Beck, Lorenz Friedrich, Herrschaft und Territorium der Herzöge von Sachsen-Wittenberg

* (1212-1422) (= Bibliothek der brandenburgischen und preußischen Geschichte 6). Verlag für Berlin-Brandenburg, Potsdam 2000. 338 S., 2 Faltkart. Besprochen von Karlheinz Blaschke. ZRG GA 119 (2002)

BlaschkeBeck20010131 Nr. 10189 ZRG 119 (2002) 31

 

 

Beck, Lorenz Friedrich, Herrschaft und Territorium der Herzöge von Sachsen-Wittenberg (1212-1422) (= Bibliothek der brandenburgischen und preußischen Geschichte 6). Verlag für Berlin-Brandenburg, Potsdam 2000. 338 S., 2 Faltkarten.

 

Die Arbeit ist ein Zeugnis dafür, daß die auf dem Gebiet der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik zur „marxistischen Regionalgeschichte“ verkommene Landesgeschichte im zehnten Jahre nach dem Zusammenbruch des SED-Regimes wieder ihre alte Höhe und den Anschluß an den allgemeinen Leistungsstand der deutschen Geschichtswissenschaft erreicht hat. Dabei liegt der Wert der Studie besonders darin, daß hier ein Thema angepackt wurde, für das es im System der landesgeschichtlichen Forschung keinen traditionsbewußten und „zuständigen“ Träger gibt. Die Organisationsformen der deutschen Landesgeschichte, wie sie bis heute gelten, sind im 19. Jahrhundert in Anlehnung an die damals bestehenden deutschen Einzelstaaten ausgebildet worden. Das hat dazu geführt, daß ein in der Geschichte des Mittelalters so bedeutendes Territorium wie das askanische Herzogtum Sachsen-Wittenberg einfach unter den Tisch fiel, weil es keinen Staat gab, der sich als sein Traditionsträger ansehen konnte. Das wettinische Königreich Sachsen hatte auf dem Wiener Kongreß das namengebende Herzogtum Sachsen an Preußen abtreten müssen, war also für dessen Geschichte nicht mehr zuständig, während Preußen an dem annektierten sächsischen Gebiet kein Interesse hatte. Darunter litt die Geschichtspflege in den altsächsischen, nunmehr neupreußischen Gebieten ganz allgemein.

Die als Dissertation an der Technischen Universität Berlin angenommene Untersuchung eines brandenburgischen Archivars füllt somit tatsächlich die oft nur floskelhaft gemeinte Lücke aus. Sie stellt sich in die Tradition der deutschen Verfassungsgeschichte mit ihrer „wichtigsten Frage“ nach der Entstehung der Landesherrschaft und wendet die dort ausgebildeten theoretischen Grundlagen auf das Gebiet an der mittleren Elbe an, wo seit der deutschen Ostbewegung des 12. Jahrhunderts das Herzogtum Sachsen-Wittenberg emporwuchs. Die namentlich von Walter Schlesinger entwickelte Synthese von Verfassungs- und Siedlungsgeschichte kommt hier voll zum Tragen. So wird ein deutsches Territorium, auf dem mehr als 200 Jahre lang die Kurwürde lag, zum erstenmal mit modernsten wissenschaftlichen Methoden untersucht. Herrschaftsbildung, Ministerialität, Burgenbau, Hof- und Landesverwaltung, Residenzbildung, Kirchenorganisation, Dorfverfassung und askanische Genealogie werden zu einem umfassenden Bild zusammengefügt, das Wachstum des Territoriums im späten Mittelalter wird quellenmäßig dargestellt und mit Hilfe von Karten augenfällig gemacht. Die Verflechtung der Territorialgeschichte mit der geschichtlichen Landeskunde wird gebührend gewürdigt. Das Literaturverzeichnis zeigt den weiten Horizont an, in dem der Verfasser seine theoretisch-konzeptionellen Anregungen und die solide Gründung auf ein reiches Tatsachenmaterial erhalten hat. Dabei wird die Bedeutung der von Rudolf Kötzschke und Walter Schlesinger geprägten Leipziger Schule der Landesgeschichte schon mit dem Anteil an der zitierten Fachliteratur deutlich. Es ist das Verdienst des Verfassers, einen auf der Landkarte der mittelalterlichen Verfassungsgeschichte im mitteldeutschen Raum bisher vorhanden gewesenen weißen Fleck zwischen Brandenburg, der Niederlausitz, Kursachsen und Anhalt mit Farbe ausgefüllt und das Wissen um die herrschaftliche Durchdringung des deutschen Geschichtsraumes um einen bemerkenswerten Fall bereichert zu haben. Diese Aufgabe hat er unter Einsatz aller denkbaren methodischen Zugänge beispielhaft bewältigt.

 

Friedewald bei Dresden                                                                                    Karlheinz Blaschke