Eigentum im internationalen Vergleich 18.-20.

* Jahrhundert, hg. v. Siegrist, Hannes/Sugarman, David (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 130). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2000. 294 S. Besprochen von Margrit Seckelmann. ZRG GA 119 (2002)

SeckelmannEigentum20010810 Nr. 10296 ZRG 119 (2002) 59

 

 

Eigentum im internationalen Vergleich 18.-20. Jahrhundert, hg. v. Siegrist, Hannes/Sugarman, David (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 130). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2000. 294 S.

 

In dem Band „Eigentum im internationalen Vergleich“ haben die Herausgeber Hannes Siegrist und David Sugarman Beiträge angloamerikanischer und deutscher Rechtshistoriker, Sozialanthropologen und jüngerer deutscher Kultur-, Begriffs- und Sozialhistoriker versammelt. Der Band ging aus einer internationalen Tagung mit dem Titel „Eigentumsrecht in gesellschafts- und sozialhistorischer Perspektive“ hervor, die 1997 an der Arbeitsstelle für vergleichende Gesellschaftsgeschichte an der Freien Universität Berlin durchgeführt wurde. Er fügt sich in eine Forschungslandschaft, die sich wieder vermehrt der Bedeutung der rechtlichen Institutionen als Faktor für wirtschaftliches Wachstum zugewandt hat. Die historische Analyse des institutionellen Wandels, wie sie insbesondere durch die Arbeiten von Douglass C. North vorgenommen wurde,[1] erklärt das Tempo des ökonomischen Wachstums in Westeuropa und Nordamerika in der industriellen Revolution durch die Schaffung und Gewährleistung exklusiver Verfügungsrechte, der property rights.[2] Die eindeutige Zuordnung von Verfügungsrechten habe zusammen mit der Verbindung von Naturwissenschaft und Technik die produktiven Kräfte und die Investitionsbereitschaft frei gesetzt. Die neuere Kulturgeschichte hat diese Forschungen um die Frage nach dem symbolischen und kulturellen Gehalt von Normen und rechtlichen Praktiken ergänzt. Der Band versucht, die Perspektive der Forschung von den Methoden zu ihren Gegenständen zu wenden. Er plädiert für ein Verständnis der Geschichtswissenschaft als einer historisch-vergleichenden „Eigentumswissenschaft“. Dieser Begriff geht auf Peter Häberle[3] zurück, welcher mit dem Plural „Eigentumswissenschaften“ alle diejenigen Teildisziplinen bezeichnete, welchen es obliegt, den öffentlichen Prozeß der Eigentumsdefinition vorzubereiten. Wie die area studies amerikanischer Hochschulen, die bestimmte Regionen unter geographischen, historischen, wirtschaftstheoretischen und anthropologischen Aspekten untersuchen, nimmt nun der Band den Begriff des Eigentums von unterschiedlichen Seiten aus in den Blick.

1. Er betrachtet zum einen seine Interdependenzen mit personenrechtlichen Konzeptionen sowie seine Bedeutung für gesellschaftliche Partizipationsmöglichkeiten. Zum anderen geht er von den Bezugspunkten des Eigentumsrechtes aus, also von den Immobiliar- und Mobiliar- und schließlich den Immaterialgüterrechten. Ein dritter Teil setzt sich mit Schranken des Eigentumsrechtes auseinander.

Die Entwicklung des Eigentumsbegriffs und der personenrechtlichen Konzeptionen wird in den Aufsätzen von Morton J. Horwitz (Harvard) und Lawrence M. Friedman (Stanford) untersucht. Der Beitrag von Horwitz behandelt die ständige begriffliche Neudefinition des Verhältnisses zwischen dem Individuum und seinem Körper in den USA seit dem 18. Jahrhundert. Friedman analysiert, wie die Normen und Praktiken des Erbens auf eine Veränderung der Sozialstruktur der Vereinigten Staaten seit dem 18. Jahrhundert reagierten. Die US-amerikanischen Erbfolgegesetze seien im 19. Jahrhundert im Sinne einer Rationalisierung der Güterzuordnung und des Schutzes des Familienvermögens gegen Unsicherheiten verändert worden. Ursprünglich auf eine männliche Einwandererminderheit, auf Bodenrechte und gegen die Anhäufung großer Vermögen konzipiert, hätte das Bedürfnis nach eindeutiger Güterzuschreibung ein Eigentumsrecht auch der (verheirateten) Frauen mit sich gebracht. Dem gewandelten wirtschaftlichen Bedürfnis der Vererbbarkeit großer Vermögen sei im zwanzigsten Jahrhundert auch das Stiftungsrecht und schließlich das Steuerrecht unterworfen worden, welchem der antifeudalistische Impetus abhandengekommen sei.

