Die Repräsentation der Gruppen.
RichterDierepräsentation20001121 Nr. 1177 ZRG 119 (2002) 32
Die Repräsentation der Gruppen. Texte – Bilder – Objekte, hg. v. Oexle, Otto Gerhard/Hülsen-Esch, Andrea von (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 141). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1998. 480 S. 120 Abb.
Die mittelalterliche Gesellschaft lässt sich nicht ausschließlich als ein Gefüge von Ständen und Schichten betrachten, sondern auch als ein Gefüge aus Gruppen mit unterschiedlicher Konstituierung und Strukturierung. Beispiele finden sich zur Genüge: Adelsgeschlechter, Klosterkonvente, Familien, Verwandtschaften oder Einungen, wie beispielsweise Universitäten oder Gilden. Die Autoren dieses Bandes, der auf einem gleichnamigen Kolloquium im Max‑Planck‑Institut für Geschichte basiert, untersuchen die Repräsentation solcher Gruppen in der Gesellschaft des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Historiker und Kunsthistoriker bewerten die Gruppen der Gesellschaft des Mittelalters und der frühen Neuzeit mit den ihnen jeweils spezifischen Zugangsweisen. Dadurch präsentieren sich dem Leser eindrucksvoll unterschiedliche Sichtweisen und Methoden, deren Ziel letztlich das gleiche ist: Welche sozialgeschichtliche Bedeutung kam Gruppen in der damaligen Zeit zu? In dem ersten Beitrag des Bandes befasst sich Mitherausgeber O t t o G e r h a r d O e x l e mit der sozialen Gruppe in der Ständegesellschaft, der Beitrag trägt den Untertitel Lebensformen des Mittelalters und ihre historischen Wirkungen. Einleitend stellt Oexle die beiden von Max Bloch und Hermann Heimpel entwickelten Konzeptionen der Mittelalterforschung vor. Während Bloch ein Programm einer vergleichenden europäischen Sozialgeschichte propagierte, setzte sich 1931 Hermann Heimpel für die Erforschung des deutschen Staates aus den deutschen Wurzeln heraus ein. Beide Konzeptionen hatten noch bis weit nach 1945 ihre Nachwirkungen, erst in den siebziger Jahren begann sich die Fragestellung in der deutschen Mittelalterforschung zu verändern. Oexle möchte sich nicht mit der Geschichte spezifischer Gruppen wie beispielsweise des Mönchtums auseinandersetzen, sondern neue Akzente sozialgeschichtlicher Forschung setzen, in der soziale Gruppen als Gegenstände einer sozialgeschichtlichen Betrachtung favorisiert werden. Die folgenden Ausführungen sind auch für Rechtshistoriker von besonderem Interesse, die sich mit der Rechtswirklichkeit und Rechtsentstehung des Mittelalters befassen. Das wird schon aus der Definition deutlich, die Oexle für den Begriff der sozialen Gruppen verwendet: „Erstens geht es um das Vorhandensein von Regeln und Normen, die implizit oder explizit vereinbart sind, die Ziele der Gruppen ausdrücken und zugleich Vorstellungen über die Gruppe bei ihren Mitgliedern wie auch bei anderen, bei Außenstehenden, konstituieren; diese Abgrenzung nach außen, die sich auch im Vorhandensein von Wechselbeziehungen zu anderen Gruppen zeigt, ist ein zweites Moment; als ein weiteres Moment kann die innere Organisiertheit gelten, die in der Differenzierung von Funktionen und aufeinander bezogener sozialer Rollen zum Ausdruck kommt, und schließlich viertens die relative Dauer und Kontinuität in der Zeit. Denn sie bedingen den Unterschied zwischen den formellen Gruppen einerseits, den ,informellen’ oder auch nur okkasionellen Gruppenbildungen andererseits (S. 17f.).[1]“ Nur formelle Gruppen zeigen eine langfristige Wirkung in der Geschichte. Zwei Formen von Gruppen unterscheidet Oexle hier: Gruppen, die auf realer oder imaginärer Verwandtschaft beruhen sowie solche, die durch Vereinbarung soziale Bindungen zwischen Menschen herstellen, die nicht miteinander verwandt sind und aus diesem Grund durch Konsens oder Vertrag in ein näheres, auf Dauer angelegtes Verhältnis treten. Dabei gibt der Verfasser anhand der Beispiele Geschlecht und Haus auch Hinweise auf neuere Ergebnisse der Mittelalterforschung und bietet einen Überblick über einzelne Forschungsprojekte. Im fünften Abschnitt seines Aufsatzes befasst sich Oexle mit der sich aus der jeweiligen Form der Gruppenbildung