insgesamt zehn Beiträge in Teil 3 dar.

 

II. Der vom wissenschaftlichen Komitee für die 200-Jahr-Feier der Verkündung des Code civil und von der Direktion der Journeaux officiels herausgegebene und von Halpérin und den Archives Nationales betreute Quellenband: „Le Français et leur Code civil“ enthält zunächst einen Nachdruck des Discours von Portalis am 24. 11. 1801 zur Einbringung des ersten Teils des Code civil im Corps législatif. In drei kurzen Auszügen aus den Doléances folgt als umfangreichster Abschnitt eine Sammlung von Schreiben bzw. Eingaben (einschließlich der amtlichen Antworten) aus der Bevölkerung zum künftigen französischen Zivilrecht aus den Jahren 1797 bis 1806 mit Schwerpunkt in den Jahren 1800/1801. Die Eingaben, zu denen die Regierung die Bürger wiederholt aufgerufen hatte, stammen u. a. von Friedensrichtern, Notaren und Gutsbesitzern, die zum Teil gut unterrichtet waren über die Kodifikationspläne. Die Stellungnahmen forderten vor allem eine Einschränkung der revolutionären Gesetzgebung der Jahre 1792-1794 (Stärkung der elterlichen Gewalt; Heraufsetzung des Volljährigkeitsalters, Einschränkung oder Abschaffung der divorce pour cause d’incompatibilité d’humeur; Ausweitung der Testierfreiheit; Einschränkung der Publizität der Hypothekenbücher) und ordneten sich insoweit in den Zusammenhang der von den napoleonischen Juristen betriebenen restaurativen Rechtspolitik ein. Zu diesen Juristen gehörte auch Jacques Malville (1800 secrétaire-rédacteur der Code-civil-Kommission), der am 2. 10. 1801 ein Schreiben an den Justizminister richtete, in dem er die Abschaffung des genannten Scheidungsgrundes anhand eines konkreten Beispiels anregte (S. 221ff.). Häufiges Thema der Schreiben war auch die Forderung nach einer detaillierten Regelung des ländlichen Nachbarrechts und einer Revision der Schwurgerichte. Die Eingaben lassen insgesamt, wie Halpérin in seiner allerdings etwas knappen Einleitung feststellt, besser als bisher die Gründe verstehen, die dazu geführt hätten, dass innerhalb weniger Jahrzehnte der Code civil sich in die nationale Kultur und Tradition integrierte. Auf den S. 321ff. folgt das von Stefano Solimano (Verso il Code Napoléon, Il progetto de codice civile di Guy Jean-Baptiste Target [1798-1799], Milano 1998) entdeckte und veröffentlichte Projekt zu einem Code civil von Target. Target gehörte unter dem Ancien régime zu den bekanntesten Pariser Parlamentsadvokaten. Als Mitglied der Constituante trat für umfassende Rechtsreformen ein, deren Radikalisierung durch die Legislative und den Konvent er ablehnte. Seit dem Dezember 1798 Richter am Kassationstribunal bearbeitete er die Stellungnahme der Spezialkommission dieses Gerichts zum Code-civil-Entwurf von 1800 (abgedruckt S. 453ff.), die zahlreiche Ähnlichkeiten mit dem Projekt von 1798/99 aufweist. Der Entwurf Targets liegt bereits auf der konservativ-autoritären Linie, die vor allem für das Familienrecht des C. N. kennzeichnend ist. Der Quellenteil wird abgeschlossen mit einer Auswahl der Korrespondenz zwischen dem Justizministerium und den Appellationstribunalen über die Stellungnahmen zum Code-civil-Entwurf und ein Schreiben Talleyrands vom März 1804 über die Stellung der Ausländer im Code civil. Die Quellensammlung, die vor allem von sozialrechtsgeschichtlichem Interesse ist, bestätigt die neueren Forschungen insbesondere Halpérins zur Entstehungsgeschichte des C. N. Da die Quellensammlung wegen ihrer bibliophilen Ausstattung sich an einen größeren, nicht mit den Einzelheiten der französischen Privat- und Kodifikationsgeschichte vertrauten Leserkreis richtet, ist zu bedauern, dass die Quellen fast ohne weiterführende Anmerkungen ediert werden.

