Hatje, Frank, Repräsentationen der Staatsgewalt.
EbelHatje20001013 Nr. 1085 ZRG 119 (2002) 45
Hatje, Frank, Repräsentationen der Staatsgewalt. Herrschaftsstrukturen und Selbstdarstellung in Hamburg 1700-1900. Helbing & Lichtenhahn, Basel 1997. 571 S.
Der Ansatzpunkt dieses Buches, einer Hamburger historischen Dissertation, betreut von Arno Herzig, ist (jedenfalls für die Besprechung in einer rechtshistorischen Zeitschrift) ungewöhnlich. Er ist eigentlich impressionistisch, weil von der Nutzergeschichte eines Bauwerks ausgehend, ‑ hier verschlingen sich bauhistorische mit herrschaftssoziologischen Fragen, diese wiederum mit verfassungsgeschichtlichen und behördenhistorischen Beobachtungen. In der Sache geht es um das „Stadthaus“ (ehemals Görtz‑Palais) in Hamburg im 18. und 19. Jahrhundert. Katalysator für die genannten Fragen wird das Gebäude, weil sein Charakter als Residenz des Kaisers für seine ständige Gesandtschaft in Hamburg zum Thema von Repräsentation, Ehre und verfassungsrechtlichem Status der norddeutschen Großstadt im Reich führt, wohingegen die Plazierung der hansestädtischen Polizeibehörde während des l9. Jahrhunderts die Weiterführung dieser Fragestellungen bis zur Schwelle der Gegenwart provoziert. Eine semiotische Eröffnung diskutiert den Begriff „Repräsentation“, und zwar in seiner rechtlichen wie symbolischen Bedeutung. Kennzeichnend ist es, daß dieses einleitende Abtasten des Themas zu Max Weber führt mit seiner ebenso einprägsamen wie Fragen offenlassenden Definition von Herrschaft.
Die Präzisierung der ersten eher essayistischen Überlegungen führt den Verfasser anläßlich des Versuchs, die Struktur des Reichs in seinem letzten Jahrhundert zu beschreiben, konkret zum Kölner „Residentenstreit“ 1708/09. Dieser begann mit einer konfessionellen Auseinandersetzung in Köln, bei der die eigentlichen Kontrahenten die katholische Kaisermacht einerseits und das sich gerade zum (außerreichlichen) Königtum selbst ernannte und zum gesamtpreußischen Staat gewandelte Preußen andererseits gegenüberstanden. Friedrich I. fühlte sich als Führer der Protestanten. Der Streit um Eingriffe in die preußische Residenz zu Köln hatte reichspolitische Momente, damit vor allem aber auch einen Charakter als (staatspolitischer) Ehrkonflikt, den der Autor umfassend ausleuchtet.
Der Kern der Arbeit liegt in der Anwendung der gewonnenen Ergebnisse auf das Verhältnis der Reichsstadt Hamburg zum Kaiser bis zum Ende des Reichs 1806, festgezurrt an einem Tumult 1719, der seinen Ausgang nahm von der Zerstörung des kaiserlichen Gesandtschaftshauses und zu Satisfaktionsmaßnahmen des Rates auf Grund kaiserlichen Drucks geführt hat. Die Verfassungsstruktur der Hansestadt, ihr Verhältnis zum Reich im Konzert dort auch vertretener Gesandtschaften anderer Staaten, die Ersatzleistung für die zerstörte Gesandtschaftsresidenz in Gestalt des sog. „Görtzschen Hauses“ sind die Stationen der weiteren Untersuchung, die von Baufragen über Personalgeschichte bis zu verfassungsrechtlichen Problemen führt.
Nach der Franzosenzeit, der ein besonderer Abschnitt gewidmet ist, begann ab 1804 die Geschichte des Hauses als Quartier der Polizeibehörde. Hier wird eine Geschichte dieser Staatsfunktion (in Hamburg) geboten, die den Bezug zum Gebäude ‑ zwangsläufig ‑ auf weiten Passagen aufgeben muß. Dem Rechtshistoriker jedoch ist gerade dieses Kapitel willkommen, wird doch ein nur dürftig beachtetes (lokal‑)rechtshistorisches Feld hier der Bestellung zugeführt. Doch bleiben auch die architektonischen Randsteine des Ackers im Blick. Ein Blick auf die Hamburger Polizeigeschichte bis 1945 liefert manches Detail, läßt aber hier vielleicht mehr als an anderen Stellen die Verwertung vorhandener verfassungs‑ und verwaltungsgeschichtlicher Arbeiten allgemeinerer Fragestellung vermissen. Grundrisse, Statistiken und ähnliches bieten dann dem Leser noch willkommene Verständnishilfe.
Ein ungewöhnlicher Ansatz hat ein inhaltsreiches, treffliches Buch entstehen lassen, doch ob das Muster solcher Annäherung an struktur‑ und geistesgeschichtliche Entwicklungen auch anderwärts wird benutzt werden können, ist dem Rezensenten zweifelhaft.
Berlin‑Dahlem Friedrich Ebel