Hexen und Hexenprozesse in Deutschland,

* hg. v. Behringer, Wolfgang, 4. Aufl. (= dtv 30781). Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2000. 524 S. Besprochen von Peter Oestmann. ZRG GA 119 (2002)

OestmannHexen20001206 Nr. 10227 ZRG 119 (2002) 48

 

 

Hexen und Hexenprozesse in Deutschland, hg. v. Behringer, Wolfgang, 4. Aufl. (= dtv 30781). Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2000. 524 S.

 

Der erfolgreiche Quellenband Wolfgang Behringers enthält 286 Dokumente aus der Zeit von Tacitus bis Goethe. Den zeitlichen Schwerpunkt bilden Texte aus dem 16. und 17. Jahrhundert, also aus der Zeit der Hexenprozesse selbst. Dies unterscheidet diese Quellensammlung von dem klassischen Werk Joseph Hansens, der 1901 die zentralen Texte vor allem zum Mittelalter edierte. Behringers Kompilation ist daher eine willkommene Ergänzung, zumal viele der von ihm veröffentlichten Dokumente erst durch seine eigenen Archivstudien ans Tageslicht gefördert wurden und noch nie gedruckt worden sind. So findet man artikulierte Verhörprotokolle, juristische Konsilien, Briefe der unschuldig inhaftierten Verfolgungsopfer, die maßgeblichen Texte der Prozeßbefürworter und ihrer Gegner sowie zahlreiche normative Quellen. Als rechthistorisch interessierter Benutzer vermißt man freilich die einschlägigen Vorschriften des römischen und kanonischen Rechts.

Durch die Einführungskapitel zu den sieben Teilen des Buches enthält das Werk neben einer Quellensammlung zugleich eine kleine Gesamtdarstellung zur Geschichte der deutschen Hexenverfolgungen, deren Konzeption freilich schon aus dem Jahre 1988 stammt. Es liegt nahe, diese Kurzmonographie mit Behringers eigenem Grundriß aus der Beck’schen Reihe zu vergleichen, der 1998 erschien. Hierbei erweist sich der Begleittext des Quellenbandes als erheblich deutschland- und frühneuzeitzentrierter als das nachfolgende Werk. Von der anthropologisch-ethnologischen Wende, die Behringer heute verficht, ist die Quellensammlung gänzlich frei, durchaus zu ihrem Vorteil. Hier geht es einem Historiker um ein historisches Geschehen, Ausweitungen ins Allgemeingültige unterbleiben weitgehend. Wo dennoch Gegenwartsvergleiche angestellt werden, ist man eher irritiert. Die Bezeichnung von Hexen als Volksschädlingen (275) weckt unangenehmes Befremden, und ob die Argumentationsstruktur der Verfolgungsprotagonisten wirklich „unverändert“ übereinstimmt mit den Denkfiguren der „Konservativen“ (327), die im 20. Jahrhundert u. a. Ausländer, Gammler und Terroristen verfolgt haben sollen, erscheint zumindest fragwürdig.

In seinem Bemühen, einen populären Einführungstext zu verfassen, nimmt Behringer es mit terminologischer Schärfe ohnehin nicht so genau. Im Hexenprozeß mußte keineswegs „allen“ (274) Beschuldigungen geglaubt werden, Hebammen waren keine Beamten (275), und daß das frühe 16. Jahrhundert „verbraucherfreundlich“ gewesen sei (134), ist ebenfalls eine sehr moderne Vorstellung. Leider bleibt auch eines von Behringers zentralen Anliegen in der Schwebe. Seine Auffassung, Hexenprozesse gingen großenteils auf einen Hunger-Seuchen-Zyklus zurück, der mit den Mißernten und verregneten Sommern der sog. Kleinen Eiszeit verknüpft gewesen sei, wird nicht schlüssig ausgeführt. Einerseits endeten nämlich die größten süddeutschen Verfolgungen 1630 (328), andererseits war der Höhepunkt der Agrarkatastrophe erst 1632 erreicht (186). Außerdem ist man überrascht, wenn die Intensität der deutschen Auseinandersetzungen um die Hexenfrage gerade damit begründet wird, daß das Alte Reich sich im 16. Jahrhundert „auf einem Höhepunkt der ökonomischen (...) Entwicklung“ befunden habe (317).

Von den Änderungen, die die Neuauflage aufweist, ist insbesondere die neue Deutung des bekannten Kemptener Prozesses gegen Maria Anna Schwägelin aus dem Jahre 1775 bedeutsam. Bisher galt dieses Verfahren immer als letzte deutsche Hexenhinrichtung. Behringer zeigt nunmehr im Anschluß an eine Beobachtung von Wolfgang Petz, daß die Kemptener Inquisitin keineswegs verbrannt wurde, sondern sechs Jahre nach Prozeßende im Gefängnis verstarb (405). Problematisch bleibt demgegenüber die ebenfalls neugefaßte Einführung zum ersten Hauptteil. Die Leichtfertigkeit, mit der hier von germanischen Volksrechten gesprochen wird, erstaunt ebenso wie der Versuch, die Götterdichtung der isländischen Edda für die vorchristlichen Vorstellungen der Germanen nutzbar zu machen. Hier wäre ein behutsamerer Umgang mit dem Quellentext gerade aufgrund der Warnungen Klaus von Sees angebracht gewesen. Als Rechtshistoriker ist man ferner erstaunt, daß Behringer die einschlägigen Zaubereivorschriften des Sachsenspiegels und des Schwabenspiegels nicht nach einer der leicht zugänglichen Editionen zitiert, sondern als Vorlage die philologisch ungenaue und überdies ideologisch höchst fragwürdige Dissertation Edith Kießlings über Zauberei in den germanischen Volksrechten aus dem Jahre 1941 wählt. Ohnedies enthält das erste Kapitel mehrere Pauschalurteile wie etwa die Behauptung, „überall“ in der Bevölkerung sei gezaubert worden (15). Ferner fällt auf, daß Behringer die Bezeichnung der traditionellen Volksgläubigkeit als Aberglauben „ganz offensichtlich“ für unpassend erklärt (16), nur wenige Seiten später dann aber völlig unbefangen wieder von abergläubischen Handlungen spricht (21).

Der Gesamteindruck wird indes nicht von den Nachlässigkeiten der Einführungstexte geprägt, sondern vom Sammelfleiß und von der beeindruckenden Quellenkenntnis des Herausgebers. Ein detailliertes Register sowie ein guter Überblick über die wichtigsten Werke zur Hexenforschung aus den vergangenen fünf Jahren runden den Band ab, der als Textsammlung für jeden an der frühneuzeitlichen Strafrechts- und Kriminalitätsgeschichte Interessierten unverzichtbar ist.

 

Frankfurt am Main                                                                                         Peter Oestmann