ergebenden spezifischen Kultur, wobei es hier auf die wechselseitige Verschränkung von Normen und Vorstellungen über die Welt und die Gesellschaft sowie auf Formen des Handelns und spezifischer Institutionen ankommt. Dargestellt wird dies am Beispiel der frühen Universitäten. Auffällig sind bei der Betrachtung von Typologie und Geschichte sozialer Gruppen drei Aspekte: Die deutliche Ausprägung von jeweils spezifischen, aber unterschiedlichen Formen der Gruppenbildung, die Dichte und Intensität, mit der bestimmte Typen der Gruppenbildung in immer neuen Realisierungen in Erscheinung treten und schließlich Kooperation und Konkurrenz zwischen den verschiedenen Typen der Gruppenbildung. Daraus sich ergebende Fragen analysiert der Verfasser im Folgenden. Gefragt wird zunächst nach den Bedingungen der Dauer von Gruppen in der Zeit, wobei es hier maßgeblich auf fünf Faktoren ankommt: Die Form der Bindung von Individuen in Gruppen, die Formen der Erinnerung, die Differenzierung von Funktionen, die über Gruppen geführten Diskurse und die Formen der Repräsentation. Diese Repräsentation, die das Thema des Buches ist, ist seit den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts zu einem Schlüsselbegriff in der Geschichtswissenschaft und der Kulturwissenschaft geworden. Wer sich mit gruppenspezifischen Lebensformen befasst, kommt nicht umhin, sich mit kulturvergleichenden Fragen zu beschäftigen. Der Verfasser zeigt hier einige interessante Vergleichsbeispiele auf. Auf der einen Seite habe es in Byzanz nicht die für das westliche Abendland im Mittelalter prägenden Mönchsorden gegeben, auch ließen sich weder Gilden noch Zünfte nachweisen. Ebenso wie im Islam gebe es auch in Byzanz Städte, jedoch keine Stadtgemeinden.[2] Entsprechungen für die mittelalterliche Gruppenbildung in Westeuropa und in Mitteleuropa ließen sich demnach weder im byzantinischen noch im islamischen Kulturraum nachweisen. Dies hat nach Ansicht des Verfassers vier Gründe: Das Christentum ist eine gruppenfreundliche Region. Diese Religion breitete sich schnell aus, war zugleich aber über Jahrhunderte eine verfolgte Minderheit. Im Westen des Römischen Reiches sind die staatlichen Strukturen, die im Osten sehr viel länger Bestand hatten, mit Einsetzen der Völkerwanderung im 5. Jahrhundert verschwunden, dies zwang die Menschen zum Zusammenschluss in Gruppen von sozialer Bindekraft, um die verlorene staatliche Ordnung zu ersetzen. Der letzte Grund ist der Widerstand, der den Gruppen vor allem seit der Karolingerzeit durch die Konsolidierung staatlicher und den Ausbau kirchlicher Herrschaft begegnete. Das Fazit des Verfassers ist die Feststellung, dass die Ergebnisse der Erforschung sozialer Gruppen im Mittelalter zur Infragestellung gewohnter Perspektiven in der historischen Wahrnehmung führt. Was Oexle darunter versteht, deutet er in fünf Hinsichten an. Hinsichtlich der Entwicklung des Staates wirft der Verfasser interessante Gedanken auf. Zunächst warnt er davor, Betrachtungsweisen des 18. Jahrhunderts verallgemeinernd auf die Zustände im Mittelalter anzuwenden. Außerdem stellt er die auch und gerade für Rechtshistoriker interessante Frage, ob es richtig sei, Friede und Recht als Durchsetzung des werdenden Staates gegen Anarchie zu begreifen oder ob nicht vielmehr eines der wesentlichen Merkmale der Rechtsentwicklung des Abendlandes die Spannung zwischen allgemeinem Recht und den gruppenbezogenen Sonderrechten ist. Zum Abschluss warnt Oexle davor, das Mittelalter mit den Begriffen und Vorstellungen der Moderne begreifen zu wollen. Dies belegt er am Beispiel der Behauptung, im Mittelalter habe es keine Individualität gegeben. Diese gab es sehr wohl, doch drückte sie sich nicht wie in der Moderne aus, sondern wies andere spezifische Formen auf. Ein wesentliches Merkmal war die Bildung von Gruppen. Insgesamt bietet der Beitrag von Oexle neue Perspektiven nicht nur für Historiker oder Sozialwissenschaftler, sondern auch für die Rechtshistoriker, die sich mit der Entstehung des modernen Staatswesens im Mittelalter beschäftigen und dabei verschiedenen Fragen wie der der öffentlichen Strafe nachgehen.
