Krieg im Mittelalter, hg. v. Kortüm, Hans-Henning.
ZieglerKrieg20010907 Nr. 10397 ZRG 119 (2002) 31
Krieg im Mittelalter, hg. v. Kortüm, Hans-Henning. Akademie-Verlag, Berlin 2001. 309 S., Abb.
1. Der aus einer 1999 in Regensburg gehaltenen Ringvorlesung hervorgegangene Sammelband, der hier vorgestellt werden soll, ist einmal wegen seines interdisziplinären Charakters, zum anderen wegen der starken Beteiligung ausländischer Autoren bemerkenswert. Über die Entstehung des Bandes und die unterschiedlichen historischen Beiträge unterrichtet den Leser das „Vorwort” (7-12) des Herausgebers. Für die Aktualität des als „höchst komplexes kulturelles Phänomen” (7) gekennzeichneten mittelalterlichen Krieges spricht, daß der seinerzeit gehaltene Eröffnungsvortrag schon im gleichen Jahre in einem anderen Sammelband veröffentlicht worden ist [1]. Der Herausgeber eröffnet statt dessen den Band mit einem von ihm selbst so genannten „einleitenden Essay” (7): „Der Krieg im Mittelalter als Gegenstand der Historischen Kulturwissenschaften. Versuch einer Annäherung” (13-43). In den auch begriffsgeschichtlichen „Vorklärungen” (13ff.) weist der Herausgeber zutreffend darauf hin, „daß auch dem Mittelalter das Phänomen ,Krieg’ in seinen unterschiedlichen typologischen Ausprägungen wohl vertraut war, auch wenn es ihm andere Namen dafür gab” (21). In dem Abschnitt „Krieg und Mittelalter” (22ff.) wird auch die als solche nicht eigenständig vertretene rechtshistorische Entwicklung von der Antike zur Neuzeit erwähnt (23f.). Freilich wird das „proprium des Krieges, das Töten und Getötetwerden” (24) in einer richtig betriebenen Rechtsgeschichte natürlich nicht ausgeblendet [2]. Es folgen Betrachtungen unter den Zwischentiteln „Krieg und Historische Kulturwissenschaften” (27ff.), „Der Krieg im Mittelalter als Gegenstand der Historischen Kulturwissenschaften. Die gegenwärtige Situation” (30ff.) und „Künftige Aufgaben einer Kulturgeschichte des mittelalterlichen Krieges” (37ff.).
2. Der auch durch wertvolle Beiträge zur Völkerrechtsgeschichte bekannte, in Nikosia (Zypern) lehrende Byzantinist Evangelos Chrysos hat seinen dem Krieg Justinians gegen die Ostgoten gewidmeten Beitrag überschrieben “Vernichtungskriege des 6. Jahrhunderts” (45-58).
Entgegen einer weitverbreiteten Ansicht verneint der Verfasser, daß Justinian gegen die Goten in Italien einen ‘Vernichtungskrieg’ geführt habe: Es ging dem Kaiser primär um die Wiederherstellung des Römischen Reiches. Seine Politik wird treffend gekennzeichnet durch die Devise „Sicherheit durch offensives Bekriegen” (57).
Der Göttinger Politologe Bassam Tibi, der durch gehaltvolle Presseartikel einem breiten Publikum bekannt ist, gibt unter der Überschrift „Krieg und Ethnizität im Islam” (59-76) vor allem eine aus der Geschichte entwickelte anschauliche Typologie rechtmäßiger Kriege nach der Tradition (und Praxis) des Islam: „Krieg, Djihad und Futuhad im Islam: Gewalt gegen Nicht-Muslime zur Verbreitung des Islam” (63ff.) und „Riddah- und Fitna-Kriege unter den Muslimen selbst” (66ff.). Mit sympathischer Offenheit kennzeichnet der Verfasser auch die Verzerrungen, die der ursprüngliche Glaubenskrieg als Djihad in den fundamentalistischen Ideologien der Gegenwart erfahren hat, als einen Rückfall ins Mittelalter.
Nicht minder interessant ist - auch für Rechtshistoriker - der Aufsatz von Rémi Brague (Paris), „Der Dschihad der Philosophen” (77-91). Seine Analyse der Ideen über den Krieg bei den mittelalterlichen arabischen Philosophen Al-Farabi (80ff.), Avicenna (83ff.) und Averroes (85ff.) führt zu dem gewiß viele überraschenden Ergebnis, daß hier teilweise (auch im Negativen) die antike griechische Philosophie Vorbild gewesen zu sein scheint. Das Denken der Philosophen war auch insoweit „radikaler als die gewöhnliche, unphilosophische islamische Praxis” (90).
