Günther, Paul Michael, Die historische Entwicklung der Vormerkung.
WielingGünther20010814 Nr. 10285 ZRG 119 (2002) 59
Günther, Paul Michael, Die historische Entwicklung der Vormerkung. Diss. jur. Bielefeld 1997. XXXV, 166 S.
Die Arbeit informiert über die Entwicklung der Vormerkung, beginnend mit den „Protestationen“ in der preußischen Hypothekenordnung von 1750 über das Allgemeine Landrecht Preußens von 1794 und das Eigentumserwerbsgesetz von 1872; sie schildert darauf die Entstehung der Vormerkung bei der Schaffung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, wobei auch jeweils kurz der Gang der Gesetzgebung und der Vorarbeiten geschildert wird, und berichtet abschließend über die Einführung der „gesetzlichen Löschungsvormerkung“ im Jahr 1977 und über das Gesetz zur Sicherung der Konkursfestigkeit der Vormerkung, ebenso von 1977.
a) Im ersten Teil behandelt der Verfasser die Entwicklung der Vormerkung bis zur Entstehung des BGB, S. 1-52. Nach einigen Bemerkungen zu Vormerkung und Widerspruch, zu Auflassung und Gewere, zu den Schreinsbüchern und zum Verhältnis des römischen zum deutschen Recht, wie der Verfasser es sieht, kommt er zur Entstehung der Vormerkung in Preußen. Er bringt den Text des § 32 der Hypothekenordnung von 1750, der eine „Protestation“ mit der Wirkung einer Vormerkung für eine Hypothek vorsieht, und erörtert dann § 289 der Hypothekenordnung von 1783, der eine „Protestation“ zugunsten eines „Realanspruchs“ zuläßt. Um die Ermittlung, was man seinerzeit unter einem solchen Realanspruch verstand, bemüht sich der Verfasser nicht; er bringt die spätere Ansicht, wonach nur ein Anspruch aus einem dinglichen Recht in Betracht gekommen sei, und die entgegengesetzte, aber wohl vorherrschende, nach der auch eine Verpflichtung zur Bestellung eines dinglichen Rechts durch Protestation habe gesichert werden können. Er meint, der Frage komme nur dann Bedeutung zu, wenn man wissen wolle, ob es schon 1783 oder erst 1794 mit dem ALR eine Vormerkung gegeben habe. Dem Verfasser kommt es darauf nicht an, er wendet sich vielmehr der Entwicklung der Vormerkung in Österreich zu. Hier wurde 1757 durch ein Dekret der Kaiserin Maria Theresia die Pfandrechtspränotation eingeführt, die sich dann auch im ABGB wiederfindet, zusammen mit einer Vormerkung des Eigentums. Der Verfasser weist auf den Mangel der Pfandrechtspränotation hin, der darin lag, daß jeder persönliche Zahlungsanspruch eintragbar war.
Der Verfasser kommt nun wieder zum preußischen Recht, denn Preußen war das einzige Land, „in dem sich Vorstufen der Vormerkung mit einer gewissen Kontinuität und Gradlinigkeit zu Rechtsinstituten weiterentwickelten“. Verf. schildert die Rechtslage, wie sie seit der Einführung des ALR 1794 bis zum Eigentumserwerbsgesetz 1872 bestand. Die protestatio pro conservando iure et loco, die Vorgängerin der Vormerkung, war abzugrenzen gegen die protestatio pro conservandis exceptionibus und gegen die protestatio de non disponendo oder de non amplius intabulando. Die protestatio de non disponendo oder de non amplius intabulando war eine gerichtliche Verfügungsbeschränkungen, etwa bei der Konkurseröffnung, die protestatio pro conservandis exceptionibus schützte die Berufung auf Einreden und Einwendungen. Der Verfasser stellt S. 23 fest, die Vormerkungsprotestation habe „in erster Linie“ die Eintragung von Hypotheken abgesichert, es wird aber nicht klar, worin die offenbar existierenden Ausnahmen bestanden haben könnten; sie werden nicht behandelt. Die protestatio wurde nur aufgrund eines Titels eingetragen, sie sicherte einen „Realanspruch“, unter dem jetzt unstreitig ein Anspruch auf Bestellung eines dinglichen Rechts verstanden wurde. Leider werden die Texte der behandelten Gesetze (ALR, Hypothekenordnung von 1783) nur selten wiedergegeben.
