Kleinheyer, Gerd, Das Allgemeine Landrecht für die preußischen Staaten vom 1. Juni

* 1794 (= Juristische Studiengesellschaft 216). C. F. Müller, Heidelberg 1995. 27 S. Besprochen von Wilfried Fiedler. ZRG GA 119 (2002)

FiedlerGemeinwohlKleinheyerDaspreußische Nr. 640,653, 685 ZRG 119 (2002) 43Das

 

 

Das Preußische Allgemeine Landrecht in der Literatur der Gegenwart (Sammelbesprechung)

 

Gemeinwohl - Freiheit - Vernunft - Rechtsstaat. 200 Jahre Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten (= Juristische Gesellschaft zu Berlin. Symposium 27.-29. Mai 1994 Berlin), hg. v. Ebel, Friedrich. De Gruyter, Berlin 1995. 160 S.

Kleinheyer, Gerd, Das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten vom 1. Juni 1794 (= Juristische Studiengesellschaft 216). C. F. Müller, Heidelberg 1995. 27 S.

Das Preußische Allgemeine Landrecht. Politische, rechtliche und soziale Wechsel- und Fortwirkungen, hg. v. Wolff, Jörg (= Motive – Texte – Materialien 70). C. F. Müller, Heidelberg 1995. 351 S.

 

Der Geburtstag des preußischen allgemeinen Landrechts (1794) hat zu mehreren erstaunlichen Würdigungen im Schrifttum geführt. Es ging dabei entweder um Vortragsveranstaltungen oder um Symposien, die zum Teil auch in dieser Zeitschrift behandelt worden sind (vgl. ZRG. Germ. Abt. 116, 602ff.). Dem Speyerer Symposium entsprach dabei das Symposium der Juristischen Gesellschaft zu Berlin, das bereits 1994 stattfand. Es ist erstaunlich, daß ein doch schon betagtes Werk auf diese Weise heute gewürdigt wird, wobei es sich einerseits um Vorträge wichtiger Art handelt, andererseits um einen Einzelvortrag, wie demjenigen von Kleinheyer. Der Band des De Gruyter-Verlages enthält mehrere Vorträge und ihre Diskussion. Er beginnt mit einem Vortrag von Willoweit über „die bürgerlichen Rechte und das gemeine Wohl“, das rechtspolitische Profil des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten von 1794 (S. 1ff.). Dieser Vortrag enthält wie derjenige Kleinheyers auch eine Würdigung des geistigen Vaters der preußischen Kodifikation. Klaus Luig widmet sich der privatrechtlichen Seite des ALR (S. 17ff.), während Wolfgang W. Schild die strafrechtliche Seite aufgreift (S. 41ff.). Auch er widmet seine Schrift in starkem Maße den Ausführungen Kleins und Svarez’. In der Diskussion erhielt Schild mehrfach Widerspruch, insbesondere von Kleinheyer (S. 105f.). Den krönenden Abschluß bildet ein Vortrag Mertens, der die Rechtsstaatsidee stärker betont (S. 109ff. ). Aus dieser Thematik erklärt sich wohl auch der etwas voluminöse Titel der Schrift. Der Gegensatz zwischen Gesetz und Herrscher bestimmt die historische Dimension des Rechtsstaates. Sie wird von Merten sehr anschaulich und unter Rückgriff auf die Literatur sehr gründlich dimensioniert. Auch der Vortrag Mertens verursachte eine umfangreiche, breite Diskussion, aus der vor allem der Beitrag von Ogris herauszugreifen ist (S. 140ff.).

Auch der davon unabhängige Vortrag Kleinheyers liefert eine fruchtbare Auseinandersetzung mit dem Allgemeinen Landrecht, das gewohnheitsrechtlich auch heute noch geltendes Recht ist in Bezug auf Nichtvermögensschäden (Aufopferung). Kleinheyer betont zutreffend, daß das Allgemeine Landrecht den Abschluß einer Rechtsentwicklung bedeutet, stärker jedenfalls als die Wirkung für die Zukunft (S. 22). Beide Schriften belegen in eindrucksvoller Weise, daß das Preußische Allgemeine Landrecht von 1794 eine unvermutete Aktualität behalten hat. Es kommt darin gleichzeitig eine Wertschätzung für den preußischen Staat zur Geltung, die an sich unvermutet ist.

Die wohl umfangreichste Publikation zum preußischen Allgemeinen Landrecht bietet die von Wolff herausgegebene Veröffentlichung Sie ist hervorgegangen aus einer Tagung über das Allgemeine Landrecht im Kloster Lüne und kann auf eine entsprechend günstige Ausgangslage blicken (Vorwort). Die Publikation enthält die vorgetragenen Referate und einen umfangreichen Anhang, dessen Nützlichkeit außerordentlich deutlich herausgestellt wird. Die Einleitung, die nicht namentlich gezeichnet ist (S. XXIIIff.), verweist auf die interdisziplinäre Ausrichtung des Allgemeinen Landrechts und der gesamten Publikation. Die Einleitung enthält eine Fülle von weitreichenden Aussagen, etwa bezüglich der „tatsächlichen Wirkung von Normen und Institutionen“ (S. CXIV). Desgleichen wird in der Einleitung auch die Notwendigkeit betont, das Allgemeine Landrecht in seinem historischen Zusammenhang zu betrachten, nicht jedoch isoliert.