 

III. Der von der Université Panthéon-Assaz (Paris II) herausgegebene Band zum Bicentenaire des Code civil ist mit seinen 56 Beiträgen ähnlich aufgebaut wie die offizielle Festschrift. Er hat insgesamt im ersten Viertel einen historischen Schwerpunkt und bringt teilweise detaillierte Aufsätze zur Rezeptionsgeschichte. Der Band wird eröffnet mit dem Beitrag M. Humberts über die utopischen Elemente des Code civil (Utopien der Rechtstechnik; populärer Charakter des Rechts; Rechtssicherheit, Utopie der Ideologie). Y. Lequette arbeitet die Unterschiede zwischen den Debatten über eine Revision des Code civil am Anfang des 20. und am Beginn des 21. Jahrhunderts heraus. Die misslungene Systematik des Code civil ist Gegenstand eines detaillierten Vergleichs mit den Institutionen des Gaius und Justinians sowie mit den Digesten. Gautier befasst sich mit den Grundlagen des Vertragsrechts des Code civil, dessen quasi-unveränderliche Verbindung mit dem römischen Recht und dessen Vermittlung durch Domat und Pothier er herausstellt. Während A. Lefebvre-Teillard die Rechtsvereinheitlichungsbestrebungen unter dem Ancien régime zusammenfasst, stellt Levy die zivilrechtlichen Reformen der Revolution zusammen. Dem schließen sich an die Beiträge von J.-L. Sourioux über Napoleons Anteil am Code civil und von Leyte – allerdings sehr knapp – über den Code civil im Verhältnis zu den anderen napoleonischen Kodifikationen. Die nächste Gruppe von Beiträgen befasst sich mit dem Code civil bis zur Gegenwart mit folgenden Themen: Editionen des Code civil während des 19. Jahrhunderts (V. Lasserre-Kiesow), Judikatur der Cour de cassation zum Code civil in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor allem zum Familien- und Schuldrecht (J. Hilaire), Dogmatik des Code civil (l’école de l’exegèse, l’école scientifique; D. Bureau), der Code civil als Propagandainstrument (Chr. Larroumet), die Entwicklung des Zivilrechts in der Dritten Republik und unter Vichy (A. Castaldo) sowie weniger ausführlich von 1945 bis zur Gegenwart (J. Foyer), der Code civil als Constitution civile de la France (Y. Gaudemet) nach der Formulierung Carbonniers, und die rasche Vermehrung der Codes im vergangenen Jahrhundert (N. Molfessis). Hervorgehoben sei der Beitrag  N. Matheys über den Code civil und die Entwicklung des Rechts aus der Sicht von Raymond Saleilles, der sich besonders mit der „évolution“ des Rechts nach Erlass des Code civil befasste und für eine Revision der Kodifikation auf sozialer und rechtsvergleichender Grundlage eintrat.

 