K e r s t i n H e n g e v o s s ‑ D ü r k o p befasst sich in ihrem kunsthistorischen Beitrag mit Äbtissinengrabmälern als Repräsentationsbildern. Ausgangspunkt sind Äbtissinengrabmäler der Quedlinburger Stiftskirche. Ausgehend von drei Grabbildplatten in der Quedlinburger Stiftskirche diskutiert die Verfasserin nach der Darstellung der Personen ihre Repräsentation im Amt und ihre Bildlegitimation auf Grabplatten[3]. Zunächst befasst sie sich mit der Darstellung der drei Äbtissinnen auf den Grabplatten und den historischen Persönlichkeiten.[4] Alle drei Grablegen waren in einer Dreierkomposition angeordnet. Die Grablegen der Äbtissinnen sind deutlich von denen der Stifterfamilie getrennt. Die Darstellungen auf den Grabplatten sind so angefertigt, dass die Dargestellten nicht als einzelne Personen, sondern aufeinander bezogen auftreten, und zwar in der Aufeinanderfolge der Äbtissinnen. Thematisiert wird nicht das Bild des einzelnen, sondern die Zugehörigkeit zu einer Gruppe und der Sukzessionsgedanke. Dabei, so stellt die Verfasserin fest, werden die Äbtissinnen nicht in ihrem Amt dargestellt, jedoch wird durch die Kleidung die Zugehörigkeit zum Hochadel verdeutlicht. Alle drei Äbtissinnen tragen Bücher. Das weist sie nicht nur als Schriftkundige aus, sondern stellt zugleich ein Attribut dar, das für Pilger, Einsiedler, Stifter und heilige Jungfrauen verwendet wurde. Daraus wird der geistliche Auftrag der drei Äbtissinnen deutlich. Auffallend ist im Vergleich zu anderen Grabbildnissen des 11. und 12. Jahrhunderts das Fehlen geistlicher Insignien.[5] Diese Gleichgültigkeit gegenüber den Insignien ist auffallend, handelt es sich doch um Äbtissinnen, die dem Reichsfürstenstand angehörten und unmittelbar dem Papst unterstellt waren. Außerdem, so hebt die Verfasserin hervor, war das Quedlinburger Äbtissinnenamt hochrangig, man legte stets Wert auf die Darstellung der Amtsinsignien. Hinsichtlich der ungewöhnlichen Darstellung der drei Äbtissinnen sieht die Verfasserin Bezüge zum Heiligen Grab in der Stiftskirche von Gernrode. Die dort abgebildete Maria Magdalena wurde in den Darstellungen der Quedlinburger Äbtissinnen zitiert, es bleibt die Frage nach der Bedeutung dieser Darstellungsform für die drei Äbtissinnen. Die Verfasserin erblickt hier Zusammenhänge zu dem Osterspieltext von Gernrode.[6] Dabei stellt sie fest, dass im Osterspieltext die liturgische Osterfeier zur Herrschaftsrepräsentation und Inszenierung des Äbtissinnenamtes genutzt wird. In diesem Zusammenhang, so die Schlussfolgerung der Verfasserin, sind auch die drei Äbtissinnengrabmäler in Quedlinburg zu sehen. Insgesamt bietet der Beitrag einen gelungenen Einblick in eine alternative Darstellung der Individualität im Mittelalter, eine Darstellungsform, die von der üblichen, zeitgenössischen Darstellung auf Grabmälern abweicht.
