Wolf, Wilhelm, Vom alten zum neuen Privatrecht.

* Das Konzept der normgestützten Kollektivierung in den zivilrechtlichen Arbeiten Heinrich Langes (1900-1977) (= Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts 21). Mohr (Siebeck), Tübingen 1998. Besprochen von Filippo Ranieri. ZRG GA 118 (2001)

RanieriWolf20000410 Nr. 1084 ZRG 118 (2001)

 

 

Wolf, Wilhelm, Vom alten zum neuen Privatrecht. Das Konzept der normgestützten Kollektivierung in den zivilrechtlichen Arbeiten Heinrich Langes (1900-1977) (= Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts 21). Mohr (Siebeck), Tübingen 1998. 389 S.

Die Monographie, die es hier vorzustellen gilt - eine Frankfurter Dissertation aus der Schule Joachim Rückerts -, stellt einen wichtigen, beispielhaften Beitrag zur jüngsten Geschichte des deutschen Zivilrechts im 20.Jahrhundert dar. Sie hat bereits Beachtung erfahren (vgl. die Stellungnahme im Rechtshistorischen Journal 19 (1999), S. 374-376; ferner die Rezension von Oliver Lepsius in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 26. März 1999, Nr. 72, S. 47). Die Untersuchung ist - wie übrigens viele andere vorzügliche, von Rückert betreute Dissertationen zur jüngsten deutschen „juristischen  Zeitgeschichte“ - als Werkbiographie angelegt. Man kann darin sogar einen Trend der rechtshistorischen Forschung zu diesen Themen sehen. Die „juristische Biographie“ scheint nämlich zum herrschenden literarischen Genre der Rechtsgeschichte des Nationalsozialismus geworden zu sein. Ein solcher Forschungsansatz überzeugt. Erst durch die quellennahe Analyse von Biographie und Publikationen einzelner Autoren der 30er Jahre lassen sich allgemeine Gesichtspunkte über das Verhältnis zwischen nationalsozialistischer Ideologie und Entwicklungen und Ausformungen des damaligen Privatrechts gewinnen. Rechtsgeschichte wird aber dadurch nicht zu einer Gelehrtenbiographie reduziert. Gerade eine gute Biographie muß nämlich von den besonderen persönlichen Umständen des untersuchten Autors hinaus ins Allgemeine führen. Die Dissertation Wolfs illustriert in vorzüglicher Weise eine solche Forschungsstrategie: Leben und Werk Heinrich Langes eröffnen zugleich einen neuen Zugang zum damaligen neuen Privatrechtsverständnis.

Einiges sei zunächst zu Gliederung und Inhalt der Arbeit mitgeteilt. In einem ersten Kapitel (S. 1-14) wird der Gang der Untersuchung und vor allem das von Wolf angestrebte Forschungsziel vorgestellt. Ein zweites Kapitel (S. 15-92) ist dem Leben und dem Werk Heinrich Langes gewidmet. Einiges davon sei hier kurz zusammengefaßt. Heinrich Lange, geboren 1900 in Leipzig, gehörte zu jenen Jahrgängen, aus welchen sich viele nationalsozialistische Hochschullehrer rekrutierten. Gerade dieser Generation war es vorbehalten, in deutschen Universitäten ungeahnte Karrieremöglichkeiten zu haben. Die Biographie Langes ist insoweit idealtypisch: 1929 Landgerichtsrat geworden, habilitierte er ein Jahr später und war bereits im November 1932 Mitglied der NSDAP. Nach 1933 beschleunigt sich die Karriere: im August desselben Jahres wird er Hochschulreferent im sächsischen Volksbildungsministerium. Dort war er maßgebend mitverantwortlich für die Entlassungen zahlreicher Professoren, nicht zuletzt auch Erwin Jacobys, der erst nach dem Krieg im Jahre 1946 an die Leipziger Fakultät zurückkehren durfte. 1934 wird Lange auf einen Lehrstuhl an der Breslauer Fakultät berufen. Er konnte fünf Jahre später nach München wechseln. Im Jahr der Breslauer Berufung trat Lange in die Akademie für deutsches Recht in München ein und propagierte dort den Plan eines neuen „Volksgesetzbuches“. Im Ergebnis war jedoch den rechtspolitischen Ideen Langes wenig Erfolg beschieden. Nach Meinungsverschiedenheiten mit dem damaligen Präsidenten der Akademie, Hans Frank, schied Lange im Herbst 1939 aus der Akademie aus. Nach dem Krieg war eine Wiederkehr in eine deutsche Fakultät zunächst durch die geschilderte Vergangenheit gesperrt. Dem Entnazifizierungsverfahren folgte ein langwieriges Bemühen um Rehabilitierung. In diesen Jahren wirkte Lange unregelmäßig in Bamberg sowie an der neu gegründeten Saarbrücker Fakultät. 1952 folgte dann der Ruf an die Universität Würzburg, wo Lange schließlich bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1967 tätig blieb. Die Biographie schließt auch die letzten Jahre unseres Autors bis zu dessen Tode 1977 ein. Die Rekonstruktion des Lebensschicksals Heinrich Langes erfolgt hier mit großer Behutsamkeit und zugleich mit professioneller historischer Tiefe. Nicht nur gedruckte Quellen, sondern vor allem auch umfangreiche Archivmaterialien sind hierfür gesichtet und herangezogen worden (vgl. auf S. 369 das ausführliche Verzeichnis der herangezogenen unveröffentlichten Quellen). Auch in dem historisch professionellen Umgang mit den archivalischen Quellen bei der biographischen Rekonstruktion mag die hier angezeigte Werkbiographie als Vorbild für vergleichbare Untersuchungen dienen.