Nicht mehr im Schwerpunkt rechtshistorisch sind die Beiträge über die wichtigsten zivilrechtlichen Materien: Familienrecht, Vaterschaft, menschlicher Körper, Grundstücksrecht, Zeitpunkt der Eigentumsübertragung, Erbrecht, die „cause“, den Ordre public, die guten Sitten, Treu und Glauben im Vertragsrecht und elektronische Verträge. Noch stärker auf die Gegenwart ausgerichtet sind die Beiträge über den Code civil und das Arbeitsrecht (Haftung des Arbeitnehmers), das Streikrecht, den arbeitsrechtlichen Vergleich, das Sozialrecht, das Handelsrecht, den (unlauteren) Wettbewerb, die französische Staatsbürgerschaft und das Internationale Privatrecht. Weitere Beiträge gehen ein auf die Stellung des Richters im Code civil, die richterliche Kontrolle der rückwirkenden Gesetze sowie auf einen Irrtum bei der Kodifikation des Code civil bei den Artikeln 1644, 1592 und 2123, welche den „arbitrage“ regeln. Stärker rechtsgeschichtlich orientiert sind wiederum die Aufsätze über den Code civil „dans le monde“. Der Überblicksartikel Louis Vogels (unter Mitarbeit des Pariser Rechtsvergleichenden Instituts) beruht auf einer Umfrage unter ausländischen Rechtsvergleichern und berücksichtigt auch die deutsche Literatur. Es folgen Beiträge über den Code civil und die deutsche Rechtsdogmatik des 19. Jahrhunderts (M. Pédamon), über die Einflüsse des Code civil in Mittel- und Südeuropa (K. D. Kerameus), in den arabischen Staaten (S. Jahel), in Nord- und Südamerika (M. Goré) sowie (sehr detailliert) in Japan (E. Hoshino). Der dritte Teil der Festschrift befasst sich mit der Zukunft des Code civil im Hinblick auf die Internationalisierung des Rechts, auf das Gemeinschaftsrecht und die Europäische Menschenrechtskonvention sowie mit einer evtl. europäischen Zivilrechtskodifikation und einer hypothetischen Revision des titre préliminaire des Code civil. Sonnenberger geht auf die Voraussetzungen ein, unter denen der Code civil und das BGB als Pfeiler der europäischen Zivilgesellschaft dienen könnten. In diesem Zusammenhang kommen die unterschiedlichen Grundlagen der Eigentumsübertragung, der deliktischen Haftung, des dommage moral und der Konkurrenz vertraglicher und deliktischer Anspruchsgrundlagen zur Sprache. Abschließend gehen F. Terré („Inestimable Code civil“) und J. Carbonnier („Le Code civil des Français dans la mémoire collective“) auf die Entstehungsbedingungen und den symbolischen Gehalt der Kodifikation ein. Nach Carbonnier ist der Code civil Teil der französischen Geschichte, weil er auf Napoleons „action“ beruhe, weil er zwischen den Franzosen einen historischen Kompromiss besiegelt habe und weil er immer Gegenstand politischer Antagonismen gewesen sei. – Während die Beiträge zur Geschichte des Code civil bis 1814 wenig neue Erkenntnisse bringen, eröffnet die zweite Gruppe der historischen Beiträge (S. 135-273) einige weiterführende Perspektiven zur französischen Wissenschafts- und Gesetzgebungsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts.

 

IV. Die Festschrift der Notare, die 2004 ihren hundertsten Kongress feierten, bringt keine Vielzahl von Einzelarbeiten, sondern enthält vier kompakte Darstellungen von jeweils zwei Autoren. Die von Ph. Glaudet und J.-M. Montazeaud stammenden Darstellungen behandelt unter dem Titel „L’avenir d’une Revolution“ die Geschichte der wichtigsten Zivilrechtsinstitutionen im Ancien droit in der Zeit zwischen 1789 und 1804 und im 19./20. Jahrhundert (S. 17ff.; Eherecht, Kindschaftsrecht, Erbrecht, Eigentum, Vertragsrecht [Bedeutung des Willens]). Die Zeit der Revolution bis Napoleon wird unterteilt in eine Periode lyrique, eine Periode des luttes und in eine Periode, in der es um die Ausarbeitung von Entwürfen zu einem Code civil ging (Texte von Cambacérès). Die Jahre der Ausarbeitung des Code civil werden als Zeit der Synthese unter den Schlagworten „Ordnung“ und „Modernität“ bezeichnet (S. 70ff. prägnante Kurzbiographien der Redaktoren und zur Rolle Napoleons bei der Abfassung des Code civil). Die folgenden beiden Jahrhunderte teilen die Verfasser ein in: Goldenes Zeitalter (19. Jahrhundert), Zeitalter der ersten Reformen (20. Jahrhundert bis 1945), Zeitalter der stillen Revolution (bis 1971) und das Zeitalter der „Passions“, von denen die Verfasser sechs ausmachen: La passion des lois, la passion de l’egalité, la passion des libertés, la passion de la solidarité, la passion de la protection, la passion des Droits de l’Homme. Ein weiterer Abschnitt befasst sich mit dem Einfluss der UNO, der EU und der Europäischen Menschenrechtskonvention auf die im Code civil geregelten Rechtsmaterien. Im Hinblick auf die Möglichkeit eines europäischen Zivilgesetzbuchs stellen die Autoren fest, dass sich der Code civil ändern müsse, „pour garnier son éternité“ (S. 147). Im Abschnitt über „Le nouveau monde contractuel“ befassen sich H. Lemaire und A. Maurin (unter Mitarbeit von N. Poli und St. Zecevic) zunächst mit der Herausbildung des Dogmas der Autonomie des Willens und dessen (nach Meinung der Autoren nur teilweiser) Umsetzung im Code civil von 1804. Interessant ist der Hinweis darauf, dass der Ausdruck „autonomie“ für das französische Zivilrecht des 19. Jahrhunderts aus der deutschen Rechtsterminologie übernommen wurde (S. 177ff.). Behandelt werden auch die Formerfordernisse, die Publizität der Grundstücksgeschäfte, die Notwendigkeit der Schriftform für Verträge ab 800 Euro, die authentische Urkunde, die laesio enormis sowie die Theorie der Willensautonomie außerhalb des Code civil (Verfassung; europäisches Recht). Es folgt ein breiter Abschnitt über das Konsumentenrecht (S. 242ff.), über die Möglichkeiten einer Wiederherstellung der Vertragsfreiheit (S. 300ff.) sowie über die Vertragsfreiheit im anglo-amerikanischen Recht (S. 346ff.).