Mit der Darstellung auf Grabmälern befasst sich auch der Beitrag H a n s K ö r n e r s. Ihm geht es um Individuum und Gruppe, er fragt nach der Signifikanz von Verismus und Stilisierung im Grabbild des 13. Jahrhunderts. Bereits seit dem 12. Jahrhundert lasse sich eine Gruppenbildung von Grabmälern beobachten. Belege hierfür könne man bei den Stiftergrabmälern der Nellenburger in Schaffhausen und bei den bereits genannten drei Äbtissinnengräbern in Quedlinburg finden. Es handele sich um Dreiergruppen aus dem 11. Jahrhundert, der jeweils wichtigste der Verstorbenen sei in zentraler Position aufgestellt worden. Drei Grabmälern stellten sich somit als ein Monument dar. Eine Typisierung als signifikante Darstellungsweise ließe sich jedoch erst seit dem 13. Jahrhundert nachweisen. Dies belegt der Verfasser anhand mehrerer Beispiele. So ließ sich das normannische Kloster Jumièges in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts eine Bildnisreihe seiner Äbte in Form von Grabmälern anfertigen. Auffallend ist, dass der überwiegende Teil dieser Grabplatten so gut wie austauschbar sind, allen gemeinsam ist der idealisierte, jugendliche Typus des Dargestellten. Ein weiteres Beispiel sind die Grabmäler von vier Äbten des Klosters von Saint‑Denis. Etwa um die Mitte des 13. Jahrhunderts erhielten Äbte, deren Todesdaten um bis zu 100 Jahre auseinanderlagen, ihre Grabmäler, die sich in ihrer Darstellungsweise typisierend zeigen. Die Äbte wurden geradezu einem Gruppenzwang unterworfen. Der Verfasser vermutet, dass die Abtei sich mit diesen vier Grabmälern selbst darstellen wollte und ein Zeichen für Kontinuität setzen wollte. Dies betrifft insbesondere die Rechte, die einer Abtei zustehen: Hier war es wichtig zu zeigen, dass diese auf Kontinuität, auf Gewohnheit und Brauch beruhten. Die Grabmäler werden, so die Feststellung des Verfassers, zugleich zu Rechtsdenkmälern. Noch ein weiteres Beispiel aus Saint‑Denis führt der Verfasser an: Die besonders uniformen Grabmälergruppen französischer Herrscher, die König Ludwig IX. zwischen 1263 und 1264 anfertigen ließ. Es handelte sich um eine eindrucksvolle und repräsentative Herrscherreihe, mit der der König vermutlich seinen Rang innerhalb der europäischen Monarchen hervorheben wollte. Auch hier stand die Kontinuität im Vordergrund, deutlich erkennbar in der uniformen Identität der Grabbilder. Zum einen demonstrierte Ludwig IX. damit die Kontinuität der Ahnenreihe, seiner Herrschaft und seiner Nachfolge, zudem erhielt das Kloster ein sichtbares Dokument dafür, die Nekropole der französischen Herrscher zu sein. Diese Beispiele uniformer Darstellung belegen in den Augen des Verfassers, dass die Möglichkeit der Typisierung, Stilisierung und Schematisierung als Modus verfügbar geworden sein muss. Davon unterscheidet sich deutlich die veristische Darstellung des 1268 verstorbenen Papstes Klemens IV. auf dessen Grabmal in Viterbo. Hier wurde offensichtlich ein individuell porträtierter Leichnam dargestellt, die Gesichtszüge des Papstes entsprechen dem Befund der Exhumierung. Die individuelle Darstellung des Papstes erklärt sich im Zusammenhang mit der durch ihn dogmatisierten Fegefeuerlehre, wonach der Tote nicht erst am Ende aller Zeiten, sondern bereits zum Zeitpunkt seines Ablebens vor einem besonderen Gericht verantworten muss. Doch erklärt die Fegefeuerlehre in den Augen des Verfassers nicht die offensichtliche und ungeschönte Darstellung des päpstlichen Leichnams. Der Verfasser sieht hier neben der Individualität des Verstorbenen auch dessen Einbeziehung in die Totenmesse, eine Tradition bereits aus spätrömischer Zeit. Im Grabmal des Papstes Klemens IV. werden demnach nicht nur die Individualität des Verstorbenen, sondern auch der Bezug zur Totenmesse und der dabei erteilten letzten Absolution in Erinnerung gehalten. In welcher Form durch eine veristische Darstellung eines Individuums auf eine Gruppe verwiesen werde kann, demonstriert der Verfasser anhand des Grabmales Rudolfs von Habsburg in Speyer. Das Grabmal des 1291 verstorbenen Herrschers zeigt ganz deutliche individuelle Züge, Rudolf wirkt alt, müde und resigniert. Das Grabmal Rudolfs stellt in den Augen des Verfassers ein Politikum dar, es war eine ungewöhnliche Neuerung, da es üblich war, dass sich deutsche Könige und Kaiser in bildlosen Grabmälern bestatten ließen.[7] Rudolf ließ sich individuell darstellen, um die Thronfolge auf Albrecht zu sichern sowie den Herrschaftsanspruch des Königs gegenüber dem Kurfürstenkollegium, das sich 1257 als feste Institution konstituiert hatte. Es handelt sich, so das Ergebnis des Verfassers, bei der Darstellung Rudolfs um eine Festschreibung des habsburgischen Thronanspruches.