Ein drittes Kapitel (S. 94-174) ist den methodischen Überzeugungen Heinrich Langes als Zivilrechtler der 30er Jahre gewidmet. Langes Methode wird hier als rechtstechnische und vor allem rechtspolitische Strategie gesehen, die dem Bürgerlichen Gesetzbuch zugrundeliegenden liberalen Werte umzudeuten. Die Rechtserneuerung im nationalsozialistischen Sinne wird von Lange nach Ansicht Wolfs vor allem durch die Vorstellung einer wertkonkretisierenden Gesetzgebung realisiert. Am Beispiel der rechtspolitischen und rechtsdogmatischen Schriften von Heinrich Lange in den 30er Jahren zeigt Wolf, daß das Privatrecht in der Konzeption Langes seinen rechtlich autonomen Charakter verliert. Es ist nicht mehr das Recht der rechtlich Gleichen und Freien wie in der ursprünglichen Konzeption des Bürgerlichen Gesetzbuchs, sondern es wird als staatliches Werkzeug zur effizienten Durchsetzung politischer und moralischer Wertungen verstanden. Die Kernaussage Wolfs lautet also, daß entgegen der bisherigen rechtshistorischen Forschung nicht so sehr die „unbegrenzte Auslegung“ und die Neudeutung der Generalklausel und der unbestimmten Rechtsbegriffe des Bürgerlichen Gesetzbuchs, sondern das Gesetz - i. S. allerdings einer nationalsozialistischen Gesetzlichkeit - seit 1933 als wichtigstes Instrument für eine rechtspolitische Umformung des damaligen Privatrechts eingesetzt wurde. Diese These wird konkretisiert und in einem vierten Kapitel (S. 175-281) anhand von Einzelbeispielen verdeutlicht. Hier wird die Dogmatik der „Rechtserneuerung“ anhand der rechtswissenschaftlichen Schriften, aber auch der rechtspolitischen Beiträge Heinrich Langes im einzelnen analysiert. Im Vordergrund steht zunächst das Erbrecht, insbesondere die Frage der Vernichtung gemeinschaftswidriger erbrechtlicher Verfügungen mit Hilfe von § 48 Abs. 2 Testamentgesetz, das im wesentlichen auf Langes Einfluß zurückgeht (S. 176-241). Auch die Rechtsgeschäftslehre und die Probleme des Schuldrechts werden im einzelnen hier unter dem genannten Blickwinkel analysiert (S. 243-281). Ein fünftes Kapitel (S. 282-336) ist der Methode und der Dogmatik Heinrich Langes in seinen Autorenjahren nach dem Zweiten Weltkrieg, also unter der Geltung des Grundgesetzes, gewidmet. Die Hauptthese Wolfs lautet hier, daß das bereits in den 30er Jahren entwickelte Konzept, daß nämlich das privatrechtliche Gesetz primär als staatliches Instrument zur effizienten Durchsetzung politischer und moralischer Wertungen gilt, von Heinrich Lange auch in den Nachkriegsjahren im wesentlichen unverändert weiterverfolgt und vertreten wurde. Diese innere Kontinuität im wissenschaftlichen und rechtspolitischen Wirken Heinrich Langes verdeutlicht Wolf etwa durch die Analyse der Äußerungen Langes zur Methode der Rechtsfindung, zur Verortung des Erbrechts und hier insbesondere der Testierfreiheit sowie auch etwa bei der Lehre von der Geschäftsgrundlage, die als Exempel vorgelegt wird, wie im Werk Langes eine inhaltliche Kontinuität in seiner rechtspolitisch illiberalen Haltung zu beobachten ist. Ein sechstes Kapitel (S. 337-351) faßt schließlich die Ergebnisse der Untersuchung zusammen und verdeutlicht, warum im Werk Heinrich Langes die traditionelle liberale Sicht des Privatrechts durch eine im Kern illiberale Vorstellung einer „normgestützten Kollektivierung des bürgerlichen Rechts“ ersetzt wird. Die Monographie wird mit einem umfangreichen Literaturverzeichnis und ein vollständiges und außerordentlich sorgfältig redigiertes Schriftenverzeichnis Heinrich Langes abgeschlossen. Ein Personenregister und ein sehr ausführliches Sachregister erleichtern Lektüre und Benutzung der Arbeit wesentlich.