Zwei weitere Aufsätze behandeln ein klassisches Thema der property-rights-Theorie, den Zusammenhang von Eigentumskonzeptionen und Bürgerrechten. Robert W. Gordon (Yale) untersucht, wie der ursprüngliche Konnex von Grundeigentum und Stimmrecht in den USA bereits Mitte des 19. Jahrhunderts zugunsten der Einbindung immer weiterer Kreise aufgegeben wurde. Dieter Gosewinkel (Berlin/Frankfurt am Main) beschäftigt sich mit der Entkoppelung von Eigentumserwerb und Nationalität im Deutschland des 19. und 20. Jahrhunderts.

Den historischen Wandel von Auffassungen über das Eigentum an Boden und Produktionsmitteln untersuchen die Beiträge von Arndt Bauerkämper (Potsdam), Stephan Merl (Bielefeld), Chris Hann (University of Kent) und Jakob Vogel (Berlin). Bauerkämper analysiert die Entwicklung der Begriffe für landwirtschaftliches Bodeneigentum in den beiden deutschen Staaten (1945–1990). Diese prägten – so die These - noch heute die dualistische Agrarstruktur des vereinten Deutschland. Die Beiträge des Osteuropahistorikers Merl und des Sozialanthropologen Hann behandeln Eigentumsvorstellungen, die im Gegensatz zu dem absoluten und unbeschränkten Verfügungsrecht des Eigentümers stehen. Während Merl in seinem Beitrag den Einstellungen zum Privateigentum in Rußland und in der Sowjetunion nachgeht, beschäftigt sich Hann in seiner vergleichenden Untersuchung über Bodeneigentumsformen in sozialistischen und postsozialistischen Staatssystemen mit Ungarn und Polen in den siebziger Jahren sowie mit China. Auch einer der ‚deutschen‘ Diskurse über das Eigentumsrecht wird im vorliegenden Band einer kritischen Betrachtung unterzogen. In seinem Beitrag über den Mythos (und die Realität) des Eigentums im preußisch-deutschen Bergrecht dechiffriert Vogel die sogenannte spezifisch „deutsche“ Form des Bergeigentums als eine Konstruktion des 19. Jahrhunderts, die aus einer europäischen Rechtspraxis heraus „nationalisiert“ wurde und damit Bedürfnisse der Nationsbildung in Deutschland erfüllte.

Diskussionen um ein „Eigentum“ an Ideen werden in den Beiträgen von Elmar Wadle (Saarbrücken) und William W. Fisher III. (Harvard) behandelt. Wadle analysiert in seinem Beitrag die einzel- und zwischenstaatlichen Stufen des gewerblichen Rechtsschutzes und des Urheberrechts in Frankreich und Deutschland von 1800 bis 1960. Daß er diese Entwicklung unter dem Begriff „geistiges Eigentum“ darstellt, spielt auf eine These Wadles aus seinem 1996 veröffentlichten Sammelband „Geistiges Eigentum“ an:[4] die Formel „geistiges Eigentum“, seit dem 19. Jahrhundert wegen des auf Sacheigentum begrenzten römischrechtlichen Eigentumsbegriffs bekämpft,[5] kehre im Kontext der europäischen Union und der internationalen Vertragswerke zurück. Diese Entwicklung sei zu begrüßen, da dieser Begriff wissenschaftstheoretisch – etwa gegenüber der ökonomischen Analyse des Rechts – anschlußfähiger sei. Besonders gewinnbringend ist es, wenn man parallel zu diesem Aufsatz den Beitrag von Fisher zur Geschichte des Ideenschutzes in den Vereinigten Staaten liest. Nicht nur die preußischen Unternehmer, sondern auch die US-amerikanischen bedienten sich im Rahmen der wirtschaftlichen Aufholjagd gegenüber England im Rahmen der industriellen Revolution noch bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts der geistigen Piraterie, bis sie selbst vom „Nettoerzeuger zum Nettoverbraucher geistigen Eigentums“ (Fisher) wurden und einen scharfen Patentschutz befürworteten.