 

Der nächste von D. Froger und P. Morin bearbeitete Abschnitt befasst sich mit dem Einfluss der neuen Technologien (elektronische Dokumente und Signaturen) und der „sciences de la vie“ auf das Zivilrecht (Organspenden, gesetzliche Regelung des Patiententestaments, künstliche Befruchtung, Recht auf Kenntnis der Abstammung, anonyme Geburt). Die letzte Darstellung „liberté, égalité, familles“ (von D. Coiffard und Y. Delecraz) geht ein auf die Entwicklung des Familienrechts (persönliches Eherecht, Güterrecht, Ehescheidung, concubinage [in Art. 515-8 C.c. genannt], PACS) und die Grundsätze (u.a. Bedeutung der réserve; Schutz der Erben) und die Weiterentwicklung des Erbrechts (gesetzliches Erbrecht des überlebenden Ehegatten zu ¼; Gleichstellung der Ehebruchskinder; Vorschläge zur teilweisen Zulassung von Erbverträgen). Der familienrechtliche und verstärkt erbrechtliche Teil bringt rechtsgeschichtliche Überblicke bis auf das Recht des Ancien régime. Der Band wird abgeschlossen mit einem Überblick über einige ausländische Lebenspartnerschaftsgesetze und ein Sachverzeichnis, das leider nicht vollständig (der erste, rechtsgeschichtliche Teil des Werkes ist überhaupt nicht berücksichtigt) und detailliert genug ist. Statt dessen sind allerdings die Inhaltsverzeichnisse sehr ausführlich. Der Band gibt einen guten Überblick über die Dogmengeschichte des französischen Zivilrechts und stellt insgesamt eine Fundgrube für die französische Rechtsgeschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts dar, wie sie in den anderen Bänden in dieser Vollständigkeit nicht zu finden ist.

 

V. Die drei Festschriften erreichen insgesamt nicht die rechtshistorisch-rechtswissenschaftliche Relevanz der Festschrift von 1904. Der Ertrag für das Zivilrecht der Revolutionszeit und die Entstehungsgeschichte des Code civil ist insgesamt gering – hierzu kann auf die Monographien Halperins und die dort nachgewiesene Spezialliteratur verwiesen werden. Es fehlt insbesondere ein detaillierteres Eingehen auf die Geschichte der Rezeption des französischen Zivilrechts im Europa des 19. Jahrhunderts und auf die neueren europäischen Kodifikationen (u. a. BGB, Codice civile von 1942). Jedoch ergeben die Bände in ihrer Gesamtheit einen guten Überblick über die französische Kodifikations- und Institutionengeschichte des Zivilrechts insbesondere des 20. Jahrhunderts. Dieser Überblick dürfte auch für den deutschen Rechtshistoriker von Interesse sein, auch wenn dessen Augenmerk im Hinblick auf die linksrheinischen Gebiete primär auf die Originalfassung des Code civil von 1804 gerichtet ist. Darüber hinaus zeigt das Festhalten der französischen Rechtswissenschaft und Praxis am Code civil als Kodifikationsmodell, dessen grundlegende Entscheidungen auch heute noch weiter maßgebend sind, wie stark diese Kodifikation in der Rechtskultur Frankreichs verwurzelt ist, wie man Ähnliches für das BGB in Deutschland kaum sagen kann, wie die geringe Resonanz des Jubiläums von 1996/2000 gezeigt hat. Insgesamt werden die drei Festschriften vor allem als zeitgeschichtliches Dokument des Bicentenaire des Code civil ihren Wert behalten.

 

Kiel

Werner Schubert