Sein Grundanliegen macht Wolf bereits in der Einleitung (S. 5ff.) deutlich. Mit der Analyse der Biographie und der Schriften Heinrich Langes soll erstmalig exemplarisch ein wichtiger Vertreter einer qualitativ und quantitativ beachtlichen Richtung der Privatrechtswissenschaft in der Zeit des Nationalsozialismus sowie auch in den ersten Jahrzehnten der Nachkriegszeit im Mittelpunkt einer rechtshistorischen Untersuchung stehen. Als „pars pro toto“ sollte eine solche Werkbiographie dazu dienen, die inneren Aspekte des wissenschaftlichen und rechtspolitischen Wirkens einer ganzen Generation von Zivilrechtlern, welche an der Akademie für deutsches Recht wirkten und am damaligen rechtswissenschaftlichen und rechtspolitischen Diskurs teilnahmen, zu beleuchten. Durch dieses Anliegen und vor allem durch diesen Forschungsansatz stößt die Arbeit insoweit in eine echte Lücke der Wissenschaftsgeschichte des Nationalsozialismus und bietet zugleich auch die Möglichkeit, über die historische Epochengrenze von 1945 hinweg exemplarisch Kontinuitäten in Methode und rechtspolitischer Gesinnung der damaligen deutschen Zivilistik zu hinterfragen. In den Augen Wolfs zentral ist bei der Würdigung der zivilrechtlichen Arbeit Karl Heinrich Langes vor allem seine polemische Haltung gegenüber der liberalen, rechtsstaatlichen Konzeption des Privatrechts, wie sie von den Vätern des Bürgerlichen Gesetzbuchs gesehen und kodifiziert worden war. Ihr stelle Lange als rechtspolitisches und insoweit als rechtsmethodisches Ideal die Vorstellung eines gemeinschaftsgebundenen und pflichtbetonenden Privatrechts gegenüber. Lange lehnte zwar die materiellen Inhalte des Bürgerlichen Gesetzbuchs als zu sehr dem Geist des Liberalismus verhaftet ab, wollte jedoch nach Ansicht Wolfs an einem einheitlichen und systematischen Gesetzbuch festhalten. Dadurch erklärt sich auch die ambivalente Haltung Heinrich Langes zur gesetzgeberischen Heranziehung konkretisierungsbedürftiger Generalklauseln. Stattdessen sollten die neuen rechtspolitischen Inhalte zuvorderst mit dem Instrument einer systematischen Kodifikation in die Rechtsordnung transportiert werden. Dies ordnet Wolf unter die allgemeine Kategorie einer „normgestützten Kollektivierung des Privatrechts“ ein. In dieser Hinsicht sieht Wolf eine innere auffällige Kontinuität im rechtswissenschaftlichen und rechtspolitischen Wirken unseres Autors auch in den Nachkriegsjahrzehnten. Freilich hatte die Kritik der liberalen formalistischen Gesinnung, welche dem Bürgerlichen Gesetzbuch innewohnt, dieses bereits seit seiner Entstehung begleitet. Sie wird insoweit auch nach 1945 fortgesetzt. Wolf verdeutlicht allerdings, daß die terminologischen Anknüpfungen an das Vokabular des Nationalsozialismus trotz optischer Sprachbereinigungen gleichwohl mehr als auffällig bleibt. Die gesamte Forschungsstrategie der Untersuchung stellt also primär auf Langes Methode und damit darauf ab, seine rechtswissenschaftlichen Äußerungen und sein Rechtsverständnis „im Koordinatensystem von liberal und kollektiv zu verorten“ (so Wolf selbst auf S. 97). Damit strebt Wolf „zum einen die Möglichkeit, sich aus der bloßen Alternativität der Forschungspositionen zur Methode im Nationalsozialismus zu lösen“ an. „Sowohl“ - schreibt er weiter - „die hier in der Nachkriegszeit vertretene Ansicht, der Positivismus habe die Juristen gegenüber dem Nationalsozialismus anfällig gemacht, als auch die These von der unbegrenzten Auslegung“, sollen also nicht den Bezugsrahmen der Untersuchung bilden. Zugleich eröffnet nach Ansicht Wolfs die Einordnung als liberal oder kollektiv einen Forschungsansatz zu einer externen Bewertung des Staats- und Rechtsverständnisses, „ohne den Weg über die bloße Qualifizierung der Methode als positivistische, freirechtliche oder konkret ordnungsdenkende gehen zu müssen“ (S. 97-98). Langes Gegnerschaft zum Liberalismus sei überdeutlich. Die Frage, die sich hier nunmehr stelle, ist nach Ansicht Wolfs, danach zu fragen, nach welchen Kriterien eine illiberale, antiformalistische juristische Methode qualifizierbar und identifizierbar ist. Dies sieht Wolf vor allem in dem liberalen, eher angelsächsischen vorstaatlichen Privatrechtsverständnis i. S. der „rule of law“. Insoweit wird bezeichnenderweise Friedrich August von Hayek als Referenzpunkt einer bürgerlich-liberalen Rechtsauffassung gewählt (S. 99ff.).