Zwei weitere Aufsätze betreffen das Spannungsfeld zwischen dem liberalen Eigentumsbegriff und der Gemeinwohlaufgabe des Staates. Winfried Speitkamp (Gießen) stellt die deutsche Debatte um die Grenzen des Eigentums im Natur- und Denkmalschutz in der Zeit zwischen dem Beginn der Heimatbewegung in den 1880er Jahren bis zum Reichsnaturschutzgesetz von 1935 dar. Die Sozialpflichtigkeit des Eigentums steht auch im Mittelpunkt des Beitrags von Karl Christian Führer (Bonn) über die Rechte von Hausbesitzern und Mietern im Ersten Weltkrieg in Frankreich, Großbritannien und Deutschland.

2. Der Band ist eine Momentaufnahme gegenwärtiger Eigentumsdiskussionen. Er bringt unterschiedliche Forschungstraditionen disziplinärer und sprachlicher Kontexte ebenso zusammen, wie er Texte traditionsbildender Wissenschaftler mit denen junger Forscher vereinigt. In dieser Vielfalt liegt seine große Stärke.

Ob den Herausgebern jedoch die versprochene Synthese der einzelnen Disziplinen zu einer „Phänomenologie des Eigentums in der Moderne“ gelungen ist, bleibt fraglich. Ein solches Synthetisierungsbestreben durchzieht das Vorwort. Starke Begriffe suggerieren einheitliche Forschungstraditionen: Die rechtstheoretischen critical legal studies Gordons und Morwitz‘, die sich aus der empirischen, behaviouristischen law and society-Bewegung Friedmans herausentwickelt haben,[6] werden mit dieser zur „angelsächische[n] neuere[n] Rechtsgeschichte (New legal history)“ [17] wiedervereinigt. Diese wird scharf mit der „deutschen Rechtsgeschichte“ kontrastiert, die sich wieder sozial- und kulturgeschichtlichen Forschungen [18] öffnen müsse. Es fragt sich ohnehin, inwieweit solche Traditionen im Rahmen personellen und institutionellen Austauschs überhaupt noch festzumachen sind. Dennoch wäre der Kontrast schon deutlich geringer, würden die Herausgeber etwa Wadle nicht nur als Vertreter einer „europäische[n] rechtshistorische[n] Forschung über geistiges Eigentum“, sondern auch als deutschen Rechtshistoriker ausweisen. Rechtsrealistische Positionen haben seit den sechziger Jahren wieder vermehrt an Gewicht gewonnen, so daß kaum jemand „im Grundsatz bezweifelt (...), daß die Rechtshistorie von der Sozialgeschichte und generell von den historischen Sozialwissenschaften profitieren“ kann.[7] Schwerer tut sich die deutsche Rechtsgeschichte, die kulturgeschichtlichen Herausforderungen anzunehmen. Wo dies geschieht,[8] steht sie vor den gleichen Probleme wie „die“ deutsche Geschichtswissenschaft:[9] Beide sind dem Erbe des Historismus verpflichtet - mit seinem Postulat der Quellennähe, des Individualitätsgrundsatzes und der Kontextgebundenheit der einzelnen Phänomene.[10]

Als Petitesse ist anzumerken, daß der Besitz durchaus ein rechtlicher und kein, wie die Herausgeber schreiben, bloß „alltagssprachliche[r]“ Begriff ist, der im Gegensatz zum rechtlichen Begriff des Eigentums stehe [15]. Es würde einen Tagungsband überfordern, wollte man monieren, daß der im Untertitel des Buches angesprochene „internationale Vergleich“ auf die USA, die deutschen Territorien seit dem 19. Jahrhundert, Rußland und die Sowjetunion, China, Ungarn, Polen und Frankreich beschränkt ist. Es bleibt dennoch bedauerlich, daß der Zusammenhang von Eigentumsfähigkeit und Geschlecht nur in Lawrence Friedmans Aufsatz näher thematisiert wurde.

