Wettlaufer, Jörg, Das Herrenrecht der ersten Nacht.

*Wettlaufer, Jörg, Das Herrenrecht der ersten Nacht. Campus, Frankfurt 1999. Besprochen von Eva Lacour. ZRG GA 118 (2001)

LacourWettlaufer20000302 Nr. 10099 ZRG 118 (2001)

 

 

Wettlaufer, Jörg, Das Herrenrecht der ersten Nacht. Hochzeit, Herrschaft und Heiratszins im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Campus, Frankfurt am Main 1999. 430 S.

Jörg Wettlaufer untersucht ein „ungewöhnliche(s) Thema(a) der europäischen Kultur­geschichte“ (S. 11). Das jus primae noctis als Vorrecht eines mächtigen Mannes auf den ersten Beischlaf mit einer Neuvermählten reicht als literarischer Topos in die europäische und vorder­asiatische Antike zurück und fand seinen ältesten schriftlichen Niederschlag im Gilgamesch-Epos. In ländlichen Rechtsquellen taucht das Herrenrecht im 14. Jahrhundert wieder auf. Eine Rechtstitelaufzählung aus der Normandie datiert ins Jahr 1419. In dem dénombrement beruft sich Jehan de Hanforte auf sein Recht zur Erhebung einer Heiratsabgabe oder - falls der Bräutigam diese nicht liefere – „je puis et je dois, s’il me plaist aller (...) couchier avecques l’espousee“ (S. 219). Die Drohung, die erste Nacht mit der Braut zu beanspruchen, wenn nicht bestimmte Abgaben entweder von den Eltern der Braut oder vom Bräutigam geleistet werden, findet sich im späten Mittelalter mehrfach in den Quellen. Die meisten sind aus den Pyrenäen bekannt. Im deutschen Sprachraum ist dieses Recht bislang nur für die Herrschaft Greifensee bei Zürich belegt. In einer Öffnung aus dem Ende des 14. Jahrhunderts heißt es: „wär in dem hoff und in dem gericht zu der e kompt, (...) der sol uns das wyb die ersten nacht antwurten(n), ald er kouff sy dann(en) von uns“ (S. 251).

Wettlaufer hält dieses Herrenrecht für eine Legende - an die allerdings sowohl Herren als auch Abhängige glaubten. Mit Hilfe etymologischer Analysen rekonstruiert er deren Entstehungs­geschichte: „Ein ( ) im Mittelalter im Gebiet des heutigen Belgien und in den Niederlanden üblicher Heiratszins, der mit seiner lateinischen Bezeichnung als Bürgschaftsverpflichtung in den Quellen auftaucht, hat den Weg zu den schon im frühen Mittelalter üblichen Zahlungen für das mundium der Braut gewiesen.“ (S. 331f.) Wenn eine freie Frau einen unfreien Mann heiraten wollte, tätigte der Herr des Unfreien das Rechtsgeschäft und erwarb die Frau für ihn, indem er den Brautpreis bezahlte. Damit ging die Frau in die Munt dieses Herrn über. Die Töchter, die aus dieser Ehe hervorgingen, hatten bei ihrer eigenen Eheschließung das Geld wieder an den Herrn zurück­zuzahlen. Doch dieses Verfahren hatte einen - nicht intendierten - Nebeneffekt. Mit der Zahlung des mundium erwarb ein Mann im älteren germanischen Eherecht den Anspruch, die Braut heim­zuführen und das eheliche Beilager zu vollziehen. Wettlaufer ist der Überzeugung, dass dieses Recht vom Herrn nicht tatsächlich in Anspruch genommen wurde, dass nämlich „erst in der Rückschau auf vergangene Zeiten“ das Recht des Herrn auf die erste Nacht „eine Realität gewonnen hat, die es aus dem Bereich der rein gedanklichen Assoziation heraushebt“ (S. 333). Als „real“ möchte Wettlaufer allerdings spezifische Manifestationen des Herrenrechts seit dem 15. Jahrhundert begreifen, bei denen der Herr sein unbekleidetes Bein in das Brautbett setzte oder über die in ihrem Bett liegende Braut hinüber schritt - eine besonders erniedrigende Demonstration der Macht, gegen die sich katalanische Bauern im 15. Jahrhundert erfolgreich zur Wehr setzten. Im Gegensatz zu den Legenden, die sich in der Dichtung wiederfinden, glaubt Wettlaufer nicht an ein Herrenrecht auf tatsächlichen Vollzug des ersten Beischlafs, sondern „nur“ an diesen symbolischen Akt des Schenkelrechts (droit de cuisse) - wegen der Bedeutung des öffentlichen Beilagers als weltliches Rechtsritual für die Gültigkeit einer Ehe freilich kein sinnloses oder unbedeutendes Recht. Teilweise scheint es bei den symbolischen Handlungen in Katalanien tatsächlich zu sexuellen Übergriffen gekommen zu sein.