Die materiellrechtlichen Themen und Beispiele, die nun in der Untersuchung im einzelnen herangezogen und analysiert werden, sind so zahlreich und vielfältig, daß eine spezifische Auseinandersetzung damit im Rahmen einer Rezension von vornherein ausgeschlossen bleibt. Hier sei nur als Beispiel die Frage der Nichtigkeit wegen Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB ausgewählt (S. 186ff.). Lange sieht kritisch die Zurückhaltung der damaligen Judikatur gegenüber der Vernichtung rechtswidrige Verfügungen unter Rückgriff auf das Unwerturteil der Sittenwidrigkeit. Die Rechtsprechung solle nach seiner Ansicht eine rechtspolitische, kritischere Haltung gegenüber einem privatautonomen gemeinschaftsungebundenen Testieren annehmen. Damit offenbart sich die politische Instrumentalisierung des § 138, nicht zuletzt in der Forderung, daß durch eine neue Fassung desselben klargestellt werden müsse - so Heinrich Lange selbst in seiner ersten Denkschrift zum Recht des Testaments - „daß nicht nur der Vorwurf der Moralwidrigkeit, sondern auch der Vorstoß gegen die Belange der Gemeinschaft unter § 138 fällt, selbst wenn er dem einzelnen nicht vorgeworfen werden könnte“. „Die Funktionalisierung des § 138 als Instrument zur Vernichtung gemeinschaftswidriger Verfügungen“ - schreibt Wolf (S. 188) - „ist eine doppelte. Neben die Öffnung des Anwendungsbereichs dieser Norm für die eindeutig politischen Wertvorstellungen tritt ein Kompetenzzuwachs für die Rechtsprechung durch die beabsichtigte Ausweitung des judiziellen Ermessens- und Entscheidungsspielraums.“ In dieser Hinsicht ist die Kontinuität in den rechtpolitischen Überzeugungen Heinrich Langes in den Nachkriegsjahren auffällig. So wird auch nach 1945 die Testierfreiheit in Verbindung mit dem Pflichtbewußtsein des Erblassers gesehen und eingeräumt (S. 305ff.). Ziel einer letztwillige Verfügung sei nach Langes Ansicht - so Wolf (S. 305) - „nicht jedem Willen zum Erfolg zu verhelfen, sondern den Willen des Erblassers in den Dienst der bestmöglichen Regelung seines Erbfalles zu stellen“. „Daß die Förderung pflichtbewußter und sachdienlicher Testamente“ - schreibt Wolf weiter - „1962 ebenso wie vor 1945 zu den rechtspolitischen Zielen des Gesetzgebers zählen soll, erstaunt bei der übrigen Parallelität der Konzeption der Testierfreiheit als pflichtgebundene Freiheit wenig (...). Die Erwägung jedoch, unter der Herrschaft des Art. 2 Abs.1 GG eine letztwillige Verfügung deshalb mit Nichtigkeit zu bedrohen, weil sie willkürlich, also nicht pflichtbewußt und sachdienlich, ist, ist mit dem Konzept eines auch privatrechtlich autonomen Individuums bei einer liberalen Deutung der Grundrechte - vorsichtig formuliert - kaum zu vereinbaren und legt ein kollektives Privatrechtsverständnis nahe“. In der Tat bietet gerade die Frage der Nichtigkeit nach § 138 BGB, über die Belege Wolfs hinaus, Gelegenheit, die Kontinuität im zivilrechtlichen Werk Langes zu beobachten. Die seit 1900 traditionelle Auslegung von § 138 ging bis Anfang der 30er Jahre einhellig davon aus, daß bei der Anwendung dieser Generalklausel allein die zur Zeit der Vornahme des Geschäfts vorherrschenden Wertvorstellungen maßgebend sein sollten. Ein späterer Wandel von Wertungen und normativen