Die Macht des Geistes. Festschrift für Hartmut Schiedermair,

* hg. v. Dörr, Dieter/Fink, Udo/Hillgruber, Christian/Kempen, Hartmut/Murswiek, Dietrich. C. F. Müller, Heidelberg 2001. XIV, 1008 S. Besprochen von Rudolf Wassermann. ZRG GA 119 (2002)

WassermannDiemacht20010503 Nr. 10389 ZRG 119 (2002) 80

 

 

Die Macht des Geistes. Festschrift für Hartmut Schiedermair, hg. v. Dörr, Dieter/Fink, Udo/Hillgruber, Christian/Kempen, Hartmut/Murswiek, Dietrich. C. F. Müller, Heidelberg 2001. XIV, 1008 S.

 

Die Hartmut Schiedermair gewidmete Festschrift zeichnet sich durch erfreuliche Reichhaltigkeit aus. Wie die Herausgeber im Vorwort hervorheben, soll die Festschrift nicht den Wissenschaftspolitiker Schiedermair, der u. a. seit 1981 Präsident des Deutschen Hochschulverbandes ist, ehren, sondern den Wissenschaftler. Diese Konzentration ist ihr gut bekommen. Selbstverständlich stehen nicht alle der unter dem anspruchsvollen Titel „Die Macht des Geistes“ zusammengefaßten 50 Beiträge auf einem gleichmäßig hohen Niveau. Zahlreiche Abhandlungen bereichern jedoch die wissenschaftliche Erkenntnis in herausragender Weise. Daß dabei neben dem Wissenschafts- und Hochschulrecht vor allem das Völker- und das Europarecht im Vordergrund stehen, entspricht der Reputation des Jubilars, der zu den einflußreichsten Völkerrechtlern Deutschlands gehört.

Ein Merkmal der Festschrift ist der häufige Bezug der Beiträge zu aktuellen Problemen. Allein drei Aufsätze befassen sich mit dem Kosovo-Konflikt. Stephan Hobe verwirft die offiziellen Rechtfertigungsversuche für die NATO-Intervention und sieht in dieser die Rückkehr zur Lehre vom gerechten Krieg. Eingehend legt Udo Fink dar, daß auch das Völkergewohnheitsrecht nicht als Rechtsgrundlage für die Militäraktionen geeignet war. Joachim Wolf schließlich zieht aus den hilfslosen Reaktionen der EU-Organe auf die Konfliktereignisse den Schluß, daß das Ziel einer gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik nicht mit den Methoden erreichbar ist, mit denen man den Gemeinsamen Markt errichtet hat.

Nicht minder brisant wie die Interventionsproblematik ist die des Minderheitenschutzes. Georg Brunner untersucht sie am Zerfall der kommunistischen Vielvölkerstaaten. Deren 22 Nachfolgestaaten begreifen sich ganz überwiegend als Nationalstaaten. Tatsächlich umfassen sie aber große ethnische Gruppen, die zu Einwohnern eines fremdnationalen Staates geworden sind. Der Autor betont, daß die Nachfolgestaaten grundsätzlich bestrebt sind, die „neuen Minderheiten“ in das neue Staatsvolk unter Verleihung des Minderheitenstatuts zu integrieren. Die abweichende Haltung Estlands und Lettlands erklärt sich aus ihrer völkerrechtswidrigen und folglich unwirksamen Annexion durch die Sowjetunion. Da das völkerrechtliche Integrationsgebot für diese Situation nicht gilt, nimmt Brunner beide Staaten vor der verbreiteten westlichen Kritik an ihrer Staatsangehörigkeitsgesetzgebung in Schutz. Boris Meissner behandelt das Selbstbestimmungsrecht der Völker in den deutsch-sowjetischen Beziehungen, wobei er feststellt, daß Deutschland mit der Wiederherstellung seiner staatlichen Einheit seine volle Souveränität erlangt hat, während Bernhard Kempen darauf aufmerksam macht, daß die in der EU vergemeinschafteten Rechtsgebiete aus der Souveränität herausgenommen sind. Den Weg der Indianerstämme in den USA zu Formen der Selbstverwaltung zeichnet Dieter Dörr nach. Kritisch bewertet Burkhardt Ziemske die deutschen Bestrebungen, Ausländern in bestimmten Fällen den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch Aufweichung des ius sanguinis und erweiterte Zulassung von Mehrstaatigkeit zu erleichtern. Er warnt davor, bewährte Institutionen ohne Grundgesetzänderung preiszugeben und das historische Staatsverständnis als erledigt zu betrachten.