3. In die mittelalterliche Kriegspraxis Westeuropas führt uns Matthew J.Strickland (Glasgow): „Killing or Clemency? Ransom, Chivalry and Changing Attitudes to Defeated Opponents in Britain and Northern France, 7 - 12th centuries” (93-122). Der Umgang mit dem besiegten Gegner war danach nach Zeit und Ort unterschiedlich. ,Ritterliche Kriegführung’, die auf Sieg ausging, nicht aber auf physische Vernichtung des Gegners, und die daher auch die Gefangennahme und Freilassung gegen Lösegeld einschloß, wurde vor allem im Verhältnis von Engländern und Franzosen praktiziert. Gegen Schotten, Waliser und Iren dagegen wurde - wie vorher auch gegen die noch heidnischen Wikinger - mit größerer Brutalität gekämpft.
In den Bereich der Rechtsgeschichte hinein reicht der anregende und wertvolle Einblicke in die Praxis des mittelalterlichen Italien vermittelnde Beitrag von Hannelore Zug Tucci (Perugia): „Kriegsgefangenschaft im Mittelalter. Probleme und erste Forschungsergebnisse” (123-140). Treffend weist die Verfasserin (130ff.) auch auf die Überwindung der nach antikem römischem Recht jederzeit zulässigen Versklavung von Kriegsgefangenen [3] durch Theorie und Praxis des mittelalterlichen Abendlandes hin (eine Einschränkung, die sich freilich nur auf Kriege unter Christen bezog) [4]. Dabei hat das Verbot der Versklavung christlicher Kriegsgefangener durch das dritte Lateran-Konzil (im Jahre 1179) gewiß eine wichtige Rolle gespielt.
Eine Fallstudie, die zugleich dem Abbau eines Mythos moderner französischer Geschichtsdeutung dient, stammt aus der Feder von Jean-Marie Moeglin (Paris): „Von der richtigen Art zu kapitulieren: Die sechs Bürger von Calais (1347)” (141-166). In eingehender vergleichender Quellenanalyse zeigt der Verfasser auf, daß die dramatische Szene, in der angesehene Bürger der sich dem Feind ergebenden Stadt im bloßen Hemd mit einem Strick um den Hals vor dem siegreichen Fürsten niederknien und um Gnade bitten, einem mittelalterlichen Brauch entspricht. Der Verfasser schreibt dazu anschaulich: „Die Besiegten mußten sich, um Gnade zu erlangen, einem Ritual öffentlicher Demütigung beugen, durch das sie öffentlich bekannten, daß sie sich zu Unrecht ihrem legitimen Herrn widersetzt hatten und daß sie es deshalb verdient hätten, hingerichtet zu werden, wenn dieser nicht nach seinem Sieg, angesichts ihrer Reue von Mitleid ergriffen, plötzlich beschlossen hätte, ihnen Gnade zu gewähren” (161).
4. In die damalige literarische Auseinandersetzung mit dem Krieg gelangen wir durch den Beitrag von Christopher Allmand (Liverpool): „Some Writers and the Theme of War in the Fourteenth and Fifteenth Centuries” (167-180). Es geht dem Verfasser um die zunehmend kritische Diskussion über den Krieg in der spätmittelalterlichen Gesellschaft Westeuropas. Unter den von ihm gewürdigten Autoren befindet sich auch der rechtsgelehrte Kleriker Honoré Bouvet (früher als Bonet bekannt), dessen im Jahre 1387 unter dem Titel Arbre des Batailles veröffentlichte Darstellung des Kriegswesens (171f.) - was das Kriegsrecht anlangt - wesentlich auf dem 1360 niedergeschriebenen Tractatus de Bello des auch im römischen Recht versierten Bologneser Kanonisten Johannes de Lignano beruhte [5].
