Dussel, Konrad, Deutsche Rundfunkgeschichte.

* Eine Einführung (= Uni-Papers 9). UVK Medien, Konstanz 1999. 313 S. Besprochen von Margrit Seckelmann. ZRG GA 119 (2002)

SeckelmannDussel20010915 Nr. 10222 ZRG 119 (2002) 60

 

 

Dussel, Konrad, Deutsche Rundfunkgeschichte. Eine Einführung (= Uni-Papers 9). UVK Medien, Konstanz 1999. 313 S.

 

In einer Zeit der Ausdifferenzierung blickt man gerne zurück. Während die mediale Entwicklung durch Fragmentarisierung und Segmentierung von Öffentlichkeiten geprägt ist, betrachtet das Buch von Konrad Dussel linear die Entwicklung des Rundfunks in Deutschland seit dem Beginn des regelmäßigen Sendebetriebs im Oktober 1923. Dussel, Privatdozent an der Universität Mannheim und Mitarbeiter am Deutschen Rundfunkarchiv in Frankfurt am Main, beruft sich in seiner (knappen) Einleitung auf den kulturalistischen Ansatz Michel de Certeaus:[1] Die Mediennutzung des Empfängers kann von den Intentionen des Sendenden abweichen, diese Nutzung wirkt ihrerseits auf die Medienproduktion zurück.[2] Interessant wird das Auseinanderfallen von Sendern und Nutzung bei der Konkurrenz der beiden deutschen Rundfunksysteme nach 1945. Die Adressaten des staatlichen Rundfunks der Deutschen Demokratischen Republik konnten sich der vorgesehenen Nutzung durch ein Ausweichen auf den bundesdeutschen Rundfunk entziehen. Der Rundfunk der DDR reagierte mit einer Erhöhung des Unterhaltungsangebots. Obwohl die Nutzung des DDR-Rundfunkprogramms danach anstiegen, wurde für die politische Information weiterhin das Westdeutsche Programm bevorzugt herangezogen.[3] Zu Dussels programmgeschichtlichen Ausführungen hätten Aussagen über den Umgang der Rezipienten mit den Radio- und Fernsehgeräten selbst[4] eine sinnvolle Ergänzung darstellen können.

Für den Rechtshistoriker ist besonders interessant, daß Dussel bei seinen Ausführungen zur Programmgeschichte die rechtlichen und institutionellen Entwicklungen des Rundfunks berücksichtigt. Instruktiv ist insbesondere der Abschnitt über die Gründungsphase der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in den westlichen Besatzungszonen, von Dussel bereits in seiner Habilitationsschrift über die Besetzung der Rundfunkräte des Süddeutschen Rundfunks (SDR) und des Südwestfunks (SWF) analysiert.[5] Dussel stellt die Schwierigkeiten der deutschen Landesregierungen nach 1945 dar, den seit 1932 verstaatlichten Rundfunk staatsfern zu organisieren: Viele deutsche Politiker betrachteten den Rundfunk ausschließlich als staatliches Mitteilungsorgan. Sie setzten daher das von den Militärregierungen aufgestellte Gebot der Staatsferne nur widerwillig um. Die Versuche des Stuttgarter Landtags, in den Gesetzen über den Süddeutschen Rundfunk dem Staat die Kompetenz für die Programmgestaltung zu verleihen, scheiterten 1947 und 1948 daran, daß die amerikanische Militärregierung diesen Gesetzen ihre Zustimmung verweigerte. Nach Verabschiedung eines den Vorgaben der amerikanischen Militärregierung entsprechenden Gesetzes im Mai 1949 verlagerten sich die staatlichen Versuche, Einfluß auf die Programmgestaltung zu nehmen, auf die Ebene der Ausführungsbestimmungen. Dies betraf nicht allein die Landesregierungen; auch Adenauers – vor dem Bundesverfassungsgericht gescheiterte[6] - Versuche, einen regierungstreuen Sender zu installieren, sind nach Dussel in diese Tradition einzuordnen.

Die weitere Entwicklungsgeschichte der institutionellen Rahmenbedingungen des Rundfunks in den verschiedenen deutschen Systemen wird von Dussel faktenreich beschrieben. Wünschenswert wäre es jedoch gewesen, wenn Dussel ebenso wie für die Zeit der frühen Bundesrepublik am Ende jedes Kapitels noch einmal seine Ausführungen zum Verhältnis von Rundfunk und staatlichen Organen in dieser Epoche thesenartig zusammengefaßt hätte. Auch hätte eine Zusammenfassung und Analyse der deutschen Rundfunksysteme zwischen Staatsnähe und Staatsferne am Ende der Einführung die Arbeit mit diesem Buch erleichtert. Gewünscht hätte man sich ferner ein Personen- und Sachverzeichnis. Etwas zu saloppe – und daher unpräzise – Formulierungen („1945 ging für mehr als vier Jahrzehnte die Einheit des Reiches verloren, das von Bismarck gegründet worden war.“[127]) hätten ebenso durch eine gründliche Lektorierung verhindert werden können wie ein fehlender Nachweis für Forschungspositionen, von denen sich der Autor ausdrücklich abgrenzt (Heinrich August Winkler, Dieter Langewiesche) [69].

 

Auf die Entwicklung der neuen Medien gibt Dussel nur einen kurzen Ausblick. Doch in ihrer Verzahnung von Programmgeschichte und Rechtsgeschichte erlaubt Dussels Arbeit einen interessanten ersten Zugriff auf programmatische Begleiterscheinungen institutioneller Veränderungen im „Jahrhundert der Massenmedien“[7].

 

Frankfurt am Main                                                                                         Margrit Seckelmann

[1] ) Michel de Certeau, Die Kunst des Handels, Berlin 1988.

[2] ) Knut Hickethier, Geschichte des deutschen Fernsehens. Unter Mitarbeit von Peter Hoff, Stuttgart / Weimar 1998; Carsten Lenk, Die Erscheinung des Rundfunks. Einführung und Nutzung eines Neuen Mediums, Opladen 1997.

[3] ) Konrad Dussel / Edgar Lersch (Hrsg.); Quellen zur Programmgeschichte des deutschen Hörfunks und Fernsehens, Berlin 1999, 350ff.; Axel Schildt, „Zwei Staaten – ein Hörfunk und Fernsehnation“. Überlegungen zur Bedeutung der elektronischen Massenmedien in der Geschichte der Kommunikation zwischen der BRD und der DDR, in: Arndt Bauerkämper / Martin Sabrow / Bernd Stöver (Hrsg.), Doppelte Zeitgeschichte. Deutsch-deutsche Beziehungen 1945 – 1990, Bonn 1998, 58 – 71.

[4] ) Inge Marßolek, „Radio in Deutschland 1923 – 1960. Zur Sozialgeschichte eines Mediums“, Geschichte und Gesellschaft 27 (2001), 207 – 239, 208.

[5] ) Konrad Dussel, Die Interessen der Allgemeinheit vertreten. Die Tätigkeit der Rundfunk- und Verwaltungsräte von Südwestfunk und Süddeutschem Rundfunk 1949-1969, Baden-Baden 1995.

[6] ) BVerfGE 12, 205 – „Deutschland-Fernsehen-GmbH“.

[7] ) Axel Schildt, “Das Jahrhundert der Massenmedien. Ansichten zu einer künftigen Geschichte der Öffentlichkeit”, Geschichte und Gesellschaft 27 (2001), 177 – 206.