Aktuelle Beiträge unterliegen natürlich der Gefahr des Überholtwerdens durch den Gang der Entwicklung. Dieses Schicksal trifft die Abhandlung Michael Brenners über eine inzwischen aufgehobene Regelung im Gesetz über offene Vermögensfragen und die Kritik, die Torsten Stein am Kreil- („Amazonen“-) Urteil des Europäischen Gerichtshofs übt. Durch das Gesetz vom 19. 12. 2000 ist Art. 12a GG geändert und den Frauen der freiwillige Wehrdienst mit der Waffe erlaubt worden. Auch die Vorschläge von Matthias Schmidt-Preuß zur EU- Regierungskonferenz sind überholt, da die Konferenz inzwischen in Nizza stattgefunden hat. Daß die Entwicklung diese Beiträge „überrollt“ hat, besagt allerdings nichts über die Berechtigung der darin geübten Kritik, wie überhaupt kritische Bemerkungen der Festschrift ihre Würze geben.

Zum Beispiel hat das Gutachten Dietrich Murswieks zum Haacke-Projekt im Lichthof Nord des Reichstagsgebäudes, das mit der Leuchtschrift „Der Bevölkerung“ die überkommene Widmung „Dem deutschen Volke“ relativieren soll, trotz seiner stichhaltigen Argumente den Bundestag nicht davon abgehalten, dem umstrittenen Kunstobjekt seine Zustimmung zu geben. Gleichwohl behalten die Ausführungen Murswieks zum Selbstverständnis und zur Selbstdarstellung des Bundestages ihren Wert. Der ebenso scharfsinnige wie wortgewaltige Josef Isensee analysiert das Verhalten der Parlamentarier in eigener Sache an konkreten Sachverhalten (Diäten, Verhaltensregeln für Abgeordnete, Parteienfinanzierung, Untersuchungsausschüsse, Wahlprüfung). Sein Ergebnis läuft auf „Behutsamkeit“ in der Ausübung eigener Kompetenzen hinaus. Von solchem „Selbstversuch im Rechtsgehorsam“ erhofft er, daß die Personen, die die Gesetze machen, sie auch befolgen, was dazu führen könne, daß die Gesetze „realitätsnah, praktikabel und für alle Beteiligten zumutbar“ ausfielen.

Es sind freilich nicht nur die Abgeordneten, denen es schwer fällt, sich an Rechtsgrundsätze zu halten. Wie Hans Heinrich Rupp an Prozeßgrundrechten wie dem des „Gesetzlichen Richters“ und des „Rechtlichen Gehörs“ zeigt, ahndet das Bundesverfassungsgericht zwar mit Schärfe Verstöße der Fachgerichte, kümmert sich aber selbst oftmals nicht um die Maßstäbe, mit denen es die ihm unterworfenen Gerichte mißt.

Leider ist es nicht möglich, in dieser Rezension alle Beiträge zu würdigen, die Hervorhebung verdienten. Hingewiesen sei jedenfalls auf die Arbeit Eckhart Kleins über das Grundgesetz als gesamtstaatliche Verfassung. Mit den Nahtstellen zwischen Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und Landesverfassungsgerichtsbarkeit befaßt sich Klaus Stern. Dieser Problemkreis gewinnt außerordentlich an Bedeutung, seitdem das Bundesverfassungsgericht in BVerfGE 96, 345f den Landesverfassungsgerichten das Recht zugestanden hat, die Anwendung bundesrechtlichen Verfahrensrechts durch die Landesgerichte darauf zu prüfen, ob diese die mit dem Grundgesetz inhaltsgleichen Grundrechte der Landesverfassungen eingehalten haben. Wohltuend realistisch wendet sich Detlef Merten gegen „weltumspannende Grundrechtsgefühligkeit“, indem er die räumlichen Grenzen der grundgesetzlichen Grundrechtsbestimmungen aufzeigt. Schließlich sei noch der von Hans Joachim Faller stammende erste Aufsatz der gehaltvollen Festschrift erwähnt. Der ehemalige Bundesverfassungsrichter nimmt sich darin des Rückgriffs auf das Naturrecht an, mit dem nach 1945 die Neubesinnung des deutschen Rechtsdenkens begonnen hat. Die Renaissance des Naturrechts wich nach kaum zehn Jahren der Wiederkehr des Rechtspositivismus. Daß damit indessen das letzte Wort nicht gesprochen war, zeigte sich, als es nach der Wiedervereinigung wiederum um die Ahndung schwerster Menschenrechtsverbrechen eines totalitären Regimes ging. Die Idee des Naturrechts ist offensichtlich weit lebenskräftiger als seine Verächter meinen - auch das ein Zeugnis für die „Macht des Geistes“, der die Festschrift gewidmet ist.

 

Goslar                                                                                                           Rudolf Wassermann