Vorgaben sei deshalb prinzipiell nicht bei dem Unwerturteil der Sittenwidrigkeit zu berücksichtigen. Bezeichnenderweise änderte das Reichsgericht diese alte Judikatur im Jahre 1936, und zwar in dem Sinne, daß eine rückwirkende Anwendung von § 138 BGB nunmehr für möglich gehalten wurde. Dies bedeutete zugleich, bei der Anwendung von § 138 BGB überhaupt auf ein subjektives Tatbestandsmerkmal zu verzichten und deshalb anzunehmen, daß es für die Nichtigkeit eines Vertrages grundsätzlich ausreiche, wenn dieser objektiv mit den Grundsätzen der neuen Gemeinschaftsordnung unvereinbar ist, ohne daß dies den Beteiligten bewußt gewesen zu sein braucht. Diese neue Judikatur des Reichsgerichts ordnete sich in den damaligen richterlichen Mißbrauch der Generalklausel des Bürgerlichen Gesetzbuchs ein und diente offenbar dazu, Verträge, die noch vor der Machtergreifung abgeschlossen worden waren, der Kontrolle der neuen völkischen Ideologie zu unterwerfen (vgl. etwa insbesondere den Beschluß des Großen Zivilsenats vom 13. 3. 1936, RGZ 150, 1, 4 und, in Abkehr von der bisherigen Auffassung, die Anwendung von § 138 BGB auf Verträge, die vor der Machtergreifung abgeschlossen worden waren, etwa bei Praxisverkäufen von jüdischen Anwälten und Ärzten; RGZ 153, 294, 302-303; RGZ 151, 153, 157ff.; RGZ 162, 323, 325). Diese Auslegung wurde nach dem Krieg in der westdeutschen Lehre und Rechtsprechung sofort aufgegeben. Lange, der die reichsgerichtliche Judikatur gefordert und sich zu eigen gemacht hatte (vgl. S. 187, allerdings ohne Zitierung der Rechtsprechung des Reichsgerichts), brauchte nach 1945 etliche Jahre, um sie aufzugeben. Bemerkenswert ist hier die Wandlung in seinem Lehrbuch zum Allgemeinen Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs in den Nachkriegsjahren. In der ersten Auflage (München 1952) heißt es auf S. 315 noch: „Richtiger Ansicht nach erfolgt die Würdigung ... nach der Anschauung zur Zeit der Entscheidung, vgl. RGZ 161, 157.“ Erst im Jahre 1969, in der 12. Auflage, heißt es dann (S. 329): „Die Rechtsklarheit legt es nahe, daß die Würdigung lediglich aus dem Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts heraus erfolgt; so jetzt h. M.: BGHZ 20, 71“.

Wolf ist mit dieser Monographie ein Kabinettstück zeitgeschichtlicher rechtshistorischer Forschung geglückt: Das Biographische in Leben und Werk Heinrich Langes ordnet sich in die Analyse und Bewertung von Privatrechtstheorie und Privatrechtsverständnis vieler deutscher Zivilisten vor und nach 1945 ein. Insbesondere ist es Wolf gelungen nachzuzeichnen, daß und wie Lange in der Lage war, alle wesentlichen Elemente seines nach 1933 entwickelten illiberalen, kollektivistischen Privatrechtsverständnisses in die Verhältnisse unter dem Grundgesetz zu retten und mit nur optischen sprachlichen Bereinigungen „objektiv“ mit diesen in Einklang zu bringen. Werk und Biographie der deutschen Zivilisten aus der Generation Heinrich Langes sind bis heute noch nicht untersucht worden. Die zeithistorische Forschung schafft den notwendigen Abstand dazu. Die Untersuchung Wolfs hat hierfür den Weg vorgezeichnet.

Saarbrücken                                                                                                        Filippo Ranieri