Hartmann, Jürgen, Staatszeremoniell, 3. Aufl.

* Heymanns, Köln 2000. XXIV, 332 S. Besprochen von Paul-Joachim Heinig. ZRG GA 119 (2002)

Heinig20010813Hartmann Nr. 10202 ZRG 119 (2002) 55

 

 

Hartmann, Jürgen, Staatszeremoniell, 3. Aufl. Heymanns, Köln 2000. XXIV, 332 S.

 

Nicht zufällig folgte der ersten Auflage dieses historisch begründeten, d. h. die Wurzeln der gegenwärtigen internationalen, besonders aber europäischen Ordnungen herleitenden Manuals der diplomatisch-protokollarischen Gepflogenheiten von 1988 schon zwei Jahre später eine zweite Auflage, denn infolge der „Wiedervereinigung“ mochten etliche es mit dem Autor als „lohnend“ erachten, „die in Deutschland gebräuchlichen symbolischen und zeremoniellen Formen aus der Nähe zu betrachten“ (S. 4). Daß dieser Bedarf anschließend gedeckt war, würde hinreichend erklären, warum es bis zum Erscheinen der nunmehr vorliegenden dritten Auflage ungleich länger nämlich zehn Jahre dauerte, wenn diese Spanne nicht auch noch genutzt worden wäre, eine Neubearbeitung vorzunehmen. Leider erschöpft sich diese nicht in vordergründiger Aktualisierung und in der Anpassung an die „neue Rechtschreibung“. Vielmehr ist die ursprünglich weiter ausholende, bis zu den Zeremonien in Byzanz, Rom und Burgund zurückgehende historische Darstellung reduziert und durch die „konkrete Staatssymbolik“ ersetzt worden, wie schon Milos Vec in seiner Besprechung zu Recht bedauert hat (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14. 8. 2000). Ob dessen Mutmaßung zutrifft, darin spiegele sich die Selbstfindung des bundesdeutschen Gemeinwesens, dessen Staatszeremonielle noch bis ausgangs der 1980er Jahre von der totalitären NS-Ästhetik gelähmt worden seien, sei dahingestellt. Sicher ist, daß der zugunsten einer repräsentativen Anwendungsorientierung geminderte (rechts- und kultur-) historische Charakter der Darstellung nicht mehr wissenschaftlichen Interessen, sondern primär dem Ziel genügt, allen, die mit staatlicher symbolischer Kommunikation befaßt sind, die geltenden Ordnungen und deren Sinnhaftigkeit gelegentlich kritisch, aber auch fordernd zu vermitteln (S. 163: „In geschlossenen Räumen ist weiterhin zu beachten ...“, „Nach ähnlichen Regeln ist auch zu verfahren ...“). Dies erfolgt in vier Themenkomplexen: 1. Symbol und Zeremoniell, 2. Die Staatssymbole (Bundes- und Länderflaggen, Nationalhymne, Orden, Festtage etc.), 3. Die protokollarische Ordnung (Ordnungssysteme, Rangordnungen) und 4. die Formen des Staatszeremoniells (Staatsakte und Zeremonielle der staatlichen Einrichtungen). Vier „Anhänge“ enthalten praktische Handreichungen (I „Das Lied der Deutschen“ in drei Strophen, II exemplarische Tischordnungsmöglichten, III Bezeichnungen und Besoldungen, IV Rangordnungen in Großbritannien und Frankreich). Ein Personen- und Sachregister erschließt den ohnehin gut gegliederten, sachlich präzise und überdies flüssig geschriebenen Band.

Wenngleich der Profit der Historiker und Rechtshistoriker sich somit in Grenzen hält, werden diese den Impetus begrüßen, den Verantwortlichen die zeremoniellen Ordnungen auch in ihren historischen Grundzügen und Zusammenhängen begreifbar zu machen. Interessiert und gelegentlich amüsiert (S. 143: Laufbahnordnungen des öffentlichen Dienstes als funktionell gruppenspezifische Hofrangordnungen) stellen sie fest, daß ihre aktuellen, mit dem Stichwort der „kulturalistischen Wende“ bezeichneten Forschungsprioritäten durch die geltenden praktischen Ordnungen ebenso bestätigt und legitimiert werden wie auf der anderen Seite der Verfasser von den Erkenntnissen der mittlerweile arrivierten deutschen Hofforschung profitieren und manch‘ französisches Zitat (S. 171 A. 20) durch ein deutsches ersetzen könnte. Den Wissenschaftler als Staatsbürger stimmen einige Grundvorstellungen und Thesen nachdenklich: die vermeintliche Zeitlosigkeit und somit inhaltliche Beliebigkeit staatlichen Zeremoniells durch alle politischen Systeme hindurch, derzufolge die zeremonielle „Sichtbarmachung“ einer republikanische Staatsidee (S. 167ff.) nicht möglich sei und sich z. B. die architektonische „Staatsästhetik“ auf die Wiedergabe von „Schönheit als Ausdruck von Harmonie“ beschränken müsse (S. 172ff.); die angebliche zeremonielle Schwäche der Exekutive gegenüber Legislative und Judikative (S. 170); die staatszeremoniellen Zwecke (Vermittlung der „Würde“ eines Staates, Integration, Legitimation und Stabilisierung von Macht im Sinne von Konfliktvermeidung, S. 175). Geradezu Widerspruch erregt indes die aus der Behauptung, von je her habe Zeremoniell den Kreis der Beteiligten oder Adressaten ausweiten wollen, abgeleitete Forderung des Verfassers nach „mediengerechter“ Selbstdarstellung des Staates (S. 176f.), weil dies der Auflösung zeremonieller Ordnung in Attitüden einzelner Politiker Vorschub leistet und den beabsichtigten Integrationszweck leicht in sein Gegenteil verkehren könnte, worin der Verfasser selbst an anderer Stelle eine Gefahr sieht. Er müßte vielmehr darauf bestehen, daß die Suche nach genuinen Formen, Inhalten und Bedeutungen der symbolischen und zeremoniellen Ordnungen des demokratischen Gemeinwesens und deren ständige Vermittlung wichtiger wird als die lediglich plakative Vermehrung der Anlässe und der passiven Rezipienten. Denn dies entspricht nicht nur dem Anliegen seines „Knigge des Zeremoniells“, sondern würde eine weitere Auflage in Aussicht stellen, welche nicht mehr prohibitiv hochpreisig sein müßte und doch die vormalige Ausführlichkeit zurückgewinnen könnte.

 

Mainz/Gießen                                                                                     Paul-Joachim Heinig