Bilder, Texte, Rituale.

* Wirklichkeitsbezug und Wirklichkeitskonstruktion politisch-rechtlicher Kommunikationsmedien in Stadt- und Adelsgesellschaften des späten Mittelalters, hg. v. Schreiner, Klaus/Signori, Gabriela (= Zeitschrift für historische Forschung Beiheft 24). Duncker & Humblot, Berlin 2000. VI, 199 S. Besprochen von Louis Carlen. ZRG GA 119 (2002)

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Bilder, Texte, Rituale. Wirklichkeitsbezug und Wirklichkeitskonstruktion politisch-rechtlicher Kommunikationsmedien in Stadt- und Adelsgesellschaften des späten Mittelalters, hg. v. Schreiner, Klaus/Signori, Gabriela (= Zeitschrift für historische Forschung Beiheft 24). Duncker & Humblot, Berlin 2000. VI, 199 S.

Der Band enthält die Vorträge einer Sektion auf dem deutschen Historikertag in Frankfurt 1998. Der Mitherausgeber Klaus Schreiner umreißt einleitend Ziel und Gegenstand der als Medien öffentlicher Kommunikation in Gesellschaften des späten Mittelalters behandelten Texte, Bilder und Rituale (S. 1-15). Es wird gefragt, ob sich in ihnen die politisch-soziale Umwelt widerspiegelt und welche Motive und Interessen politischen, rechtlichen und sozialen Fiktionen zugrunde lagen, wobei die Gegebenheiten der jeweiligen Zeit zu beachten sind: „Evident ist, dass sich in fiktionalen Texten realgeschichtliche Interessen von Gruppen und Gesellschaften, von Kirchen und Klöstern, artikulieren“ (S. 3), wobei auch erfundene Texte bedeutsam sind. Gemeinsam vollzogene Rituale mit Zeichen und zeichenhaften Handlungen erzeugen unter den Beteiligten Gemeinschaftlichkeit. Schreiner resümiert die einzelnen Vorträge und fügt ihnen beachtliche Gedanken zum Thema bei.

Valentin Groebner befasst sich mit städtischen Geschenken, städtischer Korruption und politischer Sprache am Vorabend der Reformation (S. 17-34). Er zählt Geschenke „zu den am besten dokumentierten politischen Kommunikationsmitteln des europäischen Mittelalters“, legten sogar große und mittelgroße Handels- und Gewerbestädte eigene Schenkbücher an, da Ratswahlen, Fürstenbesuche, Amtsernennungen von Geschenken begleitet waren, wobei auch reichlich Wein floss. In Bildern, Dichtung, Liedern, Predigten und sprachlichen Anleihen aus dem Strafrecht wird Korruption beleuchtet und gezeigt, dass die Missetat am Körper sichtbar gemacht wurde und Hände, die illegale Geschenke angenommen hatten, abgehackt wurden.

Ausgehend von der Schilderung des späteren Papstes Pius II. über Schandbilder, die gegen Herzog Wilhelm wegen nicht bezahltem Sold aufgestellt wurden, befasst sich Matthias Lentz mit Schmähbriefen und Schandbildern (S. 35-67). Einlässlich schildert er, wie man sich in einem Kölner Streitfall in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts beim Versagen institutionalisierter Rechtswege Schmähbriefe und Schandbilder bediente. Die schimpflichen Attacken auf die Ehre verlagerten den Streitfall aus dem privaten Bereich in die Gesellschaft. Sie waren im 14.-16. Jahrhundert viel genutzte Kommunikationsmittel in rechtlichen Auseinandersetzungen. Anhand der Quellen werden die Praktiken beschrieben und Bildinhalte kommentiert.

Friederike Neumann zeigt in ihrem Beitrag über „Die 'introductio poenitentium' als rituelle Ausdrucksform bischöflicher Abolutions- und Jurisdiktionsgewalt im 15. Jahrhundert“ (S. 69-86) am Beispiel des Bistums Konstanz, dass die Kirche in diesem Jahrhundert auf ein öffentliches Ritual der Busse nicht verzichtete und öffentliche Sünder sich zumindest kurzzeitig für alle anderen sichtbar demütigen mussten. Die Büßereinführung wird als „Ausdruck bischöflicher Schlüsselgewalt und Jurisdiktion“ gewertet, aber auch als Gegengewicht für das von Geldfrömmigkeit belastete Gerichtswesen. Der Beitrag ist auch kirchenrechtlich wertvoll.