Deutlich wird in der gesamten Publikation der interdisziplinäre Ansatz des Allgemeinen Landrechts. Zwar liefert Thilo Ramm in seinem Einleitungsansatz einen historischen Rechtsvergleich, der noch im Rahmen des bisher vom Allgemeinen Landrechts Beabsichtigten bleibt (S. 1ff.). Es geht dabei nicht nur um den Kodifikationsbegriff, und um den Begriff der „Gesamtkodifikation“, sondern darüber hinaus auch um das Verhältnis zu  anderen Kodifikationen in derselben historischen Epoche.

Nach dem ausführlichen und gut belegten Beitrag Thilo Ramms kommt Hans Hattenhauer zu Wort, der auch im Anhang (S. 285ff.) publiziert. Der erste Beitrag lautet das: „Allgemeine Landrecht im Widerstreit der Politik“ (S. 31ff.). Darin beschreibt Hattenhauer gekonnt die politischen Einwirkungen unterschiedlicher Art, die in Bezug auf das Allgemeine Landrecht festzustellen waren, und betont am Ende seines Beitrages (S. 48) den Versuchscharakter des Allgemeinen Landrechts. Der zweite Beitrag Hattenhauers greift einen anderen Zusammenhang auf, der nicht übersehen werden darf, den Weg zum Rechtsstaat („Preußen auf dem Wege zum Rechtsstaat“) (S. 49ff.).

Es ist für einen Öffentlichrechtler eigenartig, zu sehen, daß von den verschiedenen prägenden Gestalten in Bezug auf den Rechtsstaat vor allem Friedrich Julius Stahl herausgehoben wird. Auch dieser Beitrag Hattenhauers betont die Entwicklung hin zum Rechtsstaat, macht also auf die Begrenztheit der Entwicklung aufmerksam (S. 67). Seine Schilderung des Allgemeinen Landrechts als „Gesetzbuch zwischen den Zeiten“ bleibt trotzdem wesentlich realistischer als andere Publikationen.

Vergleiche, Folgewirkungen und Interdisziplinarität kennzeichnen die übrigen Beiträge des umfangreichen Bandes. Herauszugreifen ist die Funktion des Allgemeinen Landrechts, das Allgemeine Landrecht zu kodifizieren (Peter Krause, S. 69ff.). Jörn Eckert beschreibt die Entstehung der Allgemeinen Gerichtsordnung für die Preußischen Staaten (S. 101ff.). Günther Birtsch greift stärker die interdisziplinäre Funktion des Allgemeinen Landrechts auf (S. 133ff.). Herauszugreifen ist auch die Beschäftigung mit der freiwilligen Gerichtsbarkeit durch Werner Schubert und das Fortleben des Allgemeinen Landrechts in der heutigen Rechtsprechung (S. 265ff.). Diesem Aspekt ist vor allem der Beitrag Jürgen von Gerlachs gewidmet (S. 265ff.), der deutlich macht, daß das Allgemeine Landrecht auch in der gegenwärtigen Rechtsprechung seinen Platz findet. Deutlich wird vor allem, daß nicht nur die Aufopferungslehre von diesem Fortleben profitiert hat, sondern auch andere Bereiche der Rechtsprechung. Mitunter hat das Allgemeine Landrecht auch nur indirekt Auswirkungen gehabt. Festzustellen sind auch die Fortwirkungen auf höchster Ebene, etwa in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (S. 280ff.). Aus dem Anhang ist vor allem die weit gespannte historische Entwicklung der Geschichte des Allgemeinen Landrechts durch Hans Hattenhauer zu erwähnen  (S. 287ff.). In der Synopse Jürgen Brands (S. 301ff.) kommt in erster Linie der regionale Aspekt der Auswirkungen des Allgemeinen Landrechts zum Ausdruck. Das Literaturverzeichnis am Ende des Bandes (S. 335ff.) ist überaus nützlich. Leider fehlt ein Stichwortverzeichnis gänzlich. Es hätte die Arbeit mit dem gesamten Bande sehr erleichtert.

Das preußische Allgemeine Landrecht ist durch verschiedene Gedenkveranstaltungen in Erinnerung geblieben, nicht zuletzt durch das Speyerer Symposium. Kaum ein anderes Gesetzbuch hat auf ähnliche Weise  in unterschiedlichen Richtungen fortgewirkt. Man muß daher den Herausgebern der einzelnen Werke dankbar sein für die Präsentation entsprechender Beiträge, so daß das Allgemeine Landrecht hinreichend gewürdigt werden konnte.

 

Saarbrücken                                                                                                     Wilfried Fiedler