Máthé, Gábor, Die Problematik

der Gewaltentrennung (= Ungarische Rechtshistoriker). Gondolat, Budapest 2004. 290 S. Besprochen von Werner Ogris.

1. Máthé, Gábor, Die Problematik der Gewaltentrennung (= Ungarische Rechtshistoriker). Gondolat, Budapest 2004. 290 S.

 

2. Nationalstaat – Monarchie – Mitteleuropa. Zur Erinnerung an den „Advokaten der Nation“, Ferenc Deák, hg. v. Máthé, Gábor/Mezey, Barna (= Bibliotheka Juridica, Acta Congressuum 13). Gondolat, Budapest 2004. 141 S. Besprochen von Werner Ogris.

 

Die beiden von der Rechtsgeschichtlichen Forschungsgruppe der Ungarischen Akademie der Wissenschaften (MTA) am Lehrstuhl für Ungarische Rechtsgeschichte der Eötvös Loránd-Universität Budapest (ELTE) betreuten Bände sind in deutscher Sprache verfasst – mit dem offen ausgesprochenen Ziel, deutschsprachigen Rechtshistorikern, Historikern und Juristen die Ergebnisse der heutigen ungarischen rechtsgeschichtlichen Forschung zugänglich zu machen. Dieses Vorhaben ist dankbar zu begrüßen. Denn leider ist ja nicht zu leugnen, dass für die meisten von uns der Satz gilt: Hungarica nec leguntur nec loquuntur. Gemessen an diesem „sprachlichen“ Entgegenkommen der ungarischen Kollegen fallen manche stilistische Unebenheiten nicht ins Gewicht.

 

1. Rechtzeitig zum 200. Todestag Montesqieus (1689-1755), den man vielfach – seine Leistung auf diesem Gebiet vielleicht etwas allzu sehr überhöhend – als Vater der Gewaltenteilungslehre preist, legt Gábor Máthé eine eingehende Studie zu diesem Thema in Bezug auf Ungarn von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zu Gegenwart vor. Er spricht von „Problematik“ der Gewaltentrennung, weil diese in Ungarn – wie auch in anderen europäischen Staaten und in den USA – zwar ein im Rechts- und Verfassungsstaat hoch und in Ehren gehaltenes Prinzip darstellt, in der Praxis aber meist starke Abstriche erlitt und noch erleidet. Historisch erklären sich diese Defizite vor allem aus (dem Fortwirken) der Monarchie, die als „übergewichtige Erscheinung der Staatsorganisation“ über Jahrzehnte hinweg bestrebt war, den Einfluss und damit die Kontrolle der Legislative auf/über die Exekutive zu beschränken, während umgekehrt „die Vertreter der Demokratie die legislative Rolle und das Vetorecht des Herrschers in Zweifel zogen“ (S. 37). Der Verfasser sieht Abgrenzungsprobleme vor allem im Bereich des staatlichen Strafens, das sich in die beiden Äste des Justizstrafrechts einerseits und des Verwaltungsstrafrechts andererseits gabelt; dann bei der Kompetenzregelung zwischen Verwaltung und Justiz sowie im großen Bereich der staatlichen Wirtschaftsverwaltung und schließlich im Institut der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Das alles wird in fünf Teilen ausführlich behandelt, wobei die Darstellung streckenweise Züge einer ungarischen Verfassungsgeschichte annimmt. Insgesamt wertet der Verfasser das Prinzip der Gewaltentrennung, bei allen organisatorischen Unschärfen und Überschneidungen als Konstante, ja als Spezifikum der modernen „Nationalstaaten“ (S. 286), das er im gegenwärtigen Jahrhundert jedoch durch „das sich umgestaltende Organisationssystem der Europäischen Union“ (S. 287) nachhaltig in Frage gestellt sieht.

 

2. Auch der zweite hier anzuzeigende Band, ein Sammelband, eröffnet dem deutschsprachigen Leser wertvolle Einblicke in die wichtigsten juristischen und politischen Ereignisse der ungarischen (Rechts-) Geschichte des 19. Jahrhunderts, vor allem dessen zweiter Hälfte. Sie sind mit den Schlagwörtern: Erstarken des Bürgertums und Einfließen westlicher Ideen, besonders des Liberalismus; Revolution und Freiheitskampf; Neoabsolutismus der Bachschen Ära; Ausbau des Parlamentarismus und der Rechtsstaatlichkeit; Ausgleich mit der Krone 1867 zwar bei weitem nicht vollständig, aber doch in einigermaßen aussagekräftiger Weise umrissen. Ferenc Deák (1803-1876) war auf weite Strecken der „talentierte Dirigent“ (S. 7) dieser Prozesse: zuerst als Jungpolitiker in lokalen Reformparlamenten; dann, 1848, fünf entscheidungsreiche und entscheidende Monate hindurch als Justizminister des Kabinetts Batthyány, der ersten dem ungarischen Parlament verantwortlichen Regierung; dann wieder, nach einer stillen Periode passiver Resistenz, als Mitglied der Judexkurialkonferenz; und schließlich, ab Mitte der sechziger Jahre, als einer der Architekten des österreichisch-ungarischen Ausgleichs. Auf Einzelheiten kann hier naturgemäß nicht eingegangen werden. Zu bunt und zu vielfältig ist der Strauß, den zwölf ungarische Fachkollegen dem „Weisen der Heimat“ aus Anlass der 200. Wiederkehr seines Geburtstages darbrachten. Er umfasst Staatsrecht und Staatskirchenrecht; Nationalitätenrecht und Selbstverwaltung; Strafrecht und Strafvollzug, besonders Gefängniswesen; Pressrecht und Privatrecht sowie die jeweils dazu gehörenden Gesetzgebungs- und Kodifikationsarbeiten.

 

In beiden Schriften wird deutlich, wie sehr die ungarische Rechtsentwicklung jener Jahre eingebettet war in internationale Strömungen und wie sehr sie geprägt war von auswärtigen Vorbildern; wie sehr aber auch um einen eigenständigen ungarischen Weg und um eigenständige ungarische Lösungen gerungen wurde. So oder so: der Rechts- und Ideentransfer aus dem westlichen Ausland, und zwar auch – ob man dies wahrhaben wollte/will oder nicht – aus dem ungeliebten „Österreich“, war beträchtlich. Das Ergebnis war eine durchaus selbstbewusste Positionierung Ungarns im Rahmen der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn und im Konzert der europäischen Mächte. Die Lektüre dieser beiden Schriften ist durchaus geeignet, Verständnis für diese Rolle Ungarns zu wecken oder zu fördern; nur darf man dabei einen Aspekt nicht aus den Augen verlieren: Die Darstellungen geben in weithin kontroversiellen Fragen den ungarischen Standpunkt als jenen der „herrschenden“ Nation wieder; andere „Nationen“ der Doppelmonarchie, wie vor allem die Deutsch-Österreicher, die (Nord- und Süd-)Slawen sowie die romanischen Bevölkerungsteile mögen zu der einen oder anderen Frage eine durchaus andere Stellung einnehmen. Doch ist dies angesichts der (ostmittel-)europäischen Dimension des heutigen „Europa der 25“ nicht ohne Bedeutung und ohne Herausforderung.

 

Wien                                                                                                              Werner Ogris