Ausgehend von der Geschichte und Verfassung von Braunschweig und allgemeinen Ausführungen über Rituale kommentiert Frank Rexroth die Braunschweiger Femegerichtsordnung aus dem 14. Jahrhundert und erläutert die Praxis dazu (S. 87-109). Er analysiert ihre charakteristisch rituellen Eigenheiten und ihre kommunikative Funktion und untersucht die Parallelüberlieferung zur Gerichtsordnung. Er bezeichnet sie als „ein recht unspektakuläres Rügegericht für Diebstahlsdelikte in einer eher großzügigen Auslegung“.

Norbert Schnitzler befasst sich mit „Judenfeindschaft, Bildnisfrevel und das mittelalterliche Strafrecht“ (S. 112-138). Er beschreibt die Darstellung von Juden in Bildbeispielen des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit auf dem Hintergrund eines im Wandel begriffenen Rechtssystems und den Einfluss strafrechtlicher Konzepte und Verfahren auf ikonographische Traditionen, besonders die Juden betreffend. Die Gründe für Strafverschärfung bei Juden mit umgekehrtem Aufhängen am Galgen, die Beigabe von Hunden usw. werden untersucht. Gerne stimmen wir Schnitzler zu, wenn er spricht von der „kaum zu überschätzenden Bedeutung, die bildliche Zeugnisse für den Historiker darstellen, insbesondere für den Bereich des mittelalterlichen Rechts“ (S. 137, vgl. auch S. 135).

„Frauen, Kinder, Greise und Tyrannen“ nennt sich der Beitrag von Gabriela Signori (S. 139-164), in dem sie Geschlecht und Krieg in der Bilderwelt des späten Mittelalters mit einer immensen Quellenkenntnis nachspürt. Sie zeigt, dass alle Dokumente, Reden, Briefe, Tagebücher und Geschichtsschreibung sich in der seit der Antike gebräuchlichen topischen Bilderwelt bewegen, wonach das an Frauen, Kindern und Alten begangene Unrecht aufrütteln soll. Die geschilderten Kriegsgreuel sind „Pathosformeln“ mit emotionalem Appellcharakter. Auch die Humanisten zeichneten das Bild vom blutrünstigen Türken, wie es vor ihnen schon für die Mongolen und Tartaren beschrieben wurde, und dann vom Aufprall verschiedener unterschiedlicher Kulturen und Religionen.

Der letzte Beitrag des Bandes von Simona Slanicka trägt den in Anführungszeichen gesetzten Titel „Der Knotenstock ist abgehobelt!“ (S. 165-198). Der burgundische Herzog Johann ohne Furcht ließ 1407 Ludwig von Orléans ermorden, worauf die Pariser Bevölkerung die Mordtat kommentierte: „Le baston noueux est planté“ – der Knotenstock ist abgehobelt. Hobel und Knotenstock waren Herrschaftszeichen der beiden Adelshäuser und Familien, die miteinander rivalisierten. Der Hobel, entstammend der Devisenmode am französischen Hof, sollte des Herzogs Reformwille gegen Missstände und Korruption versinnbilden. Geschenke mit dem Hobel in Form von Schmuckstücken sollten die Beschenkten auf die burgundische Politik verpflichten und die selbst zur Schau gestellten Hobel-Schmuckstücke und Hobel–Kleider sollten die burgundische Reformpolitik bekunden. Dem dienten auch die von der Autorin beschriebenen Manuskripte und ihre Miniaturen.

Für den Rechtshistoriker ist aufschlussreich, dass für die Deutung von Bildern, Texten und Ritualen immer wieder auch auf das Recht und Rechtsanschauungen zurückzugreifen ist.

 

Brig                                                                                                                           Louis Carlen