Garovi, Angelo, Obwaldner Geschichte.

* Staatsarchiv des Kantons Obwalden, Sarnen 2000. 263 S. Besprochen von Louis Carlen. ZRG GA 119 (2002)

CarlenGarovi20010213 Nr. 10357 ZRG 119 (2002) 30

 

 

Garovi, Angelo, Obwaldner Geschichte. Staatsarchiv des Kantons Obwalden, Sarnen 2000. 263 S.

 

Obwalden liegt in der Innerschweiz und ist einer der 26 Kantone und Halbkantone der Schweiz. Historisch gesehen gehört es zu den ältesten Kernlanden der Eidgenossenschaft, die sich seit dem 13. Jahrhundert in Bünden zusammenfand. Darum ist auch die Geschichte Obwaldens reich, und das illustriert diese Gesamtdarstellung von Angelo Garovi, dem Leiter des Obwaldner Staatsarchivs und Professor an der Universität Basel, trefflich. Das Buch ist wissenschaftlich auf hohem Stand, ist aber dank seiner flüssigen und leicht lesbaren Sprache und der ansprechenden und übersichtlichen Einteilung auch für ein größeres Publikum bestimmt. Dazu ist es ausgezeichnet bebildert und mit Karten versehen.

Garovi behandelt die Frühgeschichte mit ihren Funden vom Neolithikum an und die Römerzeit, aus der u. a. eine römische Villa frei gelegt wurde und neben anderen Funden römische Münzen Schlüsse erlauben. Das Früh- und Hochmittelalter ist gekennzeichnet durch die Einwanderung und die Besiedelung durch die Alemannen, die Christianisierung in ihrer verschiedenen Ausprägung. Im Spätmittelalter beteiligt sich Obwalden am eidgenössischen Bündnissystem und dessen Expansion in den Süden. Es ist die Zeit der Herrenhöfe und Burgen, der Gemeindebildung und Verselbständigung, des Wegs in die Reichsunmittelbarkeit, einer reichen Kultur und Kunst, die in der Romanik und Gotik im Kloster Engelberg europäisches Niveau erlangte, einer lebendigen Kirche, deren Geschichte in die politische Geschichte einfließt und die sich im 16. Jahrhundert der Reformation stellen musste und diese in der Gegenreformation überwand. Garovi schildert das alles mit zahlreichen anschaulichen Beispielen wie er in der Folge auch die Barockkultur und Politik, Wirtschaft und Alltag im Ancien Regime einlässlich beschreibt. Das ist auch für das 19. Jahrhundert der Fall, in dem sich die Folgen der Französischen Revolution auswirken, aber auch das Verhältnis zum Staat der neuen Schweiz zu regeln ist. Garovi lässt es für das 19. und 20. Jahrhundert nicht mit der politischen und Wirtschaftsgeschichte bewenden, sondern widmet auch Kirche, Schule, Kunst, Medien, Sozialgeschichte, Energiewirtschaft und dem Aufbruch zur postmodernen Gesellschaft eingehende Ausführungen. Mit Ludwig von Moos, der 1959-1971 schweizerischer Justizminister war, schenkte Obwalden dem Bund eine hervorragende Persönlichkeit.

Die Quellen- und Literaturhinweise sind reich. Hier ist die spezielle Behandlung des sog. Weißen Buches von Sarnen von 1470/1474 zu nennen (S. 61), das alle eidgenössischen Bundesbriefe von 1315-1452 enthält und die erste Erwähnung des Schützen Tell, der in der eidgenössischen Befreiungstradition und „Gründungsgeschichte“ eine besondere Rolle spielt.

Damit ist knapp der Inhalt des Buches angedeutet. Es enthält aber auch ein umfassendes rechtshistorisches Material, bei dessen Verarbeitung sich der Verfasser als ausgezeichneter Kenner der allgemeinen und der lokalen Rechtsgeschichte ausweist. So wird die Ausbildung der Grundherrschaften (S. 30f.), der Talgemeinde (S. 50f.) und der Alp- und Säumergenossenschaften (S. 131-133) und der Einheit Unterwaldens (S. 54f.) dargelegt sowie die politische Führungsschicht um 1300 (S. 51) und die Stellung der Habsburger (S. 53) erläutert. Die kirchliche Organisation mit der Pfarreibildung (S. 33), dem Eigenkirchen- und Patronatsrecht (S. 30-36, 79-86), dem Verhältnis von Kirche und Staat (S. 82f.) und die Bedeutung des Klosters Engelberg, seines Territoriums, seiner Vogtei und seiner Kultur (S. 36-40) werden herausgearbeitet. Hier ist für das 19. und 20. Jahrhundert auch die Bistumsfrage zu erwähnen (S. 208f.). Mit der auf den italienischen Süden ausgerichteten Politik und Eroberung ist ein Verwaltungssystem verbunden, aber auch ein Handelsvertragsrecht (S. 65ff.). Obwaldens Politik ist im 15. Jahrhundert durch verschiedene Händel beschwert (S. 70ff.). Die politische Bedeutung des heiliggesprochenen Nikolaus von Flüe (1414-1487), dessen kluger Rat im 15. Jahrhundert die Eidgenossenschaft vor dem Auseinanderfallen bewahrte, wird hervorgehoben. Der mit der Bündnispolitik verbundene Solddienst (S. 136ff.) brachte auch rechtliche Probleme. Die Darstellung der Landsgemeinde-Demokratie ist ebenso interessant wie die auch in diesem Zusammenhang stehende Einführung des Frauenstimm- ­und Wahlrechts im 20. Jahrhundert (S. 235ff.).

Die Sitten- und Kleidermandate (S. 112ff.) gehen in den Bereich der rechtlichen Volkskunde. Garovi schildert nicht nur die Hexenprozesse in Obwalden und ihre Hintergründe, sondern wertet sie auch volkskundlich aus, indem er beispielsweise aus den Obwaldner Protokollen über den Hexensabbat Schlüsse zieht über Tanz- und Festanlässe und Speise und Trank bei Festbarkeiten (S. 122ff.). Verschiedene Ausführungen und Bilder sind von rechtsarchäologischem Interesse, so über die Legionsstempel (S. 24), das Amtsschwert des Landammanns (S. 50), das Landessiegel (S. 54), Wappen und Fahnen (S. 77f., 164), die Landsgemeinde (S. 231), den Abtstab (S. 90), das Strafverfahren und die Hexen (S. 79, 123, 125).

Dieses hervorragende Werk bietet einen reichen Einblick in die Geschichte Obwaldens und befriedigt auch die Interessen des Rechtshistorikers.

 

Brig                                                                                                                           Louis Carlen