In seinem Beitrag Selbstdarstellung im Konflikt befasst sich K l a u s K r ü g e r mit der Repräsentation der Bettelorden im Medium der Kunst. In diesem kunsthistorisch interessanten Beitrag geht der Verfasser den Konflikten nach, die Bettelorden wie beispielsweise die Franziskaner mit der künstlerischen Darstellung auszufechten hatten. Auf der einen Seite erhoben Bettelorden den Verzicht auf jede Form des materiellen Aufwandes, auf der anderen Seite wurde dieser Anspruch zu Fiktion, je mehr die Bettelorden in die Gesellschaft eingebunden wurden. Deutlich wird dies am Beispiel spektakulärer und prachtvoller Kunstwerke. Am Beispiel der Franziskaner macht der Verfasser dies deutlich: Bereits kurz nach dem Tod des Ordensgründers Franz von Assisi werden opulente Bau‑ und Kunstwerke in Auftrag gegeben. Das Entstehen einer franziskanischen Kunst ist demnach ein sichtbares Zeichen für den Verfall des Ordensideals. Den Franziskanern war dies durchaus bewusst, daher nahmen sie korrigierende Eingriffe am künstlerischen Bild ihres Ordensgründers vor. Die Geschichte der franziskanischen Kunst ist ein gutes Beispiel für die Probleme, die im Zusammenhang mit einer neuen kulturellen Identität entstehen können. Es zeigt sich die Öffnung der geschlossenen Ordenswelt in den weltlichen Lebensraum der städtischen Bevölkerung. Die Brüderschaft wächst aus der Isolation heraus und sucht nach gesellschaftlicher Kooperation, beispielsweise durch Aufrufe zur Finanzierung des Baus von Kirchen für den Bettelorden. Es zeigt sich deutlich ein Konflikt zwischen einem radikalen Anspruch auf Weltverzicht nach christlichem Vorbild auf der einen und dem Anspruch auf Prachtentfaltung auf der anderen Seite.
T a n j a M i c h a l s k y beschäftigt sich in ihrem Beitrag mit der Repräsentation einer Beata Stirps, nämlich in den Grabmonumenten der Anjous. Die Verfasserin zeigt auf, dass ein ausgewähltes Geschlecht sich nicht nur in Grabmälern selbst darstellt, sondern zugleich auch den jeweiligen Herrscher in seiner königlichen Macht und in seiner Zugehörigkeit zu dem Geschlecht rechtfertigt. Auch wenn der Beitrag für den Rechtshistoriker kaum etwas zu bieten hat, ist er doch ein kunsthistorisch interessanter Überblick über die Selbstdarstellung eines Adelsgeschlechts.
Mit dem Titel einer Novelle Gottfried Kellers befasst sich die Mitherausgeberin des Bandes, A n d r e a von H ü l s e n ‑ E s c h mit der Gruppenrepräsentation der Gelehrten im Spätmittelalter. Kleider machten Leute: Die Gelehrten des Spätmittelalters wurden durch das Anlegen bestimmter Kleidungsstücke nicht nur gesellschaftsfähig, sie definierten sich zugleich als Gruppe, als gesellschaftlicher Stand und als Berufsgruppe. Diese These belegt die Verfasserin ausführlich anhand von bildlichen Darstellungen und Statuten, dem Zusammenhang zwischen Status und symbolischer Repräsentation und dem Statuszeichen.
