Dehesselles, Thomas, Policey, Handel und Kredit.
CordesDehesselles20001103 Nr. 10037 ZRG 119 (2002) 46
Dehesselles, Thomas, Policey, Handel und Kredit. Klostermann, Frankfurt am Main 1999. IX, 219 S.
Die von Joachim Rückert betreute Dissertation Thomas Dehesselles’ entstand im Rahmen des Forschungsprojekts „Repertorium der Policeyordnungen der Frühen Neuzeit“ des Frankfurter Max‑Planck‑Instituts für europäische Rechtsgeschichte und ist auch in dessen Schriftenreihe „Studien zu Policey und Policeywissenschaft“ (ohne Bandzählung, auch ohne ISBN und Angabe des Publikationsjahres) erschienen.
Die Arbeit untersucht den handelsrechtlichen Inhalt von Polizeiordnungen des Wolfenbütteler Teils des Herzogtums Braunschweig‑Lüneburg und hat damit schon deshalb einen reizvollen Ansatz gewählt, weil dieser Zusammenhang leicht zwischen die Raster der heutigen juristischen Fächereinteilung fällt. Modern gesprochen würde man das Thema wohl dem Wirtschaftsverwaltungsrecht zuordnen. Während die Policeyforschung außer den wissenschaftsgeschichtlichen vor allem die strafrechtlichen und alltagsgeschichtlichen Themen inzwischen gut im Griff hat, blieben die wirtschaftslenkenden Maßnahmen der frühneuzeitlichen Polizei bisher manchmal unterbelichtet. Ob es sich dabei deshalb schon um das missing link in der Geschichte der Handelsgesetzgebung zwischen den einschlägigen spätmittelalterlichen Normen aus Oberitalien und dem Code de Commerce von 1808 handelt (S. 1), sei dahingestellt.
Die ersten beiden Teile enthalten einiges Nützliches zur territorialen Entwicklung und Verwaltungsorganisation in Braunschweig‑Wolfenbüttel, was man freilich wegen des weiten Titels der Arbeit zwischen diesen Buchdeckeln nicht suchen wird, eine in ihrer Oberflächlichkeit überflüssige Passage über das mittelalterliche Handelsrecht (S. 10f.) und einige willkommene Bemerkungen zur Hierarchie der Normgeber im alten Reich. Das so vorbereitete Feld wird dann in den Teilen 3 (Handel, insbesondere mit Getreide), 4 (Zahlungsverkehr, Kreditwesen, Konkurs) und 5 (Märkte und Messen) bestellt. Hier hat der Autor zumeist unmittelbar aus den Quellen, die er vor allem in der Verordnungssammlung des Staatsarchivs Wolfenbüttel fand (S. 17, 197f.), seine Überlegungen entwickelt und dabei ein gutes Gespür für die Bedeutung der einzelnen Themen bewiesen. Geschickt werden Quellenzitate in die Darstellung einbezogen, die dadurch lebendig wird. Die Arbeit erschöpft sich aber nicht im deskriptiven Quellenreferat, sondern kann an den unterschiedlichsten Stellen immer wieder den Fortschritt in der Gesetzgebungstechnik und in den wirtschaftspolitischen Überzeugungen der Regierung demonstrieren. Diese aus den Quellen herausgearbeiteten Verläufe sind willkommene Konkretisierungen der bekannten allgemeinen Entwicklungslinien und stellen die wertvollsten Teile der Arbeit dar.
Wo der Autor sich hingegen von seinen Quellen entfernt, gerät er immer wieder auf dünnes Eis. So spricht er etwa ‑ wie viele andere, aber trotzdem unzweckmäßig ‑ von einem Zinsverbot statt vom Wucherverbot. Doch so radikal, also als totales Zinsverbot wurde das Wucherverbot in der Geschichte nur selten interpretiert; fast alle Autoren und Gesetzgeber haben die eine oder andere Weise des Zinsnehmens für legitim gehalten und nicht mit dem Wucher‑Verdikt belegt. Das ist ein über den bloßen Sprachgebrauch hinaus bedeutsamer Tatbestand, weil er die endliche generelle Erlaubnis des Zinssatzes von 5% in einem anderen Licht erscheinen läßt. Dies erscheint dann nicht mehr so sehr als große Wende, als Paradigmenwechsel vom Zinsverbot zur Zinsgestattung, sondern lediglich als ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer engeren Interpretation der Voraussetzungen der alten Todsünde „Wucher“. Doch das nur am Rande.
Dehesselles’ Arbeit hätte sorgfältiger redigiert werden können (noch in den letzten Zeilen der Arbeit fragt sich der rechnende Leser, wieso ein Mariengroschen 8, zwanzig hingegen 240 Pfennige ausmachen) und stellt mit ihrem winzigen Drucktyp ein rechtes Augenpulver dar. Doch das ist das größte Hindernis bei der Lektüre. Ansonsten bietet das Buch ein farbiges Bild von den langsam effektiver werdenden Versuchen eines deutschen Mittelstaates, sein Wirtschaftsleben durch Policey und Verwaltung besser in den Griff zu bekommen.
Frankfurt am Main Albrecht Cordes