Schneider, Joachim, Spätmittelalterlicher deutscher Niederadel

. Ein landschaftlicher Vergleich (= Monographien zur Geschichte des Mittelalters 52). Hiersemann, Stuttgart 2003. XVI, 630 S. Besprochen von Gudrun Pischke.

Schneider, Joachim, Spätmittelalterlicher deutscher Niederadel. Ein landschaftlicher Vergleich (= Monographien zur Geschichte des Mittelalters 52). Hiersemann, Stuttgart 2003. XVI, 630 S.

 

Diese „Niederadels-Studie“ mit dem einen Ziel, „den Forschungsstand im regionalen Rahmen weiterzubringen und die Nützlichkeit regionaler Adelsstudien zu unterstreichen“, und dem anderen, „landesgeschichtliche Verengungen der Niederadels-Forschung durch eine vergleichende Perspektive aufzubrechen“ (S. 546), legt tiefgehende Ergebnisse im wesentlichen aus (Alt)Bayern, Franken und Sachsen (mit Besonderheiten in Meißen und der Sonderrolle des Vogtlandes) vor und bringt vergleichende Ausblicke auf Österreich, Böhmen und Brandenburg (mit Anhängen zur Mittelmark und zum Gebiet jenseits der Oder), und zwar im Wesentlichen im Zeitraum von 1400 bis 1530 und mit Entwicklungen aufzeigenden Rückblicken und Vorschauen. Auf die Vielschichtigkeit dieses Themas geht bereits die sehr differenzierte Gliederung ein, wie sie das detaillierte Inhaltsverzeichnis offen legt. In neun, z. T. weiter unterteilten Sachabschnitten wird das schwierige und umfangreiche Thema darüber hinaus mit – hier nicht aufzuführenden – Zwischenüberschriften vorzüglich aufbereitet und sowohl landschaftlich-individuell als auch übergreifend-vergleichend präsentiert von der Problemstellung über den Forschungsstand mit der landschaftlich-regional sehr unterschiedlichen Quellenlage zu Entstehung und Ausgestaltung des niederen Adels mit sozialer Differenzierung, wirtschaftlicher Situation und schließlich als Kraft in Reich und Region: I. Adelsgeschichte und vergleichende Landesgeschichte: Problemstellung und Untersuchungsgang, II. Niederadel im Spätmittelalter: Forschungsstand und Überlieferung (in 2 Unterabschnitten), III. Der bayrische Turnieradel als Sonderfall: Die Entstehung einer landschaftlichen Adelskaste, IV. Niederadel im entstehenden Fürstenstaat vom 14. zum 15. Jahrhundert: Der Fall Sachsen. V Ansätze ständischer Differenzierung im deutschen Niederadel: Die Fälle Sachsen, Brandenburg, Bayern und Österreich (mit 4 Unterabschnitten), VI. Kleinadel am unteren Rand und soziale Fluktuation. Kleinraumstudien in Bayern und Sachsen (mit 3 Unterabschnitten), VII. Soziale Formationen im landschaftlichen Vergleich: Sozioökonomische Untersuchung des Niederadels in Bayern, Kursachsen und Franken (mit 4 Unterabschnitten), VIII. Der Niederadel als politische Kraft im Reich und in den Regionen im 15. Jahrhundert (mit 6 Unterabschnitten), IX. Ergebnisse. Drei formale Abschnitte (X. Materialanhang (mit als Legende bezeichnete Namensverzeichnisse zu einigen Karten), XI. Verzeichnisse (Abkürzungen, Quellen, Literatur) und XII. Register (Personen, Orte, Sachen) machen die Studie gut nutzbar wie auch eine Auflistung der 9 Übersichtskarten und eine allerdings rudimentäre Übersicht der – abschnittsweise gezählten – Tabellen und Materialien (S. XII). Im Abschnitt VII. „Soziale Formation ...“ sind etliche quantitative Entwicklung aufzeigende Ergebnisse in Diagramme umgesetzt worden.

 

In der Studie ist alles berücksichtigt worden, womit Adel in Verbindung gebracht wird, z.B. Domkapitel, Turniere, Lehen, Dienste, Ämter, Burgen und Burgenöffnung, Fehden, Einungen, Landstände. Neben Adelsverzeichnissen unterschiedlichster Art (z. B. Vasallenlisten, Lehnbücher, Turnierbücher, Landtagslisten) und Bezeichnung wie Landtafel in Bayern oder Gültbücher in Österreich wurden Wappenbücher, Teilungsurkunden, Dienstverträge, Musterungslisten, Steuerlisten u. a. m. herangezogen und ausgewertet. Die innere Differenzierung und äußere Abgrenzung des Niederadels schlug sich landschaftlich-regional in unterschiedlichen Bezeichnungen nieder: in Bayern in Turnieradel und Kleinadel, in Sachsen in Schriftsassen und Amtssassen, in Österreich in Herren und Ritter – alle mit zwar anderem, aber, wie gezeigt wurde, vergleichbarem Hintergrund. In Böhmen hoben sich die Landherren und in Brandenburg die Schlossgesessenen (früher Nobiles) aus dem Niederadel als Oberschicht heraus.

 

Befremdlich für im Norden Forschende ist, im Zusammenhang mit dem brandenburgischen Niederadel im Grenzgebiet von welfischen Herzogtümern bzw. von einem Herzogtum Lüneburg und einem Herzogtum Braunschweig zu lesen (S. 214f.). Es gab seit 1235 das welfische Herzogtum Braunschweig-Lüneburg, das seit 1267/69 in Fürstentümer geteilt war, darunter als älteste die Fürstentümer Braunschweig und Lüneburg. (Fast) alle Herzöge führten den Titel Herzog von Braunschweig und Lüneburg. Das angesprochene Calvörde (S. 213) gehörte zum Fürstentum Braunschweig; nicht zu Lüneburg. (Dies ist keine Beckmesserei, sondern unterstreicht die Notwendigkeit der Verständigung und der übergreifenden Rezeption von Forschungsergebnissen der einzelnen Landesgeschichten und führt die Maßgabe des Verfassers, das o. a. Aufbrechen landesgeschichtlicher Verengung, weiter.)

 

Ein Wort noch zu den Karten, deren Nützlichkeit im Rahmen der vorgestellten Thematik unbestritten ist. Der Karte 1 „Schriftsassensitze des Niederadels 1485: Aktuelle und ehemalige Fremdlehen im 15. Jahrhundert“ (S. 199) fehlt die Legende. (Beabsichtigt: Nur die Verteilung soll gezeigt werden, es ist inhärent, dass das volle Symbol die aktuellen und das hohle Symbol die ehemaligen Schriftsassensitze zeigt? Unbeabsichtigt?) Doch ist die Legende zur ersten Karte eventuell zu erschließen über Legende und zugehörigem Ortsnamens- und Geschlechterverzeichnis der Karte 8 „Schriftsassensitze in der Markgrafschaft Meißen 1485“ (S. 381 und S. 558/559 mit ERRATUM). Weiter hätte darauf geachtet werden sollen, das die Symbole aus dem Kartenbild alle nach Anzahl und Art in der Legende erscheinen (Karten 2 –7 und 9, S. 279, 282, 297, 349f., 360, 492) In den Karten 2, 3 und 4 (S. 279, 282, 297) wäre eine Unterscheidung der Edelherrensitze und Schriftsassensitze bzw. von Turnieradel und Kleinadel anhand von Symbolen augenfälliger gewesen als durch die gewählte Schrift.

 

Bovenden                                                                                                      Gudrun Pischke