Unter dem Titel Geschlecht und Repräsentation analysiert J o s e p h M o r s e l die Verwandtschaftskonstruktion im fränkischen Adel des späten Mittelalters. Detailliert führt der Verfasser aus, dass die Geschlechter, die sich zwischen dem 14. und 15. Jahrhundert herausgebildet haben, als Ergebnis verschiedener Formen der Repräsentation anzusehen sind. Sie waren, so legt der Verfasser dar, Gegenstand einer lexikalischen, ikonographischen, materiellen und textlichen Darstellung und drückten ihr Gruppenbewusstsein nach außen hin durch Burgen, Lehen oder Turniere aus. Ein Geschlecht als Gruppe hebt sich hervor durch Stilisierung der Merkmale des Geschlechts, beispielsweise durch ein Wappen, oder aber durch Darstellung des Geschlechts zu bestimmten Anlässen. Repräsentation des Geschlechts hat dabei eine dreifache Wortbedeutung: Es geht um Darstellung, Vertretung sowie Vorstellung. Ohne dies kann kein Geschlecht auskommen.
W e r n e r P a r a v i c i n i wendet sich unter dem Titel Gruppe und Person der Repräsentation durch Wappen im späten Mittelalter zu. Zur Einleitung seines Beitrages wählt er einen ungewöhnlichen, aber gelungenen Weg: Er stellt die Bedeutung der Wappen im Spätmittelalter in erzählerischer Form dar, indem er die Reise eines Edelmannes, eines Herrn von Fleckenstein, im Jahre 1480 beschreibt. Dieser Edelmann, Mitglied der Turniergesellschaft vom Oberen Esel, möchte an einem der großen Vier Lande Turniere teilnehmen. Der Reisende betritt eine oberdeutsche Stadt, und mit ihm macht sich der Leser auf die Suche nach einer Bleibe und einem Treffpunkt für Gleichgesinnte. All dies wird durch Wappen gekennzeichnet. Die Wappen an Gasthäusern teilen dem Reisenden nicht nur mit, wer hier abgestiegen ist, sondern auch, ob noch Platz in der Herberge ist. Außerdem erfährt der Reisende, in welche Gasthäuser er sich besser nicht begibt ‑ dort könnten Gegner sein ‑ und wo er auf Gleichgestellte trifft.. Der Autor führt den Reisenden und den Leser bis zum Beginn des Turniers durch die Stadt und erklärt auf diese Weise einprägsam die Bedeutung der Wappen in dieser Zeit. Leider erfahren wir den Ausgang des Turniers nicht, doch das ist nicht Thema des Beitrages. Nach der erzählerischen Einleitung wendet sich der Verfasser der nüchternen wissenschaftlichen Betrachtung zu und widmet sich der Heraldik, einem Wissenschaftszweig, den der Verfasser als nicht gerade blühend bezeichnet. Dem hilft der Verfasser ab, indem er den Leser mitnimmt auf eine Reise durch die Heraldik und die Bedeutung von Wappen in der spätmittelalterlichen Gesellschaft gekonnt beschreibt. Seinen gelungenen Beitrag schließt Paravicini durch drei Thesen ab: Wappen spiegeln eine soziale Geographie Europas wider, nämlich das Nordwesteuropa der klassischen Heraldik, Wappen verlieren durch Verfestigung Funktionen und Wappen stehen in einer vierfachen Spannung von Gruppe, Amt, Herrschaft, Institution und Person. Den Abschluss dieses heraldischen Beitrages bildet eine ausführliche Bibliographie.
U r s u la K l o y e r ‑ H e s s geht der Dokumentation und Konstituierung von Gemeinschaftsbewusstsein im Album Amicorum nach und wählt als Beispiel die Augsburger Patrizierstammbücher des 16. und 17. Jahrhunderts. Derartige Stammbücher hatten eine wichtige Funktion, denn in ihnen sammelte ihr Besitzer Zeugnisse von Kontakten und Beziehungen. So manches album amicorum diente seinem Besitzer dazu, sich auf Reisen des Fortbestehens seiner engsten gesellschaftlichen Verankerung in der Heimat auch unabhängig von seiner dortigen Anwesenheit durch ein handschriftliches Zeugnis zu versichern. Durch das Stammbuch blieb sein Besitzer Mitglied einer Gemeinschaft.