Frankreichs führender Experte für mittelalterliches Kriegswesen, Philippe Contamine (Paris) beschäftigt sich exemplarisch mit den Ideen eines „bedeutenden französischen Intellektuellen des späten Mittelalters” (195): „Guerre et paix à la fin du Moyen Age: l’action et la pensée de Philippe des Mézières (1327-1405) (179-196) [6]. Der picardische Adlige hatte Kriegserfahrungen in Spanien, Italien und auf einem Türkenkreuzzug gesammelt, hatte 1347 eine Wallfahrt nach Jerusalem unternommen (wodurch er zur Gründung eines dem Kreuzzuggedankens verpflichteten Ritterordens angeregt wurde) und war 1359 Kanzler des Königs von Zypern geworden [7]. Später an der Kurie in Avignon und am französischen Hof tätig, trat Philippe de Mézières für den Frieden zwischen Frankreich und England und für Reformen im französischen Königreich ein, als Voraussetzungen für die Verwirklichung seiner Kreuzzugsidee [8].
5. Eine „Analyse von Kriegsdarstellungen” (249) durch Künstler des 14. und 15. Jahrhunderts unternimmt die Kunsthistorikerin Christiane Raynaud (Montpellier) in ihrem umfangreicheren Aufsatz „Défenses annexes et fortifications de campagne dans les enluminures des XIVe et XVe siècles. Première approche” (197-249, dazu 286-300 mit 7 Zeichnungen und 20 Bildern). Der Leser erhält dadurch auch einen unmittelbaren Eindruck von den Schwierigkeiten, die bei der Interpretation mittelalterlicher Buch-Illustrationen zu bewältigen sind. Daß solche Mühe lohnend ist, zeigt die Verfasserin auch mit ihren zum Teil detaillierten kriegstechnischen Beobachtungen.
Mit mittelalterlichem Bildmaterial beschäftigt sich auch als Experte für Technikgeschichte Marcus Popplow (Berlin): „Militärtechnische Bildkataloge des Spätmittelalters” (251-268, dazu 301-309 mit 9 Bildern). Ziel dieser technischen Illustrationen war es danach nicht, die Realität des Krieges darzustellen, sondern, das überwiegend höfische Publikum von den Leistungen des Ingenieurs oder Technikers zu überzeugen - und zu unterhalten. Idealisierende und ästhetisierende Momente der Darstellung dürfen daher bei der historischen Auswertung nicht übersehen werden.
6. Die Benutzung des Bandes wird durch ein Ortsregister (269-274) und ein Personenregister (274-283) erleichtert. Für die rasche Information sind auch die jedem Beitrag jeweils in zwei anderen Sprachen beigefügten Zusammenfassungen (summaries, comptes rendus) außerordentlich nützlich. Alles in allem bietet der von Hans-Henning Kortüm herausgegebene und eingeleitete Sammelband auch den Rechtshistorikern, soweit sie sich mit dem Phänomen Krieg im Mittelalter beschäftigen, interessante und instruktive Beiträge.
Hamburg Karl-Heinz Ziegler
[1]. G. Althoff, Schranken der Gewalt. Wie gewalttätig war das ,finstere Mittelalter’?, in: H. Brunner (Hg.), Der Krieg im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit: Gründe, Begründungen, Bilder, Bräuche, Recht, Wiesbaden 1999, 1ff.
[2]. Vgl. etwa zum antiken Recht meinen Beitrag: Vae victis - Sieger und Besiegte im Lichte des Römischen Rechts, in: O. Kraus (Hg.), „Vae victis!” - Über den Umgang mit Besiegten, Göttingen 1998, 45ff.
[3]. Vgl. ebd.53ff.
[4]. Ausführlichere Hinweise in meinem Beitrag: Kriegsrechtliche Literatur im Spätmittelalter, in: H. Brunner (Hg.), Der Krieg (zit. Anm.1) 57ff. (64 mit Fn. 65/66 zu Bartolus de Saxoferrato und Johannes de Lignano, 68 mit Fn. 96 zu Martinus Garatus, 70 mit Fn. 118 zu Joannes Lupus).
[5]. Vgl. ebd. 65 und 61ff.
[6]. Philippe de Mézières ist auch in dem voraufgegangenen Beitrag von Ch. Allmand (170f.) kurz gewürdigt.
[7]. Vgl. auch die Daten bei J. Richard, Art. Mézières, Philippe de, in LexMA VI Sp. 592f. (1992).
[8]. Damit steht Philippe de Mézières in der Tradition, die uns in den Friedensplänen von Pierre Dubois (1305) und Georg von Podiebrad (1462/64) begegnet. Vgl. dazu die Hinweise in meinem Studienbuch: Völkerrechtsgeschichte, München 1994, 131.