Der Verfasser wendet sich nun dem preußischen Eigentumserwerbsgesetz (EEG) von 1872 zu, das den Eigentumserwerb an Grundstücken regelte sowie den Erwerb von Hypotheken und Grundschulden. Die Übereignung geschah durch Auflassung und Eintragung, die hypothekarische Belastung durch Bewilligung des Eigentümers und Eintragung. Die Bestellung von Vorkaufsrechten, Dienstbarkeiten und der nach dem ALR dinglichen Miete bedurfte keiner Eintragung, so daß insoweit auch keine Vormerkung möglich war, was der Verfasser hätte klarstellen sollen. Die bisherige protestatio führte nun den Namen Vormerkung, sie glich weitgehend der Vormerkung des BGB, wie der Verfasser feststellt. Die Vormerkung wurde aufgrund einer Bewilligung des Eigentümers eingetragen, nur die Eintragung einer Vormerkung zur Bestellung einer Hypothek bedurfte eine Titels. Daneben gab es auch den heutigen Widerspruch, der nicht nur in § 8 zweite Alternative EEG geregelt war („zur Erhaltung des Rechts auf Eintragung des Eigenthumsüberganges“), sondern auch in § 9 Absatz 3 EEG; auch er wurde Vormerkung genannt. Damit war „das alte Übel“ geblieben, ein Name für zwei Dinge, für die wir heute verschiedene Bezeichnungen haben, was der Verfasser aber zu Recht nur als Schönheitsfehler ansieht.
Die folgenden Erörterungen zu „Sinn und Zweck der Vormerkung“ sind nicht recht überzeugend. Der Verfasser sieht den Grund für die Vormerkung hauptsächlich im Eintragungsprinzip: Dadurch entstehe die Gefahr, daß vor der Entstehung des Rechts ein anderes Recht eingetragen werde und den Vorrang erlange; dieser Gefahr werde durch die Vormerkung begegnet. Zur Vermeidung dieser Gefahr hätte es der Vormerkung jedoch nicht bedurft, es hätte ein Antrag auf Eintragung des Rechts selbst genügt; der Antrag hätte nicht durch einen anderen Antrag überholt werden können, da die Anträge gemäß § 17 EEG in der Reihenfolge der Antragstellung zu bearbeiten waren. Die Erörterung zum ius ad rem ist unvollständig, es bleibt völlig offen, welche Bedeutung dem ius ad rem im preußischen Recht zukam, die § 25 ALR I 10 und §§ 5f. ALR I 19 sind nicht einmal erwähnt. Auch ist die Bedeutung des preußischen ius ad rem heute nicht mehr so bekannt, daß man ihre Kenntnis voraussetzen könnte. Auch daß das ius ad rem für Grundstücksrechte in §§ 4, 15 EEG abgeschafft wurde, wird nicht erwähnt. Zutreffend stellt der Verfasser fest, daß die Vormerkung die Funktion des ius ad rem übernimmt, was auch die zeitgenössische Literatur betont. Die Vormerkung des Eigentumserwerbsgesetzes begründete nach h. M. bereits ein bedingtes Vollrecht, die Bedingung bestand in der Bewilligung und endgültigen Eintragung dieses Rechts. Über die rechtliche Wirkung der Vormerkung im Einzelnen enthält das Gesetz keine Regelung.