G i l b e r t H e s s untersucht aus germanistischer Perspektive Formen personaler Integration auf textueller Ebene am Beispiel der Einträge von Rostocker Theologieprofessoren im Gelehrtenstammbuch Herzog Augusts des Jüngeren von Braunschweig‑Lüneburg.[8] Dieser Herzog gilt als einer der gebildetsten Fürsten des 16. und 17. Jahrhunderts. Er gründete unter anderem die Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel und zeichnet auch verantwortlich für das Zusammentragen der 135.000 Bücher, die heute noch den Altbestand dieser Bibliothek ausmachen. Dieser Herzog legte sich für sein Studium in Rostock eigens ein Stammbuch zu, außerdem erhielt er ein weiteres zum Geschenk. Der Herzog differenzierte zwischen den Stammbüchern: Das erste blieb akademischen Kreisen vorbehalten, während er das zweite für Familienangehörige, Adelige und Beamte reservierte. Im ersten Stammbuch interessieren den Verfasser besonders die Einträge der Rostocker Theologieprofessoren, die er hinsichtlich ihrer Textstruktur ausführlich untersucht. In den Einträgen scheint sich in textueller Ebene nach Auffassung von Heß ein Gruppenbewusstsein der Professoren anzudeuten. Um diese Annahme zu belegen, trägt der Verfasser eine ausführliche Begründung vor.
Neue Fragen an die Zunftaltertümer stellt W i l f r i e d R e i n i n g h a u s, wenn er sich mit Sachgut und handwerklicher Gruppenkultur befasst. Der Verfasser konzentriert sich auf die seit dem 12. Jahrhundert auftretenden Zünfte und die seit dem 14. Jahrhundert existierenden Gesellengilden. Im Vordergrund der Untersuchung stehen materielle Objekte, durch die nicht nur Identität der Gruppe geschaffen wurde, sondern auch für einen Zusammenhalt der Gruppe gesorgt wurde. Zu diesen Sachgütern gehörten Siegel und Wappentafeln, Häuser und Stuben, Truhen und Laden, Trinkgeräte und Essgeschirr, religiöses Gerät sowie Fahnen.
Den Abschluss des Bandes bildet ein weiterer Beitrag Andrea von Hülsen‑Eschs. Sie beschreibt den Umgang mit Bildern in der Mediävistik und macht sich Gedanken über die disziplinäre Abgrenzung und Annährung aus kunsthistorischer Perspektive. Der Beitrag versteht sich als Resumée des gesamten, leider eines Registers entbehrenden Bandes.
Berlin Klaus Richter
[1] Hier bieten sich auch Ansatzpunkte für die Erforschung der öffentlichen Strafe im Mittelalter.
[2] Im Islam gilt die ganze Welt als eine einzige Gemeinde (umma).
[3] Es handelt sich um die Grabbilder der im 11. Jahrhundert verstorbenen Äbtissinnen Adelheid I., Beatrix I. und Adelheid II. Die Grabbilder wurden neben fünf weiteren in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts bei Renovierungsarbeiten in der Quedlinburger Stiftskirche entdeckt. Alle drei Grabplatten gehören zusammen und stammen höchstwahrscheinlich aus derselben Werkstatt.
[4] Die Äbtissinnen Beatrix I und Adelheid II. waren Töchter Kaiser Heinrichs III.
[5] Auf der Grabplatte des Bischofs Friedrich von Wettin (gest. 1152) im Magdeburger Dom ist der Bischofsstab beispielsweise deutlich zu erkennen.
[6] Es handelt sich um ein Prozessionale von 1502, jedoch lässt sich die Textvorlage in die Entstehungszeit des Heiligen Grabes zurückdatieren.
[7] Bildliche Darstellungen wie beispielsweise auf dem Grabmal Heinrichs des Löwen im Dom zu Braunschweig dienten vermutlich der Auffüllung eines Legitimationsdefizites, wenn Herrschaftsanspruch und politische Wirklichkeit auseinanderfielen.
[8] Geb. 1579, gest. 1666.