 

Frankfurt am Main                                                                                         Margrit Seckelmann

[1] ) Douglass C. North, Structure and Change in Economic History, New York 1981; deutsch: Theorie des institutionellen Wandels. Eine neue Sicht der Wirtschaftsgeschichte, Tübingen 1988.

[2] ) Clemens Wischermann, „Der Property-Rights-Ansatz und die ‚neue‘ Wirtschaftsgeschichte“, Geschichte und Gesellschaft 19 (1993), 239 - , 240; Richard H. Tilly, „Das Wachstumsparadigma und die europäische Industrialisierungsgeschichte“, Geschichte und Gesellschaft 3 (1977), 93 – 108, 107f.

[3] ) Peter Häberle, „Vielfalt der Property Rights und der verfassungsrechtliche Eigentumsbegriff“, in: Manfred Neumann (Hrsg.); Ansprüche, Eigentums- und Verfügungsrechte (= Schriften des Vereins für Socialpolitik, Neue Folge Band 140), Berlin 1984, 63- 102.

[4] ) Elmar Wadle, „Zur Wiederkehr der Formel ‚Geistiges Eigentum‘“, in: derselbe, Geistiges Eigentum. Bausteine zur Rechtsgeschichte, Weinheim u. a. 1996, 3 - 13.

[5] ) Diethelm Klippel / Gudrun Lies-Benachib, „Der Schutz von Persönlichkeitsrechten um 1900“, in: Ulrich FalkHeinz Mohnhaupt, Das Bürgerliche Gesetzbuch und seine Richter. Zur Reaktion der Rechtsprechung auf die Kodifikation des deutschen Privatrechts (1896 – 1914), Frankfurt am Main 2000, 343 – 382, 346.

[6] ) Bryant Garth / Joyce Sterling, From Legal Realism to Law and Society: Reshaping Law for the Last Stages of the Social Activist State, Chicago 1998, 64–66; Jonathan Simon, „Law after Society“, Law & Social Inquiry 34 (1999), 143–194, 180ff.

[7] ) Lothar Schilling, „Im Schatten von ‚Annales‘, Bourdieu und Foucault: Zur Rezeption französischer Rechtshistoriographie in Deutschland“, in: Olivier Beaud/Erk Volkmar Heyen (Hrsg./dir.), Eine deutsch-französische Rechtswissenschaft? / Une science juridique franco-allemande? – Kritische Bilanz und Perspektiven eines Dialogs / Bilan critique et perspectives d’un dialogue culturel, Baden-Baden 1999, 41–66, 54; vgl. auch: Regina Ogorek, Rechtsgeschichte in der Bundesrepublik (1945 – 1990), in: Dieter Simon (Hg.), Rechtswissenschaft in der Bonner Republik, Frankfurt am Main 1994, 12–99, 96.

[8] ) Vgl. etwa die Beiträge in dem Sammelband von Marie Theres Fögen (Hg.), Aufruhr und Rebellion im Mittelalter. Historische und juristische Studien zur Rebellion, Frankfurt am Main 1995.

[9] ) Rainer Kiesow/Dieter Simon (Hrsg.), Auf der Suche nach der verlorenen Wahrheit, Frankfurt 2000.

[10] ) Heinz-Gerhard Haupt/Jürgen Kocka, „Historischer Vergleich: Methoden, Aufgaben, Probleme. Eine Einleitung“, in: dieselben, Geschichte und Vergleich, Ansätze und Ergebnisse international vergleichender Geschichtsschreibung, Frankfurt/New York 1996, 9 – 45, 26; Johannes Paulmann, Internationaler Vergleich und interkultureller Transfer. Zwei Forschungsansätze zur europäischen Geschichte des 18. bis 20. Jahrhunderts, Historische Zeitschrift 267 (1998), 649 - 685, 653.