Der Verfasser beendet diesen ersten Teil seiner Arbeit mit der Untersuchung der Vormerkung in anderen Partikularrechten, die sich oft an das preußische Recht anlehnten. Eine Ausnahme machte nach Ansicht des Verfassers Bayern, doch waren auch hier die Unterschiede gering: Da Bayern kein Grundbuch, sondern nur ein Pfandbuch hatte, waren überhaupt nur Hypotheken betroffen. Das Hypothekengesetz von 1822 unterschied Vormerkungen und Widersprüche (Protestationen). Die bayerische Regelung diente der württembergischen und sächsischen als Vorbild, andere Ländern bedienten sich der „Sperrvermerke“, um unrichtig eingetragene Rechte zu schützen.
b) Im zweiten Teil der Arbeit, S. 53-94, stellt der Verfasser die Behandlung der Vormerkung bei der Entstehung des BGB dar, zunächst Johows Teilentwurf. Dieser faßt - wie das preußische EEG - Widerspruch und Vormerkung unter der Bezeichnung Vormerkung zusammen und sieht diese Vormerkung bei der Auflassung und der Bestellung von Hypotheken vor, nicht bei anderen Verfügungen. Der erste Entwurf dagegen wollte nur den Widerspruch zulassen und verwarf die Vormerkung zum Schutz obligatorischer Ansprüche auf Eintragung; der Widerspruch sollte allerdings zugunsten aller dinglichen Grundstücksrechte zulässig sein, was der Verfasser übergeht. Diese Einengung der „Vormerkung“ stieß auf erhebliche Kritik in der Literatur. Der Verfasser führt die Meinung der ersten Kommission auf den Einfluß des römischen Rechts zurück, doch kann er für diese Ansicht keine plausible Erklärung anführen. Das „deutsche Liegenschaftsrecht“, das der Verfasser hier anführt, ist ein Produkt der Neuzeit, für das man mit gleicher Berechtigung das römische wie das deutsche Recht als Grundlage anführen kann. Die Gegenüberstellung des römischen und des deutschen Rechts ist für das Recht der Neuzeit in Deutschland eine überholte Vorstellung.
Der Verfasser schließt diesen zweiten Teil der Arbeit ab mit der Behandlung der Vormerkung in der zweiten BGB-Kommission. Die zweite Kommission unterschied endlich terminologisch sauber die Vormerkung vom Widerspruch und regelte die Vormerkung für bedingte und künftige Ansprüche, die Bestellung sowie die dogmatische Wirkung der Vormerkung.
c) Im dritten Teil der Arbeit, S. 95-166, berichtet der Verfasser zunächst über die Entstehung der gesetzlichen Löschungsvormerkung und über die Bedenken, die einer solchen Regelung entgegenstehen. Er stellt die wissenschaftliche Diskussion des Problems dar und die Gründe, warum die gesetzliche Löschungsvormerkung schließlich in §§ 1179a und 1179b BGB geschaffen wurde, und erörtert die dogmatische Bedeutung dieses gesicherten gesetzlichen Löschungsanspruchs. Abschließend kommt der Verfasser zur Frage der Konkursfestigkeit der Auflassungsvormerkung, die anerkannt war, bis der Bundesgerichtshof in einer unbedachten Entscheidung im Jahr 1977 dem Konkursverwalter die Möglichkeit zusprach, nach § 17 KO die Erfüllung des Kaufvertrags abzulehnen und die Löschung der Vormerkung zu verlangen. Die Entscheidung fand in der Literatur große, kritische Beachtung; der Verfasser schildert die Versuche, die Konkursfestigkeit zu sichern, bis dies schließlich 1977 durch den Gesetzgeber geschah durch Einfügung des Satzes 2 in § 24 KO (heute: § 106 InsO), der die Auflassung konkursfest machte.
Die Arbeit erlaubt eine bequeme Information über die Entstehung und Entwicklung der Vormerkung, wobei die verwendete Literatur mit dem Fortschritt der Zeit zunimmt. Leider ist die frühe Literatur zum preußischen Recht, die auch dem Leser am schwierigsten zugänglich ist, nicht verwertet; die ältesten herangezogenen Werke stammen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Aber auch die moderne Literatur ist nur recht selektiv, um nicht zu sagen spärlich und oft in veralteten Auflagen benutzt, so etwa Westermanns Sachenrecht in der 5. Auflage von 1966. Trotz allem stellt die Arbeit eine schätzenswerte Informationsquelle dar.
Trier Hans Wieling