Im Zuge der Verschriftlichung des Gewohnheitsrechts gelangte die Legende in die genannten Rechtsquellen. Das Herrenrecht diente primär der Legitimation der geforderten Heiratsabgaben, weiter versuchte der Vasall mit Hilfe der dénombrements seinem Lehnsherr das Alter seiner herrschaftlichen Rechte und vor allem der niederen und mittleren Gerichts­herrlichkeit zu demonstrieren. Bei den geforderten Abgaben handelte es sich um eine Beteiligung des Herrn am Luxus des Hochzeitsfestes oder um Erlaubnisgebühren für das eheliche Beilager auf herrschaftlichem Grund und Boden. Die Initiative der Integration des Herrenrechts in das Gewohnheitsrecht lag also beim Gerichtsherrn.

Leider sind die Quellen zum gesamten Komplex spärlich. Die subtilen Analysen Wettlaufers sind jedoch schlüssig und in ihrer Sorgfalt überzeugend. Positiv ist hervorzuheben, dass Wettlaufer die Grenzen der Disziplin durchbricht und die Ergebnisse der Soziobiologie zu Rate zieht, wenn es um die Beantwortung der Frage geht, warum das Herrenrecht der ersten Nacht für alle Beteilig­ten solche Plausibilität besaß, dass es zur Legende werden konnte. Die soziobiologische Deutung mit ihrer Suche nach den ultimaten Ursachen von Verhalten springt nämlich geradezu ins Auge. Lebewesen konkurrieren nicht nur um Nahrung, sondern auch um Fortpflanzungschancen. So liegt es auf der Hand, die Wurzeln des Herrenrechts der ersten Nacht im Bestreben mächtiger Männer zu suchen, Frauen und damit Fortpflanzungsmöglichkeiten für sich zu monopolisieren. In diesem Sinne wäre das Herrenrecht in den Quellen als Drohgebärde zu lesen. Den biolo­gischen Sinn des Ganzen versteht jeder intuitiv und daraus ergibt sich die andauernde „Popu­larität“ des Topos in der Literatur und seine Plausibilität. Die Zuspitzung auf die erste Nacht erscheint als europäische Kulturleistung in Zusammenhang mit der Bedeutung der Ehe, genauso wie die Reduktion auf eine symbolische Handlung im droit de cuisse. Das Herrenrecht der ersten Nacht entpuppt sich als „logische Konsequenz“ intrasexueller Konkurrenz (S. 329). Gleichzeitig konnte ein Herrscher kaum besser als „unkultivierter“ Tyrann charakterisiert werden als durch den Verweis auf solch eine „primitive“ Machtdemonstration, wie sie sich im Herrenrecht der ersten Nacht zeigt. So eignete sich das jus primae noctis noch im 19. Jahrhundert vorzüglich für politische Propaganda.

Anschau                                                                                                                    Eva Lacour